Problem von Lila - 20 Jahre

Ich weiß nicht mehr weiter

Hallo liebes Kummerkasten Team,

Ich habe euch schon mal am 09.12 geschrieben...meine Problemnummer ist 313816.

Mein Problem besteht immernoch. Und ich weiß immer noch nicht was ich machen soll.
Mein Bruder hat letzte Woche versucht sich das Leben zu nehmen.
Alkohol und eine Überdosis extasy...
Ich habe das Gefühl, dass er keine Hilfe möchte. Wir möchten ihm alle helfen und sind alle für ihn da, doch er lässt sich einfach auf niemanden ein.
Wir sagen ihm immer, dass wir ihn unterstützen und er das wieder hin bekommt, doch aus irgend einem Grund glaubt er nicht an sich.
Und dass es einfach nicht bergauf geht, dass macht die Familie kaputt. Besonders über Weihnachten. Auch das Jugendamt ist uns keine Hilfe. Sie vertrösten uns immer und immer wieder. Denn es ist ja kurz vor Weihnachten und außerdem wird er ja bald 18.
Ich habe das Gefühl, dass wir von allen im Stich gelassen werden mit unserem Problem. Nur weil alle in ihre heilen und tollen Familien wollen um mit ihnen die Feiertage zu genießen und die letzten Arbeitstage noch eben absitzen und am besten garnichts mehr tuen.
Das hätte ich auch gerne, doch auf Hilfe müssen wir zu dieser schönen besinnlichen zeit anscheinend verzichten.
Man kann mit keinem wirklich darüber reden, denn was sollen meine Freunde schon sagen? Sie sind mit der Situation doch auch überfordert. Wahrscheinlich noch mehr als ich. Also stehe ich alleine da und muss sehen, dass ich unsere Familie, welche nach und nach auseinander driftet, zusammen halte. Ich habe das Gefühl, dass keiner von uns mehr Hoffnung hat außer ich. Dass mittlerweile alle aufgegeben haben. Doch ich will meinen Bruder nicht vor seinem 18 Geburtstag begraben. Natürlich will meine Mama das auch nicht, doch sie ist mittlerweile auch nicht mehr so wie sie einmal war. Es fehlt ihr die Lebenskraft. Sie sieht weitaus älter aus als sie ist und hat überhaupt keine Freude mehr. Es macht mich krank sie So zu sehen. Sie hat seit circa einem Jahr keinen einzigen schönen Tag mehr gehabt.
Ich weiß nicht wie lange es und noch gelingt eine richtige Familie zu sein.

Ich hoffe ihr habt vielleicht diesmal einen Rat, auch wenn es kurz vor Weihnachten ist und ihr eigentlich lieber euren wohl verdienten Urlaub haben möchte um mit eurer Familie zu sein.

Ein schönes Weihnachtsfest

Liebe Grüße

Lila

Bernd Anwort von Bernd

Hallo Lila,

ich habe mir Deine Zuschrift vom 09.12. nochmal angeschaut: Deinem Bruder ist von jeder Seite nach allen Kräften geholfen worden! Und das war wohl auch über Weihnachten nicht anders? Ob im betreuten Wohnen, in den Kliniken, in der Familie: alle bieten Deinem Bruder ihre Hilfe an?!
Nun schreibst Du:
"Ich habe das Gefühl, dass wir von allen im Stich gelassen werden mit unserem Problem. Nur weil alle in ihre heilen und tollen Familien wollen um mit ihnen die Feiertage zu genießen und die letzten Arbeitstage noch eben absitzen und am besten gar nichts mehr tuen."

Deine Wut, Deinen Zorn: Deine Hilflosigkeit kann ich gut verstehen.
Dass Du uns Haue versetzt, weil es Dir weh tut, Deine Familie auseinanderdriften zu sehen, ist in Ordnung!
Ich fühle Deine Hiebe und Tritte! Es tut auch mir weh, wie Du über uns sprichst!
Aber ich freue mich, dass Du diesen "Punchingball" gefunden hast, Deiner Hilflosigkeit, die ja nach Taten drängt - die Lösungen will - ein Ventil zu geben.
Was das zeigt: Es geht nicht immer nur um Deinen Bruder! Es geht auch um euch als Familie! Um Deine Mutter! Um Dich!

Lila, ich will Dich nun wirklich nicht verarschen, wenn ich schreibe: ein wenig "Besinnlichkeit" täte euch (neben aller hektischen Betriebsamkeit) gut.
Nimm Dir die Zeit und Google meinetwegen unter Wikipedia: "verlorener Sohn"
oder schau in Deiner Kommunions-/Konfirmandenbibel nach: Evangelium des Lukas 15,11–32

Als Rettungsschwimmer will ich Dir das Gleichnis anders erklären: Ich habe in dem Schwimmkurs als wichtigstes mitbekommen: Wenn Du es nicht schaffst, Dich von der Umklammerung eines Ertrinkenden zu befreien, wirst Du mit ihm untergehen!
Ich kann einem Ertrinkenden hinterherspringen, mich in seiner Nähe aufhalten und muss warten, bis ich eine Gelegenheit bekomme, ihn ohne selbst in Gefahr zu geraten an die Wasseroberfläche zu bringen.

Anders geschrieben: nach meiner Meinung solltet ihr Deinen Bruder zuerst einmal loslassen können! Das braucht sehr viel Kraft (Ruhe und Besonnenheit)!

Nur er selber kann entscheiden, ob er seinem Leben einen Sinn zu geben in der Lage ist! Es mag Dir hart erscheinen, aber da hast Du absolut keine Möglichkeit, ihm diese Entscheidung abzunehmen!
Und wenn er keinen Sinn erkennt, trägst Du keine Schuld an seiner Entscheidung!

Die Aufgabe des Rettungsschwimmers (oder des Vaters): dem Ertrinkenden/Gestrandeten die Hand zu reichen und ihn aufzufangen, wenn er den Sinn für sich erkannt hat!

Mehr kannst weder Du, noch Deine Mutter!

Ich habe einen Spruch, der in Deinem/Eurem Kontext noch einmal eine ganz andere Wahrheit treffend ausdrückt:

"Liebe ist nicht, jemanden zu binden, sondern ihm die Freiheit zu geben, bleiben zu wollen".

Liebe Lila,

sei für Deine Mutter da!

Lasse selber los und hilf auch ihr, loszulassen!

Sammelt eure Kraft, um für Deinen Bruder dann da zu sein, wenn er eure Hand annehmen will!

Alles Liebe,

Bernd