Problem von Anonym - 40 Jahre

Meine toxische Mutter und ich...

Von vornerein muss ich etwas ausholen:

Meine Eltern haben schon immer ein Problem mit Alkohol. Aus diesem Grund bin ich damals mit 19 schon zu Hause ausgezogen, da ich es nicht mehr ertragen habe, dass unter der Woche nachts meine betrunkene Mutter in meinem Zimmer stand und mir erzählt hat, was mein Vater - der meist genauso betrunken war - wieder so furchtbares getan hat und wenn ich nicht in ihr Credo eingefallen bin ging ihr Hass auf mich über. Ich sei so undankbar, nie würde ich ihr zu hören, ich denke immer nur an mich.... ich rede davon, dass das anfing als ich ca. 14 Jahre alt war und diese Vorkommnisse auch gerne unter der Woche nachts um 1-2 Uhr stattfanden. Nach meinem Auszug hat sie das dann auch gerne telefonisch versucht, bis mein damaliger Freund (jetzt Mann) ihr gesagt hat, sie hat das zu unterlassen.

Wir haben dann ganz gut "nebeneinander" her gelebt und hatten nur den notwendigen Kontakt zu Geburstagen, Weihnachten, Familienfest etc. und ihre Alkoholeskapaden habe ich nur auf ihrer Facebook-Seite bemerkt, sie hat mich aber in Ruhe gelassen. Drauf angesprochen hat sie ja nichts getrunken ausser "ne Flasche Sekt, 2 Bier und 3 Schnäpse". Jetzt ist mein Vater im Dezember verstorben und meine Mutter ist nun alleine. Aus Mitleid kam ich auf den wahnwitzigen Gedanken, mit ihr auf Kreuzfahrt zu gehen. Sie hatte sich das immer gewünscht, aber meinen Vater nie davon überzeugen können.

Im Juli war es dann so weit. Wir teilten uns eine Balkonkabine, mein Mann blieb bewusst zu Hause und ich dachte, so schlimm kann es ja nicht werden. Mal abgesehen davon, dass meine Mutter keinerlei "physische Wohlfühlzone" zu kennen scheint (sie ließ die Klotür geöffnet, nackt vor mir rumlaufen, mich "tätscheln" etc.) war das für jemanden mit erhöhtem Alkoholkonsum das Paradies.

Ich habe keinerlei Probleme neue Leute kennenzulernen, so auch diesmal. Und natürlich habe ich meine Mutter da nicht ausgeschlossen. Allerdings fiel einem der Bekanntschaften nach 2 Tagen schon auf, dass ich sobald meine Mutter ins Bett ging etwas aufgetauter wirke und nicht mehr so verkrampft und er sprach das meiner Mutter und mir gegenüber an. Meine Mutter hat ja mit entsprechender Promille im Blut keine Probleme gleich mental auszupacken. Sie wüsste, was mein Problem sei. Ich hätte ja ein Problem mit ihrem Trinkverhalten. Aber sie hat ja kein Problem mit Alkohol, sie kann ja auch mal mehrere Wochen ohne Alkohol aushalten. Und auch jetzt sei sie nicht betrunken.
Dieses Gespräch fand abends an der Poolbar statt und in den 2 Stunden die wir bis dahin dort verbrachten hatte meine Mutter schon 5 Caipirinhas und dazu je ein Glas Prosecco getrunken - nur während diesem Alkohol. Vom sonstigen Alkohol den Tag über spreche ich gar nicht.
Mein Bekannter sprach sie dann direkt darauf an, warum sie denn, wenn sie doch laut eigener Aussage 1) weiss, dass ich ein Problem mit ihrem Trinkverhalten habe und 2) doch mehrere Wochen ohne Alkohol aushalten kann diese Woche das trinken einfach sein lässt und das er sich rausnimmt festzustellen, dass man wenn man nach 5 Caipis und 5 Gläsern Prosecco sich nicht betrunken fühlt man wohl definitiv stärkeren Alkoholkonsum gewohnt sei. Ihre Antwort war: "Wieso sollte ich? Ich hab doch Urlaub."

2 Tage später erzählte sie jedem nach der Bestellung eines Ouzos, dass sie davon nicht mehr als 3 trinken dürfe, wenn danach würde sie "blöd" werden. Oder wie ihre Tochter sagen würde "Alkohol macht Birne hohl". Ich musste dann auf der Kabine was holen und in der Zeit hat sie wohl einen Baileys und einen Ouzo bestellt mit der Aussage: "den muss ich schnell trinken bevor meine Tochter das mitbekommt". Das erzählten mir meine Bekannten, ebenso dass sie sie bereits mittags einen Ouzo haben trinken sehen.
Meine Mutter war schon immer sehr provokant wenn sie betrunken ist, so auch an diesem Abend wieder. Da mir ihr "Zustand" schon wieder aufgefallen war verhielt ich mich halt wieder sehr verkrampft aus Angst, was sie nun wieder raushaut oder wie sie sich verhält. Gefühlt klammere ich mich an der Tischkante fest.
Irgendwann stellte sie in einem sehr spitzen Ton die Frage direkt an mich, ob sie sich denn noch ein Bier bestellen darf. Sie würde sich ja wohl noch ein Bier bestellen dürfen, dass sei ja nicht so schlimm. Ich erwiderte, dass es mir recht herzlich egal sei, denn was ich nun sagen würde würde sie als Provokation auffassen. Sie bestellte sich kein Bier, verließ aber keine 5 Minuten später den Tisch mit den Worten "... und zum Leidwesen meiner Tochter werde ich mir an der Bar noch einen Ouzo gönnen!". Ich erwiderte ihr wieder, dass sie das gerne tun kann so lange sie mich später in Ruhe lässt wenn ich auf die Kabine komme. Darauf hin drehte sie sich zu mir herum und polterte "Ich weiß gar nicht, was du für ein Problem damit hast was ich trinke. Ich habe ja auch kein Problem damit was du frisst." (Ich bin mein Leben lang schon übergewichtig, bekomme die Kilos nicht runter - habe allerdings kein ungewöhnliches Essverhalten. Und fressen tu ich schon dreimal nicht.) Nachdem ich meine Fassung wiedererlangt habe erwiderte ich, dass ich bei weitem nicht so viel "fresse" wie sie säuft. Sie schnippte noch, dass sie das für ein Gerücht halte und ging ins Bett.
Meine Bekannten waren genauso sprachlos wie ich und mit einem führte ich noch ein seeeehr langes Gespräch, da ich meiner Mutter an diesem Abend im wachen Zustand defintiv nicht wieder begegnen wollte. Ich habe mich bis 2 Uhr nachts dann noch alleine auf dem Schiff rumgedrückt damit sie auch ja sicher schläft wenn ich in die Kabine kam. Die restlichen 2 Tage habe ich sie dann mehr oder weniger angeschwiegen und bin ihr aus dem Weg gegangen. Sie tat dann am mittag danach so, als sei alles gut. Gerne erinnert sie sich einfach nicht mehr an ihre Taten oder Aussagen, aber so war es bei meinem Vater schon. Mir wurde jetzt klar, dass in all den Jahren ihrer Beziehung meine Mutter die Provokateurin war und mein Vater sich einfach "die Lichter ausgeschossen" hat, damit er es erträgt - und damit sind die Situationen häufig eskaliert.

Lange Rede kurzer Sinn: Muss ich mir das von meiner Mutter bieten lassen? Sie war schon mehrere Male in stationärer psychiatrischer Behandlung, allerdings nie wegen ihrem Alkoholproblem - dies hat sie auch konsequent jedes Mal verheimlicht, da sie halt auch tatsächlich mehrere Wochen ohne aushält - sie ist halt keine "Pegeltrinkerin". Aktuell ist sie es wieder wegen ihren Depressionen. Die Klinik hat sie sich im übrigen ausgesucht, weil man dort ab 17 Uhr Alkohol trinken darf. Wie gesagt: sie erkennt kein Problem in ihrem Trinkverhalten, sie kann ja auch gar nicht anders - sie wäre ja schließlich schon mit einem Trinker aufgewachsen, dann steckt das halt so in einem drin. Wenn ich dann argumentiere, dass ich ja dann die größte Alkoholikerin auf dem Planeten sein müsste kommt nur ein "Ja, stimmt." Denn ich trinke so gut wie nie Alkohol und bin recht schnell angeheitert und ich möchte nicht so eskalieren wie ich es bei meinen Eltern hab eskalieren sehen.

Die Situation meine uneinsichtige und egoistische Mutter weiterhin ertragen zu müssen macht mich langsam körperlich krank. Ich bekomme Magenschmerzen wenn ich sie länger als 20 Minuten ertragen muss und ich habe von mir aus den Kontakt bis aufs nötigste heruntergeschraubt. Aber dann nagt mein schlechtes Gewissen, dass sie ja alleine ist. Aber wenn ich "normal" weitermache gehe ICH kaputt.

Lan Anwort von Lan

Hallo liebe Ratsuchende!

Schön, dass du uns geschrieben hast und uns dein Vertrauen schenkst.

Danke, dass du uns so intensive Einblicke in dein Leben mit deiner Mutter geboten hast. Das hilft ungemein und darauf möchte ich auch gerne eingehen.

Ich fange mal mit deiner zentralen Frage am Ende an: "Muss ich mir das von meiner Mutter bieten lassen?"
Wenn du mich fragst: Eindeutig nein. Nur weil du ihr Kind bist, bedeutet das nicht, dass du jetzt in der Verantwortung bist, unbedingt für sie da zu sein und ihr zu helfen, wenn sie doch offensichtlich keine Absicht hat, sich helfen zu lassen. Sie sieht ihr Alkoholproblem nicht ein, will sich keine wirkliche Hilfe suchen. Und das ist etwas, wofür du nichts kannst.

Man kann Menschen nur helfen, die sich helfen lassen wollen. Sie ist ja auch erwachsen und in der Lage, sich um sich zu sorgen.

Du hast es versucht und dich auf diese Kreuzfahrt eingelassen, was dich viel Überwindung gekostet hat. Du hast meiner Ansicht nach alles richtig gemacht und es versucht, ihr recht zu machen und sie gut auszuhalten. Aber sie hat es dir nicht leicht gemacht, wie ich deinem Text entnehmen kann. Teilweise klingt es so, als würde sie gewisse Dinge mit Absicht machen, um dich zu provozieren. Die Frage ist: Warum macht sie so etwas?

Du steckt in einem Dilemma: Einerseits weißt du, wie sehr es dich seelisch und körperlich fertig macht, mit ihr länger Zeit zu verbringen. Andererseits nagt das schlechte Gewissen an dir, weil du dich in der Verantwortung siehst, für sie da zu sein, weil sie sonst alleine wäre. Es ist total verständlich, dass du mit dir ringst und sie nicht im Stich lassen willst.

Du kannst das Gespräch zu ihr suchen oder mit ihr gemeinsam zu einer Familienberatung oder einem Familientherapeuten gehen. Aber das setzt eben auch voraus, dass deine Mutter bereit dazu ist. Und dass du auch bereit bist, an der Beziehung zu ihr etwas zu ändern. Sollte dir da aber die Kraft und Motivation dazu fehlen, fühl dich nicht schlecht. Du hast schon viele Jahre damit gekämpft und wahrscheinlich auch resigniert.

Aber wenn du mich fragst, bist du ja nicht dafür verantwortlich, dass es ihr gut geht und sie nicht einsam ist. Sie hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn sich ihr eigenes Kind von ihr abwendet. Und sie ist erwachsen genug, auch für sich zu sorgen, dass sie soziale Kontakte pflegt. Nur weil sie allein ist, bedeutet das nicht, dass du für sie da bist, damit es ihr besser geht. Du bist ihr nichts schuldig, zumal sie dich mit ihrem Verhalten belastet und du an deine Grenzen kommst.

Ich denke, dass du an dich denken solltest. Denn denkt sie an dich? Ich befürchte eher nicht. Du trägst keine Verantwortung für deine Mutter, aber sehr wohl für dich. Nur du sorgst dafür, dass es dir gut geht. Und wenn das bedeutet, den Kontakt gänzlich erstmal abzubrechen, dann ist das so.

Du hast ja auch soweit den Kontakt so weit reduziert, wie es nur geht. Wie erging es dir damit, wenn du sie nur zu Festen und Geburtstagsfeiern gesehen hast? War das noch erträglich oder hattest du auch das Gefühl, dass dich das fertig macht? Wenn ersteres zutrifft: Dann kannst du ruhig weitermachen, wenn das so für dich funktioniert.

Wenn letzteres zutrifft, höre auf deine innere Stimme und schütze dich selbst. Reduziere den Kontakt so weit, wie es dir gut geht. Wenn dir jemand nicht gut tut, ob es jetzt eine andere Person oder sogar deine eigene Mutter ist, dann ist es dein gutes Recht, den Kontakt so sehr zu minimieren, wie du es für richtig hälst. Du bist schließlich die Leidtragende und hast für dich die Verantwortung, für dein Wohlbefinden zu sorgen. Deine Mutter kümmert sich sehr wahrscheinlich nicht darum, nicht mal um ihr eigenes. Das ist traurig, aber nicht zu ändern. Du bist als Tochter nicht dazu verpflichtet, dich um sie zu kümmern. Befreie dich von dem Schuldgedanken, es wird Zeit, dass du dich auf dich konzentrierst.

Wenn du merkst, dass es dir mit ihr nicht gut geht, du dich ohnmächtig fühlst und nicht weißt, wie du die Beziehung zu deiner Mutter verbessern kannst, ist ein Kontaktabbruch vermutlich besser.

Ein schlechtes Gewissen wird dich sehr wahrscheinlich eine Weile plagen. Aber mit der Zeit wird es dir wahrscheinlich so besser gehen und du kannst dich erholen und auch lernen, so die Vergangenheit besser zu verarbeiten.

Ich habe dir mal einige hilfreiche Beiträge verlinkt. Du kannst gern mal reinlesen:
https://praxistipps.focus.de/kontakt-zu-eltern-abbrechen-das-sollten-sie-beachten_120286
https://mein-kummerkasten.de/99626/Mutter-ist-Alkoholikerin.html
https://mein-kummerkasten.de/159457/Meine-Mutter-ist-Alkoholikerin.html
https://editionf.com/hilfe-ich-habe-heute-mit-meiner-mutter-schluss-gemacht/
https://editionf.com/ja-darf-man-das-man-darf-nicht-man-muss/

Am Ende kann ich dir nur Möglichkeiten aufzeigen, mit dem Problem umzugehen. Doch du entscheidest, was du tun wirst. Ich lege dir sehr ans Herz, noch mal in dich zu gehen und hineinzuhorchen, was für dich das Beste ist. Es geht jetzt nur um dich und dass es dir gut geht.
Ich wünsche dir ganz viel Kraft und Mut für deinen weiteren Lebensweg.

Viele Grüße,
Lan