Problem von Tobias - 27 Jahre

Toxische Beziehung/ Emotionale Misshandlung

Hallo liebes Kummerkasten Team,
ich wende mich an euch, weil ich absolut verzweifelt und am Ende bin.
Ich bin mit meiner Freundin (Auch 27) seit ungefähr 6 Jahren zusammen und in einer Toxischen Beziehung gefangen.
Vor einigen Jahren wurden bei mir rezedivierende Depressionen diagnostiziert, mit denen habe ich so ziemlich jeden Tag mittlerweile zu kämpfen. Die Schübe kommen immer öfter und drohen Chronisch zu werden. In Psychatrischer Behandlung bin ich.

Seit ich mit meiner Freundin seit einigen Jahren zusammen lebe, komme ich mit ihr immer weniger zurecht. Sie kommt aus einer Familie, die recht wenig wert auf Ordnung, Harmonie und Sauberkeit gelegt hat, weshalb sie diese "Werte" auch kaum bis gar nicht vermittelt bekommen hat.
Die letzten Jahre habe ich immer versucht mit ihr darüber zu sprechen, auch mit Praktischen Übungen (weil ich ihr helfen wollte und sie mich auch gefragt hatte)
Durch meine Grunderkrankung ist Ordnung und Sauberkeit sehr wichtig für mich.

Sie lässt es aber nicht zu, egal welchen Kanal ich wähle. Ich spreche mit ihr ruhig, oder ernst, oder werde laut, oder schreibe es ihr - Es kommt nicht an. Sie sagt irgendwann: "Ich änder mich, versprochen", aber ein paar Tage sieht es hier wieder aus wie auf einem Schlachtfeld oder alles ist vergessen.

Dieses Problem haben wir in so ziemlich ALLEN Bereichen unserer Beziehung.
*Dann gibt sie mir die Schuld daran, dass es hier so aussieht, obwohl ich derjenige bin, der hier ständig versucht Ordnung zu halten.
Sie schiebt ihre Probleme auf mich mit Sätzen wie: (DU massierst mich nicht mehr, DU kümmerst dich nicht um MICH, DU fässt mich nicht mehr an, ICH (sie) finde die Beziehung total langweilig" aber genau das tue ich. Wenn ich ihr nach einem stressigen Arbeitstag mal Badewasser einlasse mit Kerzen und Romantik, ist die Kern aussage: "Ja nur weil du es EINMAL getan hast, macht es die Beziehung auch nicht spannender"
Wenn ich sie versuche zu verführen oder die oben genannten Kritiken in ordnung zu bringen, blockt sie ab. Entweder ist sie Müde, sie hat ihre Days, sie hat keine Lust was auch immer. Aber sie wirft mir das nach wie vor vor.
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Zweites Problem: Sie entfremdet sich. Sie hat einen (um die 50) Jahre alten Arbeitskollegen und neuen "besten Freund" gefunden mit dem sie "über unsere Beziehung spricht und ihre Probleme". Aus purer Verzweiflung stimmte ich ihrem Wunsch zu, dass sie sich mit ihm mal treffen kann um ein One-Night-Stand zu erleben. Keine Woche später wurde aus dem geplanten One-Night-Stand schon die "regelmässigkeit" geplant, ohne das mit mir abzusprechen. Das haben die beiden einfach so entschieden. ER hat keinerlei Interesse mich mal kennen zu lernen, noch meine Version zu hören. Berät sie aber intensiv mit Sätzen wie "Ich bin immer Loyal zu dir" ect.
(Selbstvertrauen am Boden, Depressionsschub und Eifersüchtig - Wunderbar schlechte Kombination für mich in meiner Lage)
Versuche ich darüber zu sprechen, wie ich mich fühle, heißt es: "Du übertreibst. Es ist MEIN Körper und der gehört nicht Dir, sondern MIR, merk dir das!"

Ich fühle mich als hätte ich in dieser Beziehung absolut versagt, dabei tue ich alles was in meiner Macht steht. Ja verdammt, ich koche sogar so ziemlich jedes mal für sie, wenn sie Spät von der Arbeit kommt. Ich kämpfe um sie.
Sie meint als:"Du verlierst mich nicht" aber diese Sicherheit gibt sie mir in keinster Weise mehr wenn sie zwei Sätze danach sagt:"Du kämpfst keinen Meter um mich"

Solche Probleme hatten wir die letzten Jahre vermehrt, aber seit Corona ist das noch viel schlimmer geworden. Sie beschimpft mich oft als Versager, weil ich meinen Job verloren habe und durch Corona und einer starken Behinderung große Schwierigkeiten habe einen neuen Job zu BEKOMMEN. Als es noch Geld gab, regelmäßig, war es "einfacher", so übel sich das anhört.

Ich bin gefangen in einer Hölle aus Emotionaler (und momentan noch finanzieller Abhängigkeit) und enormer Emotionaler Misshandlung und weiß nicht wie ich da raus komme.
Ich bin absolut Therapiereif, aber durch diese CoronaKrise kann ich das momentan einfach nicht angehen. Mich kostet das sowieso alles enorm Kraft und Energie, da kann ich nicht erst noch zur Apotheke rennen und dort Tests machen.
Eine Paartherapie hat sie Jahre übrigens auch abgelehnt. Sie hat ihre eigenen Ansichten und möchte sich nicht dahin setzen und mit fremden darüber sprechen.

ich habe in den letzten Jahren so ziemlich JEDES Forum nach hilfe durchsucht. Nach Beziehungstipps, aber es hat einfach nichts geholfen.

*Letztens meinte sie, sie hätte einen Krieg mit sich selbst, bei dem ihr keiner helfen kann* aber ich leide darunter. Das sieht sie, aber sie macht nichts dagegen.

Gibt es Strategien die man lernen kann, wie man mit diesem herausfordernden Verhalten am besten umgeht? Eine Verhaltenstherapie strebe ich an, aber ich befürchte das wird alles noch dauern, bis dahin bin ich kaputt.

Grüße
Tobias

Lan Anwort von Lan

Lieber Tobias,

das berührt mich sehr, dass du uns das alles erzählt hast. Ich drücke dich ganz fest, das muss schlimm für dich sein.

Unordnung der Freundin

Hast du mit ihr mal darüber genau geredet, woher diese Unordnung kommt? Und wie wäre es, wenn ihr versucht, diese schrittweise anzugehen? Für sie wird es vermutlich eine ganz schöne Umstellung sein, plötzlich alles ordentlich zu halten, wenn sie es zuvor nicht getan hat. Das kann eine Zeit lang dauern, braucht aber eben auch genug Motivation, um das durchzuziehen.

Schuldzuweisungen

Das ist sehr kraftaufreibend, wenn dir deine Freundin, ständig die Schuld gibt, obwohl du dich sehr bemühst, es besser zu machen.
Habt ihr schon einmal darüber geredet, wie sehr dich das auch belastet und auch verletzt, wenn sie dir immer die Schuld gibt? Wenn nicht: Sprich mit ihr darüber, wie du dich fühlst und dass du dir Mühe gibst und das Gefühl bekommst, es ihr nie recht zu machen.


Entfremdung

Dass du ihr aus purer Verzweiflung den One-Night-Stand "erlaubt" hast, klingt nicht gerade danach, dass du es wirklich wolltest. Vielleicht hast du dich dazu gezwungen gefühlt. Und das kann nie gut gehen, wenn der eine eigentlich nicht wirklich will und es nur dem anderen zuliebe zulässt. So wird keine gleichberechtige und vertrauensvolle Beziehung geführt, zumal das auch gegen deine Bedürfnisse verstößt, weil du das eigentlich nicht zulassen würdest, wenn du ehrlich bist.

Ich finde es super, dass du mit ihr darüber reden willst und auch deine Gefühle ansprichst. Du machst alles richtig und ich finde das gut so, weiter so. Es ist aber wirklich sehr hart und ungerecht, dass sie nicht die Möglichkeit lässt, darüber zu reden. Es ist zwar wahr, dass es ihr Körper ist und sie darüber bestimmt. Ihr seid allerdings in einer Beziehung, bei der ihr euch vermutlich auf sexuelle Treue geeinigt habt. Insofern würde es dich genauso betreffen, mit wem sie schläft. Es geht dich durchaus etwas an. Ihr habt vermutlich unterschiedliche Bedürfnisse, die da aneinander geraten.

Frage dich mal: Wie wichtig ist dir Treue? Und wenn du merkst, dass du nicht damit leben kannst, dass sie mit einem anderen schläft, dann solltest du ernsthaft in Erwägung ziehen, dich vielleicht zu trennen. Denn auf Dauer macht dich das unglücklich, wenn du damit nicht einverstanden bist.

So wie sie dich behandelt, klingt das alles andere als nach einer glücklichen Beziehung. Sie betrügt dich offensichtlich vor deinen Augen, lässt keine Kommunikation zu, gibt dir die Schuld, wertet dich ab - was alles auf psychische Gewalt hindeutet, wenn du mich fragst.


Über Beziehungen nachdenken

Generell wäre es mal gut für dich, ernsthaft und radikal ehrlich über eure Beziehung und die vergangenen Jahre zu reflektieren:
Liebst du deine Freundin? Was liebst du an ihr? War sie schon immer so oder hat sie sich erst allmählich so verändert? Bist du glücklich in der Beziehung? Wenn nein, wieso bist du noch nicht gegangen? Wenn ja, was hält dich davon ab? Wovor hast du Angst, wenn du dich trennst? Fühlst du dich in der Beziehung häufiger schlecht als gut? Ist das "Gut-Laufen" in der Beziehung an ein bestimmtes Verhalten geknüpft? Schadet dir deine Freundin mehr als dass sie dir hilft? Warum brauchst du deine Freundin so sehr? Was gibt sie dir, was andere dir nicht geben können oder was du dir nicht geben kannst? Was läuft in der Beziehung schief?
Welche Bedürfnisse hast du? Was für eine Art von Beziehung willst du führen? Wie weit bist du bereit, Kompromisse zu gehen?
Lohnt es sich wirklich, für diese Beziehung zu kämpfen? Glaubst du, du könntest in anderen Beziehungen nicht glücklich werden?
Was würde passieren, wenn du dich trennen würdest? Wovor hast du Angst? Vor dem Alleinsein?
Ganz wichtig ist dabei, dass du ehrlich zu dir bist und immer schaust, was das alles mit dir macht.

Es könnte dir helfen, regelmäßig Tagebuch darüber zu führen, um Klarheit über die Beziehung zu bekommen. Dann wird dir erst bewusst, wie die Beziehung richtig läuft.
Generell wäre es sinnvoll, die guten und schlechten Momente mal gegenüberzustellen. Du könntest mal die letzten sechs Wochen rekapitulieren und zu zählen, ob schöne und schlechte Situationen in einem ausgewogenen Verhältnis waren. Hier solltest du genau schauen und auch nichts beschönigen. Wenn du merkst, dass die schlechten Momente deutlich überwiegen, wäre es wohl für dich auf lange Sicht besser, die Beziehung zu beenden. Denn seien wir ehrlich: Willst du wirklich in einer Beziehung bleiben, in der du dich nicht verstanden, nicht geliebt, nicht wertgeschätzt und unglücklich fühlst?

Vielleicht solltest du dir bewusst sein, welche Gründe es gibt, die dich dazu veranlassen, an der Beziehung zu arbeiten und welche eher für eine Trennung sprechen.

Dafür spricht: Ihr beide liebt euch noch. Ihr seid beide bereit an eurer Beziehung, eurem Verhalten und Problemen zu arbeiten.

Für eine Trennung sprichst: Du investierst mehr in die Beziehung und die Veränderung als sie. Bei deiner Freundin bleibt es nur bei Worten, aber keine Taten folgen. Ihr bleibt als Paar immer wieder im dem Schuldzuweisungs-Teufelskreis gefangen und es gelingt nicht, Verantwortung zu übernehmen.


Sprich mit anderen darüber

Hast du bereits mit anderen Menschen wie Freunde oder Familie darüber geredet? Oder bekommst du vielleicht auch ab und zu mal Rückmeldungen, dass du nicht gut aussiehst oder sie sich Sorgen um dich machen?


Befasse dich mehr mit dir selbst

Es könnte hilfreich sein, dich mit deinem Selbstwert, Selbstvertrauen und der Selbstliebe zu befassen.
Lege den Fokus wieder mehr auf dich und deinen Wert. Befasse dich mit dir selbst: Wer bist du? Was macht dich aus? Was magst du an dir? Was kannst du gut? Wofür wirst du gelobt?
Du musst lernen, deine Grenzen zu setzen, aber dafür musst du auch herausfinden, wo deine Grenzen liegen.
Mehr dazu findest du hier: https://systemischeberatung-kiel.de/gehen-oder-bleiben-kann-man-eine-toxische-beziehung-retten/

Verbringe bewusst mehr Zeit mit dir selbst. Suche dir Beschäftigungen, bei denen du Spaß hast und du vollkommen drin aufgehen kannst. Lerne, dass Alleinsein nicht unbedingt schlecht ist, sondern auch wichtig. Hast du vielleicht Angst davor, allein zu sein und hast daher auch ein schweres Problem, dich von ihr zu lösen?

Werde dir bewusst, dass du nicht an allem Schuld bist auch wenn es schwer ist, das zu erkennen. Sie schafft es sehr gut, dich zu manipulieren und es so da stehen zu lassen, als wäre sie unschuldig. Aber das ist ja der Trick hinter toxischen Beziehungen. Wenn etwas in einer Beziehung schief läuft, ist nie nur einer schuld, sondern immer beide, beide haben ihren Anteil daran.

Wenn du lernst, wieder an dich zu glauben, kannst du auch die Hoffnung gewinnen, ein Leben ohne diese Beziehung zu führen.


Intensiver das Gespräch suchen

Ich würde an deiner Stelle noch öfter das Gespräch suchen und mit ein bisschen mehr Nachdruck mitteilen, wie wichtig dir das ist, dass sie endlich mit dir redet und ordentlich zuhört. Dass du ohne klärende Gespräche auch keine Zukunft mehr siehst, denn wenn ihr beide nicht an der Beziehung arbeitet, wird euch das beide unglücklich machen.

Unbedingt rate ich dir, sie auch nochmal auf ihren Kollegen und die Beziehung anzusprechen, die sie führen. Woher kam dieses Verlangen? Was gibt er ihr, was du ihr nicht geben kannst? Wie fühlt sie sich in der Beziehung? Ist sie zufrieden oder nicht? Und was müsste sich ändern, damit sie sich ändert?

Ich kann durchaus verstehen, dass es dir sehr schwer fällt, aus der Beziehung herauszukommen. Du bist emotional einfach abhängig von ihr, schreibst es selbst und das glaube ich dir auch.
Doch das heißt nicht, dass alles verloren ist. Du kannst dich Stück für Stück aus der Abhängigkeit befreien. Dafür musst du aber auch bereit sein, Hilfe zu suchen und anzunehmen.


Hilfe suchen

Es ist toll, dass du im Internet auf eigene Faust nach Hilfen gesucht hast. Aber leider bisher ohne großen Erfolg. Schon das sollte dir zeigen, dass du so ganz allein nicht weiterkommen kannst. Es ist okay, dass das so ist. Jetzt brauchst du nur den Mut und die Kraft, dir einfach Hilfe von außen zu suchen. Lass dir bitte helfen. Es kann schon echt schwer sein, aber es lohnt sich.

Du schreibst selbst, dass du bereit für eine Therapie wärst. Ich kann verstehen, dass das ein harter Prozess ist und dir aufgrund deiner seelischen Beschwerden die Kraft fehlt. Wie wäre es, wenn du es erstmal mit einer Beratungsstelle oder dem psychosozialen Dienst probierst? Da könnte die Hemmschwelle erstmal geringer sein.
Denk an dich! Werde dir bewusst, wie wichtig das ist. Ich fürchte, dass es ohne Therapie nicht schaffbar wird, aus dieser Beziehung herauszukommen. Du scheinst sehr an ihr zu hängen, obwohl sie dir einiges antut.

Du musst übrigens deine Freundin nicht zur Paartherapie bringen, es reicht auch schon, wenn du da mal allein hingehen würdest. Vielleicht gäbe es auch die Möglichkeit, telefonisch Kontakt aufzunehmen und ein telefonisches Gespräch zu führen?

Doch auf lange Sicht führt kein Weg an einer Paartherapie zu zweit vorbei. Ihr müsst dazu aber beide bereit sein, an der Beziehung zu arbeiten. Diese kann euch helfen, zu erkennen, wieso sich deine Freundin so verhält und mögliche Lösungen finden.

Wenn sie sich aber immer noch weigert, das gemeinsam zu machen, bleibt am Ende nur noch die Trennung. Denn so oder so, eine Entscheidung musst du treffen, so kann es nicht weitergehen, du gehst daran zugrunde.


Ich habe dir noch weitere Webseiten verlinkt, die dir Anregungen geben können:
https://hellobetter.de/blog/toxische-beziehung/
https://www.alh-akademie.de/blog/toxische-beziehungen
https://www.amazedmag.de/toxische-beziehungen-und-der-schwere-weg-daraus-6-frauen-erzaehlen-von-ihren-erfahrungen/
https://praxistipps.focus.de/toxische-beziehung-beenden-und-verarbeiten-die-besten-tipps_118112
https://lovomi.de/toxische-beziehung/
https://www.focus.de/familie/beziehung/toxische-beziehung-6-punkte-plan-von-einer-paarberaterin_id_10161763.html
https://www.swr3.de/aktuell/beziehungsshow/toxische-beziehung-erkennen-loslassen-beenden-oder-weiterkmpfen-100.html


Ich hoffe inständig, dass du dich mit deiner Beziehung auseinandersetzt und dir auch Hilfe suchst, egal, ob du dich fürs Bleiben oder Gehen entscheidest. Ich wünsche dir viel Kraft, Mut, Selbstvertrauen, das durchzustehen. Schreib uns gerne, wenn du etwas auf dem Herzen hast. Wir sind für dich gern da.


Viele Grüße,
Lan