Problem von Nils - 12 Jahre

Ich muss meinen besten Freund beschützen

Hallo liebes Kummerkasten Team,
Ich habe vor einigen Monaten meinem besten Freund gesagt das ich Bisexuell bin und ihn liebe er meinte daraufhin er wäre ebenfalls Bi aber empfindet nicht das selbe für mich, was natürlich okay ist.
Ich habe mich es einigen Tagen bei meinen Klassenkameraden*innen geoutet.
Sie akzeptieren mich und unterstützen mich (meine Klasse wiess es auch).
Am selben Tag habe ich einem Klassenkameraden von meinem besten Freund gesagt das er Bi ist.
Heute hat mein bester Freund mich angeschrieben und war sehr sauer auf mich weil seine allein erziehende Mutter Homophob ist und wenn sie es herausbekommen würde, würde er sehr Ärger bekommen.
Ich möchte ihn beschützen nur wohnen wir eine Stunde voneinander entfernt.
Haben sie vielleicht ein Paar Ratschläge?

Nuala Anwort von Nuala

Lieber Nils,

Danke, dass du uns geschrieben hast! Ich habe übrigens die Problemkategorie geändert, damit es thematisch besser passt.
Es gibt es drei Dinge, welche ich gleich zu Beginn positiv hervorheben möchte. Erstens hast du einen besten Freund - das ist ein wundervolles Geschenk. Und zweitens: Wow, du hast deine Liebe gestanden und ihr habt beide toll auf die Reaktion des Gegenübers reagiert! Hut ab! Und drittens scheint ihr ein feines Umfeld in der Klasse zu haben, da bin ich sehr froh :)

Ich möchte nun auf deinen Problemtitel eingehen. Nein - du musst deinen besten Freund nicht beschützen. Das ist zwar ein verständlicher Wunsch, aber nicht deine Aufgabe. Er kann gut auf sich alleine aufpassen. Er hat(te) Angst, und das hat dir wahrscheinlich wiederum Angst gemacht. Aber Angst entsteht auch rasch, ohne dass es eine wirkliche Gefahr gibt. Frage ihn, wie es ihm aktuell damit geht und was er von dir als seinem besten Freund braucht.

Natürlich klingt es nicht sonderlich prickelnd, dass seine Mutter homophob ist. Ich würde mir sehr wünschen, dass sie es nicht wäre (ich gehe jetzt einmal strikt nach deiner Beschreibung, ohne sie zu kennen). Leider ist es noch ein längerer Weg zu einer offenen und solidarischen Gesellschaft, in der alle Menschen so sein können, wie sie sind. Doch weißt du was? Dein bester Freund und du, ihr seid ein Teil davon, weil ihr schon einen wichtigen Teil eurer Neigungen erkannt habt. Auch wenn sich da noch etwas verändern kann (und sexuelle Orientierungen/Vorlieben nicht so starr sind wie viele glauben,,,) ist es genau jetzt gut, dass ihr eure Bisexualität spüren könnt. Und dass du darüber gesprochen hast, finde ich mutig und richtig. Nur wenn wir anfangen, über uns zu erzählen, sind wir echt und lebendig. Wir sollten uns nicht verstecken. Dennoch gibt es da Abwägungen und Situationen, in denen es klug ist, zurückhaltend zu sein. Was nicht bedeutet, sich verleugnen zu müssen. Aber ich muss beispielsweise nicht überall ungefragt verraten, welche sexuellen Praktiken ich mag. Erstens sollten wir unsere Intimsphäre schützen - und auch andere Menschen schützen, weil sie nicht automatisch private Infos haben möchten. Manchen kann es zuviel sein, da etwas einfach mal eben zu erfahren. Es ist daher wichtig, ein Gespür dafür zu entwickeln, wann etwas angemessen ist und wann nicht. Auf dein Anliegen bezogen: Du hättest deinen Freund erst fragen sollen, ob es ein Geheimnis bleiben soll, dass er sich als bisexuell empfindet. Sicherlich hätte das geholfen, dass er jetzt nicht solche Angst haben muss. Damit will ich dir aber kein schlechtes Gewissen einreden. Ich möchte dich dafür erwärmen, vorher zu fragen, ob etwas okay ist.

Nochmal zurück zum Anfang: Als Tipps kann ich dir mitgeben, dass du zuallererst immer in dich hineinfühlst, wie es dir in dem Moment mit einer Sache geht. Schnell kann es nämlich zu Überforderung kommen.
Ihr seid überdies noch sehr jung. Da bietet es sich an, ältere Jugendliche oder Erwachsene mit ins Boot zu holen. Ihr könnt gemeinsam überlegen, welche Personen da in Frage kommen würden. Wem vertraut dein Freund? Was ist mit seinem Vater? Andere Verwandte, Freund:innen der Familie...? Was ist mit deinen Eltern, deiner Verwandtschaft? Vielleicht gibt es an eurer Schule eine Vertrauensperson (Lehrer:in, Schulpsycholog:in, ein:e ältere:r Schüler:in...).
Es geht auch einfach darum, dass du deinem besten Freund signalisierst, wenn dir etwas zuviel ist und du ratlos, verwirrt oder ängstlich bist. Das ist nämlich genauso in Ordnung wie das konkrete Helfen. Auch Erwachsene sind oft überfordert und müssen sich erstmal um sich selbst kümmern. Das ist die Grundvoraussetzung, um Anderen helfen zu können.

Als weiteren Tipp kann ich dir ganz klassisch raten, dass ihm einfach zur Seite stehen solltest - das ist schon das Beste, was du tun kannst. Sei ein guter Freund, der zuhört und hilft, wenn es nötig ist. Das kann z.B. eine Begleitung bei einem ernsten Gespräch sein. Also angenommen, dein bester Freund gerät in die Situation, dass er sich vor seiner Mutter erklären soll (weil sie was mitbekommen hat). Dann könntest du ihn begleiten und ihn beim Sprechen unterstützen, falls er das möchte. Selbstverständlich kannst du ihr auch deine Meinung sagen! Das bitte höflich; gleichzeitig kannst du sehr deutlich machen, dass du dir für deinen Freund wünschst, dass sie ihn respektiert, wie er eben ist.

Es könnte auch um einen gemeinsamen Besuch in einer Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche gehen. Es gibt auch spezielle Beratungsstellen für queere Jugendliche, vielleicht wäre das etwas für euch beide? - Schau gerne hier vorbei: https://interventionen.dissens.de/fuer-jugendliche/links-anlaufstellen

Auch das Kontaktknüpfen mit anderen bisexuellen bzw. generell queeren Jugendlichen ist etwas, was ihr zusammen tun könntet. Sprich doch einfach mit deinem Freund darüber, was er überhaupt möchte. Hat er Lust auf Treffen, Chats, Austausch in einem Forum...? Vielleicht nicht er, aber du! Und durch das, was du erlebst (oder umgekehrt...) kann auch der jeweils Andere von euch beiden profitieren. Guck' dir am besten den Link genau an, da stehen bei den einzelnen Bundesländern sehr viele weitere Internetseiten, z.B. diese: https://genderdings.de/sexualitaet-und-liebe/sexuelle-vielfalt/

Manchmal kann sogar die Schule direkt genutzt werden, um ein Thema zu platzieren (und sich darüber mitunter zu outen). Ihr könntet zusammen einen Vortrag vorbereiten - und der Mutter deines besten Freundes damit verklickern, wie ernst die Schule den Bereich sexuelle Vielfalt nimmt. Möglicherweise könnte damit auch ein Gespräch verbunden werden - dass beispielsweise ein:e Lehrer:in gezielt mit ihr darüber reden.

Falls sie deinem Freund gegenüber gefährlich werden würde, müsste er sich rasch Hilfe von anderen Erwachsenen holen. Am besten überlegt ihr einmal zusammen, wer das sein könnte (wie schon oben geschrieben).

Selbst wenn sie ihre Meinung nicht überdenken würde - es ändert nichts daran, dass ihr tolle junge Menschen seid, die sich von ihrer Engstirnigkeit nichts kaputtmachen lassen sollten. Genießt eure Freundschaft, euren Zusammenhalt.


Ich wünsche dir alles Liebe und sende dir sommerliche Grüße,
Nuala