Problem von Sebastian - 17 Jahre

Mein Leben

Hi,
mein Name ist Sebastian und ich habe ihre E-Mail aus dem Internet. Das was ich schreibe ist alles ernst gemeint, nur bin ich mir nicht sicher wieso ich es schreibe. Vllt um es einfach mal jemand zu erzählen oder weil ich einfach wissen will was mit mir los ist. Ich halte außerdem nicht von psychologischen Sitzungen oder Therapien also bleibt nur der schriftliche Weg. Wenn es okay ist würde ich am besten MEINE Geschichte erzählen. Ich komme aus Deutschland und bin vor ungefähr 4 Monaten leider unfreiwillig in Vorarlberg gelandet. Es ist schwierig für mich zu wissen wo ich anfangen soll da es viel gibt was ich erzählen will doch bei vielem bin ich mir auch nicht sicher ob es wichtig ist. Fangen wir an als ich ungefähr 13 bis 14 war. Zu dieser Zeit habe ich zum ersten mal richtig bewusst mit bekommen was für ein starker Alkoholiker mein Vater ist. Er war es mein ganzes Leben lang nur konnte mich meine Mutter immer geschickt vor diesem Anblick bewahren. Wenn sie mich fragen wie oft er getrunken hat ist die Antwort alle 2 Tage nicht mal gelogen oder frei erfunden oder geschätzt. Denn jeden Tag dazwischen hat er einen Tag gebraucht um auszunüchtern. Durch seinen Alkoholismus hat er damals seine Komplete Firma runtergewirtschaftet. Wir lebten in einem selbstgebauten 700.000 Holzhaus mit 500 Quadratmeter Wohnfläche und das doppelte nochmal an Gartenfläche. Danach, nach dem großen aus der Firma lebten wir in einem 70 Quadratmeter Haus zusammen mit meiner Uroma. Damals ist sozusagen meine heile Welt geplatzt. Ich hatte ab diesen Moment nie wieder ein ZUHAUSE. Es waren nur noch Orte, Häuser oder Wohnungen wo man halt lebt. Ich bin damals frisch ins Gymnasium gekommen was die Sache nicht besser machte. Seit ich denken kann schlug mein Vater meine Mutter wenn er betrunken war. Oft kam er in mein Zimmer und beschimpfte mich. Ich sei ein loser, ein Versager und das er sich einen anderen Sohn wünschte. Ich schrieb damals keine guten Noten im Gymi weswegen er mich oft 6er Man nannte. Es klingt lächerlich aber das traf mich mit meinen 13 jahre sehr tief. Wenn ich die Augen schließe sehe ich ihn immer noch stehen und höre immer noch die Worte aus seinem Mund kommen. Er schlug mich nie doch seine Worte und seine Wutausbrüche haben schon gereicht. Zu dieser Zeit kamen 2 verwirrende Zeiten auf mich zu. Im Gymi war alles anders. In dieser Zeit hörte ich das erste mal vom selbstverletzen. Ein älterer Schüler hatte im Spass davon erzählt das es Leute machen die Depressionen haben. Man könnte also sagen mein erstes Ritzen geschah mehr aus Neugier. Aber dabei blieb es nicht. Irgendwann fing ich an mich zu ritzen wenn etwas passierte womit ich nicht gerechnet hab. Wie zum bsp eine schlechte Note oder ein gebrochenes Herz. Damals Ritzte ich mich noch am Arm. Nach ungefähr einem Jahr wollte ich mit jemand drüber reden. Ich ging erst zu Schulpsychologen. Für die war leider damals die Sache abgehackt als ich versprach es nicht mehr zu machen. Natürlich hörte ich nicht auf doch nachgefragt oder nachgeschaut haben sie nie wieder. Daraufhin folgte die Zeit als sich meine Eltern scheiden ließen. Ich war damals 15 und zog mit meiner Mutter in das benachbarte Dorf. Ich kann mich noch dran erinnern als ob es gestern wäre als sie mich im Bad fragt ob sie es tun soll oder nicht. Ab diesen Moment begann eine Zeit die einer der schönsten und gleichzeitig schlimmsten meines Lebens werden sollten. Die Scheidung belastete mich damals extremst. Ich wusste nicht wie ich mit meinem Vater umgehen sollte denn ich wusste was er uns angetan hat. Als ich den Mut zusammen nahm und zu meiner Mutter ging um ihr zu sagen das es mir scheiße geht und das ich mich ritze war ihre Antwort : „ Das ritzen machst du doch eh nur um Aufmerksamkeit zu bekommen und wenns dir scheiße geht wegen der schule zum bsp dann musst du halt mehr lernen „. Jetzt 2012 bin ich nicht sauer auf sie deswegen sie wusste einfach nicht wie es mir ging und wieso ich es machte. Das Ritzen wurde danach zu einer Sache die ich nicht nur ab und zu machte wenn es mir scheiße ging. Ich begann mich 1 Jahr lang fast jeden tag zu ritzen. Ich machte es jedoch nicht mehr an den Armen sondern fang an an den Beinen zu ritzen weil es dort niemand sah und ich so keine Probleme bekommen würde. Irgendwann reichte das aber nicht mehr und so versuchte ich zum ersten mal mich umzubringen. Ich hab mal ausversehen als kleines Kind mit einem Stahl-Nagel in eine Steckdose gefasst. Die Ärzte meinte ich hatte damals Glück das es die rechte Hand und nicht die linke Herz-hand war weil es sonst wahrscheinlich tödlich gewesen wäre. Ich hatte das damals nicht vergessen und so war mein erster Versuch mich umzubringen mit einem Stromschlag. Es war ein komischer Tag . Ich bereitete damals alles vor zum sterben, machte mich schön und machte Musik an. Als ich ausholte und den Nagel in die Stechdose rammen wollte klingelte das Telefon und ich ließ im Schwung den Nagel vor schreck fallen. Für mich war das damals eine Art Zeichen das ich am leben bleiben soll doch dieser Gedanke hielt nicht an. Im laufe der Zeit versuchte ich es dann noch mit Tabletten, Reinigungsmittel und Ritzen. Naja wie man sieht hat alles nicht geklappt. Dann lernte ich meine erste große liebe kennen. Karin war ihr Name und jetzt nach 3 Jahren ertappe ich mich noch sehr oft das ich an sie denke. Sie war damals der Grund wieso ich die Schule abgebrochen habe. Ich wollte Geld verdienen da wir eine Fernbeziehung führten. Für mich ergab das mehr Sinn als Schule. Ich brach also aus Liebe zu ihr das Gymnasium ab und zog 2 Tage nach meinem 16ten Geburtstag von Zuhause aus. Ich begann eine Lehre als Hotelfachmann. Genau 6 Tage nachdem ich diese Lehre für SIE begonnen hatte , hat sie Schluss gemacht. Ich hatte alles für SIE aufgegeben was ich besaß und dann hat sie mich aufgegeben. Ich fing deshalb wieder das ritzen an das ich 6 Monate zuvor wegen ihr aufgehört hatte. Anstatt mich aber wieder umbringen zu wollen begann ich dieses mal Trost in Alkohol zu finden. Ich hatte davor noch nie einen Rausch doch leider lernte ich die falschen Leute in dieser neuen Stadt kennen und geriet so in eine Zeit voller Alkohol und Drogen. Nach 5 Monaten brach ich diese Lehre ab. Ich konnte nicht mehr wollte nicht mehr und eigentlich hatte ich ja die lehre nur wegen ihr begonnen. Ich sah keinen Sinn mehr darin und wollte eigentlich auch weg von diesem ganzen Drogen scheiß. Ich machte komplett allein einen kalten Entzug und nachdem ich lehre abbrach zog ich in eine WG in meiner alten Heimatstadt. Ich hatte keinen Abschluss deshalb Kellnerte ich. Das ritzen hatte ich unter Kontrolle doch aufgehört hatte ich es damals trotzdem nicht. Es war so schrecklich für mich den ich hatte keine Ahnung von der Zukunft. Was hätte ich den schon erreichen können ? Ich begann eine komische Art an mich zu entwickeln. Oder Vllt war sie schon immer da und ich erinnere mich nur nicht mehr. In dieser Zeit ging es mir den halben Tag gut und von einer Sekunde auf die anderen wollte ich einfach nur noch sterben. Das ritzen war damals kaum noch da doch der Wunsch des Sterbens war so groß wie noch nie. Ich hab oft zu mir selbst gesagt ich will Heim. Sterben war in dieser Zeit für mich ein Heim-kehren. Der Tag konnte noch so gut sein, noch so fantastisch sobald ich nur ein paar Sekunden hatte um in mich reinzuhören wollte ich eigentlich nur noch sterben. Im einen Moment lachte ich noch mit Freunden und im nächsten Moment stellte ich mir vor wie ich mir die Pulsadern aufschneide. Und diese On-Off Depression hat sich bis heute nicht verändert. Ich bin in dieser Zeit oft umgezogen doch das würde zu lang dauern. Fakt ist seit ich 15 bin hatte ich 6 eigene Wohnung und hab in 4 verschiedenen Städten gewohnt. Und wenn man denkt das dies nur 2 Jahre waren will ich gar nicht meine Zukunft sehen. Irgendwann holte ich meinen Abschluss nach doch hatte kein Geld oder Job mehr und sahs auf der Straße. Da meine Mutter in Österreich wohnte war ich also gezwungen zu meinem Dad zu ziehen. Ich fing deshalb wieder das ritzen an denn er war immer noch der gleiche wie früher. Auch mit Drogen fing ich wieder an. Eines Abends kam ich grad heim als er besoffen runterkam und einfach nur zu streiten. Eins führte zum anderen und dies war der Moment wo mich mein Vater zum ersten mal schlug. An diesem Abend schlug er mich blutig sodass die Polizei mich zu meiner Schwester fahren musste. 2 Tage später kam auch schon mein Bruder aus Österreich und nahm mich mit hier her. Und das ist die Geschichte wie ich nach Österreich kam. Ich musste alles aufgeben, ein Leben, meine Freunde und meine Vergangenheit. Ich jobbte hier erst im Mc-Donalds und bekam dann eine Ausbildung zum Datenbank-Programmierer. Viele sagen mir ich hab ja so Glück das ich hier so eine tolle Ausbildung bekommen hab und mich so schnell eingelebt hab. Aber sie wissen nicht wie es wirklich ist. Sie wissen nicht wie es ist völlig allein zu sein. Ich habe hier niemanden zum reden und auch wenn ich übergangsweise zurzeit bei meiner Mutter lebe, bringt das nicht wirklich viel. Sie war schon immer mehr ein Kumpel als eine Mutter der man seine Sorgen erzählen konnte. Und das sagt sie Ironischer weise auch von sich selber. Mit wem soll ich reden ? Mit meinem Alki Vater oder meiner Mutter aus Eis ? Mit freunden die 200 km entfernt wohnen ? Und wie es mir zurzeit geht ? Ja ich habe eine tolle Ausbildung dennoch fühle ich mich hier gefangen. Ich arbeite 8 stunden und sobald ich an der Bushaltestelle stehe ändert sich meine ganze Wahrnehmung. Alles verdunkelt sich und ich würde am liebsten gar nicht existieren. Alle sagen mir ich muss glücklich sein aber wieso kann ich es dann nicht ? Wieso geht es mir innerhalb von Sekunden scheiße ? Das einzige was ich sagen kann ist das ich mich nicht mehr ritze. Das letzte mal ist 5 Monate her. Nicht weil ich es nicht mehr will doch indem ich es nicht tue ist das für mich eine viel schlimmere Bestrafung als wenn ich es tun würde. Im Endeffekt bin ich nicht besser als früher. Und ob ich mich noch umbringen will ? Ja jeden Tag. Und wieso ich es nicht wieder versuche ? Erst dachte ich, ich hätte diese Phase überwunden und könnte jetzt damit umgehen aber ich hab erkannt ich hab einfach keine Kraft dafür. Lustig, ich hab nicht mal mehr genug Kraft um mich umzubringen. Vllt sind manche Menschen einfach dazu da um zu leiden damit es anderen gut gehen kann. Ich habe mich mit meinem Schicksal abgefunden. Ich bin ein Junge der mehr erlebt hat in den letzten 2 Jahren als manch ein 25 Jähriger. Ich bin ein Junge der jeden Tag an Selbstmord denkt aber genau weis er wird es eh nicht machen. Ich brauch keine Hilfe denn die brachte mir noch nie was. Man braucht sie keine Sorgen um mich machen das ich mich töte denn vllt lässt das mein unbewusster Selbsthass gar nicht zu. Ich werde weiter leben so wie jetzt und keiner wird jemals erfahren wie es mir geht. Ich werde auch nicht mit Psychologen drüber reden denn helfen kann mir eh keiner. Was kann man den ändern ? Sie können meine Sicht der Dinge ändern aber nicht den Status Quo meines Lebens. Falls sie hier sind dann danke das sie es gelesen haben es musste einfach mal erzählt werden. Ich brauch keine Hilfe und wahrscheinlich werden sie mir sagen das ich einfach ein manisch Depressiver Trottel bin der nicht zu schätzen weis was er hat. Und womöglich haben sie recht aber ich bin wie ich bin. Auserdem könnte ich mir eine Therapie finanziell und zeitlich gar nicht leisten da ich diese Ausbildung brauche und deshalb keine Zeit für so was hab. Aber danke fürs lesen und Entschuldigung wegen den Rechtschreibfehler aber das ist in meinen Augen in diesem Brief ziemlich unwichtig.

Sebastian

Dana Anwort von Dana

Lieber Sebastian.

Als ich dein Problem sah, dachte ich: ok, da musst du dir einen Abend Zeit nehmen, denn so schnell liest sich eine Lebensgeschichte nicht. Das habe ich gemacht und ich habe alles sehr genau gelesen...und das, was mir in Erinnerung blieb, neben deinem doch sehr "negativ-bewegten" Leben, ist: "Ich brauche keine Hilfe."

Warum hast du uns geschrieben, was war deine Intention? Dass mal jemand liest, was dir schon alles passiert ist? Was hättest du davon? Oder ist es nicht doch eher, dass jemand es liest, dich versteht, dir antwortet und dir damit schon eine Hilfestellung gibt? Würdest du das nicht wollen, müsste ich jetzt schreiben: "Ok, hab dein Problem gelesen, alles Gute!"...Fertig, abschicken, schönen Abend machen.

Aber ich glaube nicht, dass du das wolltest, als du alles aufgeschrieben hast. Es war eine Art "Selbstdurchleuchtung", ein Brainstorming, es sollte einfach alles mal aufs virtuelle Papier. Und es sollte gehört werden. Gelesen, bemerkt, bearbeitet, beantwortet. Was würde es bringen, sein Leben ins Leere zu schreiben? Es ist doch viel schöner, wenn jemand da sitzt, der es mitbekommt und der ein Feedback dazu gibt. Und das möchte ich gerne machen, vielleicht hilft dir sogar etwas davon, auch wenn du denkst, keine Hilfe zu brauchen oder die Existenz von effektiver Hilfe anzweifelst.

Ich glaube, dein Hauptproblem liegt darin, dass du entwurzelt bist. Du hast nichts, das für dich HEIM bedeutet. Du wurdest früh aus deinem Zuhause gerissen, wegen der Probleme deines Vaters, dann wurde auch die Familie auseinander gerissen, eine Familie, die du eh nie wirklich richtig hattest, und seitdem bist du auf der Suche. Und entwurzelte Menschen, die auf der Suche sind, haben keine Rast. Und diese Rastlosigkeit merkt man dir sehr stark an. Man sieht es an dem dauernden Wohnungswechsel, daran, dass es dich nirgends länger gehalten hat, daran, dass du für ein Mädel sehr schnell bereit warst, alles aufzugeben und dass du dich auch jetzt null wohlfühlst.

Und man merkt es an deinem Inneren. Du ruhst nicht in dir selbst, du bist "außer dir", was in dem Fall nicht bedeutet, dass du austickst, sondern dass du irgendwie neben dir stehst. Du bist entwurzelt, in allen Belangen deines Lebens, so scheint es für mich.

Und trotzdem hast du immer wieder versucht, Wurzeln zu finden, dich selbst zu definieren. Dein Auszug, sehr früh...die Abnabelung von den Eltern, die Ausbildung, auch die Drogen waren eine Phase, in der du versucht hast, auszubrechen aus dem, was dich so schwimmen lässt. Nichts hat dir wirklich Halt gegeben. Du hast ja glücklicherweise gemerkt, dass gerade Drogen und Alkohol nur vernebeln, aber nichts wirklich lösen. Aber sie waren für eine Weile einfach ein Ventil, genauso wie das Ritzen oder wie der Drang zu sterben.

Heimkommen...ja, das ist ein schönes Wort. Das Problem ist, dass Selbstmord alles andere als "Heimkommen" ist. Im Gegenteil. Es entäußert dich noch mehr...völlig...und endlos. Ich bin froh, dass du vom Suizid abgekommen bist. Du hast im Prinzip alles versucht, dir zu schaden, bis hin zur völligen Auslöschung. Doch all diese Dinge waren Möglichkeiten, dich selbst zu spüren, dir Erleichterung zu verschaffen, die Kontrolle über dich zu bekommen - doch diese Kontrollen waren nur Schein. Es ist so, als würde man sein Haus auf nen zugefrorenen See bauen, sich schön einrichten und sich sicher fühlen...und dann kommt der Sommer.

Du brauchst wieder Wurzeln, Sebastian. Du musst dir selbst überlegen, welche Wurzeln es genau sind, die du brauchst, damit du im Leben wieder ohne Schwankung stehen kannst und dieses Daheim-Gefühl zurück kommt. Das gilt sowohl für deinen Wohnort und dein Zuhause als auch für dich selbst. Du musst dir ein Heim schaffen...außen herum und in dir drin. Ich persönlich hätte da jetzt schon auch zu einer Therapie geraten, einfach, weil Profis sich gerade in sowas sehr gut auskennen und recht schnell effektive Hilfe leisten können. Ich werde dich dazu jetzt nicht bekehren, das musst du für dich wissen, ob du es dir irgendwann vorstellen kannst. Sollte der Fall irgendwann eintreten, dann kannst du über Google Therapeuten raussuchen, die in deiner Nähe ansässig sind und einfach hingehen. Wenn sie eine Kassenzulassung haben, kostet es dich keinen Cent. Wenn du keine ärztliche Überweisung hast, musst du die 10 Euro Praxisgebühr bezahlen, aber sonst rein gar nix. Die Kosten wären also nicht das Problem.

Ich glaube nicht, dass du ein manisch depressiver Trottel bist. Du bist ein Mensch, dessen Seele einfach verletzt ist. Du ruhst nicht in dir. Du bist nicht in dir zu Hause und dadurch auch sonst nirgends. Und genau da könnte halt ein Therapeut ansetzen. Eine Therapie ist nichts für "Verrückte". Eine Therapie ist lediglich eine Hilfe, eine Hand, die wieder mehr Stabilität bringt, eine Möglichkeit, Ventile zu suchen, um alles in dir abzubauen und neu aufzubauen. Eine Stärkung im Alltag ist nicht zu unterschätzen. Du merkst ja selbst, dass du einfach nicht mehr glücklich sein kannst. Was hast du also zu verlieren?

Ansonsten denke ich, dass du überlegen solltest, was du wirklich willst. Was ist dein dringendster Wunsch? Gerade, was Heimkommen angeht und das Gefühl, ruhig werden zu können, sich fallen zu lassen. Ich würde dir raten, mit deinem Bruder zu sprechen. Er ist dir erstmal am nächsten und hat vielleicht auch Ideen. Teile dich mit, friss es nicht in dich hinein. Du bist doch seelisch so weit unten, das kann doch nur aufwärts gehen. Hab davor keine Angst! Lass es zu, dass jemand in dich hinein gucken kann. Du hast es einer völlig Fremden - mir - erzählt! Und ich kann dir versichern, dass ich nun nicht schlecht von dir denke oder dich als Idioten abstempele. Du bist ein intelligenter und sensibler junger Mann, der einfach sehen muss, wo er daheim ist. Wo seine Wurzeln sind. Und diese müssen wieder in die Erde. Erst dann wird es dir besser gehen.

Und wenn das heißt, dass du zurück gehst in deine Heimatstadt oder ganz woanders hin, und wenn das heißt, dass du doch eine andere Lehre beginnst - und wenn das heißt, dass du in eine eigene Wohnung ziehst oder 200km entfernt mit einem Freund zusammen...und wenn das heißt, dass du deinem Bruder mal alles vor die Füße kotzt und sagst: Verdammtnochmal!! Ich brauche Hilfe!!...denn die brauchst du, auch wenn du das negierst. Alleine ist dieser Weg nicht begehbar...und ich WEISS, dass du eigentlich weiter gehen willst. Stillstand ist nicht deins, man merkt es daran, dass du überlegst, was werden kann. Jemand, der sich aufgegeben hat, fragt sich das nicht mehr.

Du brauchst Hilfe und es ist eigentlich auch Hilfe da.
Und wenn du erstmal mit der Telefonseelsorge redest (total egal, ob du gläubig bist)
Telefon 0800 111 0 111 (evangelisch)
oder 0800-111 0 222 (katholisch)
oder versuchst, in eine Selbsthilfegruppe für die Angehörigen von Alkoholkranken zu kommen (gib einfach mal "Selbsthilfegruppe für Angehörige von Alkoholkranken" bei Google ein, da kommt einiges)
oder mit deinem Bruder redest
oder mit einem Therapeuten redest...es ist genug Hilfe in deiner Umgebung, du musst sie nur annehmen.

Und ich kann dir dazu nur raten. Ich glaube nicht, dass du dir vorstellen kannst, wie erleichternd das ist.

Ich möchte dir wünschen, dass du deine Wurzeln wieder eingraben kannst. Dass du merkst, wohin du gehören könntest und alles dran setzt, dorthin zu kommen, sowohl äußerlich als auch innerlich. Finde dich wieder, Sebastian...ich weiß, das ist möglich.

Liebe Grüße,

Dana