Problem von Jasmin - 14 Jahre

Freundin mit Selbstmordgedanken...

Hallo liebes Kuka-Team,
ich habe ein mehr oder weniger großes Problem mit meiner besten Freundin. Ich kenne sie seit ungefähr 4 Jahren und trotzdem komme ich nicht an sie heran. Es macht mir ein wenig Angst, dass sie manchmal davon redet sich umzubringen. Zuerst war es nur Spaß und klar sagt man zum Scherz ab und zu sowas wie: "Diese Mathearbeit überstehe ich nicht...", aber bei meiner Freundin wird es immer extremer. Hier nur ein Beispiel von vielen: Als wir vor 2 Wochen unsere Spanischarbeit zurückbekamen hatte besagte Freundin (nennen wir sie mal A.) eine 2+. Eigentlich eine supergute Note, aber leider 1 Punkt an der 1- vorbei. Ich hatte glücklicherweise einen Punkt mehr als sie und damit noch knapp die 1-. Doch A. machte einen riesigen Aufstand, dass die Lehrerin ihr die 1 nicht gönnen würde und fing an zu weinen. Als ich sie trösten will fährt sie mich an, dass ich das nicht verstehe, weil ich ja immer die 1sen schreibe und nicht weiß, wie scheiße das ist. Dann fängt sie an zu reden, dass sie demnächst einen Amoklauf macht und zuerst Herr N. und Frau M. (zwei unserer Lehrer) umbringt und dann den Rest. Oder sie würde einfach von der Brücke springen und einen Strick hätte sie ja auch noch zu Hause. Ich war zunächst ziemlich geschockt und auch eine gute Freundin, die unser Gespräch mitbekommen hatte erzählte mir nachher, dass es sie ziemlich geschockt hat. Ich war sowas schon gewohnt, weil A. schon öfter solche etwas ernsteren "Scherze" gemacht hat. Ich finde manchmal merkt man schon, dass sie etwas ernster meint, als sie nach außen zeigt. Als ich ihr sagte, dass sie nicht solchen Quatsch reden soll, sah sie mich ernst an und sagte mit einem kleinen Lächeln auf dem Gesicht:"Wenn ich noch so ne Arbeit bekomme, mach ich das echt..." Am Tag danach war sie wieder genau so, wie sonst auch. Auch sonst weiß ich nicht mehr, was ich machen soll, denn schon seit ich sie kenne blockt sie Hilfe (egal von wem sie kommt) total ab. Sie hasst unsere Kunstlehrerin und unseren Mathelehrer nur weil sie ihr sagen, wie sie was zu machen hat.
Manchmal kommt sie mir ein bisschen vor wie eine multiple Persönlichkeit. Wenn sie mit uns in der Pause sitzt ist sie total ausgelassen und macht "Scherze". Wenn sie vor einem Lehrer steht gibt sie immer klein bei und wehrt sich nicht, wenn jemand was gegen sie sagt. Wenn ich ihr versuche das klar zu machen giftet sie mich total an und geht beleidigt weg. An der Bushaltestelle lacht sie oft total laut und schreit total sinnloses Zeug durch die Gegend, bis alle zu uns rübergucken, was die Situation für mich meist ziemlich peinlich werden lässt. Manchmal denkt sie, dass andere Mädchen aus der Klasse über sie lästern und wenn ich ihr sage, dass das nicht stimmt dann sagt sie sowas wie: "Ist doch wahr, die haben alles Recht dazu. Ich bin ja auch fett und hässlich." Okay, A. ist nicht superschlank aber sooo dick ist sie auch wieder nicht. Wir kennen und lieben sie so und eigentlich hat sie ein schönes Gesicht mit ganz reiner Haut und strahlenden, blauen Augen. Klar hat sie so ihre Marotten (wer hat die nicht?), aber wir haben sie so akzeptiert und eigentlich wäre alles gut so, aber trotzdem denke ich, dass so ein Verhalten nicht normal ist. Ich weiß nicht ob dahinter ein ernsthaftes, psychisches Problem steckt, oder ob das ganze nur eine Phase ist. Ich möchte keine Entscheidung darüber treffen, denn wenn wir wirklich mit einem Schulsozialarbeiter darüber reden würden würde mich meine beste Freundin für eine lange Zeit mit dem Hintern nicht mehr angucken, aber wenn wir nichts tun und sie sich wirklich etwas antut könnte ich mir das nie verzeihen. Eigentlich würde ich ihr das ganze nicht zutrauen, aber mein Cousin beging vor vielen Jahren auch Suizid und er wäre der letzte gewesen, dem ich das zugetraut hätte. Vielleicht sollte ich hier noch ein paar weitere Informationen über meine Freundin aufführen. Also: Wir sind in der Klasse nicht sonderlich beliebt. A. ist strikt gegen Schminke, Nagellack, Absatzschuhe und Konsorten. Wenn ich mal Nagellack draufhabe oder etwas stärker geschminkt bin, guckt sie mich schräg (und meist auch ein bisschen abfällig) an, sagt aber nichts. Sie hatte schon mehrere etwas abgefahrene Phasen, zum Beispiel die Perverso-Phase. Sie fing schon bei dem Wort "spritzen" an sich totzulachen und verstand alles in einem perversen Sinn. Bis zur 8. Klasse lief sie noch mit Pony-Mäppchen und pinken Anziehsachen rum. Alles an ihr ist so widersprüchlich. In letzter Zeit fühle ich mich wie ihr Vollzeit-Babysitter. Mal ist sie so, mal so. Immer muss man sie mit Samthandschuhen anfassen, weil man nie weiß, wie sie reagiert. Langsam kann auch ich nicht mehr. Schließlich habe ich auch andere Probleme und kann nicht immer auf sie aufpassen. Aber wenn sie wirklich so ein großes Problem hat, möchte ich sie nicht noch mehr belasten. Ich vermute der Grund für ihr seltsames Verhalten liegt im familiären Umfeld. Ihre Eltern verdienen schon ganz gut. Der Vater macht irgendwas Mathematisches mit Statistiken und Kalkulationstabellen uns so weiter (der Mann hat nebenbei auch einen Doktortitel) und die Mutter ist erfolgreiche Mediengestalterin und designt Verpackungen von Lebensmitteln. Trotzdem fahren sie nie in Urlaub und wenn nur ein Wochenende und tragen oft Schuhe oder Kleidung von Aldi (was mir zwar nichts ausmacht, schließlich ist es ihr Ding, aber trotzdem ist es irgendwie komisch). Sie wohnen zusammen mit der kleinen Schwester von A. in einem schönen, großen Fachwerkhaus in einer Kleinstadt. A. hat mir einmal erzählt, dass ihre Schwester von den Eltern ziemlich bevorzugt wird (egal worum es geht), wobei ich hier nicht weiß, ob das tatsächlich stimmt, oder ob es einfach nur übertrieben ist (A. neigt des Öfteren dazu). Ich glaube seit ihre Oma vor zwei Jahren gestorben ist, ist sie (unter anderem wegen den vielbeschäftigten Eltern) ziemlich allein. Als ihre Großmutter starb, merkte man ihr nichts an. Sie hat überhaupt nichts gezeigt, obwohl ich weiß, dass ihre Oma eine wichtige Person in ihrem Leben war. Ich nehme an, dass sie eher die Art Mensch ist, die Trauer, Sorgen und Wut in sich aufstaut und genau davor habe ich Angst: Dass die Bombe irgendwann platzt.
Ich hoffe, der Text ist nicht zu lang.
LG Jasmin

Carolin Anwort von Carolin

Liebe Jasmin,


vielen Dank für Deine Mail. Ich finde es gut, dass Du dich so sehr um Deine Freundin sorgst. In der Tat kommen wirklich viele Punkte zusammen, die dafür sprechen, dass A. dringend Hilfe braucht. Auch wenn sie laut Deinen Aussagen des Öfteren zu Übertreibungen neigt, was sie zu den Themen Suizid und Amok gesagt hat, sollte ernst genommen werden. Selbst wenn sie es in einen derben Scherz verpacken wollte, man kann nie genau wissen, ob nicht doch irgendwo eine gewisse ernsthafte Absicht dahinter steht. Wenn man sehr wütend und sehr traurig ist, kann man im Affekt zwar Dinge sagen, die man nicht so meint, wie sie gesagt wurden, dennoch wäre der Schaden sehr viel größer, wenn man ihre Aussagen nicht ernst nimmt und sie ihren Worten letztendlich doch Taten folgen lässt. Meiner Meinung nach wäre es daher wichtig mit jemandem darüber zu sprechen, damit A. nicht möglicherweise sich selbst oder anderen Schaden zufügt.

Mit dem Gedanken einen Schulsozialarbeiter diesbezüglich anzusprechen, verfolgst Du in meinen Augen bereits einen guten Weg. Alternativ könntest Du auch um ein Gespräch mit einem Vertrauenslehrer oder einer Vertrauenslehrerin bitten.
Bevor Du jedoch einen eigenen Kurs einschlägst und Dich im Alleingang um ein Beratungsgespräch bemühst, wäre es wichtig zunächst noch einmal mit A. persönlich über ihr Verhalten zu sprechen und sie dazu aufzufordern Hilfe anzunehmen, unabhängig davon ob sie ihre Aussagen wirklich ernst meint, oder nicht. Selbst wenn sie mit dem Gesagten nur Aufmerksamkeit einfordern will, zeigt dies deutlich, dass sie Hilfe braucht. Sprich auch über Deine Gefühle bezüglich der aktuellen Situation und sag ihr ganz direkt, dass es Dich sehr viel Kraft kostet mit ihren unterschiedlichen Stimmungen umzugehen und dass Dir ihre Bemerkungen zu Suizid und Amok Angst machen. Betone außerdem, dass weder mit Suizid noch mit Amok zu spaßen ist und dass sie bedenken soll, dass Aussagen wie diese möglicherweise ernstere Konsequenzen nach sich ziehen können. Biete ihr an, dass ihr gemeinsam zu einem Gespräch mit eurem Schulsozialarbeiter oder einem Vertrauenslehrer geht, damit ihr geholfen werden kann, falls sie Probleme mit der Schule, ihrem Selbstwertgefühl oder ihrer Familie hat. Eventuell würde Dich ja auch die andere Freundin, die A.s Äußerungen nach der Rückgabe der Spanischarbeit ebenfalls mitbekommen hat, unterstützen.

Sollte sie dennoch auch nach mehreren Anläufen nicht bereit sein Hilfe anzunehmen, wäre es in ihrem eigenen Interesse und dem der anderen Schüler besser, Du würdest allein das Gespräch mit professionellen Mitarbeitern oder speziell ausgebildeten Lehrern an eurer Schule suchen. Neben den Aussagen von A., die Dich so beunruhigen, solltest Du auch deine eigene Überforderung mit ihren Verhaltenszügen im Gespräch direkt benennen. Auf diese Weise kann im Idealfall nicht nur A., sondern auch Dir geholfen werden.

Natürlich ist es absehbar, dass auch A. nach so einem Gespräch früher oder später erfahren wird, dass Du mit jemandem über sie und ihre Probleme gesprochen hast. Ich kann gut verstehen, dass Du sehr verletzt wärst, wenn sich ihre Einstellung zu Dir ab diesem Moment ändert, doch beachte, was möglicherweise hätte passieren können, wenn Du geschwiegen hättest. Dass A. einfach sauer ist, wäre im Vergleich zu einem tatsächlich ausgeführten Suizid oder einem Amoklauf das bei weitem geringste Übel.


Ich wünsche Dir alles Gute!


Carolin