Problem von Lena - 42 Jahre

Unerklärliche Gefühle

Hallo,

Ich bin 42 Jahre alt und weiblich. Ich arbeite seit ca. 14 Jahren als Beschäftigte in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen.
Ich habe leichte bis mittelschwere Psychische Einschränkungen und kann daher nicht richtig auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten.
Die Probleme die ich habe beziehen sich meistens auf den zwischenmenschlichen Bereich. Ansonsten bin ich völlig klar im Kopf und meiner Ansicht nach normal.
Jetzt zu meinem eigentlichen Problem.
Seit ca. 4 Jahren haben wir in unserem Arbeitsbereich eine neue Anleiterin ( also eine betreuende Arbeitskraft ). Ich konnte sie von der ersten Minute an eigentlich gut leiden, was bei mir
schon normalerweise recht ungewöhnlich ist. Am Anfang ist es mir gar nicht so bewusst gewesen. Ich konnte einfach gut mit ihr reden. Sie hat mir zugehört und in vielen dingen die
gleiche Meinung oder Einstellung wie ich. Also man könnte sagen, man ist auf einer Wellenlänge. Da ich eher ein rationaler Mensch bin der Schwierigkeiten hat Emotionen oder ähnliches zu zeigen oder
zu zulassen, habe ich mir nicht so viel dabei gedacht. Ich dachte einfach nur, cool mit der kann ich was anfangen. Sie ist nur 3 Jahre älter als ich, also meine Generation, das passt.
Das erste mal wo ich etwas stutzig wurde, war als ich mit ihr an einem Projekt für einen Tag alleine gearbeitet habe. Ich konnte irgend etwas spüren, was ich mir nicht erklären konnte.
Nach dem tag, fing ich an, öfter an sie zu denken. Nach einer paar Tagen verschwand das aber wieder und ich machte mir keine Gedanken mehr.
Ein paar Monate später ging das ganze Spiel allerdings von vorne los. Nur diesmal konnte ich es etwas intensiver spüren. Ich wusste nicht was das war, oder was ich da gespürt hatte.
Ich war die nächsten Tage völlig verwirrt. Ich suchte krampfhaft nach Erklärungen und Lösungen auf meine typische rationale art. Alles was in Richtung Gefühle, liebe oder irgendeine emotionale Richtung ging, habe ich verdrängt und nicht zugelassen. Wie beim ersten mal, verflog auch das nach einer Weile, nur hat es etwas länger gedauert. Ich war mir sicher das ich auch in Zukunft damit umgehen konnte. Ich habe mich aber gewaltig geirrt.
Allmählich wurde mir bewusst das sie mir etwas bedeutet. In welcher form auch immer. Sie ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich hatte kein sexuelles Interesse oder ähnliches an ihr, aber ich liebte es, wenn sie in meiner Nähe war. Es fühlte sich manchmal wie eine tiefe Verbundenheit auf emotionaler Ebene an.
Auf Arbeit ließ ich mir nie etwas anmerken. Ich zog mein ding durch wie bisher. Das einzige was mir aufgefallen ist, das ich ihr gegenüber etwas schüchterner und verklemmter wurde, aber das hatte ich meiner Ansicht nach im Griff.
Mit zwei Anleitern und den Beschäftigten sind wir rund 24 Leute. Aufgeteilt auf 3 Räume. Meinen Arbeitsplatz teile ich mir mit ein paar wenigen Kollegen etwas Abseits von den anderen, da wir meistens Selbstständig arbeiten können und nicht so viel betreuungsbedarf haben.
Dadurch ist sie natürlich öffter bei den anderen, was mich schon des öffteren eifersüchtig werden lässt. Am liebsten hätte ich sie den ganzen Tag in meiner nähe.
Corona bedingt verging eine ganze weile und ich konnte etwas Abstand zu ihr und der Arbeit gewinnen. Der Abstand bereitete mir zwar Kummer, aber ich konnte damit umgehen. Dann kamen die letzten beiden Projekte an denen wir zusammen gearbeitet hatten und mich in die Verzweiflung trieben.
Seit dem letzten mal, konnte ich mich darauf einlassen, mal alle Gefühle frei zu lassen. Es überkam mich wie eine Flut. Es war so unglaublich schmerzhaft. Ich bekam Probleme mit der Luft und verlor zeitweise den Appetit. Mal dachte ich, es sei Liebeskummer, mal glaubte ich an Seelenverwandschaft.
Wobei mir letzteres lieber wäre. Was es nun wirklich ist weiß ich nicht.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir über solche dinge wie Seelenverwandschaft nie Gedanken gemacht.
Mittlerweile frage ich mich natürlich schon, ob es nicht auch so etwas sein könnte. Nur wenn es so etwas ist, müsste sie das ja theoretisch auch spüren. Und das ist so eine Sache, die mir ernsthaft Kopfschmerzen bereitet.
Wie verdammt nochmal bekomme ich raus ob das auf Gegenseitigkeit beruht. Das einzige, wo ich mir ziemlich sicher bin ( was aber auch Einbildung sein kann ), ist das ich das Gefühl habe, das sie auch gerne in meiner Nähe ist und mich scheinbar ebenfalls gut leiden kann. Zumindest habe ich das so im Gefühl.
Wobei man hier sehr vorsichtig sein muss. Anleiter müssen soweit ich weiß auch ein gewisses Maß an Einfühlungsvermögen haben und haben manchmal auch ein besonderen Umgang mit den Beschäftigten.
Bisher war ich immer hetero und befinde mich zurzeit auch seit vielen Jahren in einer Beziehung mit einem Mann.
Vielleicht ist es aber auch die Sehnsucht nach Freundschaft. Aufgrund meiner sozialen Ängste hatte ich nie wirklich Freunde und weiß nicht wie das ist eine beste oder gute Freundin zu haben. Wurde leider schon sehr oft in meinem
Leben ausgenutzt und falsch behandelt. Vor allem von Frauen. Daher fällt es mir auch schwerer Frauen an mich heran zu lassen. Bei Männern hatte ich das Problem nie.
Bei der neuen Kollegin war es irgendwie anders. Da hatte ich, wenn ich so darüber nachdenke, von Anfang an das Gefühl, das ich ihr vertrauen kann und das sie mir irgendwie nah ist, so als ob ich sie schon mein ganzes
leben lang kennen würde. Alles was sie mir erzählt, sauge ich quasi auf und merke mir so viele Details wie möglich.
Ich suche deswegen um Rat, weil ich nicht mehr weiter weiß und verzweifelt bin. Ich habe leider niemanden, mit dem ich darüber reden kann.
Leider ist die Situation bei uns auf Arbeit etwas komplizierter in solchen dingen. Anleiter haben andere Pflichten als wir. Ich kann das rechtlich leider nicht so gut erklären, man kann sich das aber so ähnlich wie ein Schüler-Lehrer Verhältnis vorstellen.
Es macht mich unglaublich traurig und depressiv, das ich vielleicht nie die Chance haben werde, sie besser kennen zu lernen. Ich glaube ich würde alles dafür geben einfach nur mal mit ihr ins Kino gehen zu können oder etwas anderes zu unternehmen. Natürlich könnte man jetzt sagen, frag sie doch einfach mal, aber genau da liegt das Problem. Ich bin in solchen Dingen extrem blockiert und habe panische angst davor zu fragen. Deswegen ist es für mich besonderes wichtig zu wissen, was da überhaupt sein könnte.
Vielleicht hat ja jemand von euch ein Tipp wie ich Zukunft damit umgehen kann und ob ich mich momentan richtig verhalte.

Vielen Dank schon mal im voraus
Liebe grüße

Nuala Anwort von Nuala

Hallo Lena!

Ich kann verstehen, dass du sehr aufgewühlt bist. Und auch, dass du gerne begreifen möchtest, was bei euch los ist.
Es ist schon so, dass es sich lohnt, kritisch zu hinterfragen, was es mit bestimmten zwischenmenschlichen Erlebnissen auf sich hat. Ich möchte dir aber versichern: Wenn man jemanden quasi von Anfang an intuitiv mag und sich in der Nähe wohlfühlt, dann ist das bedeutsam und hat seinen eigenen Wert!

Tja, mit deinem Problemtitel sind wir schon mitten im Knackpunkt: Gefühle sind Gefühle und nicht 1:1 mit dem Verstand "übersetzbar". Dazu kommt, dass es sehr vieles gibt, wofür schlicht Erklärungen fehlen. Wir müssen uns ein Stück weit damit abfinden, dass sich nicht immer alles erklären lässt. Unser Verstand kann nicht das übernehmen, was die Aufgabe unseres Herzens ist! Es ist gut, wenn du etwas fühlst, dich igendwo wohlfühlst. Der Verstand muss sich da gar nicht einmischen (und wenn er es tut, kommt meistens nichts Gescheites dabei heraus).

Ja, nach Seelenverwandtschaft klingt das absolut, was du beschreibst. Mit dem Kopf ist das nicht greifbar. Dafür mit dem Herzen, mit der Seele. Es ist etwas Wunderbares, wenn man nicht die Schablone der Norm, der Konventionen darauf anwenden möchte. Es einfach genießen und sich aneinander erfreuen, das ist umso schöner, weil es das Herz richtiggehend erblühen lässt! Wenn man versucht, sich dagegen zu wehren, schneidet man sich ins eigene Fleisch. Widerstand ist zwecklos. Es ist auch ganz oft so, dass Menschen so reagieren wie du - weil es nicht alltäglich ist, einen Menschen zu treffen, bei dem solche Empfindungen aufkommen. Überdies sind wir in unserem Kulturkreis extrem auf den Verstand getrimmt. Umso härter fällt dieser "Clash" dann aus...

Und ja, sehr wahrscheinlich beruht es auf Gegenseitigkeit (du bemühst dich ja auch sehr, dass es nicht auffällt, warum sollte es bei dir anders sein? ;)). Aber du solltest dich da nicht auf rationaler Ebene an dieser Frage abarbeiten. Du fühlst doch, was ist! Und selbst wenn du einer Täuschung erlegen sein solltest: Was wäre so schlimm daran? Es sind wichtige Erfahrungen, die dich weiterbringen. Solange du jedoch alles für dich behältst und in dir eine Lösung zu finden versuchst, wirst du dich im Kreis drehen.

Es kann ja gut sein, dass du in ihr eine wichtige Person gefunden hast UND gleichzeitig das Bedürfnis nach Freund:innenschaft hast. Das kann ja beides gleichermaßen bestehen. Bestenfalls geht es ineinander auf :)

Klar, es ist schon eine Frage des Mutes, sich zu offenbaren. Allerdings möchte ich zu Bedenken geben, dass sich der Mut oft auszahlt.
Außerdem musst du ja nicht gleich total mit der Tür ins Haus fallen. Du könntest ja schauen, ob du einen Mittelweg einschlagen könntest, z.B. indem du im Frühling/Sommer (wenn es coronatechnisch wieder "stabiler" wird...) eine Feier für eure Gruppe organisierst. Oder du sagst ihr einfach mal, dass du sie sehr magst und dass sie eine tolle Arbeit macht (je nachdem, wie stimmig sich das für dich anfühlt). Vielleicht würde es sich auch eher anbieten, ihr mal zu einem bestimmten Anlass, z.B. zu ihrem Geburtstag, eine nette Karte zu überreichen, Blumen zu schenken, Pralinen, o.ä. Vielleicht findest du etwas, was ihr ganz speziell eine Freude machen würde, ohne dass es ein riesiges Geschenk sein muss. Das sind nämlich auch einfach so Zeichen der Wertschätzung, ohne dass du dich gleich völlig "entblößen" müsstest.
Vielleicht findet ihr eine Möglichkeit, wie ihr euch auch privat treffen könnt. Warum sollte das nicht möglich sein? Vermutlich gibt es Bereiche, in denen das deutlich weniger denkbar wäre als bei euch, aber du kannst das besser einschätzen.

Übergeordnet wissen wir natürlich nie, ob sich die Verbindung wirklich vertieft, auch wenn das Potenzial gegeben ist. Doch schade wäre es, wenn wir es nicht wenigstens versuchen würden, unser Leben mit den Menschen zu verbringen, die uns viel bedeuten. Lieben können wir viel und umfassend. Wir können jemanden auch ziehen lassen und ihn einfach so lieben. Aber die Liebe, die mit dem Titel "Seelenverwandtschaft" versehen ist, ist etwas ganz Besonderes und verdient besonderen Schutz und ja, auch Engagement. Das meint nicht, jemanden einzuengen und unter Druck zu setzen. Liebe ist frei. Und so sind wir auch frei, zu unseren Gefühlen zu stehen und sie zu genießen, anstatt sie zu unterdrücken. Du kannst da sicherlich viel für dich lernen: Dass der Verstand nicht alles ist, dass eine Balance zwischen Herz & Kopf entlastet und mehr Spielräume schafft. Und dass du dich mit vielen Menschen verbinden kannst, auch wenn du nicht zu allen so eine innige Nähe empfindest wie zu deiner Anleiterin. Schon das Einander-Akzeptieren, das Freundlichsein, die Solidarität zählen zu dieser Liebe.

Jemanden so Bedeutungsvolles zu treffen, ist immer eine große Chance für Veränderung und innerem Wachstum. es geht also gar nicht unbedingt "nur" um das Gegenüber oder die Verbindung zu dieser Person. Manchmal trifft man jemanden, wird dadurch tief beeindruckt - und sieht sie oder ihn nie wieder. Entscheidender ist es, was in dir selbst passiert und ausgelöst wird. Was in dir schlummert und "wachgeküsst" werden könnte.
Es fängt definitiv damit an, ehrlich zu sein - und die Ehrlichkeit beginnt da, wo die Gefühle sind, die gezeigt werden wollen. Wenn du sie also z.B. gerne sehr lieb am Morgen begrüßen möchtest, solltest du dir das nicht verkneifen. Diese Ehrlichkeit ist ein JA, das du zuerst zu dir selbst sagst. Indem du das tust, überträgt es sich als etwas Positives auf deine Umwelt. Letztlich hilft dir das Ehrlichsein, um überhaupt ein Leben nach deinen Bedürfnissen und Wünschen zu führen. Das schließt auch passende Bekannte und Freund:innen mit ein, die sich nach und nach einstellen können.

Eines steht fest: Du bist weder allein mit deiner Erfahrung noch ist es etwas ganz Seltenes. Es ist im Vergleich mit den vielen herkömmlichen Bekanntschaften, im Alltäglichen zwar eher selten, doch auf alle Menschen bezogen ist es doch ein bekanntes und wiederkehrendes Phänomen. Ein Schatz, wer es erleben darf! <3

So ist zumindest meine Meinung dazu. Ich hoffe, du kannst mit meiner Antwort etwas anfangen und für dich zu neuen Ergebnissen kommen.

Ich wünsche dir eine spannende Zeit und viele bereichernde Erkenntnisse!
Nuala