Problem von Anonym - 20 Jahre

Zweifel

Ich habe letzten Sommer jemanden wiedergetroffen, den ich als Kind kannte - und mich Hals über Kopf in ihn verliebt. Ich habe es ihm nie gesagt, und ein paar Monate später hatte er kurzzeitig etwas mit einer guten Freundin von mir. Ich sah ihn mal mehr, mal weniger, und wenn wir uns eine Zeit lang nicht gesehen hatten, wurde es jeweils besser. Aber sobald ich ihn wieder sah, tat es wieder weh.

Bisher hatte ich noch nie einen Freund. Mit 15 küsste ich am Abschlussfest einen Jungen, aber ich habe ihn nie wiedergesehen. Und mit 16 lernte ich in den Ferien jemanden kennen, wir haben uns auch geküsst, etwas zusammen unternommen - aber wir verstanden uns nicht, sprachen nicht dieselbe Sprache, und ich habe ihn nie wiedergesehen. Dann kam eine Zeit, in der es mir nicht gut ging. Ich kämpfte, um ich selbst zu bleiben, die Zeit zu überstehen, beschäftigte mich rund um die Uhr, um nicht zu zerbrechen - aber meine Umwelt habe ich nicht mehr wahrgenommen. Ich hatte in dieser Zeit keine Freunde, und Männer habe ich gar nicht erst wahrgenommen.

Anfang dieses Jahres habe ich über Facebook jemanden kennen gelernt. Er schrieb toll, und ich traf ihn. Er war.. speziell. Auf sich selbst bezogen, und mit Ticks und so, was mich irritierte. Ich sah ihn nur einmal, und da übernachtete er gleich bei mir. Aber ich bereue es nicht. Er nahm mir viele Ängste.

Es folgte noch eine weitere Internetbekanntschaft, im Februar. Mit ihm schrieb ich erst eine Zeit lang, und dann haben wir uns spontan bei ihm zum Film-schauen getroffen - was damit endete, dass ich bei ihm blieb. Danach sahen wir uns noch zweimal. Solange wir zusammen waren, war es okay, aber sobald ich allein war, wusste ich, dass er es nicht ist. Und er wusste es auch. Und so haben wir uns nach unserem dritten Treffen \"verabschiedet\".

Im März hatte ich dann noch etwas mit dem besten Freund eben dieser guten Freundin. Ein Date, das damit endete, dass er bei mir übernachtete (weil er den Bus verpasste), und danach habe ich ihn nie wiedergesehen.

Und mit allein dreien schloss ich innert drei Tagen ab. Immer dieselben drei Tage...

Und dazwischen sah ich den Jungen vom letzten Sommer immer mal wieder, und jedes mal war alles wieder da.

Ende April lernte ich wieder jemanden übers Internet kennen. Das erste Treffen war schön - wir gingen am See spazieren - aber eine Woche später traf ich den andern Jungen wieder. Und wieder war alles da. Und ich war so verwirrt... Ich machte einen letzten Versuch, wollte etwas mit ihm unternehmen, wir verabredeten uns - und er versetzte mich. Ich glaube, da schloss ich mit ihm ab. Trotzdem brauchte ich Zeit, um mich auf das neue einzulassen.

Seit Ende Mai läuft etwas zwischen uns. Anfangs hatte er grosse Zweifel, und das sagte er mir auch. Und da hätte ich schon fast mit ihm abgeschlossen gehabt. Aber ich blieb, und seither sehen wir uns noch häufiger als zuvor. Ich kenne seine Familie, seine Freunde - nur er kennt mein Umfeld noch nicht. Aber wie soll ich ihm auch meine Familie vorstellen, wo ich selbst keinen Kontakt zu ihr hab...

Jedenfalls, ich vermisse ihn oft. Wenn wir zusammen sind, ist alles gut, und es geht mir gut. Aber wenn ich allein bin, erdrückt mich mein Leben, alles, was momentan da ist. Er gibt mir Kraft. Er ist so süss. Und vor einer Woche hatte ich mit ihm auch mein erstes mal.

Und doch frage ich mich ob es richtig ist. Ob ich ihn genug liebe. Ist es normal, zu zweifeln?

Ich glaube, ich kann mich nicht richtig darauf einlassen, weil er mir anfangs sagte, dass er nicht glaubt, dass es für eine Beziehung reicht. Weil ich irgendwie immer damit rechne, dass er es gleich beendet. Gestern Abend zum Beispiel gab es ein Missverständnis, und ich dachte, er will, dass ich gehe. Das tat weh, und doch war ich nicht überrascht. Eher, als es dann nicht so war.

Kann ich mit ihm darüber sprechen? Ich will ihn mit meinen Zweifeln nicht erdrücken.

Ich weiss nicht, ob ich ihn liebe. Es ist ganz anders als das, was ich bisher erlebte. Es fühlt sich alles vertraut an. Aber ich hatte bisher immer Pech, ich warte immer darauf, dass seine schlechten Seiten zum Vorschein kommen. Ich hinterfrage ihn, und ich hinterfrage mich.

Andererseits will ich es nicht beenden. Der Gedanke, dass es vorbei sein könnte, macht mich traurig. Seit ich ihn habe, fühle ich mich nicht so allein. Er nimmt mich in den Arm, er gibt mir Kraft. Und wärmt mich, wenn mir kalt ist. Ich schlafe in seinen Armen ein und wache in seinen Armen auf.

Ist es normal, anfangs zu zweifeln? Wie kann ich lernen, ihm zu vertrauen? Meine Angst überwinden, verletzt zu werden? Es waren immer die Menschen, die mir am wichtigsten waren und am nahsten standen, die mich verletzten. Freunde. Meine Eltern. Ich weiss nicht, wie oft ich so etwas noch schaffe.

Kann ich mit ihm darüber reden? Oder ist das zu viel, erdrücke ich ihn damit?

Marie Anwort von Marie

Liebe Ratsuchende,

ja, ich denke, es ist ganz normal, dass du zweifelst.
Zum einen hat er dir allen Grund dazu gegeben und zum anderen hast du noch nie die Erfahrung einer (längerfristigen) Beziehung machen können. Dadurch konntest du auch noch nicht lernen, wann solche Zweifel für dich angebracht sind und wann nicht und wie du sie überwinden kannst.

Versuche dir einmal ganz genau vorzustellen, wie es wäre, wenn er nicht da wäre. Was wäre besser, was schlechter?
Wenn du das Gefühl hast, dass es dir insgesamt besser geht, wenn er dein Freund ist, dann ist das aus meiner Sicht ein guter Grund, dich für ihn zu entscheiden.

Du schreibst, dass er am Anfang selbst große Zweifel hatte. Wie sieht er das denn jetzt? Sprich ihn ruhig mal darauf an und bitte ihn, ehrlich zu sagen, welche Zukunft er jetzt für eure Beziehung sieht.

Deine Angst, verletzt zu werden, wird wahrscheinlich nie völlig verschwinden. Diese Angst ist ja nicht ohne Grund entstanden. Sie will dich davor schützen, erneut schlechte Erfahrungen zu machen.
Leider hält sie dich aber auch davon ab, neue, gute Erfahrungen zu machen. Du kannst nicht wissen, ob er dich verletzen wird - außer, indem du es ausprobierst und schaust, was passiert, wenn du ihm dein Vertrauen schenkst. Das kann dir aus sehr viele wunderschöne Erlebnisse bescheren, die es für dich vielleicht wert sind, das Risiko einzugehen. Was meinst du?
Ich kann aus meiner Erfahrung heraus nur sagen, dass es wirklich blöd ist, in der Gegenwart unglücklich zu sein, nur weil man in der Zukunft unglücklich sein könnte. Entweder, das, was man befürchtet hat, tritt nicht ein - dann hast du dir das Leben nur unnötig schwer gemacht. Oder es passiert tatsächlich, dann hilft dir die Angst, die du davor hattest, aber auch nicht, um besser damit umzugehen.
Um zu verdeutlichen, was ich meine: Als ich meinen ersten Freund hatte, habe ich mich immer dazu gemahnt, mich emotional nicht zu sehr auf ihn einzulassen, weil es ja jederzeit vorbei sein könnte (und ich nicht verletzt werden wollte). Das war dann auch so: nach fünf Monaten hat er Schluss gemacht und das hat wirklich sehr, sehr wehgetan. Damit zu rechnen (bzw. zu befürchten), dass das irgendwann passieren wird, hat den Schmerz, als es dann wirklich so kam, aber kein bisschen weniger werden lassen. Der einzige Effekt, den diese Angst hatte, war, dass ich die Beziehung nie richtig genießen konnte. Und das habe ich im Nachhinein sehr bereut.
Vielleicht hilft es dir, wenn du dir das immer mal wieder bewusst machst.

Du schreibst, dass du immer darauf wartest, dass seine schlechten Seiten zum Vorschein kommen. Das wird früher oder später passieren. Aber erst dann ist der Zeitpunkt gekommen, dir darüber Gedanken zu machen, ob du diese schlechten Seiten tolerieren kannst und willst. Oft lernt man in einer Beziehung auch mit der Zeit, über sowas hinwegzusehen oder den anderen einfach so zu akzeptieren, wie er ist.

Ich hoffe, ich konnte dir weiterhelfen.
Ich wünsche dir alles Gute!

Marie