Problem von Martin - 25 Jahre

Beziehungsunfähig?

Hallo liebes Kummerkasten-Team,

ich bin mitte zwanzig und schon immer Single. Ich mache mir Sorgen, dass ich keine Beziehung finde, in der ich mich wohlfühle und die ich auch eingehen möchte. Einerseits bin ich recht zurückhaltend, wenn mir jemand gefällt und andererseits fühle ich mich einfach nicht gut genug für die jeweilige Person (oder es schwingt leider in die andere Richtung und ich versuche mir unbewusst einzureden, dass die andere Person nicht gut genug ist). Gleichzeitig wirke ich nach außen nicht schüchtern oder zurückhaltend, was es für Leute schwierig macht den ersten Schritt zu machen - denke ich.

Ich habe also kein gutes Selbstwertgefühl, so gut wie keine Erfahrung und Rückschläge entmutigen/belasten mich zu schnell. Mir geht es schon lange psychisch schlecht und ich habe immer das Gefühl, dass so instabile zwischenmenschliche Situationen (Daten, Flirten oder einfach nur die Ungewissheit, wenn man an jemanden interessiert ist) viel zu belastend sind. Vor allem auch, wenn ich oder die andere Person das Dating abbricht. Das sind wohl auch Gründe ist, warum ich versuche Beziehungen aus dem Weg zu gehen.

Jetzt habe ich letztens erfahren, dass mein "Crush" in einer Beziehung ist. Das ist iwie hart , da ich dummerweise dachte, dass er an mir interessiert ist und auch einfach nur zu schüchtern ist. Also ich hab quasi mein eigenes Verhalten projeziert und das falsch interpretiert.
Ich weiß jetzt nicht wirklich was ich machen soll. Ich mochte ihn schon sehr gerne und hab mir Hoffnungen gemacht und jetzt bin ich voll überfordert damit umzugehen, dass er vergeben ist. Gleichzeitig mache ich mir Sorgen, dass ich eh nicht für mehr bereit gewesen wäre.
Ich glaube meine Frage ist: wie gehe ich mit der Situation um, da ich mir immer noch Hoffnungen mache und nicht einsehen will, dass das nichts wird und immer noch denke, dass da beiderseitiges Interesse besteht?
Und: ist das allgemein soetwas wie Bindungsangst was ich da beschrieben habe und was könnte ich dagegen machen?


Vielen Dank für eure Arbeit. Schon das Aufschreiben hat ein wenig geholfen.

Lan Anwort von Lan

Lieber Martin,

ich danke dir für dein Vertrauen und deine Nachricht.

Es ist sehr verständlich, dass du frustriert und traurig bist, so lange Single zu sein und bisher noch keine Beziehungserfahrungen gemacht zu haben. Aber vermutlich vergleichst du dich sehr mit anderen in deinem Alter, oder? Vergleichen ist meist eher Gift für unser eigenes Selbstwertgefühl, da wir meist den Kürzeren ziehen und eher dazu tendieren, uns abzuwerten, vor allem wenn wir ohnehin keine gute Meinung von uns selbst haben.
Aber du brauchst dich nicht schlecht zu fühlen oder zu glauben, dass etwas nicht mit dir stimmt. Jeder braucht unterschiedlich lange Zeit, um Beziehungen einzugehen. Manche fangen schon sehr früh an, andere gehen es langsamer an bzw. brauchen einfach länger, um den passenden Partner zu finden. Das sagt nichts über dich und deinen Wert an, du bist so oder so ein liebevoller und toller Mensch, ob mit oder ohne Partner.

Es geht tatsächlich auch vielen wie dir, die eben länger brauchen, um eine Beziehung einzugehen, die sogenannten "Absolute Beginners". Die Gründe können ganz unterschiedlich sein. Bei dir vermute ich, dass es auch vor allem an deiner Zurückhaltung liegt und eben auch an dem fehlenden Selbstwertgefühl, womit du dich vielleicht selbst bezüglich Beziehungen sabotierst. Du bringst es auf den Punkt: Entweder fühlst du dich selbst nicht genug oder denkst, die andere Person würde nicht ausreichen. Dein Denken beeinflusst damit auch deine Einstellung gegenüber anderen Menschen und wie du mit ihnen umgehst. Es kann also durchaus sein, dass du dadurch eben keine wirkliche Nähe zulässt. Und die ist natürlich wichtig, um tiefe Beziehungen einzugehen.

Und dann sprichst du an, dass du nach außen vielleicht nicht schüchtern wirkst, aber vielleicht unnahbar oder undurchschaubar, sodass andere eher auf Abstand gehen? Schüchterne oder introvertierte Menschen werden nicht als solche wahrgenommen, die Ruhe wird missverstanden als Arroganz, obwohl das so nicht rüberkommen soll.

Schüchternheit ist meist antrainiert, lässt sich also mit viel Arbeit auch durchaus abbauen. Vielleicht fängst du mit kleinen Schritten an und versuchst mal, selbst den ersten Schritt zu machen. Hinterfrage mal, woher diese Schüchternheit kommt? Wovor fürchtest du dich? Wie wahrscheinlich ist es, dass dir etwas Peinliches passiert und du abgelehnt wirst?
Du scheinst auch Angst vor romantischen Beziehungen oder Begegnungen zu haben. Gab es früher mal negative Erfahrungen, die dich seitdem geprägt haben? Was genau belastet dich denn an solchen sozialen Situationen wie Dating und Flirten?

Hast du jemanden, einen Freund, mit dem du darüber reden kannst? Wenn dich das so belastet, kann es durchaus helfen, mit anderen darüber zu sprechen. Vielleicht aber auch mit jemanden, der nicht viel mit dir persönlich zu hat, wie beispielsweise jemand von einer Beratungsstelle?


Schwarm ist bereits vergeben - was tun?

Es ist hart, wenn derjenige, in dem man verliebt ist, bereits in festen Händen ist. Ihn einfach so zu vergessen ist leichter gesagt als getan, das kennt jeder zu gut.

Es gibt jetzt verschiedene Wege, je nachdem wie lange und intensiv du in deinen Crush verliebt warst und bist und wie nahe ihr euch steht.

Wenn du merkst, dass da wirklich keine Hoffnungen da sind, führt kein Weg dran vorbei: Loslassen wäre das für dich beste, um einen Neuanfang in Sachen Liebe zu wagen. Das würde dich nur noch mehr leiden lassen, wenn du an einer unerwiderten Liebe weiter hängen bleiben würdest.
Gehe auf Abstand, um dich langsam zu entlieben. Doch dafür ist nötig, zu akzeptieren, dass es mit deinem Schwarm keine Beziehung geben wird.
Folge ihm auch nicht auf sozialen Medien, wenn du das getan hast. Geh raus, unternimm etwas mit Freunden, tue dir selbst etwas Gutes und lenk dich ab. Wenn du jetzt Traurigkeit und Liebeskummer verspürst, ist das okay, das darf sein. Lass deine Gefühle raus, versuche sie nicht zu verdrängen, sonst wird es noch schwerer, loszulassen.


Wenn es mit dem Vergessen nicht klappt, gäbe es noch zwei Möglichkeiten:

1. Du wartest ab, ob sich am Beziehungsstatus deines Schwarms etwas ändert. Das kann durchaus vorkommen, man kann nie genau vorhersehen, wie lange eine Beziehung wirklich andauert. Aber es kommt eben auch darauf an, wie lange die Beziehung bereits läuft, wie glücklich er darin ist und wie viel Geduld du wirklich hast. Hält die Beziehung schon länger, wird es eher unwahrscheinlich sein, dass die beiden sich voneinander trennen.
Du musst da unbedingt ehrlich zu dir selbst sein, in dich gehen: Wie wichtig ist mir der Crush wirklich? Bin ich bereit, auf eine Chance zu warten? Bin ich überhaupt bereit für eine Beziehung?

2. Die zweite Variante wäre etwas offensiver. Du suchst die direkte Konfrontation und teilst deinem Crush deine Gefühle mit und was das mit dir macht, dass er vergeben ist. Das ist sehr gewagt, selbst für jemanden ohne Schüchternheit und erfordert enorm viel Mut und Selbstvertrauen. Im schlimmsten Falle bekommst du einen Korb und fühlst dich dann noch mehr verletzt. Würdest du damit zurechtkommen? Andererseits würde das auch eventuell helfen, wirklich damit abzuschließen. Du hast dann alles versucht, mehr ging nicht. Aber du warst mutig genug, deine Gefühle zu gestehen.
Du gewinnst mit so einer Offenbarung deiner Gefühle auch Klarheit darüber, wie er über dich denkt und ob er etwas für dich fühlt. Und wer weiß: Vielleicht besteht Hoffnung? Das kann ich dir nicht sagen, dafür weiß ich zu wenig über deinen Crush und seine Beziehung.

Um wirklich Klarheit zu finden, ob es nicht doch beidseitiges Interesse gibt, müsstest du offen mit ihm darüber sprechen. Oder wenn du dir persönlich das nicht traust, ihm schreiben, einen Brief oder digital oder mit ihm darüber telefonieren. Vielleicht würde dir das helfen, mutiger zu sein.


Bindungsangst

Ob das nun wirklich Bindungsangst bei dir ist oder nicht, kann ich schlecht sagen, ich kann nur vermuten. Aber sehr wahrscheinlich gibt es bei dir eine Bindungsscheu, da du romantische Aktionen eher belastend empfindest und dadurch auch das Dating abbrichst.

Der erste Schritt, um an deiner Bindungsangst zu arbeiten, wäre, diese erstmal zu akzeptieren. Und dann kannst du sie dir genauer anschauen. Zu reflektieren, woher diese Bindungsangst kommt und was sie mit dir macht. Wovor genau hast du Angst? Ist es die Angst vor Ablehnung und Verletzung? Angst vor Liebeskummer? Angst vorm Freiheitsverlust? Angst vorm Verlassenwerden? Angst, nicht genug zu sein? Angst, wirkliche Nähe zuzulassen? Angst, dich wirklich zu zeigen, wie du bist?

Wenn du herausgefunden hast, was tatsächlich dahinter steckt, kannst du auch damit arbeiten.
Dann überlegst du, was du tun kannst, um vielleicht diese Angst zu unterbinden oder zumindest mehr Vertrauen zu schaffen. Nimm dir dafür genug Zeit, vielleicht hilft es auch, Abstand vom Dating zu gehen und dich dann mehr mit dir selbst zu befassen.
Schreib deine Gedanken nieder und alles, was du über dich hinsichtlich der Bindungsangst herausfindest. Das hilft dir, alles zu sortieren und einen besseren Überblich zu bekommen.

Daran zu arbeiten braucht Zeit und viel Geduld, sei mitfühlend mit dir, wenn du nicht sofort Vertrauen fasst bzw. du nicht weiterkommst. Bleib dran und setze dir nicht zu viele und hohe Ziele.


Hier habe ich dir noch einige Beiträge zum Thema "Unglücklich verliebt" und "Bindungsangst" verlinkt. Schau gern rein:

https://mein-kummerkasten.de/333600/Crush-hat-einen-Freund.html
https://www.rataufdraht.at/themenubersicht/liebe/der-schwarm-ist-vergeben
https://mein-kummerkasten.de/83841/Bindungsangst.html
https://mein-kummerkasten.de/147777/Bindungsangst.html
https://chrisbloom.de/blog/bindungsangst-ueberwinden/
https://lemonswan.de/ratgeber/partnersuche/bindungsangst


Ich wünsche dir alles Gute!

Liebe Grüße,
Lan