Problem von Anonym - 22 Jahre

Tötungsphantasien

Hey liebe Leute,

das soll kein dummer Witz sein und das klingt jetzt etwas seltsam, aber ich denke ihr habt schon ganz andere Sachen gelesen, also:
Ich habe schon seid meiner frühen Jugend Horrorbücher, Filme etc. geliebt und besonders der Werwolf hat mich immer sehr faziniert. Ich kann mich aus irgendeinen Grund gut mit diesem Wesen identifizieren. Oder besser gesagt, ich hege Bewunderung für seine Fähigkeiten (stark, unkontrollierbar, unberechenbar). Und manchmal habe ich so Bilder im Kopf:
Meistens stelle ich mir vor, wie ich Opfer eines Gewaltakts zu werden drohe (Entführung, Vergewaltigung etc.) oder jemand, der mir sehr wichtig ist, ist in Gefahr. Dann stelle ich mir vor, wie ich zu wachsen beginne, wie ich immer größer und größer werde (ich bin eigentlich ein sehr kleiner Mensch). Wie ich Klauen und Reißzähne kriege und wie mein Peiniger Angst bekommt. So richtige Panik, weil er das kleine schwache Mädchen vor sich nicht mit der großen tödlichen Bestie in Einklang bringen kann. Und ich kann diese Panik spühren und es ist ein unglaublich berauschendes Gefühl. Selbst, wenn das alles nur in meinem Kopf passiert, fängt mein Herz vor Freude? richtig an zu hämmern. Es ist so ein berauschendes Gefühl, die bloße Vorstellung, so stark zu sein, dass jemanden einen fürchtet. Manchmal töte ich den anderen in meinen Phantasien...
Was ich daran so erschreckend finde, es bereitet mir ein richtiges Hochgefühl dem Peiniger weh zu tun, ihn fürchten zu lassen und naja manchmal ihn zu töten. Oft hat diese Person kein genaues Gesicht für mich, also irgendwer. Aber ab und zu ist es auch jemand, der mich mal schlimm geärgert hat. Dannach schäme ich mich immer so kranke Gedanken zu haben. Natürlich weiß ich, dass es nur im äußersten Fall erlaubt ist einen Menschen zu töten. Ich finde nur so erschreckend an mir, dass der Gedanke manchmal so richtig betörend berauschend ist. Die Vorstellung, dass andere mich fürchten, gefällt mir irgendwie. Ich weiß es nicht, ob es damit zusammenhängt, dass ich lange schwere Selbstzweifel gehegt habe und teilweise immer noch habe. Und oft fühle ich mich von meiner Umwelt nicht ernstgenommen. Verzückt mich darum die Vorstellung der Verwandlung von einem kleinem schwachen Mädchen in ein starkes gefährliches Tier so sehr? Und warum ausgerechnet in ein Monster? Warum finde ich die Vorstellung, von anderen gefürchtet zu werden, beflügelnder als zum Beispiel mit Ehrfurcht beachtet zu werden? Also warum lieber dunkel und böse wie der Werwolf, statt hell und stark wie z.B. ein Engel oder so?

Und dann immer dieses Machtgefühl dabei...Ich weiß, dass jeder so einen gewissen Drang in sich hat, aber ist meiner noch normal? Ab wann sind solche Phantasien gefährlich? Ich habe halt angst, wenn ich mal wirklich in eine solche Situation gerate, dass mein Hirn komplett ausschaltet und ich sozusagen im Berserkermodus lande. Ich war schon immer eher ein "Herzmensch" und reagiere oft auf Stresssituationen impulsive. Was ist, wenn ich irgendwann mal diese Grenze überschreite und ich aus Notwehr einem Menschen ernsthaft verletze? (wenn ich es schaffen sollte, versteht sich) Ich habe angst, dass bei mir dann sozusagen ein Wall durchbrochen ist. Schließlich habe ich ja schon so komische Phantasien. Ich habe schreckliche Angst, dass ich wirklich zu so eine Art Monster werde, wenn ich solch eine Grenze überschreite, dass ich Gefallen an Gewalt und Macht finde. Ist meine Angst berechtigt? Oder spinne ich einfach bloß rum?

LG

PaulG Anwort von PaulG

Grüße dich liebe Anonyme!

Du darfst sicher sein, dass ich dich ernst nehme und es keineswegs als Witz abtue. Im Folgenden schreibe ich einfach mal meine Überlegungen auf, warum du eben nicht gefährlich oder krank bist.

Zu Anfang mal eine Frage, zu der wir unsere Fantasie spielen lassen können: Wie ist es zu dem Mythos des Werwolfs gekommen?

Den Werwolf verstehe ich als einen Menschen, der sich zu bestimmten Gelegenheiten - meist bei Vollmond - in eine reißende, wolfsartige Bestie verwandelt. Er ist dann nicht nur in der Lage, jedes beliebige Opfer anzugehen und, wenn er will, zu töten, sondern oft auch zu "infizieren" - also, mit seinem Biss selbst in einen Werwolf zu verwandeln.

Nach allem, was ich gehört habe, hat es in Europa nicht nur Prozesse gegen Hexen gegeben, sondern auch gegen Werwölfe. Es existieren mehrere Vermutungen, wer da verurteilt wurde. Zunächst mal sind da Menschen, die unter einer seltenen Mutation leiden, welche zu starker, dunkler Behaarung am ganzen Körper (auch im Gesicht), zu Lichtempfindlichkeit, und zu roten Verfärbungen auf Zähnen und Nägeln führt, die als Blut angesehen wurden. Es ist auch wahrscheinlich, dass immer wieder mal "Wolfskinder" aufgegriffen wurden; solche, die wie Mowgli aus dem Dschungelbuch, bei Wölfen entdeckt wurden. Ob die Fähe ihnen wirklich die Brust gereicht hat, oder ob es ein Zufall war, das wird immer ein Geheimnis bleiben. Tatsächlich sind ja Fälle belegt, in denen Menschen gefunden wurden, die sich wie Wölfe verhielten. Nun, manche Geheimnisse sind zu spannend und anregend, um nicht Geheimnisse bleiben zu dürfen - finde ich. Im Übrigen, fühl dich bitte nicht belehrt: Ich gehe davon aus, dass dir der Inhalt dieses Absatzes bereits geläufig ist, da dich der Werwolf fasziniert. Er ist als eine Art Vorlauf zu den nächsten Gedanken gedacht.

Damals war eine Zeit, als Hexen, Vampire und Werwölfe als erschreckend lebendig galten. Man muss sich klar machen: So mulmig es uns im Dunkeln manchmal wird - im Grunde wissen wir, dass uns nichts da draußen gefährlich werden kann. Außer, wir suchen die Gefahr durch Raubtiere dort, wo sie noch uneingeschränkt herrschen. Bei Haien im Meer, oder im tiefsten Dschungel. Es sind Tiere, sie folgen ihrer von der Natur bestimmten Lebensweise, und sind kein bisschen böse. Hoffentlich wird es immer solche Räume geben. Aber das können wir erst heute, im Zeitalter der Vernunft, wirklich erkennen und aussprechen. Das Zeitalter des Aberglaubens, das in vielen Teilen der Welt alles Andere als vorbei ist, hatte da andere Ansichten: Sie glaubten wirklich und wahrhaftig an diese Wesen, sie waren überzeugt, dass Raubtiere Jagd auf sie machten. Und sie waren absolut und tausendprozentig sicher, dass Werwölfe und Hexen, Vampire und Trolle existierten, und in Wald, Moor und bis ins eigene Haus ihr Unwesen trieben. Sie sprachen längst vergessene Zauber über ihre Häuser, für die die Kirche sie ins Feuer geschickt hätte, so wie die "Hexen". Sie gruben magische Gegenstände unter ihre Türschwellen, und vollführten allerhand Rituale. Wer sich heute auf ihren Spuren bewegt, der spürt im Ansatz das, was für sie ein mächtiges, alles bestimmendes Gefühl war: Der Leibhaftige ist da draußen, und er will uns! In Gestalt aller möglichen Wesen glaubten sie ihn am Werk, und sie glaubten sie zu sehen. Es war für sie nicht Märchen, Tourismus-Gag oder Fantasy-Roman: Es war für sie, mit einem Wort, Realität!

Wenn nun ein harter Winter herein brach, oder eine Seuche um sich griff: Glaubst du nicht, manch einer hat da die Gelegenheit wahrgenommen, sich für die dummen Sprüche und Schläge der anderen Kinder, des Dorfrowdys oder eines zänkischen Nachbarn zu rächen? Dann, wenn die "Starken" vor Angst zitternd ins Haus krochen, dann ging man betont langsam vorbei, oder klopfte am Abend. Eiskristalle im Haar, einen derben Stock in der Hand. Und mit von Unheil schwangerer Stimme flüsterte man: "Vorne am Waldrand, du, da geht was Unheimliches vor. Hast du es nicht gehört, gestern Nacht? Ich muss einmal nachsehen..." Und sie, die draußen standen, sahen das blanke Entsetzen - und fühlten Befriedigung. Ihnen mag es ähnlich gegangen sein wie dir. Sie hatten oft genug die Spiele und Feiern der Anderen meiden müssen, oder sich vor Schlägen verstecken. Sie kannten Wald und Feld, und die Tiere in der Nähe mit Namen. Hier und da liest man sogar, dass es Menschen geschafft haben, einige Wölfe an sich zu gewöhnen. Sie gingen mit einer Flöte umher, oder blieben nachts draußen. Sie spielten mit dem Feuer - klagte man sie der Hexerei an, gab es keine Rettung für sie. Aber ihre Reden und ihr Verhalten, vielleicht ihr Umgang mit wilden Tieren - der fußte womöglich auf demselben, zumindest einem ähnlichen Gefühl, wie du es hast. Und hier sehe ich eine Wurzel des Glaubens an Werwölfe, zum Beispiel an Werwölfe.

Versteh mich richtig: Ich meine nicht, dass du ein potenzieller Verbrecher wärst! Deine Fantasien sind ja nun ganz und gar positiv. Ja, das meine ich wirklich. Du hast kaum etwas Konkretes über dein Leben geschrieben - aber ich gehe mal davon aus, dass diese Fantasien vor allem Menschen betreffen (wenn jemand Bestimmtes), die dir einmal geschadet haben. Also, dich geärgert oder beleidigt oder beklaut, geschlagen und so fort. Oder jemanden, der dir sehr wichtig ist. Liebe Anonyme, hab keine Angst! Wir alle haben unsere Strategien, und gedankliche Bilder, um mit Ärger, Stress und Wut fertig zu werden. Du könntest dir dich natürlich aus als strahlenden Ritter vorstellen, oder als eine Frau, die größer und kräftiger ist, als du es bist. Aber da dich nun einmal das Sagenwesen Werwolf fasziniert, ist es ein Werwolf geworden. Und das ist in Ordnung. Ob daraus eine Gefahr werden könnte, findest du heraus, indem du abwägst: Helfen dir diese Bilder? Ich habe es so verstanden, dass das sehr wohl der Fall ist. Und dass es sich nicht um einen Engel handelt, ist ja nur zu logisch: Diejenigen, denen man körperlich schlecht beikommen kann, wenn man sie in "real life" trifft, denen will man sich in Gedanken überlegen fühlen. Was liegt da näher, als sich eine Form zu geben, die der Andere fürchten muss, die ihn verletzen kann - vielleicht auch töten -, und die, durch die Verwandlung, völlig überraschend für ihn kommt? Was sollte dir in diesem Moment ein Engel nützen? Du willst deine Wut rauslassen, willst ihm zeigen, was er oder sie für ein Idiot ist - und das ist gut! Tu es, wenn es dir hilft. Die Gelegenheiten, bei denen es niemand Bestimmtes ist, haben vielleicht den Grund, dass man ja meist nicht nur mit einer Person Problem hat. Sie verschmelzen zu einer. Du könntest dir auch vorstellen, wie sie als Gruppe unterwegs sind - nun, so ist es eben nicht gekommen. Das ist kein Problem. Es ist deine Art, Ärger und Zorn zu bewältigen. Und eine produktive, finde ich. Was auch dazu gehört, ist, die Macht zu spüren, die einem sonst fehlt. In die gleiche Richtung geht jedes Siegesgefühl, das es so gibt: Man hat etwas, dem keiner beikommen kann! Das alles sonst wegwischt. Aber du suchst nicht danach, es in Wirklichkeit auszuüben. Es kommt in diesen gewissen Situationen. Sie wollen bearbeitet sein, das tust du, und gerne auf diese Weise.

Wenn du in Wirklichkeit mal in die Situation kommst, wo du denkst, dich nicht mehr beherrschen zu können: Hilft es dir vielleicht, den Gedanken zu verankern "Nur kurz noch - ich gehe raus, oder bald heim, und dann kann ich meine Wut ausleben"? Ich glaube, es wäre sogar was richtig Tolles, wenn du es als Strategie nehmen könntest, um in der Situation selbst eben nicht auszuticken. Dafür ist es am besten, wenn du dich damit nicht mehr gefährlich oder krank fühlst: Denn das bist du nicht. Es ist etwas Gutes. Darüber hinaus, wenn wir ehrlich sind: Es kann durchaus geschehen, dass du mal wirklich in Gefahr bist! Und dann wäre es einfach klasse, wenn du den Werwolf rauslassen könntest! Dadurch könnte wirklich großes Leid erspart werden, nicht zuletzt dir selber - ja, es könnten Leben gerettet werden!

Zum Abschluss möchte ich noch sagen: Ich weiß zwar nicht, ob du in einer Ausbildung bist, oder sogar schon einen Beruf ausübst. Wenn dem so ist - was es auch sei, ich wünsche dir viel Erfolg! Falls es aber noch nicht so ist: Warum nicht den Werwolf, und seine Verwandten in aller Welt, Tiermenschen der Sage, zu einem Lebensthema machen? Es mag recht hochtrabend klingen, ich weiß. Aber es gibt Länder auf der Welt, in denen man dich, ich möchte fast sagen, braucht! Unzählige Geschichten, die auf ihre Erklärung warten. Und die zu Lasten derjenigen Menschen gehen, die heute noch als Hexen verurteilt werden, zum Beispiel als Hexen. Ich beglückwünsche dich zu deiner Leidenschaft, und deinem produktiven Geist - du bist nicht gefährlich oder krank, sondern alles Andere als.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul