Problem von Christopher - 16 Jahre

Selbstverlust

Hallo liebe Community,

seit ungefähr 6 Monaten belastet mich nun ein sehr mysteriöses Problem.
Angefangen hat alles damit, dass wir uns in der Schule über die Entstehung der Menschheit unterhalten haben und kurz danach kam die Quantenphysik. Das hat dann dazu geführt, dass ich mir immer mehr Gedanken über "alles" gemacht habe, was mittlerweile zu einem sehr belasteten Problem geworden ist. Meine schlimmste Angst ist die, dass meine Gedanken richtig sind und dass wir alle gar nicht existieren.

Florian Anwort von Florian

Hallo Christopher,

Dein Problem hat mit mir einen Philosophie-Studenten erreicht. Philosophie ist das Fachgebiet, welches sich genau mit solchen "Gedanken über alles", wie Du es ausgedrückt hattest, beschäftigt. Gerade in die Ontologie, die Wissenschaft des "Seins", und auch in die Erkenntnistheorie (beides Teilbereiche der theoretischen Philosophie) fallen Deine Gedanken. Daher möchte ich nachfolgend Deine Angst, oder besser gesagt These, anhand philosophischer Theorien und Methoden widerlegen und Dich so hoffentlich beruhigen.


Da Du Deine Theorie nicht ausführlich beschreibst, ich also nicht genau weiß wie Du von Quantenphysik und Entstehung des Menschen auf die "Kenntnis" kommst das niemand existieren würde, kann ich diesbezüglich nur Mutmaßungen anstellen. Ansetzen möchte ich daher zunächst direkt an dieser "Kenntnis", dass niemand existieren würde.
Dinge die nicht existieren, müssen die Voraussetzung erfüllen, dass absolut nichts auf einen "Seinszustand" in irgendeiner Weise schließen lässt. Je nachdem wie weit Deine Theorie reicht, bestreitest Du damit entweder, dass es keine Seinzustände gibt (also absolut nichts existiert) oder aber Du streitest dem Menschen, mit all seinen körperlichen und geistigen Zuständen, seine Seinszustände ab. Wie weit Deine Theorie auch reichen mag, schreibst Du so Dir selbst Deine Existenz ab. Du gehst damit zugleich davon aus, dass Deine Gedanken (geistige Zustände) nicht existieren können. Doch stellt sich hier die Frage: Wie kannst Du darüber nachdenken, ob Du existierst, wenn Deine Gedanken nicht existieren?

Eine ähnliche Frage stellte sich bereits im 17. Jahrhundert der Philosoph René Descartes. Descartes war einer der radikalsten Kritiker aller Erkenntnisse die seiner Zeit als gesichert galten. Nach seiner Meinung sollte man nichts für wahr halten, solange es nicht eindeutig von jedem Zweifel erhaben ist. Auch er zweifelte an der Existenz der ihn umgebenden Welt und aller vermeitlichen Erkenntnisse durch seine Sinne. Doch war er sich eines immer sicher: "Cogito ergo sum" - "Ich denke, also bin ich."
Die für ihn absolut gesicherste Erkenntnis ist die, dass wenn jemand denkt und sich dessen bewusst ist, er unweigerlich auch exisitieren müsse. Denn selbst wenn wir davon ausgehen, dass keine Gott, keine Welt und nicht einmal der eigene menschliche Körper sind, so existieren doch immer die Gedanken, die daran zweifeln oder dies bestätigen. Die Gedanken stellen also etwas grundsätzlich existierendes dar. Andernfalls könntest Du nie über das was ist oder nicht ist philosophieren und Dir Deine Meinung dazu bilden. Da Deine Gedanken existent sind, muss folglich auch ein "Selbst" von Dir existieren.

Damit steht also schonmal eines definitiv fest: Du existierst in jedem Fall. Über die Art und Weise und ob dies auch für andere zutrifft, lässt sich nun weiter streiten. Da macht gerade auch die Quantenphysik ein richtiges Fass auf. Eines was man vielleicht nicht überbewerten sollte. Denn die Quantenphysik ist ein Thema welches nicht einmal eingefleischte Physiker verstehen, wie auch? Hier steckt die empirische Forschung noch in den Kinderschuhen und kann z.T. gar keine beweiskräftigen Erkenntnisse gewinnen, da sie sich auf einer Größenordnung bewegen, in denen der Einsatz von Messinstrumenten bereits die Experimente und seine Ergebnisse beeinflussen kann. Entsprechend existieren die wildesten Theorien. Bevor hier also richtig geforscht werden kann, können wir empirisch keine dieser Theorien bestätigen oder widerlegen.
Es ist also durchaus möglich, dass Du aufgrund einer falschen Theorie zu Deiner angstauslösenden "Erkenntnis" gelangt bist. Insbesondere, da gerade in Bereichen von denen der Mensch noch so gut wie gar nichts versteht, sich die wildesten und absurdesten Spekulationen finden lassen. Das sich der Mensch und die Mehrheit aller Forscher oder Weisen irren können, zeigt die Geschichte zu hauf. So geisterte Jahrtausende die Idee in vielen Köpfen, die Welt sei eine Scheibe, die Sonne dreht sich um die Erde oder wir wären das direkte Ergebnis eines Schöpfergottes. Erst als bewiesen wurde, dass die Welt umsegelt werden konnte und somit rund sein musste, die Entfernungen der Planeten und der Erde zur Sonne darauf hinweisen dass sich die Planeten um die Sonne dehen müssen, sowie die Abstammung des Menschen vom Affen durch archäologische und genetische Befunde immer mehr bestätigt wurde, erfolgte bei Vielen ein Umdenken. Im Übrigen sind dies gute Bespiele dafür, warum Descartes einen radikalen Kritizismus vertrat, um eben nicht zu schnell falsche Theorien anzunehmen, sondern alle Theorien und Erkenntnisse stehts kritisch zu hinterfragen. Man soll sich also mehr um die Widerlegung einer Theorie, als um die Bestätigung derselbigen bemühen, denn so erkennt man unwiderlegbare Kenntnisse, als die einzig wahren Kenntnisse.


Ich möchte abschließend noch einmal zusammenfassen:

1. Du existierst zwingend, da Deine Gedanken existieren. Folglich kann Deine Theorie nicht stimmen, dass niemand existieren würde.

2. Die Quantenphysik ist ein noch ziemlich unerforschter Bereich, in denen viele Theorien ohne gesicherte Erkenntnis geäußert und veröffentlich werden. Somit können eine Vielzahl der Theorien, von denen Du Deine Erkenntnisse ableitest, schlicht falsch sein.

3. Zweifle durchaus an Deinen Erkenntnissen und Theorien, sowie den Erkenntnissen und Theorien anderer, welche Dir glauben machen wollen, niemand würde existieren. Versuche es zu widerlegen, ob mit logischen oder empirischen Argumenten. Anregungen kannst Du in der Philosophie in den Bereichen der Ontologie bzw. Metaphysik sowie in der Erkenntnistheorie finden.


Solltest Du weiterhin der Meinung sein, dass Deine Theorie stimmen könnte und sollte Dich das weiterhin sorgen, so kannst Du mir gerne wieder eine Nachricht schicken (einfach über unser Kontaktformular mit der Problem-Kategorie "Feedback") und vielleicht Deine Theorie einmal näher erleutern. Dann können wir sie Stück für Stück genauer durchgehen und Fehler darin aufdecken, sollten da welche sein.


Bis dahin wünsche ich Dir alles Gute


Gruß
Florian