Problem von Anja - 20 Jahre

Angst for Selbstaendigkeit

Hallo liebes Kummerkastenteam,
ich habe mit 18 Jahren Deutschland verlassen und lebe mittlerweile in einem Land am anderen Ende der Welt.
Ich war immer ein Gruppenmensch, habe es geliebt Menschen um mich herum zu haben, bin gerne ausgegangen, war selbstbewusst und habe nicht gross darueber nachgedacht was Andere ueber mich denken.

In den letzten 2 Jahren habe ich mich sehr stark veraendert. Ich bin unsicher geworden. Ich studiere und habe bis vor ein paar Monaten noch hart gearbeitet. Ich habe ungluecklicherweise meine Arbeit verloren und bekomme es einfach nicht gebacken an einem neuen Arbeitsplatz anzufangen, aus dem einfachen Grund weil ich zu viel Angst davor habe. Ich habe hier einen einzigen (maennlichen) Freund mit dem ich ALLES zusammen mache. Wir leben zusammen, schlafen im selben Bett, wir essen jede Mittagspause zusammen, verbringen die Abende zusammen und doch ist es eine rein platonische Freundschaft. Sexuelles Interesse ist von beiden Seiten nicht vorhanden.
Neulich hat er vorgeschlagen in ein Restaurant zu gehen (was wir seit Monaten nicht mehr gemacht haben, da ich mich sehr unwohl gefuehlt habe) und da ist dann alles eskaliert.
Ich habe mich unwohl und gehasst gefuehlt, mir eingeredet dass jeder ueber mich redet. Ich konnte weder essen, noch trinken. Ich war so sehr gestresst das nur eine einzige Frage (Ob es mir gut ginge?) von meinem "Freund" mich total aus der Fassung gebracht hat. Ich habe die Bedienung fast angeschrien, dass sie uns die Rechnung bringen soll.

Jetzt bin ich sehr nachdenklich geworden und wende mich in meiner Hilflosigkeit an euch. Wie kann es sein, dass eine so froehliche und selbstbewusste Frau sich in so etwas verwandelt?
Ich bitte sogar meinen "Freund" einen Termin fuer mich beim Frisoer zu machen...

Sandy Anwort von Sandy

Hallo liebe Anja

Mit 18 Jahren in ein fremdes Land zu ziehen ist bestimmt nicht einfach... Jedoch ist es bewundernswert, dass du dazumal den Mut dazu aufgebracht und den Schritt gewagt hast. Es wäre interessant gewesen, wenn du erzählt hättest in welchem Land und Kultur du dich nun befindest oder was deine Beweggründe für deine Auswanderung waren. Ich lese, dass du dort studierst, daher gehe ich nun davon aus, dass es etwas damit zu tun hatte.

Ich lese, dass du dich immer mehr zurückziehst und dein einziger Vertrauter dein "Freund" ist. Grundsätzlich verständlich, wenn du dich unwohl und abgelehnt fühlst - jedoch ist das nicht die Lösung. Weshalb hast du das Gefühl, dass andere über dich reden oder dich ablehnen? Musstest du solche Erfahrungen bereits machen oder ist es eine Annahme? Oftmals liegt der Grund für den sozialen Rückzug auch tiefer - mit dem Umzug in ein fremdes Land verlässt man Familie und Freunde. Auch ist die Sprache anders, die Leute sehen nicht vertraut aus und die Sitten sind vielleicht anders - es ist nicht die Heimat! Das Umfeld verändert sich schlagartig und es braucht eine Weile bis das Ungewohnte wieder vertraut werden kann. Nun lebst du jedoch schon seit zwei Jahren dort und es scheint, dass es eher in in eine entgegengesetzte Richtung verläuft - anstatt das du dich langsam heimisch fühlst, lehnst du den Kontakt zu jener Aussenwelt immer mehr ab.

Wann warst du auch das letzte Mal zu Hause? Kann es sein, dass sich bei dir ein grosses Heimweh entwickelt hat, so dass du deine neue Heimat gar nicht mehr annehmen kannst? Auch sollte die Frage in Betracht gezogen werden, ob es vielleicht einfach zu früh war mit 18 Jahren auszuziehen und dann noch so weit weg von zu Hause. Du schreibst ja auch in deinem Titel, dass dir die Selbstständigkeit angst macht. Vielleicht reicht dein "Freund" nicht alleine als "Rückenstärkung", um die Selbstständigkeit durchzuziehen...

Ich sehe im Moment drei Optionen: Du besuchst bei Heimweh deine Heimat in Deutschland oder ziehst (falls es gar nicht mehr anders geht) die Rückkehr in Betracht, oder du könntest dir eine Gastfamilie suchen, welche dich familiär in deiner Selbstständigkeit begleiten könnte. So würdest du deinen Bekanntenkreis ausweiten und bekämst die wohltuende elterliche Fürsorge wieder zu spüren.

Des weiteren möchte ich dir raten, wieder vermehrt die Schönheiten deiner Wahlheimat versuchen wahrzunehmen. Diese könntest du auch mit deinem Freund neu ergründen, indem ihr eine Tour durch das Land macht oder du Freunde von ihm kennen lernst und somit mit den Einheimischen mehr in Kontakt trittst.

Wichtig ist dich nicht einfach zu Hause zu verkriechen, sondern Handlungsfähigkeit zu bleiben! Du hast es in der Hand dich in deinem Umfeld zu integrieren - und Offenheit wird von vielen positiv aufgenommen und zurückgespiegelt. Trau dich einfach in Kontakt zu treten und ignoriere solche, welche Angst vor unbekannten Menschen haben - denn diese sind es bestimmt nicht wert sich schliesslich einen Kopf darum zu machen, ob einen alle ablehnen, da dies auch nicht der Fall sein wird!

Ich hoffe, ich konnte deinen Sorgen gerecht werden und bin mit meinen Vermutungen nicht zu weit daneben gelegen. Auf jeden Fall wünsche ich dir alles Gute!

Gruss Sandy