Problem von Anonym - 40 Jahre

Selbstzweifel, Unsicherheit, Soziale Angst -Teil2

Liebe Nuala,
vielen Dank für deine nette und auch sehr offene Antwort, sowie die Links und Buchtipps zum Thema Soziale Phobie!
Nun möchte ich doch noch etwas ausführlicher über meine Sorgen und meine Person schreiben:
Ich bin als Einzelkind, überbehütet bei meinen Eltern und meiner Großmutter aufgewachsen, in sehr konservativ geprägten, einfachen Verhältnissen.
Das gute Ansehen bei den Mitbewohnern des Ortes, hatte einen immens großen Stellenwert. Und auch im Zusammenleben musste alles harmonisch sein - für meinen Vater waren beispielsweise schon Diskussionen Streits.
Kamen dann und wann mal Probleme auf, so klein sie auch waren, so stellten diese jedes Mal eine Belastung für meine Eltern dar, und in keinster Weise eine Herausforderung, der es sich zu stellen gab.
Was meine Erziehung betraf, so muss ich sagen, dass in meinen Fall ein Fördern meiner Selbstständigkeit und Unabhängigkeit nicht stattfand. Wurde weder am Kochen, Wäschewaschen etc.. angelernt. Und auch was handwerkliche Dinge betrafen, machte ich meinem Vater nichts gut genug. „Junge bei mir muss nicht alles 100 sondern 200 Prozent sein“, war einer seiner Sprüche.
Im Grunde genommen muss ich sagen, dass ich von anderen Leuten mehr gelernt habe, als von meinen Eltern.
Die Standard-Antwort auf viele meine Fragen war immer: Wir wissen es nicht…
Habe nach meiner Berufsausbildung nicht nahtlos anschließen können und war viele Jahre stellensuchend, weswegen ich erst mit 34 Jahren von Zuhause ausgezogen bin. Habe erst vor 6 Jahren das Fliegen gelernt oder besser gesagt, habe immer noch das Gefühl, es teilweise noch lernen zu müssen.
Und nun kommt meine Soziale Phobie ins Spiel, die mir natürlich in der Ferne (Bin für meinen jetzigen Job über 300 km weit weggezogen) schwere Probleme bereitet. (Muss dazu sagen, dass ich auch mit der Mentalität hier überhaupt nicht zurechtkomme) Habe hier vor Ort keine Sozialen Kontakte, bin völlig auf mich alleine gestellt.
Arbeite mit sehr extrovertierten, frechen Leuten zusammen, von denen ich mich nicht wirklich ernst genommen fühle und auch der Job an sich, reißt mich nicht wirklich vom Hocker. (Muss dazu sagen, dass das Ganze auch nur als Übergangslösung für 1,5 Jahre gedacht war)
Aber als Geringqualifizierter sind leider die Jobperspektiven sehr schlecht.
Ich habe einfach Angst davor, diese Ängstlichkeit und Unsicherheit nie mehr ablegen zu können. Auch nie eine Partnerin zu finden. Ich habe schon oft von Frauen zu hören bekommen, (Getuschele hinterm Rücken), dass ich eine Pfeife, Lusche, Depp und voll das Mädchen sei.
Musss dazu sagen, dass ich im Begreifen manchmal in der Tat etwas Schwerfällig und Umständlich bin. Muss mir auch manchmal beim Formulieren mehr Zeit lassen, gerade wenn ich sehr unter Druck stehe. Diese Problematik, war schon bei meinem Vater und ist auch bei meiner Mutter sehr ausgeprägt und kommt noch zur Sozphobie Problematik hinzu.
Dann kommen noch Sorgen um meine Mutter dazu, welche vor ein paar Jahren an Krebs erkrankt ist und die Tatsache, dass sie ganz alleine im 300 km entfernten Haus wohnt und wahrscheinlich nie bereit wäre, ihren Wohnsitz in diese Region zu verlegen und die Tatsache, dass sie nicht einsehen kann oder will, dass ihr „Bub“ mit 40 kein Kind mehr ist.
Habe auch panische Angst davor, dass sie mal bettlägerig werden könnte. Sie ist 75 Jahre, macht aber größtenteils noch alles alleine. Ich glaube mit dieser Situation wäre ich völlig überfordert….
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Liebe Nuala,
zu guter Letzt möchte ich mich im Voraus ganz herzlich bei dir bedanken für deine Zeit und deine Mühe!

Herzliche Grüße und auch dir alles Gute und Liebe

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Ich danke dir, dass du dir die Zeit genommen hast, nochmal ausführlich zu antworten. Deine erste Zuschrift und meine Antwort darauf verlinke ich unten.

Niemand muss dauer-einzelkämpfend und voller Angst durchs Leben gehen. Wir alle brauchen Unterstützung - und sei es nur eine kleine Aufmerksamkeit aus der Nachbar:innenschaft. Bei dir wäre es sehr dringend, dass deine (sozialen) Ängste angegangen werden würden. Und das ist etwas, was durch Verhaltenstherapie sehr gut zu stemmen ist.
Was oft übersehen wird: Die Hilfe, die Fürsorge beginnt in uns selbst. Wir übersehen, dass wir es sind, die uns selbst zuerst ein liebes Wort sagen, eine Streicheleinheit geben, eine Verschnaufpause der Belohnung gönnen können. Wenn wir zu uns hart und kalt sind, werden das andere Menschen ebenfalls sein. Sich selbst zu unterstützen ist, sich zu respektieren und auch nachsichtig mit sich zu sein. Gerade dann, wenn uns in der Vergangenheit übel mitgespielt wurde und engste Bezugspersonen oftmals eine Entsagung nach der anderen produziert haben. Dann ist es mehr als angebracht, sich selbst zu trösten und sich aufzufangen, ohne in Selbstmitleid abzugleiten.

Nehmen möchte ich dir die Sorge, für immer "so" weiterleben zu müssen. Nein, es kann und darf komplett anders werden! Viel fängt im Kopf an: Mit Entscheidungen. Wenn wir uns bewusst für etwas Positives entscheiden, läuten wir einen Richtungswechsel ein. Das bedeutet, dass wir uns z.B. nicht mehr auf Angst konzentrieren, sondern auf Liebe. Oder nicht mehr auf Schwächen, sondern auf Stärken. Nicht mehr auf die Vergangenheit, sondern auf die Gegenwart. Nicht mehr auf das, was (noch) nicht vorhanden ist, sondern was an Vielfältigkeit und Reichtum längst da ist.
Ich glaube, das ist eine immense Aufgabe. Wer jahrelang anders gedacht hat, muss sich da sozusagen "umprogrammieren". Aber es klappt! Der Wille kann sehr viel bewirken. Sicher: Dadurch wird nicht jeder Umstand verändert. Doch allein ein anderes, optimistischeres und ressourcenorientiertes Denken und Handeln hilft, das nicht so Schöne auszuhalten und trotzdem ein erfülltes Leben zu gestalten. Auch du kannst das :)

Du hast sehr viel... Bullshit erlebt. Das ist und bleibt Bullshit. Dennoch entscheidest du selbst, ob du dich davon lähmen lassen möchtest - oder ob du dich konsequent dafür entscheiden möchtest, einen Neuanfang in Kopf, Herz und Tun zu beginnen. Ein Mensch kann jederzeit in gewisser Weise erfolgreich sein, trotz mieser Biografie und vielen Rückschlägen. Unser Leben ist nicht vorgezeichnet wie mit einem fetten Strich. Wir können die Linien selbst ziehen und korrigieren. Und ja, bei jedem Menschen sieht das anders aus. Du kannst bei dir ansetzen und das Erlebte als deinen Hintergrund sehen, der dich eben geprägt hat. Und genauso kannst du es im Hintergrund belassen und Neues zulassen, was dich nährt, stärkt, antreibt.
Du kannst dir einen Gesprächskreis oder eine Selbsthilfegruppe in deiner Nähe suchen. Vielen Menschen ist es in ihrer Kindheit und Jugend so ergangen. Der Austausch darüber kann zusätzlich zu einer Psychotherapie seelisch entlastend wirken (so auch das Schreiben, z.B. mittels Tagebüchern).

Suche dir neue Hobbies, Wirkungskreise, liebe Menschen! Das kann so viel Kraft geben. Es kann neuen Sinn verleihen oder überhaupt erst einen Sinn. Einige finden viel für sich durch ehrenamtliche Aktivitäten. Egal ob Tier/Pflanzenschutz, Arbeit mit Menschen, etwas Kulturelles oder rein Kreatives: Gerade dann, wenn die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten eingebracht werden können, sodass Andere etwas davon haben, kann extrem befriedigend und befreiend wirken. Ein sehr schöner Nebeneffekt bei Ehrenämtern: Man kommt ziemlich leicht mit vielen bzw. verschiedenen Leuten in Kontakt und kann sich auf diesem Wege sogar anfreunden. Eine gemeinsame Mission verbindet!

Personen hingegen, die dich beleidigen und geringschätzen, haben deine Aufmerksamkeit nicht verdient. Wende dich ab von Menschen, die es schlecht mit dir meinen. Du hast bestimmt ein Gespür dafür, bei wem du dich geborgen fühlen würdest. Ich gebe dir den Tipp, dich sehr danach zu richten. Und: Taten zählen immer mehr als Worte! Diejenigen, die dir gegenüber loyal, zugewandt, verlässlich und einfach kameradschaftlich sind: Die sollten es sein. Das sind auch jene, die dich einfach so annehmen, wie du bist. Die dich bedächtig und ruhig sein lassen, wenn du es eben bist! Das gilt sowohl für das Platonische als auch für das Amouröse. Jeder Topf kann seinen Deckel finden. Und vergiss nicht: Es kann immer ein Gegenüber geben, dass auch unsicher und unerfahren ist. Du bist nicht allein damit! --> Ich empfehle dir überdies ein Forum, das dir möglicherweise weitere Zuversicht geben kann. Es ist das "Absolute Beginner"- Forum, das du vielleicht schon kennst. https://www.abtreff.de/

Manche blühen eben spät auf, das kann bei dir zutreffen. Wie schon geschrieben: Deine Haltung, dein inneres Ja- oder Nein-Sagen macht extrem viel aus. Es macht, dass wir sagen können: "Was war das denn heute bitte für ein besch... Tag? Morgen wird es besser!"
Du kannst das Ja-Sagen auf alle Bereiche übertragen: Je mehr du lernst, dir selbst und dem Leben zu vertrauen und das Gut zu kultivieren, desto mehr wirst du davon bekommen. Es wird dir immer mehr "zufließen", weil du unbewusst und auch ganz bewusst die Weichen so stellst, dass du davon profitieren kannst. Du wirst mehr spannende Begegnungen haben, eine Beziehung beginnen, dich beruflich weiterentwickeln, finanziell erfolgreicher werden und so vieles mehr. Nimm dir am besten einen konkreten Bereich vor, der dir aktuell am meisten vorschwebt, auf den du dich am ehesten im Positiven konzentrieren kannst. Wo deine Energie schon gut hingelenkt werden kann. Denn dann kannst du da immer mehr Gutes reinsetzen und das Pflänzchen immer größer werden lassen. Danach ist der nächste Bereich dran, usw.

Wende dich in jeder Hinsicht dem "Lichtvollen" zu: Allem, was dich im Herzen erwärmt, was dich beflügelt und anspornt. Das ist das, was dich immer größer werden lässt; größer im Sinne von Reifung, Entfaltung, Entwicklung.

Geh viel raus ins Grüne; verbinde dich mit den Tieren und Pflanzen. Daraus kannst du sehr viel Kraft ziehen. Und Zuversicht - und Ruhe. Was dir wiederum bei der Bewältigung deiner sozialen Phobie helfen wird.

Ich verlinke dir noch mehr zum Weiterlesen.
- https://mein-kummerkasten.de/333298/Habe-nicht-genuegend-selbstwert.html
- https://mein-kummerkasten.de/332951/Die-Beobachterin.html


Ich wünsche dir ganz viel Freude am Durchstarten in deinem eigenen Leben.
Alles Liebe!
Nuala




Hier ist Zuschrift Teil 1:
https://mein-kummerkasten.de/333418/Selbstzweifel-Unsicherheit-Soziale-Angst.html