Problem von Anonym - 18 Jahre

Mein Freund hält Abstand

Hallo liebes Kummerkastenteam,

Das ist das erste Mal, dass ich mich in dieser Form an einen Kummerkasten jeglicher Art wende :) Hoffe nur, dass ich die Situation ausreichend verständlich beschreiben werde.

Ich bin mit meinem Freund (nennen wir ihn John) nun seit knapp vier Monaten zusammen, wobei ich ihn aber nun schon seit ziemlich genau einem Jahr kenne, also seit Juni 2006. Wir hatten auch schon vorher eine extrem gute Freundschaft, die auch manchmal "prickelte", d.h. man kuschelte sich einmal beispielsweise unter eine Decke und schaute sich gemeinsam einen Film an, ohne dass jetzt explizit was gewesen wäre.
Im Juli 2006 kam ich wieder mit meinem Ex (nennen wir ihn Jack), meiner ersten Beziehung, wieder zusammen, was ich auch nicht vor John geheimhielt. Da John gewisse Hoffnungen gepflegt hatte, die ich eigentlich nicht ganz gelöscht hatte zu Beginn, weil auch ich mir eine Beziehung mit ihm hätte vorstellen können, musste ich ihm natürlich sagen, wie der Stand der Dinge aussah, wollte aber trotzdem Freunde bleiben (geschrieben klingt das wirklich unglaublich klischee). Ein halbes Jahr war ich mit Jack zusammen (der in dieser Zeit natürlich kein Ex war), bis ich im Februar dieses Jahres wirklich erkannte, dass wir doch zu unterschiedlich sind einerseits. Andererseits bereute ich meine Entscheidung zwischen Jack und John doch, die ich gemacht hatte.

Ich versuchte also möglichst ehrlich zu John und Jack zu sein; mit Jack habe ich schluss gemacht mit der Begründung, wir seien doch zu unterschiedlich und die zweite Chance sei quasi von beiden Seiten her vertan. Mit John kam ich etwa eine oder zwei Wochen später zusammen. Und jetzt sind wir im heute.

Einige Gründe wieso ich mich damals gegen John und für Jack entschieden hatte, sind folgende: John war zu jenem Zeitpunkt stark depressiv und das hätte mich belastet, weil ich mich nur schon als seine Kollegin ziemlich hilflos fühlte. Ich dachte mir, dass ich ihm aus der Distanz besser helfen könnte. Tatsächlich ging es ihm einmal auch so schlecht, dass er in Anwesenheit von mir und seinem besten Freund in die Küche ging und sich mit dem Küchenmesser ritzte. Ich dachte mir, Ok, die Situation bei John zuhause ist nicht so toll, er ist frustriert weil er gerne konzentrierter bezüglich Schule wäre, bei diesen Sachen kann ich helfen. Ich kann helfen wenn er traurig ist; ist er aber depressiv, muss ich mich zurückziehen, sowohl um meinet- als auch um seinetwillen, da er dann jegliche vorsichtige Annäherung oder Berührungen wie Umarmungen oder Kopf-an-Schulter als meitleidig empfindet.

Mittlerweile hat sich seine Situation stark gebessert. Auch seine generelle Einstellung zu Problemen ist toleranter geworden in dem Sinne, dass er z.B. nicht mehr wegen einer verpatzten Prüfung (wir gehen beide in unterschiedliche Gymnasien) oder einem verlorenen Schlüssel verzweifelt. Jetzt denkt er sich eine bessere Lernstrategie aus oder ruft mal ruhig das Fundbüro an.

Ich mag an John, dass er viele Situationen genau analysiert und versteht, was in Menschen vorgeht. Dass er nicht den Gockel spielen muss, um selbstbewusst zu sein (so ein Typus war Jack). Dass er deshalb nicht wahllos irgendjemanden anmacht oder irgendwas konsumiert, um sich bestätigt zu fühlen. Dass er nicht gerne Smalltalk führt, sondern alle Sachen, die er sagt, auch wirklich meint und vertreten kann.

In letzter Zeit jedoch klappt es nicht mehr so gut zwischen uns. Wir sind beide vier Wochen vor unserer Matur (Schweizer Abitur) und im Stress. Während ich, der Kontaktmensch, gerne mit ihm kuscheln würde wenn wir uns sehen (etwa zwei Mal in der Woche möglich, also sich sehen) oder ihm vielleicht auch mal ein GutnachtSMS verschicke, scheinen ihn diese kleinen Sachen irgendwie seit kurzem aufzuregen.
Bis vor einem Monat hätte er mir ein SMS zurückgeschrieben, auch mal einfach so angerufen, mich einfach so umarmt. Das brauche ich einfach, solche "Zuneigungsbekenntnisse" schätze ich sehr. In letzter Zeit aber vergisst er sein Handy öfters/hat einen leeren Akku/vergisst zurückzuschreiben; sagt, abends wenn ich ihn mal anrufe, ziemlich schnell dass er müde ist und sich kurz hinlegen will, sodass das Gespräch dementsprechend kurz ausfällt.

Gestern kam er bei mir vorbei, da wir uns so verabredet hatten und war ziemlich wütend; nicht auf mich, auf sich selbst, weil er eine Mathematikprüfung versaut hatte und er doch eigentlich Chemie studieren will, und dann eine schlechte Note so kurz vor der Matur, wieso kann er sich nicht konzentrieren...er hat ziemlich Dampf abgelassen. Weil ich in so einer Situation nicht nur zuhören kann und Gegenwind geben, sondern ihn auch mal umarmen wollte, hab ich das auch getan. Da sagte er einfach "Nicht jetzt, ich will nicht" und ist ein paar Schritte von mir weggegangen.

Ich bin ein Mensch, dem körperliche Nähe gut tut. Ich verarbeite viele Krisen, die mich erschüttern erst dann, wenn ich mich bei jemandem anlehnen und aussprechen kann. Da es John in letzter Zeit stressig hat, empfindet er leicht ein Zuviel an Körperkontakt. Da ich es auch stressig habe und ihm aber auch helfen will, will ich mich aber manchmal vermehrt anlehnen und knuddeln etc. Das ist ihm aber zuviel. Toller Kreislauf.

Was mich auch einmal getroffen hat, war, dass er mir nach einer Kuschelsession gesagt hatte, es sei gut, dass ich mich "im Griff hatte" (keinen Sex iniziiert hatte), obwohl ich es wollte, manchmal sei es einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Mich hat es getroffen, weil ich dort keinerlei Absicht in dieser Richtung gehegt hatte! Körperkontakt ist doch nicht immer gleich "aha, jetzt will sie also"!Das habe ich ihm auch gesagt. Er hat sich für seinen Fauxpas entschuldigt.

Als wir "nur" Freunde waren, hat er mir Sachen gesagt wie, ich sei die aussergewöhnlichste Frau die er kenne, ich sei erotisch, mein gesunder Menschenverstand sei beeindruckend (also ich fühlte mich sehr geschmeichelt). Jetzt kommt das selten bis gar nicht vor. Ich fühle mich, als ob ich in seinen Augen an Respekt verloren hätte, weil ich nun als seine Freundin auch meine schwachen Seiten zeige. Ich weiss nicht wirklich weiter. Haben wir Probleme, weil beide schulisch gestresst sind, weil ich es vielleicht mit meiner Nähe übertreibe? Dazu kommt, dass er mir noch nicht "ich liebe dich" gesagt hat, weil er findet, so etwas sei ziemlich absolut (also, das finde ich auch realistisch, irgendwann könnte bei uns schluss sein und dann findet man es ziemlich lächerlich dass man "ich liebe dich gesagt hat", weil man nicht mehr so empfindet), daher sollte man das wirklich nur der einen Person sagen, mit der man sein Leben verbringen will, und für solche Gedanken sind wir jetzt also wirklich zu jung. Trotzdem vermisse ich das irgendwo schon, auch weil die Zuneigungsbekenntnisse anderer Art (ein spontanes Bussi/ein ernsthaftes Kompliment) seltener werden.

Eine weitere Frage ist, was nach den Sommerferien sein wird, wenn ich mein Studium beginne und er Militärdienst absolviert, wir uns also nur am Wochenende sehen können...

Eigentlich habe ich bis hierhin mein Problem immer noch nicht konkret formulieren können, obwohl ich so viel geschrieben habe. Seht ihr vielleicht den Knackpunkt der ganzen Sache besser als ich? Ich wäre euch wirklich dankbar wenn ich eine Meinung von einer neutralen Person hören könnte. Danke.

Anwort von Sylvia

Grüß dich,

ich kann natürlich nur vermuten, was der Knackpunkt in eurer Beziehung ist, aber mir kommt das sehr bekannt vor: Frauen brauchen meistens Nähe, wollen reden wenn sie Probleme haben, sich verstanden fühlen.

Männer sind meistens so, natürlich nicht alle :), dass sie Probleme lieber mit sich aus machen, ehr ein bisschen zurück gezogen sind und lieber erstmal ein bisschen grübeln. Und es gibt auch Menschen, die möchten z.B. wenn sie sich grade aufregen, nicht umarmt werden. Was ich auch mal gehört habe (ist natürlich verallgemeinert, natürlich ist nicht jeder so) aber wenn man als Frau mit einem Mann kuschelt, möchte die Frau meistens wirklich nur kuscheln, Nähe spüren, Männern signalisiert das jedoch, dass die Frau doch mehr möchte als kuscheln.

Männer und Frauen sind nunmal doch verschieden :)

Ich würde dir raten, rede mit ihm darüber, erklär ihm was dir an der Nähe so wichtig ist, warum du gerne kuschelst und vielleicht kannst du heraus finden, warum er es nicht immer in jeder Situation mag. Es muss ja nicht immer an Dir liegen, ich könnte mir z.B. gut vorstellen, dass er kurz angebunden war vor kurzem, weil er z.B. gestresst war wegen seiner Prüfung, das hätte mit Dir gar nichts zu tun gehabt.

Ich wünsch Dir alles Gute