Problem von Luisa - 15 Jahre

Beste/Einzige Freundin muss wahrscheinlich wiederholen

Hey,

ich bin in meiner Klasse nicht sehr beliebt, werde aber nicht gemobbt oder so. In meiner Klasse gibt es die Aufteilung von mehreren Gruppen die meist aus 2-5 Leuten besteht. Meine Beste Freundin und ich sind alleine eine solche "Gruppe" und damit bin ich auch sehr glücklich, jedoch muss sie jetzt wiederholen. Ich bin ein sehr schüchterner Mensch, also kann ich mich auch nicht einfach nächstes Schuljahr neben irgendwen aus meiner Klasse setzen und das ist total blöd. Ich wäre dann die ganze 10. Klasse alleine, also ich würde alleine sitzen, müsste alleine Referate machen und auch alleine die Pausen verbringen. (Das weiß ich sicher, weil das immer schon so war, wenn meine Beste Freundin krank war.) Sie wechselt dann auch die Schule oder fängt sogar eine Lehre an, letztendlich hängt alles von ihren Nachprüfungen ab. Wenn sie die besteht, ist alles gut in meinem Leben, wenn nicht weiß ich echt nicht, was ich machen soll. Natürlich wäre es nur ein Jahr (in der Oberstufe haben wir keine Klassen mehr) aber es ist trotzdem blöd.

Danke fürs durchlesen, es tat gut es jemandem mitzuteilen.

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Luisa,

ich freue mich, dass du diesen Weg gewählt hast, um dich sozial zu erleichtern :)

Ja, es ist für schüchterne Menschen mit wenigen oder nur einer Bezugsperson schon schwieriger als mit einer Clique im Schlepptau. Ich bin da ganz bei dir. Aaaber: So einfach ist es dann doch nicht und das möchte ich dir gerne darlegen!

1. Du BIST ein eigenständiger Mensch, der wunderbar allein klarkommen kann. Fakt ist, dass du deine Freundin nicht brauchst. Du DENKST nur, dass du sie unbedingt brauchst. Aber das ist nicht die Wahrheit!

2. Du nimmst deine Vergangenheit und setzt sie in deinen Gedanken fort, als wäre das für immer so. Doch das ist ein gefährlicher Trugschluss. Die Gegenwart ist nur die Gegenwart. Wir können die Zukunft auch niemals vorwegnehmen, jedenfalls nicht so starr, wie es in deinem Beispiel sehr deutlich wird. Du schreibst: "Ich wäre dann die ganze 10. Klasse alleine, also ich würde alleine sitzen, müsste alleine Referate machen und auch alleine die Pausen verbringen. (Das weiß ich sicher, weil das immer schon so war, wenn meine Beste Freundin krank war.)" --> Erst durch diesen festen Glauben wird das aufrecht erhalten, was du eigentlich so schrecklich findest. Du gehst davon aus, dass es nicht anders sein kann - und entsprechend wird es dann auch (allein schon deswegen, weil dein Umfeld spürt, dass du diese Rolle einnimmst und sozusagen etwas "Ungemütliches, nicht Einladendes" ausstrahlst).

Klar, es ist wahrscheinlich, dass du auch weiterhin eher zurückhaltend sein wirst. Das bedeutet jedoch nicht, dass du keine neuen Kontakte knüpfen und ganz einsam werden wirst. Versuche, die Dinge mehr voneinander zu trennen. Oder anders: Eine sehr kontaktfreudige Person kann mit Leuten, die schlichtweg ganz anders ticken, genauso außen vor und somit "isoliert" werden. Es kommen so viele Faktoren zusammen!

3. Du kannst eine ganz andere Sichtweise einnehmen: Falls du ohne deine Freundin in das neue Schuljahr gehen würdest, könntest du ganz andere Erfahrungen machen. Gerade weil es oft abschreckend auf andere Leute wirkt, wenn es eine feste Zweier-Kombo gibt, kann es neue Türen öffnen, wenn du auf dich allein gestellt bist. Das ist oft auf Reisen zu beobachten: Die Leute, die allein unterwegs sind, lernen viel mehr Menschen kennen, als wenn sie als Pärchen/Duo auftreten. Es fällt diese Aura von "geschlossener Gesellschaft" weg. Du würdest dich bestimmt auch viel eher trauen, eine einzelne Person anzusprechen als wenn da ein sehr vertraut wirkendes Duo unterwegs ist.

4. Allgemein verändern sich Gruppen dauernd. Nichts bleibt gleich. Darum kannst du davon ausgehen, dass sich auch die schon gebildeten Gefüge in deiner früheren Klasse wieder verschieben werden.

5. Alleinsein ist kein Makel. Es wird nur dann zum Problem, wenn du eine Opferhaltung einnimmst und deine Mitmenschen spüren: Sie fühlt sich minderwertig (ohne Grund). Die Reaktionen fallen entsprechend aus. Es ist leider so: Wer nach außen hin vermittelt: Ich bin klein, schwach, bemitleidenswert, arm dran, was auch immer, wird selten mit offenen Armen empfangen. Das liegt aber nicht an unserer bösen Welt, sondern daran, dass wir alle auf (unausgesprochene Botschaften reagieren und uns entsprechend verhalten. Und übergeordnet liegt es daran, dass es einfach FALSCH ist, sich selbst als Opfer zu inszenieren. Das Leben meint es gut mit uns. Wir sind alle okay, alle liebenswert und alle haben ihren Platz verdient. Das meint nicht, dass alles ein permanenter Ponyhof ist. Die Herausforderungen gibt es trotzdem und das ist kein Widerspruch! Jede.r Einzelne entscheidet, wie damit umzugehen ist... auf das WIE kommt es an, nicht auf das Ob.
Klingt vielleicht sehr schwierig, ist aber das Beste, was du lernen kannst: Sei in Liebe mit dir, achte und respektiere deine Persönlichkeit. Und du wirst es vielfach von den anderen Menschen zurückbekommen :)

6. Neues Schuljahr - neue Leute. Meistens kommen neue Leute in die Klasse, andere gehen. Das allein kann viel verändern. Ich rate dir, offen und mit wachen Augen auf die neue Situation zuzugehen. Das beginnt mit deiner inneren Einstellung.

7. Mehr Leute um sich zu haben birgt neue Fallstricke, z.B. mehr Missverständnisse, Konflikte mit Interessen und Freizeitbeschäftigung, Neid, Eifersucht, usw.
Manchmal kann es so viel erholsamer sein, mit wenigen, dafür sehr passenden Menschen Zeit zu verbringen.


Zum Thema Referate & Co muss ich aber mal einwerfen, dass es schon auch von kompetenten Lehrer:innen abhängt, inwieweit sie gegen Vereinzelung bzw. starke Grüppchenbildung vorgehen. Es ist das Eine, dass ihr viel zusammengehangen habt, doch es ist auch kein Hexenwerk für eine Lehrkraft, sowas zu erkennen und etwas entgegenzusteuern...
Hier ein Tipp: Gehe am besten auf deine Klassenleitung zu und besprich unter vier Augen, welche Problematik du noch hast. Dann kann er:sie aktiv etwas tun, ohne dass du bloßgestellt werden würdest. Allein durch zusammenhaltstärkende Aktionen lässt sich so viel reißen!

Ich würde mir wünschen, dass deine Freundin die Nachprüfung schafft. Letztendlich kann es aber auch viel besser sein, wenn es anders für sie weitergeht - das können wir bzw. ich nicht wissen. Daher wünsche ich ihr einfach das Beste für ihren schulischen/beruflichen Werdegang. Für dich natürlich genauso :)

Ich könnte noch so viel mehr schreiben, doch ich lasse es nun bewusst so stehen.
Du bist vielleicht zum aktuellen Zeitpunkt ganz anderer Meinung als ich - völlig in Ordnung. Das sich-selbst- Akzeptieren und soziale Situationen aushalten ist auch echt was Großes und Langwieriges. Es wäre schon ganz viel gewonnen, wenn du deine jetzigen Glaubensmuster hinterfragen würdest.

Sei lieb gegrüßt,
Nuala


PS: Hier habe ich dir noch ältere Zuschriften zur Ergänzung/Vertiefung rausgesucht, die ich mal beantwortet habe:
- https://mein-kummerkasten.de/331501/Ich-fuehle-mich-alleine.html
- https://mein-kummerkasten.de/332076/Alleine-auf-Abschlussfahrt.html