Problem von Ellie - 23 Jahre

Zu dumm für Ausbildung?

Hey,

ich weiß gerade echt nicht weiter. Ich mache zurzeit eine Ausbildung im medizinischen Bereich und ich bin glaube einfach zu dumm dafür :(
Schulisch läuft es ganz ok. Auf meinem Zeugnis war meine schlechteste Note eine 4 (Mathe, was ich einfach nicht kann), zwei 3en und der komplette Rest 1en und 2en. Ist das schlecht? :/ Ich bin völlig verunsichert.
In der Arztpraxis läuft es auch eher mau. Ich brauche lange um manche Dinge zu verstehen, die andere sofort begreifen. Manchmal habe ich auch das Gefühl, meine Ausbilder sind genervt davon und ich bin dann gefrustet.
Ich habe das Gefühl zu langsam zu denken und zu langsam Verknüpfungen herzustellen. Was soll ich nur machen? Ich habe nächstes Jahr Prüfungen und habe richtig Panik durchzufallen. Ich weiß leider noch nicht mal, woran es liegt, dass ich so schlecht bin. Meine Ausbilder sind fachlich extrem kompetent und ich interessiere mich für den Beruf und die Medizin. Aber ich bin soooooo extrem langsam im lernen und begreifen :'(
Ich muss sagen, dass ich ein sehr unsicherer Mensch bin und Angst habe Fehler zu machen. Könnte es damit zusammenhängen?
Meine Mitauszubildende kann schon so viel mehr und lernt Dinge so schnell. Sie darf schon richtig viel machen und ich gurke so rum. Das zieht mich immer total runter.
Bitte helft mir :'(

Liebe Grüße Ellie

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Ellie,

ich steige einmal so ein, dass ich auf deinen ersten Teil mit deinen Zeugnisnoten eingehe. Du schilderst, dass du weitgehend gute oder sehr gute Noten hast und schreibst dann, dass es in der Arztpraxis "auch eher mau" laufe. Also objektiv betrachtet kann das ja nicht stimmen. Deine Noten sind nur nicht durchweg sehr gut - aber erwartest du das ernsthaft von dir? Noten sind Noten. Momentaufnahmen, Ausschnitte mit begrenzter Aussagekraft. Mir fiel mein Studium größtenteils leicht vom Verständnis her und trotzdem habe ich meistens Vieren geschrieben. Ich habe dann für mich erkannt, dass ich Ahnung habe von meinem Fach und ich mich in meinem Selbstwertgefühl nicht beeinflussen lassen sollte, nur weil ich mit Multiple Choice- Fragen nicht zurecht kam. Und Ähnliches gilt auch für Schüler:innen und Azubis - es ist toll, sich anzustrengen und entsprechende Zensuren zu erhalten. Aber es geht doch um das dahinterliegende Ziel und den tieferen Sinn, den man hoffentlich in der Ausbildung sieht. Manchmal muss man sich einfach durchschlagen, weil man weiß, wofür man das macht. Weil es danach anders wird, man sich ggf. ganz anders einbringen kann.

Klar - jeder Mensch lernt anders und auch in verschiedenen Tempi.
Wenn du aber ehrlich zu dir selbst bist, hast du auch genug Bereiche und Momente, in denen du schnell begreifst bzw. mit Eifer bei der Sache bist. Vielleicht siehst du deine Erfolge zu wenig bzw. ordnest sie nicht als etwas Tolles ein. Denn Menschen, die sich eher abwerten, sehen sich selbst nicht ganzheitlich. Sie blicken vielfach auf ihre vermeintlichen Schwächen und Abweichungen von der scheinbaren Norm und erschöpfen sich dadurch selbst unnötig.
Frage dich, wie es bei dir im Kindergarten und in der Grundschule gelaufen ist. Kennst du das Gefühl, "zu langsam" bei Lernen zu sein, schon so lange? Oder kam das erst deutlich später auf?

Selbst wenn es so sein sollte, dass du weniger schnell begreifst, heißt das doch nicht, dass du deinen zukünftigen Job schlecht ausüben werden wirst! Langsamer zu sein bedeutet nicht, es dann im entscheidenden Moment nicht umsetzen zu können. Möglicherweise musst du die Informationen und Reize schlichtweg länger verarbeiten, was aber nicht mit mangelnder Intelligenz zu verwechseln ist. Hochsensible Menschen neigen z.B. dazu, die Umwelteindrücke in Ruhe verarbeiten zu müssen. Also eventuell wäre es hilfreich, wenn du dich in Richtung Hochsensibilität informieren würdest, sofern du da nichts darüber weißt. Wir haben eine Soforthilfe dazu: https://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/53/Hochsensibilitaet.html

Und wer weiß - vielleicht würdest du in einem anderen Team, also mit anderen Personen, wieder einen anderen Eindruck bekommen. Es spielt da soo viel mit hinein, u.a. auch, welche subtilen Botschaften von der anderen Azubi und deinen Anleiter:innen ausgehen, aber auch, welche Glaubenssätze du unbewusst verfolgst. Falls in dir Aussagen herumgeistern wie "Ich muss immer Bestleistungen erbringen" kann das nur nach hinten losgehen.

Bei dir lese ich eine Verzweifeltheit, die sich mir nicht so recht erschließen mag. Du vergleichst dich offenbar sehr mit den Anderen um dich herum, doch hast du dich einmal mit ihnen ausgetauscht? Bist du dir da wirklich so sicher, dass ihnen alles so viel leichter fällt - oder könnte da nicht auch Fassade dabei sein? Immerhin seid ihr beide in Ausbildung und daher leicht zu verunsichern.
Wenn du es dir irgendwie einrichten kannst, solltest du zudem mit deinen Ausbilder:innen sprechen. Wenn sie wirklich kompetent sind, nehmen sie dich ernst und versuchen dich so effektiv wie möglich zu begleiten.

Ich habe den Verdacht, bei dir ist es vor allem deine Angst, die dich derart ausbremst, sodass du immer mehr zu glauben beginnst, dass du "zu dumm" seist. Daher sehe ich den Ansatz hier besonders darin, dass du dir am besten Profis an die Seite holst, mit denen du konkret am Thema Angst vor Versagen, Leistungsdruck und sozialen Ängsten arbeiten kannst. Beginnen könntest du mit einem Termin in einer psychosozialen Beratungsstelle.
Abgeklärt werden sollte dann ärztlich und ggf. therapeutisch, ob bei dir eine Depression vorliegen könnte. Depressionen wirken sich ja hemmend auf die mentale Leistungsfähigkeit aus - Langsamkeit ist da recht typisch.

Du siehst: Ich plädiere sehr dafür, dass du aus deinem Schneckenhaus herauskommst und offensiv mit deinen Befürchtungen umgehst. Das ist eine Herausforderung, keine Frage! Doch dahinter verbirgt sich ein wahrer Schatz an Möglichkeiten, Erkenntnissen und Lernfeldern. Je mehr du dich selbst annehmen lernst, desto mehr wirst du dich auch auf rein berufliche Themen fokussieren können, weil du innerlich den nötigen Platz geschaffen hast.

Falls alle Stricke reißen, würde ich dir sogar raten, dich erstmal auf dich selbst zu konzentrieren und die Ausbildung zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen. Denn solange du derart mit dir selbst im Unreinen bist, kann es sehr mühsam bleiben.

Zum Weiterlesen habe ich dir ähnliche Zuschriften von früher herausgesucht, in denen es noch um weitere Aspekte geht.
- https://mein-kummerkasten.de/333403/Ausbildung.html
- https://mein-kummerkasten.de/333531/Konzentrationmangel-und-Selbstzweifel-im-Studium.html
- https://mein-kummerkasten.de/333319/ueberfordert-mit-Studium-Studienumfeld-und-Zukunftsaussichten.html
- https://mein-kummerkasten.de/332967/Zu-dumm.html


Ich grüße dich!
Nuala