Problem von maymouna - 21 Jahre

fundamentalistischer Konflikt! was ist mein Problem homophobe Leute einfach zu bannen?

Hallo lieber Kummerkasten,
ich bin mir nicht sicher, ob es richtig ist dir zu schreiben, aber ich versuche es Mal. Vielleicht hast Du ja eine Idee, wie ich mit meinem Problem umgehen kann.
Ich war immer ein Familien-Mensch. Ich liebe meine Eltern, und meine Geschwister und verbringe gern Zeit mit ihnen. Und fand Verwandtschaftsfeiern nie ätzend oder doof. Seit ein paar Jahren ist das anders. Und im Moment sehe ich alles in Frage gestellt.
Ich weiß, dass die Familie meiner einen Tante sehr religiös unterwegs ist, und dass meine Cousine Homosexualität für eine Krankheit hält. Seit Jahren weiß ich das. Aber jetzt... ich weiß nicht was mit mir los ist.
Alles hat angefangen mit einer Petition in Badenwürttemberg, die sich gegen die Behandlung sexueller Vielfalt im Schulunterricht richtet. Sie ist sehr krass und homophob, leugnet das aber. Meine eine Cousine hat sie öffentlich unterschrieben. Daraufhin hat meine Schwester eine sehr persönliche Mail an meine Familie und den betreffenden Teil der Verwandtschaft geschrieben, in der sie sich als lesbisch geoutet und ihre Sicht der Dinge dargelegt hat. Daraufhin ist -gewollt- eine E-Mail-Debatte ausgebrochen. Ich finde gut, die Probleme zu benennen, die es seit Jahren gibt, aber ich möchte keine Texte lesen von angeblich geheilten Homosexuellen, davon dass ja niemand diskriminiert werden soll, aber Homosexualität eine Todsünde ist, dass wir uns von Gott wieder auf den richtigen Weg führen lassen sollen usf. - nicht von meiner Cousine, die ich eigentlich total lieb habe. Deshalb habe ich erst Mal überhaupt nichts gemacht, nur die Anfänge der Mails gelesen und es bei Seite geschoben, weil ich mich nicht in der psychischen Verfassung fühlte mich damit auseinanderzusetzen. Nach dem ich dann aber, nach einem sehr langen und anstrengenden Wochenende – das auch viel mit Reflexion und politisch inhaltlicher Arbeit gefüllt war- mit einer Person aus einem Plenum sehr intensiv darüber geredet habe, bin ich zu dem Schluss gekommen auch meine Sicht der Dinge zu bekunden und Solidarität mit meiner Schwester zu zeigen. Ich habe geschrieben, wie ich grade so lebe, dass ich mich in keiner dieser Identitätsschubladen sehe, dass ich respektiert werde und glücklich bin so wie ich bin, seit ich aufgehört habe zu versuchen die Fragen zu beantworten (bin ich mann? Frau? Lesbisch? Bi? Trans*?....) die ich nicht beantworten kann. Ich bin ich. Und ich habe geschrieben, dass ich aber trotzdem in Schubladen gesteckt werde, und dass mir egal ist, was in der Bibel steht, wenn ich glücklich bin. Und dass einzig Leute wie meine Cousine, die mir absprechen selbst entscheiden zu können, was gut für mich ist (weil gott ja viel besser weiß was richtig ist), dem totalen Glück im Wege stehn.
Daraufhin habe ich von meinem Vater eine Mail erhalten, die ich nicht sehr nett fand. so von wegen „du bist eine tolle Tochter, aber mir geht es psychisch grade nicht gut und so Leute wie deine Cousine machen es mir noch schwerer“ und dann habe ich noch etwas anderes gelesen, wo eine Person sich mir sehr geöffnet hat und einen Meilenschritt auf mich zugegangen ist und ich weiß nicht was los war, so was habe ich noch nie erlebt: Ich musste plötzlich – Mitten in ein wundertolles Lied von Käpt'n Peng vertieft- losheulen, es kamen aber keine Tränen, statt dessen habe ich angefangen zu zittern, mir wurde plötzlich eiskalt, ich wollte zur Heizung gehen, konnte aber nicht, weil meine Beine mich nicht tragen wollten und habe fast keine Luft mehr gekriegt. Ich glaube so stelle ich mir den Moment kurz vor einem Nervenzusammenbruch vor. Ich konnte mich auch bestimmt drei Stunden nicht mehr beruhigen.
Mein Mitbewohner hat das so halb mitbekommen (die tür zwischen seinem und meinem zimmer ist sehr dünn) und wollte schon nen Krankenwagen rufen.
Aber wie besagt nach drei Stunden ging es wieder. Ich habe mit ihm einen Tee getrunken, und konnte danach auch echt gut schlafen. Das war ein Sonntag. Montag war ein sehr voller Tag und Dienstag hatte ich auch keine Zeit darüber nachzudenken -bis Abends zehn Minuten vor einem Plenum. In dem Moment habe ih gar nicht dran gedacht, aber ich musste plötzlich einfach losheulen. Das war richtig scheiße.

Ich frage mich halt woran das liegt, dass mich dieser Konflikt so mitnimmt und dass ich plötzlich so unkontrolliere Emotionsausbrüche habe. Es ist eigentlich seit langem ein großer Konflikt in meiner Verwandtschaft-. Was ist mein Problem daran, dass er ausgetragen wird? Und warum ist mir nicht egal, was mein Vater schreibt? Er ist erwachsen. Ich auch. Wir haben unser eigenes Leben. Warum mache ich mir trotzdem Gedanken um ihn? Und warum bin ich so sauer auf meine Mutter, nur weil sie sich da nicht einmischt? Ich habe ein cooles Umfeld, warum kann ich nicht einfach sagen: so ist meine cousine ich ändere sie nicht mehr, und ziehe einen Strich unter den Kontakt mit ihr? Ich weiß auch nicht... könnt ihr mir helfen einen Umgang damit zu finden?? Ich weiß einfach nicht mehr weiter.

Nuala Anwort von Nuala

Hallo maymouna,

was du beschreibst, geht tief durch alle Schichten des Körpers, tief in das Innere. Familiäre Konflikte sind etwas, was sehr glücklich stimmen kann, da im besten Fall Liebe, Vertrauen und ein harmonisches Miteinander vorhanden sind. Familie macht aber auch verletzlich. Es ist zwar ein geschützterer Ort, fern von Anonymität und Beliebigkeit, doch das schützt den Einzelnen nicht vor Übergriffen. Das wird anhand deiner Schwester deutlich. Sie gesteht deinen Verwandten etwas sehr Intimes, was sie vielleicht auch nicht einfach in der Straßenbahn beim Plaudern mit Bekannten sagen würde. Und das ist ihre Bauchseite, ihre Verletzlichkeit... es wäre wunderbar, wenn sie die Erfahrung hätte machen können, dass ihre sexuelle Identität akzeptiert wird. Doch wahrscheinlich ist es eher wie ein "Gegenangriff": Ich lasse das nicht auf mir sitzen! Sie hätte Recht: Es wäre natürlich das Allerbeste, wenn deine Familie dadurch aufwachen, quasi wachgerüttelt worden wäre. Möglich, dass deine Schwester nicht (nur) provozieren wollte, sondern auch die leise Hoffnung hatte, dass sie ihre Sicht auf Homosexulität (und überhaupt Sexualität?) überdenken würden. Denn sie ist ja nicht irgendwer, nein. Sie ist die Tochter, die Cousine, die seit Jahren Vertraute...

Ich finde es sehr logisch, dass die Mail deines Vaters dich belastet. Immerhin geht es um Gerechtigkeit, um Menschenwürde, um Freiheit und um vieles mehr, was mehr oder weniger implizit mitschwingt. Du scheinst ein sehr engagierter und aufrechter Mensch zu sein, umso mehr ist es für mich klar, dass du diese Ungerechtigkeiten nicht ertragen kannst. Und es ist ganz klar falsch und schrecklich, Menschen wegen ihrer Sexualität zu diffamieren! Deine Wut ist berechtigt. Nur darfst du nicht den Fehler begehen, deine Reaktionen zu bagatellisieren. Die Reaktionen deiner Eltern machen dich sauer, also lass diese Gefühle raus. Richte sie an die, welche die Ursachen sind. Mit dem Erwachsensein hat das nicht zutun. Erwachsene sind ja nicht gefühlsbefreit.

Es kann sein, dass du viel zu lange das heruntergeschluckt hast, was eigentlich hätte nach draußen gelangen sollen. Du schreibst von Jahren. Die heile Familienwelt wird meistens dann hinterfragt, wenn Kinder in die Pubertät kommen. Es ist also höchste Zeit, dass du dir zuliebe umdenkst und dich anders verhälst.
Warum kommuniziert ihr intern via E - Mails? Wären Telefonate und Treffen nicht geeigneter, um diese hochwichtige Thematik in Ruhe zu besprechen?
Klar, bei Mails kann man Anhänge verschicken, man Links zu interessanten diskussionsrelevanten Internetseiten teilen, man kann sich aber auch sehr gut verstecken hinter Texten... ich frage das rhetorisch, weil diese Mailgeschichte deine Schilderung durchzieht wie ein roter Faden.
Ich persönlich finde, dass es Zeit für euch wäre, eine Art Familienkonferenz einzuberufen. Und sei es nur im engsten Familienkreis. Jeder sollt die Gelegenheit haben, gehört und gesehen zu werden. Die Emotionen sollten direkt spürbar werden; deine schlechte Verfassung als Reaktion auf die homophoben Äußerungen sollten alle hautnah erleben! Was das mit dir macht, was es mit deiner Schwester macht.
Es wäre sehr wichtig, dass du mit ihr sprichst. Und überhaupt: Kontakt herstellt zum Rest der Familie. Die vielen Fragen, welche du nennst, müssen raus aus dir, arbeite damit!

Es gibt jedoch deutliche Grenzen, was dir bestimmt bewusst ist. Familie bedeutet immer Grenzen, genauso wie jede andere Menschengruppe. Nur werden die Grenzen innerhalb der eigenen Familie oft auf schmerzlichere Weise begreifbar.
Ich denke, es ist unrealistisch, deine homophoben Verwandten eines Besseren zu belehren. Genauso wie sie dich nicht dazu bringen werden, ihren Glauben, ihr Weltbild anzunehmen. Stattdessen wäre eine Option, für gegenseitige Rücksichtnahme und Gelassenheit zu plädieren. Soll jeder so sein Leben leben: Wenn ihr für einen Tag, ein Wochenende oder ein paar Stunden zusammen seid, sollten bestimmte Regeln eingehalten werden. Zum Beispiel, den Anderen nicht absichtlich zu verletzen oder zu provozieren. Dann wäre auch ein einigermaßen friedliches Miteinander denkbar, sodass eure angenehmen verwandtschaftlichen Seiten zum Vorschein kommen können.

Mir fällt auch auf, dass du viel machst, viel in Bewegung bist. Das ist gut, doch es kann sehr leicht ins Gegenteil umschlagen. Da solltest du genau hingucken, ob du dich nicht an der ein - oder anderen Stelle übernimmst. Ich habe den Verdacht, dass sich der volle Terminkalender (sofern das jetzt keine Ausnahme war) in Verbindung mit den ungelösten Familienkonflikten geballt auf deine Psyche schlägt - womöglich kam bei deinem Zusammenbruch vieles zusammen, was du so erstmal nicht gesehen hast. Du brauchst aber Ruhe, um zu dir zu kommen, dich zu sammeln, denn nur so kannst du die Kraft aufbauen, die Schwierigkeiten in der Familie anzugehen und grundlegend so reflektiert und klar zu bleiben, wie du es an sich zu sein scheinst.

Ich wünsche dir diese Ruhe - und weitere Kraft!
Nuala