Problem von Anonym - 23 Jahre

Ich bereue mein erstes Mal so sehr

Hallo,
ich habe lange überlegt, ob ich überhaupt etwas schreiben soll. Aber vielleicht hilft es mir irgendwie.
Es geht um mein erstes Mal Sex und wie sehr ich es bereue. Ich war damals 16 oder 17 Jahre alt und mit Jungs sehr unerfahren. Ich war und bin eher zurückhaltend und hatte auch nie besonders viele Freunde. Damals kam ich durch Zufall in eine größere Gruppe von Leuten und hatte auf einen Schlag viele „Freunde“ (Heute würde ich diese Menschen nicht mehr so bezeichnen). In dieser Gruppe gab es auch einen Jungen, den ich ganz nett fand. Ich war nicht in ihn verliebt. Er war auch ein extremer Fuckboy und hat schon mit sehr vielen Mädchen geschlafen. Irgendwann haben wir zusammen getrunken und der Junge hat bei mir übernachtet. An diesem Abend haben wir auch miteinander geschlafen. Es war nicht schön und hat extrem wehgetan. Er hat darauf auch gar keine Rücksicht genommen und einfach sein Ding durchgezogen. Ich weiß nicht, warum ich es getan habe. Vielleicht habe ich mich durch seine Aufmerksamkeit geschmeichelt gefühlt oder wollte auch endlich zu den „erfahrenen Mädchen“ gehören. Ich habe mich durch meine Unerfahrenheit auch selbst sehr unter Druck gesetzt. Jeder hatte schon einen Freund und wusste über diese ganzen Dinge Bescheid. Ich bereue das alles heute so sehr.
Heute habe ich einen Mann an meiner Seite mit dem alles so schön ist. Er ist zärtlich und ein so guter Mensch. Aber wenn ich daran denke, was ich an diesem Abend getan habe und wie es hätte sein können…Ich fühle mich so schmutzig. Als ich jünger war, hat mir das Ganze nicht so zugesetzt. Mir wird richtig schlecht, wenn ich nur daran denke. Dabei ist das auch schon über 6 Jahre her.
Ich würde es so gerne ungeschehen machen, aber das geht nicht. Eigentlich möchte ich der Vergangenheit auch nicht nachhängen. Aber seit ich meinen jetzigen Partner kenne, geht mir dieser Gedanke einfach nicht mehr aus dem Kopf. Am liebsten hätte ich mit ihm mein erstes Mal erlebt.
Für mich fühlt es sich so an als verdiene ich ihn nicht, weil ich so dumm war. Das war einer der größten Fehler meines Lebens. Das Ganze setzt mir aktuell so zu. Es fühlt sich an, als wäre ich ein schlechter Mensch.

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

(Bitte wundere dich nicht: Ich habe die Problemkategorie angepasst, weil es streng genommen nicht um Liebeskummer geht.)

Ich hoffe so wie du, dass dir allein das Schreiben über das Belastende Linderung gebracht hat. Schreiben löst natürlich nicht das Problem an sich. Aber es schafft neue Möglichkeiten, damit umzugehen. Insofern war es eine gute Entscheidung, dass du uns nach langer Überlegung geschrieben hast :)
Ich möchte gerne meinen Teil dazu beitragen, dass du Stück für Stück befreiter sein kannst. Das impliziert, dass es ein Prozess ist. Viele seelische Wunden brauchen ihre Zeit, um vernarben zu können. Verschwinden werden sie nicht, das müssen sie auch gar nicht. Allein das Wissen darum und sich dahingehend die Zeit zu nehmen, bringt schon viel für die erfolgreiche Bewältigung.

Zunächst einmal würde ich dich virtuell gerne in den Arm nehmen. Das, was du beschreibst, erleben leider so viele Mädchen und Frauen. Es muss nicht immer direkte Gewalt sein, die Narben in der Seele hinterlässt. Dein erstes Mal ist vermutlich im Graubereich anzusiedeln - möglicherweise war es doch schon recht gewaltgefärbt. Jedenfalls hätte ich mir für dich ein liebevolles, lustvolles und vor allem echtes einvernehmliches erstes Mal gewünscht.
Nun ist es jedoch so, dass wir die Vergangenheit nicht ausradieren können. Das ist einerseits das, was die Menschen umtreibt und manchmal schier verrückt werden lässt. Andererseits kann es auch als Erleichterung verstanden werden: Wir sind hier in der Gegenwart und können uns bewusst dafür entscheiden, mit dem Vergangenen auf eine konstruktive Weise abzuschließen - im Frieden. Dies setzt etwas Arbeit voraus, ist aber machbar. Vielleicht hilft es dir, dich Nahestehenden anzuvertrauen (sofern du das noch nicht getan hast), dich über selbstbestimmte weibliche Sexualität weiterzubilden und dich ganz allgemein in deiner Selbstwirksamkeit zu stärken. Dazu schreibe ich dann noch mehr.

Meine allgemeine Aufgabe, die ich dir gerne mit auf den Weg geben möchte, lautet: Was genau tut dir am meisten weh? Ist es, dass du dich sozusagen "weggeworfen", "unter Wert verkauft" hast? Ist es, dass dir Gewalt angetan wurde? (Ich kann das nicht beurteilen, weil ich nicht weiß, was im Einzelnen passiert ist). Ist es, dass deine Wunschvorstellung durch diese Erfahrung komplett zerstört wurde?
..oder alles zusammen?
Setze dich ruhig mal mit Stift und Papier an einen ruhigen Ort, gerne im Freien, und lasse diese Fragen durch Kopf und Herz ziehen.

Deine Schilderung spiegelt mehrere Ebenen wider, daher möchte ich diese auch getrennt benennen und meine Ansicht dazu schreiben. Nichtsdestotrotz gehören die Ebenen zusammen und bedingen sich zum Teil gegenseitig.

- Ich beginne mit der Gesamthandlung/dem penetrativen Sex an sich.
Ganz nüchtern betrachtet kann Penis-Vagina-Sex oder Penis-Anus-Sex auch mit dem liebsten Partner schmerzhaft sein. Wenn es ein erstes Mal gibt, ist alles neu: Die Dinge müssen sich erstmal einspielen. Es liegt in der Natur der Sache, dass es nicht reibungslos klappt (auch sehr erfahrene Paare machen letztlich diese Erfahrung und das ist auch gut so!).
Doch weil du deinen aktuellen Freund zum Vergleich nimmst: Es hätte durchaus sein können, dass du als 16 - oder 17-Jährige genauso (oder andere) Schmerzen beim Verkehr erlitten hättest, weil penetrativer Sex ohne Kommunikation über das, was gewollt wird/ohne ein gutes Gefühl füreinander, ohne genug Scheidenfeuchtigkeit und Erfahrung mehr oder weniger zwangsläufig zu einem unangenehmen Erlebnis wird. Und auch ein lieber Partner ist nicht unbedingt auch ein lieber Sexpartner - die Kombination aus Miteinander Sprechen und allgemeinem Respekt voreinander macht es aus. Wer sagt denn, dass dein Freund damals genauso agiert hätte wie er es nun tut? Wir alle fangen unerfahren an, verhalten uns mal mies und machen Fehler, Fehler, Fehler. Oder anders: Was würdest du tun, wenn dein Partner dir genau so eine Geschichte aus seiner Jugendzeit berichten würde? Dass er sich rücksichtslos befriedigt hat, während das Mädel alles über sich ergehen ließ? Menschen sind nicht nur gut oder nur schlecht. Und du kannst lernen, dir zu verzeihen - und auch dem "Fuckboy". Dazu beschreibe ich dir unten noch eine Übung.

- Die eigene Verletzlichkeit
Du warst damals in vielen Hinsichten verletzlich. Erstens durch deine Unerfahrenheit und dein Alter.
Allein die Unerfahrenheit macht so viel aus! Da wird ja schnell geglaubt, dass Sex nur aus Penetration bestünde und dass es schon toll wäre, es irgendwie hinter sich bekommen zu haben.
Zweitens durch deine zurückhaltende Art. Dann noch der Aspekt, dass ein Empfangen eines Penis immer auch mit Verletzlichkeit zutun hat - es ist eine Gratwanderung. In einer intakten Liebesbeziehung selten ein Problem, weil da angemessen aufeinander eingegangen wird. Doch bei One Night Stands und anderen Gelegenheiten, mit einer sexuell fremden Person zu verkehren, kann es leicht zu Beeinträchtigungen kommen - seelisch wie körperlich. Natürlich kann es auch für das männliche Pendant verletzend sein, nur bringt die weibliche Anatomie und Physiologie ein paar Besonderheiten mit sich, die es eben zu respektieren und beachten gilt. Ich denke, es ist wichtig, dass du dir das vor Augen führst. Dich trifft keine Schuld! Die Dinge passieren. Aktion und Reaktion. Handlung und Konsequenz. So gestaltet sich unser Leben... Du kannst das Gelernte aber gewinnbringend für deine Gegenwart nutzen und dich darauf fokussieren, was du willst. Beispielsweise darauf, dich in sensiblen Momenten zu schützen.

- Weitere psychische Faktoren
* Verliebtheit: Die Hormone machen natürlich viel aus. Auch wenn man eigentlich noch längst nicht bereit wäre für sowas Großes wie Sex - auf Nähe und Zärtlichkeit hat man ja meistens schon seeehr viel Lust (und mit dem Angebeteten erste zaghafte Erfahrungen machen... :)).
* "Wer A sagt, muss auch B sagen..." - Ein nicht zu unterschätzender Effekt. Wir Menschen neigen leider sehr oft dazu, Dinge "durchzuziehen", auch wenn sie offenkundig schlecht für uns sind bzw. es auch gute Alternativen gäbe. Damit verwandt:
* Nicht auf das Gefühl zu hören: Wenn der Verstand sagt, es sei doch genau jetzt gut, diese Erfahrung zu machen (trotz offenkundigem Unwohlsein), dann ist das ein Übergehen des eigenen Bauchgefühls und der Bedürfnisse. Das meine ich wirklich nicht als Schuldzuweisung; es dient lediglich dem Verständnis. Schlussendlich sind wir alle mehr oder weniger so erzogen worden, mehr auf den Kopf als auf das Herz zu hören. Die negativen Konsequenzen zeigen sich unter anderem in solchen Momenten. Wir können es aber erkennen und entgegensteuern, indem wir uns auf das Fühlen einlassen.

- Der Mythos rund um den ersten Sex
Nun, er ist schlicht und ergreifend überbewertet und mit unzähligen Erwartungen überfrachtet. Ich lese das bei dir auch heraus. Da spielt Hollywood aber mehr eine Rolle als irgend etwas aus der Realität ;)

- Gruppenzwang
Klar, es ist irgendwie schick, Dinge zu tun, die eben die Erwachsenen tun. Folglich entsteht auch ein gewisser Druck, da Jugendliche im Allgemeinen sehr nach Konformität (und nicht so sehr nach echter Individualität) streben. Möglichst nicht "negativ" durch Unerfahrenheit auffallen und lieber mal etwas dicker auftragen... - "mehr Schein als Sein"; so würde ich das sehen. Ich wage zu bezweifeln, dass Jugendliche nach ihren ersten Erfahrungen schon sooo viel wissen und alles so gut beurteilen können, was sexuelle Praktiken angeht. Und längst nicht alle haben wirklich schon Sex gehabt, wenn sie das behaupten.
Ihr wart auch angetrunken bzw. betrunken. Auch das ist eine Phänomen des Gruppenzwangs.

- Gesellschaftliche Einflüsse
Wir leben leider in noch sehr patriarchalen und von Gewalt durchzogenen Gesellschaft, in der es als normal angesehen wird, dass ein Mann sexuelle Befriedigung zu bekommen hat - auf Kosten der Frau im Zweifelsfall. Dieser "Fuckboy" hat sich gemäß dieser sozialen Spielregeln verhalten und rücksichtslos das ausgelebt, was seine niederen Instinkte ihm diktiert haben. Ich kann nur hoffen, dass er seitdem dazugelernt hat und seine Sexpartnerinnen mittlerweile anständig behandelt.
Von Frauen wird nach wie vor Passivität erwartet - sie soll bloß nicht selbstbestimmt sexuelle Lust ausleben und bestimmte Wünsche äußern oder gar etwas einfordern! Tut sie es doch, ist sie eine "Bitch", während sich Typen unbehelligt durch die Gegend vögeln. Diese Schieflage ist leider noch absolute Realität und prägt auch alle Heranwachsenden.
Genauso werden Gewaltdelikte an Frauen viel zu wenig ernstgenommen und nicht hart genug sanktioniert. Es ist also schon allein von der Gesetzeslage aus heikel. Die Ungerechtigkeiten können beliebig fortgesetzt werden... Was bleibt ist der Wille, die Dinge zu verändern und sich für ein faires Miteinander in einer aufgeklärten und solidarischen Gesellschaft einzusetzen, in der jegliche Form von Gewalt geächtet wird.

- Weibliche Selbstabwertung
Gesellschaftsbedingt/historisch lange gewachsen ist die Neigung von Mädchen und Frauen, sich selbst abzuwerten, als schuldig, schlecht, schmutzig, krank etc. abzustempeln. Ihnen wurde so lange suggeriert, dass sie der Fehler seien - und glauben es oftmal immer noch und immer wieder. Doch NEIN! Dieses Denken ist falsch, nicht das Weibliche an sich. Bitte horche bei dir genau hin, inwieweit du davon betroffen bist. Ich glaube, bei dir könnte dein Selbstwert bzw. deine Selbstliebe gefährdet sein.

Du hast einen Fehler gemacht - nicht mehr und nicht weniger! Du würdest es nie wieder tun, darauf kommt es an. Du wirst lernen, deinen Wert zu sehen und darauf zu achten, was dir gut tut und zu was du vollen Herzens Ja sagen kannst. Das ist es, was zählt. Mach' dich bitte nicht fertig dafür, dass du damals auf ein A*** reingefallen bist. Das wäre vielen Anderen auch passiert. Gerade im verliebten Zustand. Es ist ein Annehmen dieser Vergangenheit, die eben nicht mehr zu ändern ist. Sie darf von dir getrost ad acta gelegt werden, was nicht bedeutet, dass du verdrängen sollst, was passiert ist. Es geht mir um einen aufrechten und reflektierenden Umgang damit, der unter anderem das Sprechen darüber beinhaltet. Du kannst dich gleichzeitig mit deinen Erinnerungen befassen und sie trotzdem eingrenzen. Coachings und ggf. eine Psychotherapie können dabei helfen.

--> Selbsthilfe
Ich habe das Gefühl, du solltest dich sehr intensiv um dich selbst kümmern und deine seelische Wunde hegen und pflegen. Solltest du dich weiterhin so "schmutzig" fühlen, deutet das sehr auf eine sehr tiefsitzende Verstörung hin (Gewalt!), bei der ich dir professionelle Begleitung nahelegen würde.
Vieles, was mit der Selbstannahme, dem Kennenlernen der eigenen Bedürfnisse und dem Leben der persönlichen Werte betrifft, kannst du sukzessive selbst erlernen und in deinem Leben etablieren. Dazu empfehle ich dir die Literatur bzw. die Links weiter unten.

Dann möchte ich dir noch die sogenannte Ho‘oponopono-Technik vorstellen. Sie besteht aus vier Sätzen, die du auf jedes beliebige Problem mit dir selbst, anderen Menschen und auf bestimmte Glaubenssätze und Ängste anwenden kannst. Die Grundannahme ist, dass wir alle als Menschen miteinander verbunden sind und daher stets positiven Einfluss aufeinander nehmen können. Uns selbst eingeschlossen. Du sagst die Sätze wie ein Mantra auf, bis sich das jeweilige Thema für dich gelöst hat. Du kannst es dann vor allem daran erkennen, dass du tief durchatmen kannst, einen tiefen Frieden in dir spürst (Erleichterung!) und nicht mehr das Bedürfnis hast, die Sätze auszusprechen. Du vergisst das Ganze sozusagen. Diese Technik kann sehr effektiv sein. Wenn du sie anwenden möchtest, bereitest du dich folgendermaßen vor: Du fokussierst dich auf dich, suchst dir einen ruhigen Ort ohne äußerliche Ablenkungen und stimmst dich innerlich langsam ein. Das kann z.B. im Rahmen eines Naturspaziergangs sein, bei einem wohltuenden Vollbad, zu meditativer Musik und dergleichen mehr. Du kannst dir die Sätze auch einfach so im Alltag vorsagen, wenn du sie gelernt hast. Für den Anfang halte ich eine besondere Ausgangsstimmung und -situation für förderlich.

Die Grundform lautet:
1. Es tut mir leid.
2. Ich verzeihe mir.
3. Ich liebe dich.
4. Danke für die Transformation.

Angewandt auf den Typen von damals:
1. Es tut mir leid, dass ich wegen dir mein erstes Mal bereue.
2. Ich verzeihe dir.
3. Ich liebe dich.
4. Danke für die Transformation.

Angewandt auf dich selbst:
1. Es tut mir leid, dass ich mein erstes Mal bereue.
2. Ich verzeihe mir.
3. Ich liebe mich.
4. Danke für die Transformation.

Du kannst die inhaltliche Formulierung bei 1. natürlich beliebig anpassen. Die Grundstruktur bleibt aber gleich.


- Literatur & weitere Empfehlungen:
* https://www.psychologie-heute.de/abo-shop/detailseite/38585-psychologie-heute-52017-nichts-zu-bereuen.html
* https://www.gerd-kretzschmar.de/umgang-mit-fehlern/
* https://zeitzuleben.de/selbstbewusstsein-und-selbstvertrauen-10-tipps/
* Vielleicht würde dir dieses Buch Freude bringen: "Die Wunder der weiblichen Sexualität" von Maitreyi D. Piontek.
* Aus unserem Archiv z.B:
https://mein-kummerkasten.de/206238/Er-will-mehr-als-kuscheln-ich-aber-nicht.html
https://mein-kummerkasten.de/333239/Sie-haben-mir-mit-dem-missbrauch-alles-genommen.html
https://mein-kummerkasten.de/73780/Kein-Selbstwertgefuehl.html


Enden möchte ich damit, dass es doch einfach ein schöner Gedanke, eine wundervolle Liebeserklärung an deinen jetzigen Freund ist, dass du dein erstes Mal am liebsten mit ihm verbracht hättest.


Ich wünsche dir alles Gute!
Nuala