Problem von Michelle - 20 Jahre

Alles auf einmal…

Liebes Kummerkastenteam,

ich melde mich heute, weil es bei mir leider absolut nicht rund läuft. Ehrlich gesagt habe ich auch Probleme diese Nachricht zu verfassen, da ich garnicht weiß wo ich ansetzen soll. Nachdem meine Kindheit leider sehr von Misstrauen und Hass geprägt war (meine Eltern haben sich scheiden lassen, da mein Papa schwerer Alkoholiker war) habe ich mit 18 die Diagnose einer schweren Autoimmunerkrankung erhalten. Dazu gesellen sich verschiedene Nebenkrankheiten wie schwere Depressionen, Angststörunngen, Zukunftsängste und andere körperliche Erkrankungen. Nachdem ich eine Klasse wiederholen musste (was mich sehr aus der Bahn geworfen hat aufgrund meines Perfektionismuses) habe ich dieses Jahr mein Abitur beendet. Leider kann ich alle meine Wünsche aufgrund der Krankheit nicht wahr machen. Die Chance auf Heilung existiert leider nicht. Ich bin dauerhaft auf Hilfe angewiesen und sehr oft krank. Nachdem die wichtigste Person in meinem Leben, mein Opa, vor 4 Jahren gestorben ist ging es nur noch mehr bergab. Ich musste jedes Hobby aufgeben, aus dem Leistungssport austreten und verlor viele Freunde. Mehrfach musste ich meine Zukunft und Pläne ändern. Das einzige was mir durch diese Zeit geholfen hat, war mein Lebensgefährte. Doch jetzt ist der Punkt erreicht, wo das Fass “übergelaufen ist”. Mein Partner möchte gerne der Bundeswehr beitreten und ich habe selten erlebt, dass etwas so starke Unruhe in mir auslöst. Ich habe schrecklich Angst und weiß mir nicht mehr zu helfen. Jeder freie Gedanke, gilt diesem Thema. Ich bekomme Panikattacken bei der Vorstellung, ihn nur noch so unregelmäßig zu sehen. Meine Verlustängste sind so enorm, dass unsere Beziehung unfassbar darunter leidet. Wir ecken, wegen sonst kleinen Dingen, aneinander und ich mache regelmäßig aus einer Mücke einen Elefanten. Es fühlt sich an als würde mich nun auch noch die letzte Person die mich hält verlassen. Mein Eifersuchtslevel ist enorm gestiegen und jeder Moment den er nicht da sein kann, erzeugt Streit. Ich habe so unfassbare Bedenken, obwohl wir schon so viel durchgestanden haben. Mit Sicherheit würden wir das schaffen, und es soll ja auch nicht für immer sein. Ich denke auch, dass ich die Problematiken meines Lebens gut reflektieren kann, dennoch bin ich am Ende meiner Kräfte.
Ich weiß mir nicht mehr zu helfen. Versuche mir immer wieder einzureden, dass das alles seinen Weg gehen wird und wieder bessere Tage kommen.
Dennoch bin ich sehr verloren und kann gerade einfach nicht mehr feststellen, einen richtigen Platz zu haben.
Ich habe einfach ein Problem zu begreifen, dass nur weil meine Familie “gebrannt” hat nicht die ganze Welt “in Flammen steht”. Vielleicht habt ihr ja einen Tipp, wie ich Stress besser verarbeiten und mit mehr Mut und Vertrauen im Leben stehen kann.

Mit freundlichen Grüßen

Michelle

Lan Anwort von Lan

Liebe Michelle,

ich danke dir sehr für dein Vertrauen und deine Zuschrift.
Es ist sehr mutig und stark von dir, dass du all das, was dich belastet, uns geschrieben hast. Das kann auch schon einmal entlasten und vielleicht merkst du auch selbst ein klein wenig Erleichterung. Wenn es so ist, würde mich das sehr freuen.

Du hast mein größtes Beileid. Es macht mich sehr traurig, dass du mit so vielen negativen Dingen zu kämpfen hast und dich das so sehr belastet. Ich würde dich gern drücken.
Es ist sehr belastend, wenn man aufgrund einer Krankheit, seine Wünsche loslassen muss. Auch, dass du deine Opa als wichtigste Person in deinem Leben verloren hast, tut mir sehr leid. Geliebte Menschen zu verlieren, fühlt sich unerträglich schlimm an. Das muss ungemein hart sein. Auch wenn ich nicht 100 Prozent weiß, wie das ist, fühle ich mit dir.

Obwohl das alles echt hart ist, kämpfst du weiter, hälst am Leben fest. Ich finde, dass du das toll machst und eine echt starke Persönlichkeit bist. Bitte halte auch weiterhin an deinem Lebenswillen fest und gib nicht auf.

Ich freue mich, dass dein Lebensgefährte zu dir hält und eine wichtige Stütze für dich ist. So jemanden an seiner Seite zu haben, kann sehr helfen.


Verlustängste verstehen

Du schreibst, dass du mit sehr großen Verlustängsten kämpfst. Ich kann mir vorstellen, dass es dir wahnsinnig schwer fällt, ohne ihn zu sein. Schließlich hast du selbst schon schwere Verlusterfahrungen gemacht, was deine Familie und Freunde betrifft. Daher ist es besonders für dich hart, ihn nicht mehr so oft zu sehen. Das verstehe ich sehr gut. Er ist auch wohl deine einzige Bezugsperson im Moment, insofern bist du gewissermaßen von ihm abhängig, wenn ich das richtig verstanden habe.

Ich denke, dass dir ein Blick in dein innerstes helfen könnte, vielleicht schreibst du deine Gedanken auch mal auf, reflektierst darüber.
Hast du Angst, dass du dann komplett allein auf dich gestellt bist? Dass du es dann nicht mehr packst, weil er nicht da ist, um dich zu stärken? Wovor genau hast du Angst? Was würde passieren, wenn er zur Bundeswehr geht? Was macht das mit dir?

Verlustangst hat oftmals mehr mit einem selbst zu tun als mit dem anderen. Dahinter stecken gewisse andere Ängste, nicht genug zu sein, nicht geliebt zu werden, Angst verlassen zu werden und vor allem auch Angst vor der Einsamkeit. Ich vermute, dass du eventuell auch vielleicht mit einem geringen Selbstwertgefühl zu kämpfen hast? Wenn das stimmt, rate ich dir, daran zu arbeiten und auch zu lernen, dich selbst zu schätzen und zu lieben.


Weitere Stützen im Leben finden

Ich kann durchaus verstehen, dass du deinen Freund sehr brauchst. Aber gerade dieser Gedanke: Ich brauche ihn zum Leben. Ohne ihn geht es nicht! kann deine Verlustangst nur verstärken. Auch wenn du es vielleicht nicht glauben magst: Du kannst auch ohne ihn leben. Das mag schwer vorstellbar sein, da du meintest, dass du außer ihm niemanden hast. Aber gerade das ist der Punkt: Du kannst noch andere Dinge und Menschen in deinem Leben haben, die dich stützen. Das kann auch eure Beziehung und deinen Freund enorm entlasten. Auch wenn er gerne für dich da ist und sich gut um dich kümmert: Das kann ihn auch enorm belasten, dass er sich für dich verantwortlich fühlt und du ihn so sehr brauchst. Klar ist es wichtig, dass man sich auf den anderen verlassen kann und er da ist, wenn man ihn braucht. Aber kein Partner der Welt kann alles für einen sein. Das wären zu große Erwartungen, die niemand erfüllen kann.

Darum ist es wichtig, dass du vielleicht auch andere Menschen um dich herum hast, die dich unterstützen können. Oder du suchst dir auch ein Hobby, dem du nachgehen kannst, was für dich unproblematisch wärst. Denk mal darüber nach, was dir auch Spaß macht und dich glücklich macht.


Darüber reden

Wenn ihr noch nicht darüber gesprochen habt: Redet miteinander darüber. Sprich von dir, wie du dich fühlt, was dir Angst machst, was du gerade brauchst. Und dann frage auch ihn, wie er das sieht und wie er fühlt. So schafft ihr Verständnis füreinander und kommt euch auch näher. Gemeinsam könnt ihr Lösungen finden.

Wenn es jetzt so ist, dass dein Partner wirklich zur Bundeswehr geht, könntet ihr auch Regeln vereinbaren, um regelmäßig Kontakt zu halten. Darüber solltet ihr unbedingt sprechen, welche Bedürfnisse ihr habt und wie ihr den Kontakt behalten wollt. Vielleicht könntet ihr auch regelmäßig telefonieren, das schafft auf jeden Fall mehr Nähe als das bloße Schreiben.

Wichtig wäre, dass du eben Mut und Vertrauen entwickelst. Wie schaut es da in eurer Beziehung aus? Gibt es etwas, was dich zweifeln lässt? Wie gut vertraust du deinem Partner? Und wenn das Vertrauen nicht so stark ist: Wir könnt ihr beide etwas tun, damit es mehr wird?


Psychotherapie und Paartherapie

Vielleicht kommt ja auch eine Psychotherapie für dich in Frage? Mit professioneller Hilfe könntest du dich deiner Verlustangst stellen und sie überwinden. Ich will jetzt nichts behaupten, aber ich lese heraus, dass du mit Misstrauen zu kämpfen hast und darum das Vertrauen fehlt und die Verlustangst stärker im Fokus steht. Das ist aber auch etwas, woran man in der Therapie arbeiten kann.

Oder ihr beide überlegt mal, ob ihr zusammen zur Paartherapie geht. Auch da können euch Wege aufgezeigt werden, wie ihr besser mit diesen Problemen zurechtkommt.


Hier wären weitere Beiträge zum Weiterlesen:

https://hellobetter.de/blog/verlustangst/
https://mein-kummerkasten.de/42532/Gluecklich-aber-misstrauisch.html
https://lemonswan.de/ratgeber/lemonswan-tipps/verlustangst/
https://greator.com/verlustangst/
https://www.stefaniestahl.de/psychoblog-verlustangst/
https://chrisbloom.de/blog/verlustangst/


Ich wünsche euch beiden alles Gute!

Liebe Grüße,
Lan