Problem von Jannes - 20 Jahre

Sollte ich dem Betriebsarzt von meiner psychischen Krankheit erzählen?

Hallo,

ich habe folgendes Problem: Ich leide seit ich etwa zehn Jahre alt war an Zwangsstörungen. Haben sich in allerhand verschiedenen Formen geäußert, aber allesamt haben sie doch ziemlich doll mein Leben geprägt, größtenteils negativ. Und in letzter Zeit, wenn auch eher nervig als zermürbend, ist es besonders schlimm gewesen. Also wollte ich was ändern.

Also habe ich bei zwei Psychiatern in der Stadt, in die ich für meine Ausbildung bald hinziehe, angerufen. Die eine, wirklich ohne Spaß in derselben Straße vielleicht fünf Minuten entfernt, nehme keine neuen Patienten. Die andere Psychiaterin nimmt ebenfalls keine neuen Patienten mehr auf, war aber freundlicher und erfasste meine Daten, falls was frei wird. Weil ich sicher nicht der einzige auf so einer Warteliste bin, war das aber vermutlich eher eine nette Geste als alles Andere.

Ich verstehe, dass wegen den Krankenkassen, wegen dem Überlauf an Patienten usw. das alles sehr gute Gründe haben kann, aber das hat mich trotzdem sehr frustriert und sauer gemacht.

Das Ding ist, dass ich denen teilweise auch einfach nicht glaube. Denn es ist schon oft passiert, dass ich oder meine Mutter einen Termin x Monate später bekamen und es wäre so voll, dann ruft mein Vater an und am selben Nachmittag geht es.

Geht hier nur nicht.

Der Grund, warum ich erst jetzt versuche, dass behandeln zu lassen, ist, dass meine Eltern zwar aus dem medizinischen Bereich kommen (Arzt und Krankenpflegerin sowie Sozialpädagogin), aber mental health so überhaupt gar nicht ernst nehmen. Beispielsweise drohte mir meine Mutter als ich mit zehn eine ziemlich starke Hygiene- bzw. Waschzwang mit Einweisung und meine Schwester hatte Ende 2017 eine ziemlich dolle Magersucht (also so richtig mit Haarausfall, Untergewicht, schlechter Laune und so; verstehen uns mittlerweile aber wunderbar, auch wegen geteilten Erfahrungen mit unseren Eltern hinsichtlich mental health), was nicht behandelt wurde. Das wurde als Phase abgetan und was weiß ich nicht was.

Okay, nun zu meiner eigentlichen Frage: Vor Ausbildungsbeginn muss ich eine betriebsärztliche Untersuchung machen. Nun ist der eigentlich nicht dafür zuständig und würde mir sicher nichts verschreiben können, im besten Fall eine Überweisung geben. Aber ich arbeite bald auch im medizinischen Bereich und das Krankenhaus hat auch eine relativ große Psychiatrie mit einigen Psychiatern. Nun frage ich aber, ob ich ihm das erzählen kann und sollte, schließlich wäre es eine absolute Katastrophe, würde er dann deswegen mir die Arbeitserlaubnis verweigern?

Danke für die Antwort!

Jannes

Lan Anwort von Lan

Lieber Jannes,

vielen Dank für dein Vertrauen und deine Zuschrift. Tut mir leid, dass es etwas länger mit der Antwort gedauert hat, ich hoffe, sie hilft dir dennoch weiter.

Ich finde es sehr wichtig und stark von dir, dass du dir professionelle Hilfe suchst. Auch wenn deine Eltern dich dabei nicht unterstützt haben und deine Erkrankung auch nicht ernst genommen haben. Das ist gut, dass du dich nicht unterkriegen lässt und es weiter versuchst.

Einen Platz beim Therapeuten zu bekommen, ist wirklich nicht leicht.
Ich empfehle dir mal folgenden Beitrag, in dem du informative Links findest, die dir bei der Suche weiterhelfen können, schau gern rein:
https://mein-kummerkasten.de/333894/Keiner-hilft.html

Hast du dich jemandem eigentlich mal anvertraut? Anderen Familienmitgliedern oder Freunden? Das Reden darüber kann durchaus unterstützend wirken und deine Sorgen lindern.


Betriebsarzt Wahrheit erzählen: Ja oder nein?

Nun zu deiner eigentlichen Frage: Du entscheidest, was und wie viel du von dir preisgibst. Allerdings gibt es da auch einige Fallstricke zu bedenken.

Der Arzt ist dem Arbeitgeber auch nicht eine Auskunft schuldig. Genau wie andere Ärzte unterliegt er der Schweigepflicht und darf sowieso auch ohne deine Erlaubnis keine Informationen weitergeben. Sollte er es dennoch tun, würde er sich strafbar machen.

Die Entscheidung liegt also bei dir. Du solltest dich fragen, inwieweit deine psychische Krankheit dich beeinträchtigt und vor allem auch deine Arbeitsleistung. Denkst du, dass du zurechtkommen wirst?

Wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse hat, von dieser Erkrankung zu erfahren, gilt tatsächlich auch eine Offenbarungspflicht für dich als Azubi. Wenn du in einem sensiblem Bereich arbeitest und du durch deine Krankheit im Notfall, dich und andere gefährdest, darfst du sie nicht verschweigen. Das müsstest du also selbst abwägen, inwiefern das nun Einfluss auf dein Arbeitsleben hätte. Oder du lässt dich von deinem Hausarzt beraten.

Solltest du dagegen verstoßen, bedeutet das nicht unbedingt, dass dir gekündigt wird oder du keine Arbeitserlaubnis bekommst. Es kommt dann eben auch darauf an, wann du Tatsachen verschwiegen hast.

Du solltest also im Vorfeld genau überlegen, was du sagst und wie viel, wäge Pro und Contra ab.

Eine andere Möglichkeit:
Du sprichst offen mit dem Betriebsarzt. Wie geschrieben unterliegt er ohnehin der Schweigepflicht, alles, was ihr besprecht, bleibt vertraulich. Lass dich von ihm beraten und über mögliche Folgen deiner Angaben. Der Arbeitgeber wird davon nichts erfahren.

Der Betriebsarzt gibt zwar keine detaillierte Auskunft über dich und deine Erkrankungen an den Arbeitgeber weiter. Aber er könnte eine Beurteilung abgeben, inwiefern du für die Ausbildung geeignet wärst oder nicht. Aber da denke ich, kann du durchaus mit ihm drüber reden.
In erster Linie wird aber nur der Ist-Zustand erfasst und dies nicht bewertet, es sei denn deine Erkrankung ist sicherheitsgefährdend für dich und für andere Menschen.

Ich habe dir mal weitere Webseiten verlinkt, denen du mehr Informationen entnehmen kannst, welche Rechte und Pflichten du hinsichtlich einer solchen Voruntersuchung beim Betriebsarzt hast:
https://www.kk-bildung.de/betriebsarzt-auskunft-arbeitgeber/#:~:text=Ärztliche%20Schweigepflicht,bricht%2C%20macht%20er%20sich%20strafbar.
https://www.bz-berlin.de/archiv-artikel/was-darf-ich-dem-betriebsarzt-verschweigen
https://www.dahag.de/c/ebs/arbeitsrecht/arbeitgeber-schickt-mich-zum-betriebsarzt-wie-kann-ich-mich-wehren-2143#:~:text=Das%20Verschweigen%20einer%20schweren%20Krankheit,über%20wesentliche%20Eigenschaften%20geirrt%20hat.
https://verdi-bub.de/wissen/praxistipps/einstellungsuntersuchung-wie-laeuft-diese-untersuchung-ab
https://www.sueddeutsche.de/karriere/arbeit-was-muss-der-chef-bei-psychischen-erkrankungen-wissen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-190621-99-743562

Sollten dich die Zwangsstörungen sehr massiv beeinflussen, sodass du vielleicht nicht wirklich arbeiten kannst, würde ich dir ans Herz legen: Versuche so schnell wie möglich, einen Platz beim Therapeuten zu finden. Solange die Erkrankung noch so krass auf dein Leben Einfluss hat, macht es eventuell nicht so viel Sinn, dann zu arbeiten. Das wäre meine Einschätzung. Wenn du dann in der Lage bist, damit gut umzugehen, dass es dich nicht mehr so massiv beeinflusst, sieht es wiederum mit Arbeiten anders aus.

Gerade wenn du im medizinischen Bereich arbeiten willst, solltest du auch eine gewisse psychische und physische Konstitution mitbringen, um mit den Belastungen zurechtzukommen. Wenn du aber mit dir selbst überfordert bist, halte ich es für keine so gute Idee, dich jetzt auch noch um andere zu kümmern.

Unabhängig davon, ob du dich entschließt, das zu offenbaren oder nicht: Lege den Fokus unbedingt auf dich und bleib an der Suche nach einem Therapieplatz dran.

Ich hoffe, ich konnte dir einige Anregungen geben. Ich wünsche dir ganz viel Kraft, Durchhaltevermögen und alles Gute!

Viele Grüße,
Lan