Problem von Fiona - 14 Jahre

Sollte ich zu einem Psychiater?

Guten Tag Liebes Kummerkasten-Team
Wenn ich ehrlich bin, habe ich Eure Seite heute zum ersten Mal besucht. Um genau zu sein, gleich als ich von der Schule kam. Vor ein paar Tagen habe ich einige meiner Schulkameraden über den Kummerkasten reden hören und habe mir Gedacht, vielleicht können sie mir ja helfen. Leider konnte ich aber nicht gleich Eure Seite besuchen, da ich ja auch andere Dinge zu tun hatte und somit die letzten Tage nicht an meinem Computer gekommen bin. Aber dies tut ja momentan nichts zur Sache. Ich komme jetzt einfach mal zu meinem Problem.

Zuvor möchte ich noch sagen, dass ich momentan die 9. Klasse besuche. Das heißt ich trage mein Problem schon ca. ein Jahr mit mir herum. Es hat sozusagen ende der 7. und anfang der 8. Klasse begonnen. Konkret betrifft es meine ganze Familie (sprich: Mom, Dad, meine kleine Sis). Also mein Vater ist von Beruf her Arzt und hatte glaube anfang der 6. Klasse angefangen als Honorar-Arzt zu Arbeiten. Diesbezüglich war er nicht oft zu Hause. Ich hatte persönlich kein Problem damit, genauso wie der Rest der Familie, bis mein Dad irgendwann nach Hause kam und sich mit meiner Mom übelst Stritt. Gut, davor haben sie sich auch oft gestritten, aber nie so extrem. Anfangs konnte ich die Streutereinen meiner Elter gut verdrängen und sogar meine Schwester wieder zum lachen bringen wenn sie es mal wirklich heftiger mit bekam. Jedenfalls ging es eine Zeit lang gut, solange bis bei mir die Pubertät anfing. Ich gebe zu, ich bin nicht gerade der ordenlichste oder die fleißigste Person. Und genau damit fing es an. Ich vergaß immer öfter den Müll, oder meine Wäsche runterzubringen. Meine Mom hat deswegen mit mir gemeckert, verständlich, doch dann find sie plötzlich an mich mit einem Mädchen aus meiner Klasse zu vergleichen und die war um einiges schlimmer als ich! Ich habe es eine Zeit lang über mich ergehen lassen, bis mir irgendwann selber der Faden gerissen ist und habe mich mit meiner Mutter gestritten. Irgendwie ist der Streit außer Kontrolle geraten und sie hat mich geschlagen und schrie mich an: "Ich hätte dich doch abtreiben sollen!", für mich war das natürrlich ein Schock und so hielt ich sofort meinen Mund, hatte mich aber fest endschlossen zu meinen Großeltern zu gehen (sie wohnten glücklicherweise nebenan) und von dort aus meinen Dad anzurufen, wenn meinen Mom meine kleine Sis ins Bett bringt. Als ich dann bei meiner Oma war und ihr die ganze Geschichte erzählt habe, hatte sie mir auch eine kurze Standpauke gehalten, warum ich denn auch so faul seie. Aber das was meine Mom gesagt hatte fand sie nicht in Ordnung und rief sofort meinem Dad an. Eigentlich sollte ich über Nacht bei meinen Großeltern bleiben, aber als meine Mom dann angerufen hatte, sie hat sogar am Telefon geweint, bin ich dann doch wieder nach Hause gegangen. Ein paar Tage ging es gut, doch dann fingen die Streitereien wieder an. Ich fand mich damit ab, aber nur um eine gute und starke große Schwester zu spielen, damit meine kleine Sis nicht dachte, dass es keine vernünftigen Personen mehr im Haus gibt. So ging das eine ganze Weile lang. Doch als mein Dad dann länger zu Hause war, begann meine Mom Lügengeschichte zu erfinden, damit mich mein Dad anmeckert. Zwar ht er nicht alle geglaubt, doch wenn er eine Geschichte geglaubt hat, konnte ich solange wie ich wollte auf meine Unschuld behaaren, er glaubte mir nicht. Ende der 8. Klasse war ich dann so mental am Ende, dass ich darüber nachdachte mich zu ritzen. Doch als ich das Messer dann anzetzte und Schnitt tat es zu sehr weh und ich habe mir geschworen es nie wieder zu tun. Jedenfalls stellten sich die Streitereien mit meiner Mutter für eine kurze Zeit ein und ich begann Geschichten zu schreiben. Ich tat dies aus Freude und außerdem merkte ich, dass ich meine Gefühle so in Zaum halten konnte. Doch kurz nach Weihnachten begannen die Streitereien wieder und ich hatte die Gedanen übers ritzen wieder im Kopf und manchmal fragte ich mich, wie es meiner Familie gehen würde, wenn ich nicht da wäre. Würden sie glücklicher sein? Irgendwann begann ich damit mir einzureden, dass alle mich hassen würden. Und es ist kein schönes Gefühl wenn man sich selbst runter macht. Ich habe meinen Dad mal gefragt ob er nicht einen Psychiater kennt und ob ich vielleicht mal mit diesem reden könnte, doch er meinte nur, es gehe mir doch gut und ist nicht weiter auf dieses Thema eingegangen. Ich merke das es mir mental nicht gut geht, meine Noten leiden auch darunter. Früher habe ich immer 1, 2 und 3 nach Hause gebracht und jetzt sind es nur noch 4, 5 und 6. Ich habe inzwischen immer Angst meine Noten nach Hause zu bringen und verstecke sie meistens. Zwar meinten meine Eltern sie würden mich nicht anmeckern. Doch als ich meinen Dad ein 5 gezeigt habe hat er doch gemeckert. Da habe ich mich gefragt, warum sie so etwas sagen und sich dann nicht daran halten? Inzwischen habe ich wieder daamit angefangen am Wochenende früh aufzustehen, früstuck zu machen, mit dem hund raus gehen. Ich mache all das, was ich beweltigen kann und wo ich denke es muss gemacht werden, doch meine Mom findet immer wieder einen Grund um mit mir zu meckern. Und heute im Bad lag eine Schere neben mir und ich habe mir vorgestellt wie ich sie in die Hand nehme und sie in mein Herz stoße. Ich habe höllische Angst vor meinen Gedanken und langsam auch vor mir selbst. Aber ich frage mich ob mich ein besseres Leben ohne Probleme nach dem Tod erwartet oder nicht. Ich habe Angst, dass meine Eltern mich in die Klappse stecken, wenn ich ihnen von meinen Problemen erzähle. Ich möchte nicht von zu Hause weg! Aber ich fürchte mich vor dem was ich mir antun könnte...
Ich freue mich auf eine baldige Antwort
Fiona

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Fiona,

es wäre sicher nicht falsch, wenn du zu einem Psychiater gehen würdest. Wichtig wäre mir aber, dass du es als Weg betrachtest, deine Probleme an der Wurzel fassen zu können - und nicht als Zeichen siehst, dass du krank und unbequem wärst. Eine Therapie kann dir zwar helfen, dir über den Ursprung der Probleme klar zu werden, und deine eigenen Gedanken besser zu verstehen. Es bedeutet aber noch nicht, dass dadurch alles gleich besser wird. Es sind Anregungen, die ein Psychiater geben kann - umsetzen kannst du sie nur selbst. Vielleicht kann erst einmal ich das eine oder andere bieten, das für dich hilfreich sein kann.

Der Hintergrund für deinen Schmerz ist sehr deutlich: Der Streit mit deinen Eltern, besonders mit deiner Mutter. Es ist alles Andere als okay, was deine Mutter dir an den Kopf geworfen hat. Und ich glaube, deine Eltern verstehen noch nicht so ganz, wie dieser Streit für dich noch nicht vorbei ist, sondern in dir weiter arbeitet. Für sie ist ein Konflikt ausgetragen, wenn ihr euch "geeinigt" habt; bei dir hingegen spielt all das, was vorgefallen ist, in Gedanken noch immer eine Rolle. Mit dem Schreiben von Geschichten hast du einen guten Weg entdeckt, deine Gefühle zu verarbeiten, wenn es dir schlecht geht; das allein hilft dir noch nicht, das weiß ich. Ich denke, ein Stück weit ist es die emotionale Zeit, durch die du gehst; ein bisschen liegt es aber auch daran, dass deine Eltern und du verschieden mit dem umgehen, was passiert.

Dass deine Eltern sauer auf dich sind, weil du gerade nicht die allerbesten Noten hast, glaube ich nicht. Sicher werden sie bei sich überlegen, woher das kommt, und sich auch Sorgen machen. Vielleicht haben sie aber noch nicht die Tragweite des Problems erfasst. Wichtig ist: Du machst sehr viel durch, und wenn du von dir selbst erwartest, allen Ansprüchen zu genügen, erhöhst du den Druck auf dich nur noch. Damit gerätst du sozusagen in einen Teufelskreis, denn je mehr du leisten möchtest, desto weniger gelingt es dir. Es sieht für dich so aus, als könntest du es deinen Eltern überhaupt nicht recht machen - obwohl du alles tust, um ihnen zu gefallen. Manche Sätze bewertest du vielleicht selbst anders, als deine Mutter sie gemeint hat; manches wird von ihr völlig unbedacht in den Raum gestellt. Dabei missversteht sie, dass dein neuer Eifer nicht ein Anzeichen ist, dass es dir gerade besonders gut geht. Er zeigt an, dass du unbedingt den Frieden wahren, und mit Meckereien verschont werden möchtest. Es ist eine Art, auszudrücken, dass dich die letzten Vorfälle sehr verletzt haben. Bei deinen Eltern kommt es so an, als hättest du dir nur ihre Ratschläge zu Herzen genommen, und kämst mit ihrer Kritik umso besser klar. Daher wäre es gut, wenn du es mit deinen Eltern - wenn du es nicht mit deiner Mutter bereden willst, mit deinem Vater oder deiner Oma - noch einmal klärst. Du solltest deutlich machen, dass es dir weh getan hat und noch immer tut, was zwischen euch war, und du das Gefühl hast, mit deinen Bemühungen nichts recht machen zu können. Vor diesem Hintergrund sehen sie auch anders, dass du jetzt mehr mithilfst: Es zeigt, dass du für dich wieder ins Lot bringen möchtest, was sich ereignet hat. Aber du erreichst es nicht, sondern erfährst immer neue Kritik. Das müssen deine Eltern anerkennen, denn es zeigt auch ihr eigenes Missverständnis auf. Und dass für dich Vieles eben noch nicht vergeben und vergessen ist.

Gleiches gilt für dein Erlebnis mit der Schere: Es sollte zur Sprache kommen. Denn in dir wächst ein gigantischer, schleimiger Klumpen, der nicht abschwillt, sondern immer mehr Raum braucht. Und irgendwann wird es zum Zusammenbruch kommen, wenn es sich nicht mehr verstecken lässt. Eine Therapie ist eine gute Möglichkeit, wie ich schon schrieb; nur, sie betrifft euch alle, und dass sich bei euch zuhause Manches verändert. Deine Mutter, so wie du sie beschrieben hast, scheint nicht die einfachste Persönlichkeit zu sein. Jedenfalls hat sie, so wie es mir vorkommt, immer wieder neben sich gestanden. Diese Sache mit der Abtreibung ist starker Tobak, hat das denn mal im Raum gestanden, als du noch nicht geboren warst? Es ist mehr als verständlich, dass es dir nachgeht und schmerzt. Ob du deshalb in eine Klinik musst, ist nicht gesagt. Deine Eltern lieben dich und werden das nicht wollen - es würde aber auch nicht bedeuten, dass du von zu Hause weg musst, und für immer. Die Aufnahme in einer Klinik ist nur für eine bestimmte Zeit, und kann dazu dienen, dich ein wenig von den Quellen deines Stresses zu entfernen, und dir Raum zu geben, um wieder Kraft zu sammeln. Ganz wichtig ist mir, dass du weißt: Eine Klinik ist kein Ort, an dem du als krank abgestempelt wirst. Dorthin kommen Menschen mit Probleme, die ernst genommen werden müssen - und für die sich keiner zu schämen braucht. Aber das ist etwas, das wir heute noch nicht als fest ansehen können. Mach dir darüber keine Gedanken, soweit das geht. Vorerst müssen deine Ängste und auch die Selbstmordfantasien - habe ich das so richtig verstanden? - besprochen werden. Könntest du dir vorstellen, dazu mit einer Lehrerin zu reden, der du vertraust? Oder einem anderen Familienmitglied? Am wichtigsten, es muss bald passieren. Denn der Knoten ist in Gefahr, zu platzen, und weder der Streit daheim, noch das Ausbleiben des Erfolgs in der Schule, machen es besser. Eher noch schlimmer. Du drehst dich im Kreis. Zwar ist nicht gesagt, dass es eine Therapie sein muss - ich will auf keinen Fall den Teufel an die Wand malen. Trotzdem solltest du es nach außen tragen, was in dir vorgeht. Es kann sein, dass es nicht gleich verstanden wird, dann beharre mehr denn je darauf. Denn was sie merken müssen, ist, wie es in dir gärt und rumort, und du anfängst, dir selber fremd zu werden. Wir haben es nicht mit einem Konflikt zu tun, wie es viele gibt, sondern mit einer Krise, die nur von allen gemeinsam gelöst werden kann. Trau dich, den Stein des Anstoßes ins Rollen zu bringen. Es geht um dich - und niemand ist geholfen, wenn du unglücklich bist; es ist sicher auch niemandes Wunsch.

Ich wünsche dir sehr, dass du den Mut findest, dich zu öffnen - und damit beginnst, dich selbst wieder mehr zu schätzen. Dem Kummerkasten zu schreiben, war der erste Schritt, und ich fühle mich geehrt, ihn begleitet zu haben. Vielleicht konnte ich dir keinen wirklich neuen Gedanken bieten. Was ich aber deutlich machen wollte: Du bist es wert, von diesem Gezerre verschont zu bleiben; es unterscheidet sich von einem Streit, wie er im Alltag vorkommt. Dafür ist es wichtig, dass du zum Ausdruck bringst, wie du es empfindest. Nicht nur als Uneinigkeit, als Unzufriedenheit und Misstrauen - sondern als Kampf, der dich langsam aufzehrt. Das muss dir auch gegenüber deinen Eltern nicht peinlich sein, denn es ist auch nicht "ihr Fehler", und heißt nicht, dass du "komisch geworden" oder "schlecht erzogen" wärst - nein, das alles heißt es nicht. Ihr seid miteinander in schwieriges Fahrwasser gekommen, und ich bin sicher, ihr werdet den Weg heraus auch wieder finden.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul