Problem von Laura - 18 Jahre

Drang nach männlicher Bestätigung

Liebes Kummerkasten-Team,

folgendes Problem, das mich an mir wirklich extrem stört:
Ich habe wirklich einen krankhaften Drang nach männlicher Bestätigung. Es nervt mich selbst wirklich total, kann es aber nicht ablegen.

Bei jedem Ausgehen am Wochenende habe ich nur ein Ziel: Möglichst viel Aufmerksamkeit von Männern bekommen. Wurde ich an einem Abend mal nicht angesprochen, ist das wirklich der Horror für mich. Da ist für mich teilweise wirklich der ganze nächste Tag im Eimer. Noch schlimmer ist es, wenn meine Freundinnen angesprochen werden, aber ich nicht. Da bricht wirklich eine Welt für mich zusammen und dann fängt das elendige Vergleichen an. Ich hasse dieses Verhalten so an mir. Ich würde es ihnen so gern gönnen, aber dieser Neid nimmt dann einfach überhand.

Das schlimme ist auch, dass ich auch gar kein Interesse an den Männern hab. Ich will einfach nur die Aufmerksamkeit. Das führt dann soweit, dass ich interessierte Typen auch noch extra anflirte und extra provoziere, obwohl ich überhaupt nichts von ihnen will.

Ich sehe sogar Catcalling als Kompliment. "Der Mann hat entschieden MICH zu catcallen, das heißt er muss mich ja in gewisser Weise attraktiv finden". Es ist natürlich auf keinen Fall ein Kompliment und ich finde diese Gedanken von mir wirklich anwidernd.

Ich bin natürlich keine Psychologin, aber ich denke, das hat auch viel mit Erziehung zu tun. Meine Mutter hatte durch meinen Vater schon Probleme mit sich selbst, und hat das seit ich klein bin auf mich übertragen. Ich musste immer die schönste von allen Kindern sein, immer top angezogen und gestylt, bei jedem Gramm zu viel wurde ich beleidigt und auf Diät gesetzt. Sie hat mir immer verklickert, dass man als Frau nichts wert ist, wenn man nicht schlank und schön ist und keinen Mann findet. Ich bin ihr nicht böse, sie war dann auch in psychologischer Behandlung, aber das hat sich so in meinen Kopf festgesetzt.

Gibt es irgendeine Möglichkeit oder Ansatz, dieses Verhalten abzulegen? Es belastet und nervt mich wirklich total.

Vielen Dank schonmal im Voraus.

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Laura,

ich finde, du hast dich schon sehr eingehend beobachtet und dein Problem klar erkannt. Das ist schon sehr hilfreich! Auch wenn du dir jetzt bestimmt noch nicht absehen kannst, wie dein persönlicher Ausweg aussehen könnte.
Ich denke nicht, dass ich dir hiermit eine Antwort schreiben kann, die dir umfassend helfen wird. Einfach deswegen, weil ich der Ansicht bin, dass jemand direkt mit dir über einen längeren Zeitraum arbeiten sollte. Du beschreibst derart tiefe Denk-und Verhaltensmuster, die anscheinend einen zwanghaften Charakter haben. Zudem geht es bei solchen Dingen immer auch um die Persönlichkeit im Ganzen, das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein. Hier wäre eine psychologische Beratung (Coaching) gut, vielleicht sogar eine Psychotherapie. Mit einer Begleitung an deiner Seite könntest du z.B. viel erproben, um ein neues Gefühl für Situationen und Bewertungen zu erlernen.

Ein wenig möchte ich dir trotzdem noch als Input mitgeben. Ich kann aber nur umreißen, was dann ein längerer Prozess für dich sein würde - ein sehr lohnenswerter, wohlgemerkt.
Und zwar läge das Lernen darin, dass du den Fokus ganz auf dich richtest. Aber nicht im Sinne von puren Äußerlichkeiten, die dich ja nur am Rande als Mensch ausmachen. Sondern im Sinne von Heilung, Selbstliebe, Akzeptanz und neue Zielsetzungen. Im Kern geht es also vor allem um dich, um das liebevolle Kümmern um dich selbst. Mit allen Dingen, die dich ausmachen: Schattenanteile, Verdrängtes, Ungeliebtes, aber auch alle Potenziale, Talente, Wünsche, Träume. Und dann noch alles mehr oder weniger Neutrale, was einfach auch mitmischt im Alltag.
Das Denken nimmt hier eine zentrale Position ein. Deine "inneren Programme" laufen zu deinen Ungunsten, sie schaden dir. Das Gute ist, dass diese Denkmuster auch verändert werden können. Das z.B. kannst du mit Profi-Begleitung erlernen. Als großen Buchtipp habe ich "Gedanken verändern Gefühle" von Padesky & Greenberger.

Wenn du nach und nach spüren lernst, dass du einfach so vollkommen bist, ganz ohne oberflächliche und sexistische Beurteilungen, wirst du gelassen und befreiter. Dann kannst du dich über ein echtes Kompliment freuen, weil es von Herzen kommt. Ein solches Kompliment wird dann aber mit Sicherheit nicht rein auf deinen Körper bezogen sein, höchstens sehr differenziert.
Wir können aber eben nichts für unseren Körper und sollten uns davon lösen, Leistung mit Körper zu verknüpfen. Unser Körper leistet auf seine eigene Weise schon ganz viel, wofür wir sehr dankbar sein können. Doch sein Aussehen ist etwas, was das Ganze schnell pervertiert. Es unterstellt, dass manche s Aussehen "richtig" sei und anderes nicht. Das Erkennen, dass der Körper, so wie auch dein wahrgenommenes Geschlecht und andere Merkmale keinen "Marktwert" besitzen, sondern einfach einen "Lebenswert", ist etwas sehr Ergreifendes. Es erleichtert und macht leicht wie eine Feder. Denn so merkst du: Ich darf so sein, wie ich eben bin. Egal, wie ich aussehe. Ich bin ich. Und dadurch kommt die Zufriedenheit und das Glück der einzelnen Momente, weil die Dankbarkeit für das Leben und dessen viele Wunder so glücklich stimmt.

Dazu gehört auch, dass du dich als Person förderst und dir alles zuteil werden lässt, was dir wirklich wichtig ist. Also angenommen, du wolltest schon ganz lange ein bestimmtes Musikinstrument erlernen und hast es dir selbst immer wieder abgesprochen, wäre es jetzt vielleicht der Moment, um es zu beginnen. Oder du würdest eigentlich gerne viel mehr schlafen, auch tagsüber. Gehe nach deinen Bedürfnissen und Sehnsüchten. Sie leiten dich zuverlässig zu dir, in dein Sein, in deine Mitte. Anlässe und Beispiele für diese Form von Selbstliebe gibt es zuhauf - jeden Tag auf's Neue.
Dazu könnte eventuell passen, dass du schreibst, gar nicht an Männern* interessiert zu sein. Das ist doch schon mal ein wesentlicher Punkt, der zu weiteren Erkundungen einlädt! Du könntest also beginnen, dein sexuelles Begehren oder Nicht-Begehren zu erforschen. Was macht dich an, was nicht? Stehst du eher auf weibliche Personen, bist du sexuell überhaupt interessiert, wie schnell darf es gehen, usw. Es kommt unglaublich viel in Betracht.

Eine weitere Art, konstruktiv mit deinen Herausforderungen umzugehen, sehe ich in feministischer Ermächtigung. Du hast Kraft, Macht, Spielraum - und den sollst du auch nutzen. Aber nicht durch deine Optik, sondern durch deine gesamte Persönlichkeit und deine Interessen. Setze dich mit feministischer Politik auseinander, engagiere dich womöglich. Du wirst staunen, wieviel Spaß es machen kann, miteinander solidarisch zu sein, anstatt sich an Machtspielchen und Konkurrenz abzuarbeiten.

Konkret zu deinem Ausgehverhalten gebe ich dir den Tipp, schon mal mit einem Training zu beginnen. Und zwar könntest du dir immer mal neue Aufgaben geben (gerne auch in Kooperation mit Freund:innen, die dir helfen). Vielleicht würde es dir sogar etwas bringen, offensiv vor dir selbst neuartige Ziele zu formulieren und dann zu versuchen, sie umzusetzen.
Beispiele: Gehe aus und...
...fokussiere dich allein auf deine Wahrnehmung, also auf dein Inneres. Wie reagierst du auf einzelne Sinneseindrücke?
... sei möglichst präsent in Gesprächen und Kontakten. Versuche, dein(e) Gegenüber möglichst ganzheitlich wahrzunehmen.
... achte darauf, wer dir sympathisch ist und warum. Bei wem fühlst du dich wohl, geborgen?
... mache dir bewusst, warum du gerade ausgehst. Willst du tanzen, einen entspannten Kneipenabend, einfach Geselligkeit,...? Je besser du dich kennst und deine Bedürfnisse erfasst, desto eher kannst du auch durchschauen, wenn du dabei bist, dich mit "leeren" Befriedigungen abzuspeisen.
...nimm konkret wahr, wenn wieder so eine Getriebenheit in dir hochkommt. Versuche dann, an das Gefühl dahinter zu gelangen und dich auf das Fühlen zu konzentrieren.
...bei Catcalling und anderem sexistischen Dreck kannst du aufhorchen und es als Unrecht, als Gewalt begreifen, anstatt als Kompliment. Sage dir dann ruhig innerlich: Nein, das ist eine ABwertung, keine AUFwertung! Ich bin hier beliebig austauschbar und werde zum Objekt gemacht. Um mich als Individuum geht es gar nicht.

Gerade weil du anscheinend viel Negatives erlernt hast, braucht es viel Geduld und auch Mut, das nach und nach zu entlarven und abzulegen. Die gesunde Abgrenzung von deiner Mutter bzw. von propagierten Verhaltensweisen ist bestimmt mit am schwierigsten. Deswegen ist eine Unterstützung durch psychologisch-therapeutisch ausgebildete Personen so viel wert.
Außerdem empfehle ich dir, mit deinen Empfindungen in deinem Umfeld offen umzugehen, wo das nötige Vertrauen existiert. Reden erleichtert bekanntlich.
Auch ein Tagebuch und andere Formen des seelischen Ausdrucks sind heilsame Werkzeuge.

Lies dir gerne auch die älteren Zuschriften durch, die sich rund um persönliche Entwicklung und Selbstwert drehen.


Ich wünsche dir noch eine schöne Sommerzeit und alles Gute!
Nuala