Problem von Anonym - 12 Jahre

Homosexuell in einer muslischen, strengen familie

Hallo, ich habe ein Problem. Und zwar hab ich schon mir einen sehr jungen alter rausgefunden, das ich schwul bin. Auch wenn ich sehr jung bin, weiß ich, das es so bleiben wird. Wie auch immer, ich bin in einer strengen muslimischen Familie aufgewachsen die mich bei so einen Thema mich aus dem Haus werfen würden, würde ich es sagen würde. Ich habe sorgen und angst seit Jahren. Was soll ich tun?

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Ich möchte mich für die späte Antwort entschuldigen.
Gerne teile ich meine Einschätzung mit dir.

Einerseits ist es ein großer Vorteil, sich so früh der eigenen sexuellen Identität bewusst zu werden. Das ist gut für dich - nur führt es offenbar seit geraumer Zeit zu einem inneren Konflikt bei dir, was dein familiäres Umfeld betrifft.
Es gibt sehr viel zu überlegen und abzuwägen. Ich sehe da die Familie als Wert an sich, aber noch wichtiger finde ich dein persönliches Wohlergehen. Außerdem darf Engstirnigkeit und Intoleranz niemals entschuldigt werden - mit keiner religiösen oder sonstigen Argumentation.

Leider hast du noch einige Jahre vor dir, bis du ggf. ausziehen könntest (mit Einverständnis der Eltern ab 16 Jahre). Doch ob das schon "die" Lösung wäre, wage ich zu bezweifeln.

Am ehesten würde ich dir raten, eine Beratungsstelle für queere Jugendliche aufzusuchen. Alternativ eine allgemeine Kinder-und Jugendberatungsstelle. Dort kann detailliert besprochen werden, was dir alles helfen würde bzw. inwieweit ein Outing sinnvoll wäre. Es geht ja schließlich darum, wie deine Eltern konkret ticken, was ihre Ängste sind, wie wichtig ihnen ein bestimmtes Ansehen ist, wie schlecht es dir mittlerweile geht usw.
Super wäre es, wenn du dich wenigstens in deinem Freund:innenkreis anvertrauen könntest. Vielleicht würde dich dann auch jemand mit zu einer Beratung begleiten, damit es für dich leichter wäre.
Du kannst für die Suche nach passenden Beratungsstellen folgende Suchmaske verwenden:
https://dajeb.de/beratungsfuehrer-online/beratung-in-ihrer-naehe/

Ich für meinen Teil möchte dir mitgeben, dass du dich niemals beirren lassen solltest. Selbst wenn du dich und deine Sexualität noch verstecken müsstest, bis andere Zeiten gekommen sind, solltest du diese Durststrecke wenigstens so verbringen, dass du dich so annimmst wie du bist. Kontakt zu anderen schwulen Jungs könntest du ja schon aufbauen. Auch ein virtuelles Netzwerk mit Gleichgesinnten tut bestimmt gut.
Innerhalb deiner Familie gibt es möglicherweise auch einzelne Personen, mit denen sich reden ließe. Vielleicht ein Cousin, eine Tante, ein (älteres) Geschwister... Hier empfehle ich dir, auf dein Gefühl zu achten. Bei wem fühlst du dich anerkannt, geborgen, verstanden? Durch bestimmte Gespräche kann man sich herantasten an das Thema Schwulsein bzw. Abweichung von gängigen Bildern. Manchmal lassen sich so Geheimnisse teilen, sodass sie schon etwas erträglicher werden. Ich würde das an deiner Stelle aber erstmal in der Beratung abklären, inwieweit du Familienangehörige einweihen könntest/solltest.

Und: Du musst deiner Familie deine wahre Neigung nicht direkt sagen, wenn es für dich nicht passt bzw. zu riskant erscheint. Doch du musst auch nicht lügen und heucheln! Halte dich dann bedeckt, schweige lieber oder sage generell deine Meinung, ohne dich als persönlich betroffen zu nennen. Damit meine ich, dass du durchaus Kritik üben kannst, ohne gleich zu sagen: "Ich bin schwul und möchte akzeptiert werden." Das könnte aber dann ein nächster Schritt sein, wenn erstmal der Raum für solche Gespräche geöffnet wäre. Wir alle können Nächstenliebe, Akzeptanz und Toleranz zeigen und Anderen ein Vorbild sein. Wir müssen uns nicht überall total "nackig machen", gleichzeitig können wir unsere Werte verteidigen und solidarisch miteinander sein. So kannst du z.B. lernen, auch mal eine andere Sichtweise in deine Familie zu tragen und bestehende Erwartungen zu hinterfragen - ohne dabei aggressiv aufzutreten. Deine Familie kann so ebenfalls dazulernen. Und falls sie dazu nicht bereit ist, müsstest du im Lauf der Jahre für dich einstehen und Konsequenzen ziehen, auch wenn diese mit einer Distanzierung zur Ursprungsfamilie einhergehen würden.

Für die Gegenwart gilt: Ob du dich als junger Erwachsener komplett von deiner Familie abwenden oder einen anderen Weg gehen wirst, bleibt vorerst offen. Doch im Hier und Jetzt kannst du dafür sorgen, dass du Gehör bei Menschen findest, die dich verstehen und Erfahrung haben. So kannst du dich seelisch erleichtern und neue Kraft schöpfen.

Fakt ist auch, dass du bist nicht allein bist. Es gibt immer mehr Initiativen - vielleicht auch in deiner Nähe. Schau mal hier:
https://www.lsvd.de/de/ct/687-Homosexualitaet-im-Koran-der-Scharia-und-den-Hadith-Ueberlieferungen-des-Propheten-Muhammed
Und dieses Interview habe ich gefunden: https://www.zdf.de/kultur/forum-am-freitag/forum-am-freitag-vom-26-maerz-2021-100.html
Und hier noch etwas theoretischer Hintergrund: https://www.wasglaubstdudenn.de/spuren/143264/ist-homosexualitaet-im-islam-erlaubt
Und hier eine ähnliche Zuschrift: https://mein-kummerkasten.de/302939/fundamentalistischer-Konflikt-was-ist-mein-Problem-homophobe-Leute-einfach-zu-bannen.html

Ich wünsche dir alles Liebe und Gute,
Nuala