Problem von Anonym - 22 Jahre

Verbotene Fern-Liebesbeziehung

Hallo,

seit einem Jahr bin ich mit meiner Freundin zusammen. Es ist jedoch keine normale Beziehung. Wir verstehen uns sehr gut, haben die gleichen Interessen, Ansichten und lieben uns wirklich sehr. Es ist inzwischen so weit, dass wir uns ein Leben ohne einander nicht vorstellen können. Diese Angst bringt uns um und hat auch mir so einige schlaflose Nächte gebracht.

Warum wir Angst haben und diese Liebe verboten ist?
Wir haben beide die gleiche Muttersprache, sind also von der Nationalität her gleich, doch eins unterscheidet bzw. lässt uns unterscheiden: Die Religion. Ich gehöre einer Religion an, in der es nur erlaubt ist eine/einen zu heiraten, die/der ebenfalls dieser Religion angehört. Es ist zudem nicht möglich, in unsere Religion einzutreten. Sie gehört einer Religion an, deren Anhänger in den letzten Jahrhunderten meine Vorfahren aufgrund der Religion getötet und massakriert haben - sie ist Muslima. Sie gehört also der Religion an, die man meidet und nicht gerade liebt, was an der blutigen Vergangenheit liegt. Für uns als Agnostiker spielt das jedoch keine entscheidende Rolle, wir lieben uns und sind trotzdem diese Beziehung eingegangen. Wir sind jedoch auch Familienmenschen. Unser Umfeld und unsere Familie würde diese Liebe und und Heirat also nicht akzeptieren. Meine aufgrund der Religion nicht und ihre aus dem Grund, dass ich quasi ,,ein Fremder" bin.

Hinzu kommt, dass sie aus einem anderen Land kommt. Uns trennen 700 km, was uns jedoch nicht daran gehindert hat, dass wir uns schon oft und auch mehrere Tage hintereinander gesehen haben. Dennoch ist es sehr schwierig und hart. Die Sehnsucht bringt einen manchmal um. Ich hatte eine Zeit lang das Gefühl, Depressionen zu haben und war sogar beim Arzt. Diese Zeit war sehr schlimm, ich habe den Sinn fürs Leben verloren und war tagelang depressiv. Inzwischen hat sich das ein wenig beruhigt und ich kann es sehr oft unterdrücken, doch schwer ist es trotzdem - sehr sogar.

Nun haben wir beide mit unseren Eltern gesprochen, die nicht gerade begeistert davon waren. Meine waren sehr enttäuscht und haben mir gesagt, dass ich genau weiß, dass das nicht gehen würde. Ihre Mutter hat schlimmer reagiert und gesagt, dass sie es niemals akzeptieren und es niemals zulassen werden. Ihr Vater weiß nichts davon.

Auch ist es problematisch, was die Vorstellungen bezüglich einer gemeinsamen Zukunft angehen. Wird sie herkommen oder ich dorthin? Sie sagt, dass es niemals gehen wird, dass sie herkommt und ihre Familie es nicht zulassen würden. Ich kann aufgrund der Verantwortung meiner Familie gegenüber nicht weg, weil ich immer sehr viel tue und Unterstützung leiste zu Hause. Bis heute haben wir uns diesbezüglich nicht wirklich geeinigt. Ich weiß, es ist noch hin, aber dennoch sollte man ungefähr eine Vorstellung haben, diese haben wir nicht und auch das ist ein großes Problem.

Niemals will ich diese Beziehung beenden, doch bei einer Heirat würde mein familiäres Umfeld mich höchstwahrscheinlich isolieren und ignorieren, nicht mehr mögen und beachten. Zu einer Hochzeit würde zudem niemand erscheinen..

Ich weiß wirklich nicht, was ich tun und wie ich denken soll. Aufgeben kann ich sie niemals, dafür ist sie einfach ein viel zu wertvoller und einzigartiger Mensch. Dafür ist die Liebe einfach zu groß.

Ich hoffe, dass ich von Paul Hilfe bekomme.

Vielen Dank..

PaulG Anwort von PaulG

Lieber Anonymer,

ich glaube erkannt zu haben, welcher Religionsgemeinschaft du angehörst. Da du ihren Namen aber nicht genannt hast, möchte ich sicherheitshalber davon ausgehen, dass du ihn hier nicht stehen haben möchtest, und werde ihn daher ebenfalls nicht nennen.

Ich frage auch deshalb - obwohl du mir natürlich nicht antworten musst - weil ich gelesen habe, dass eine Heirat mit einem / einer Andersgläubigen sogar den Ausschluss aus deiner Religionsgemeinschaft bedeuten würde. Ob das nun stimmt oder nicht, es verdeutlicht wohl nur, wie ernst euer Problem ist. Ich möchte dir gleich sagen, dass ich keine Optimallösung anzubieten habe. Aber ich möchte versuchen, so gut ich kann, meine Gedanken auszubreiten. An dieser Stelle vielen Dank für dein Vertrauen :)

Wir reden ja über etwas sehr Konkretes: Ihr beide liebt euch, und ihr habt auch die Heirat schon erwogen. Im Weg stehen euch erstens die Religion, zweitens die räumliche Entfernung, drittens euer Verantwortungsgefühl für eure Familien. Ich kann nur sagen, sowohl dich als auch deine Liebste ehrt es sehr, dass ihr in eurer Situation auch an eure Familien denkt und dass sie eure Hilfe nötig haben. Umso schlimmer ist es ja, dass beide Teile keinen Schwiergersohn / Schwiegertochter mit diesen Qualitäten dulden möchten, nur weil ihr den jeweils "falschen" Glauben habt. Ihr steckt quasi in einer Zwickmühle - und du wirst selbst einsehen: Wenn ihr dieser entkommen wollt, wird es ohne einige Prellungen nicht gehen. Ich denke, du weißt, was ich dir damit sagen will.

Ganz wichtig ist mir das: Verstehe meine Antwort bitte nicht als konkrete Handlungsanweisung, sondern nur als Gedanken, die dich zu einer Lösung bringen können - vielleicht. Aber wenn, sollte das nur eine Lösung sein, die du wirklich mittragen kannst, und nichts, das du tust, weil ich darüber gesprochen habe. Ich möchte unter allen Umständen vermeiden, dass du oder deine Freundin in Gefahr geraten. Und wenn ich mir betrachte, dass sich kürzlich wieder ein Ehrenmord ereignet hat, und wie das Verhältnis zwischen euren Glaubensgemeinschaften im Laufe der Zeit (bis heute) gewesen ist, wirst du mich sicher verstehen. Es geht mir überhaupt nicht darum, irgendwelche Vorurteile anzubringen. Aber auch wenn es mir positiv scheint, dass eure Familien es immerhin mal (wenn auch mit Enttäuschung) zur Kenntnis genommen haben: Ihr würdet mit einer Heirat ein nicht ungewichtiges Tabu brechen. Ich kenne eure Verwandtschaft nicht und will sie nicht verurteilen. Aber ihr wärt nicht das erste Paar, für das es um Leib und Leben ging - und ich bin mir bewusst, hier in einer sehr prekären Sache zu beraten.

Um eure Liebe verwirklichen zu können, müsste letztlich einer von euch den Standort wechseln, das ist mal klar. Sie hat dir zwar gesagt, dass sie nicht weg könnte, und ich kann ihre Bedenken nachvollziehen. Doch auch dir wird einleuchten, dass, wenn ihr es schon wagen solltet, sie nach Deutschland kommen sollte. Nicht nur, dass ihr hier einander heiraten könntet, ohne jeweils euren Glauben aufgeben zu müssen: Ihr wärt auch weitgehend in Sicherheit. Ich habe ein ganz, ganz ungutes Gefühl bei dem Gedanken, wie du deine Zelte hier abbrichst und zu ihr und ihrer Familie reist. Du hast von 700 km gesprochen, daher gehe ich davon aus, dass du nicht die Türkei / den Irak meinst. Trotzdem, halbwegs wohl ist mir nur dann, wenn ich von euch beiden in Deutschland spreche - allein schon, weil ich das Land, das du meinst, und seine Rechtslage nicht kenne.

Gesetzt den Fall, ihr macht es so - dann käme ihr Wegzug wohl eher einer Flucht gleich. Das würde wohl wenig bis gar keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie bedeuten, das neue Land und Umfeld hinzugenommen. Dir sollte klar sein, dass eure Liebe damit einer ganz massiven Belastungsprobe ausgesetzt würde - noch verschärft dadurch, dass es für sie wahrscheinlich kein Zurück mehr gäbe. Über Formalitäten, wie das alles zu machen wäre, darf und will ich hier nicht sprechen - wie gesagt, ich gehe nur in meinem Kopf durch, was sein könnte. Wenn ihr mit euren Plänen Ernst macht, dann ist das nicht nur riskant wegen der Religionen. Sondern ich sage dir auch ganz persönlich, von Mann zu Mann: Ich bewundere dich, dass du bereit bist, solche Verantwortung für die Frau zu übernehmen, die du liebst, und ihr beizustehen. Aber diese Verantwortung hast du dann auch, sie ist auf dich angewiesen, sie gibt ihre Welt für dich auf. Das heißt, sie gäbe. Wenn es so kommt, dann vergiss nie, was sie für dich getan hat, und ehre sie.

Hier komme ich an einen weiteren Punkt: Eure Familien, und was ihr für sie tut. Ich hoffe, dir nicht zu nahe zu treten - aber werden wir uns darin einig, dass in eurer Heimat die Loyalität zur Familie eine weit größere Rolle spielt, als vielfach in Deutschland? Das ist nichts Schlechtes, aber ich meine aus deinem Text herauszulesen, dass das euch zum Teil hemmen könnte. Du trägst zum Unterhalt deiner Familie bei, unterstützt sie - und sie wohl ebenso. Wie gesagt, das ist löblich. Aber wenn ihr eure Beziehung nicht aufgeben wollt, wird diese Fürsorge sich schwer aufrechterhalten lassen. Was machst du, wenn ihr zusammen lebt, deine Familie sie aber mit Ablehnung straft? Es würde dich auf Dauer auffressen, dich ständig zwischen zwei Polen zu bewegen, deine Frau und deine Familie nicht an einen Tisch bringen zu können. Es sei denn natürlich, das gelingt doch noch. Aber ob sie sie zähneknirschend akzeptieren, ihr aber trotzdem deutlich ihre Unsympathie vermitteln, oder ob sie sie herzlich aufnehmen, das ist schon ein Unterschied. Sofern es dir nicht gelingt, Frieden zu stiften (und wir müssen davon ausgehen, dass nicht), dann wirst du nicht umhin kommen, dich von deiner Familie zu entfernen. Es fällt mir schwer, dir das zu schreiben, aber wenn du mit ihr zusammen leben willst, wirst du deiner Familie deine Unterstützung versagen müssen. Das heißt, falls sie sie dann überhaupt noch wollen. Es sollte aber, egal wie es kommt, kein Grund für dich sein, ein schlechtes Gewissen zu haben.

Das mag nicht ganz einfach sein. Aber bedenke: Du hast dich (hättest dich) entschlossen, eine jahrhundertealte Feindschaft zu überbrücken, uralte Vorurteile radikal niederzureißen - gut! Ich bewundere dich. Doch du musst in diesem Fall sicher stellen, dass nicht ein Rest davon auch bei dir bleibt. In dem Sinn, dass du bereit sein solltest, dich auch mit der Religion deiner Partnerin auseinander zu setzen, wenn sie sie weiter ausüben möchte. (Du sagtest zwar, dass ihr beide Agnostiker seid. Jedoch musst du damit rechnen, dass die Religion für sie wichtiger würde, wenn sie sonst nichts mehr an ihr altes Leben erinnert.) In dem Sinn auch, dass du ihr keine Vorwürfe über ihre Familie machst. Und in dem Sinn, dass du bereit bist, sie deiner eigenen Familie vorzuziehen. Weil du auch ein Mensch mit eigenen Rechten bist - und es nicht angehen kann, dass man deine Hilfe zwar schätzt, aber nur zu dem Preis, dass du deine Gefühle nicht ausleben darfst. Ich habe mir überlegt, dass das für dich schwer sein könnte - vielleicht liege ich ja ganz falsch. Aber wie es auch ist, du gehst einen schweren Gang. Und alle Gedanken, die ich hier so erzählt habe, hast du auf die eine oder andere Weise wohl schon gehabt.

Nun komme ich zum zweiten Teil meiner Antwort, dem unangenehmeren (falls der erste angenehm war :/ ). Und zwar zu dem anderen Szenario, das du, so weh es dir tut, auch einmal durchdenken solltest: Zu der Frage, ob diese Beziehung wirklich Sinn macht.

Ich möchte es absolut hervorheben: Das bedeutet von meiner Seite keine Wertung und keine Aufforderung an dich. Ich bin hoch erfreut, dass junge Menschen (wie ich ja selber einer bin) beginnen, die Mauern in den Köpfen zu überwinden. Und wüsste ich einen Tipp, wie du mit ihr zusammen sein könntest, der wirklich funktioniert - dann hätte ich wohl ein gutes Werk getan, ja. Als Person, die an das Gute in der Welt glaubt, und die das hoffnungsvolle Signal wahrnimmt, das von dieser Liebe ausgeht, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass ihr miteinander glücklich werdet. Aber als ebenso realistisch denkender Mensch, der weiß, welche Ereignisse zwischen euren Religionsgruppen stehen (und zum Teil gerade jetzt, in diesem Augenblick, geschehen!): Von dieser Warte sehe ich es als meine Verpflichtung, dich auch auf die andere Seite hinzuweisen.

Ihr führt eine Fernbeziehung, und es ist schwer abzusehen, ob ihr als Paar, das gemeinsam lebt, auch so gut miteinander harmonieren würdet. Das kann zwar gar kein Problem sein, klar. Zumal ihr euch ja auch schon mehrfach gesehen habt. Leider gibt es da die große Hypothek, die auch euer Verhältnis zueinander belasten könnte, weil sie einfach ein riesiges Hemmnis darstellt: Da sind eben auch noch euer beider Familien, die euch beiden wichtig sind, die bisher euren Lebensmittelpunkt gebildet haben. Es ist leicht gesagt: "Man darf sich davon nicht hindern lassen!" Doch wenn ich mir vorstelle, meine Familie würde mir vermitteln, dass sie mich, sollte ich mit der jungen Frau, die ich liebe, die Ehe eingehen, schneiden und meiden, meine Partnerin nicht akzeptieren würde - und ihre umgekehrt -; wenn ich mir vorstelle, dass es hierbei nicht nur um persönliches Unbehagen ginge, sondern dass sie mich auch an Jahrhunderte des Hasses ermahnen würden, in denen deine Leute von den ihren geschmäht, gedemütigt, vertrieben, getötet wurden (und daran gibt es nichts zu beschönigen!): Wenn ich mir vorstelle, mir ginge es so, dann wäre es wohl nicht falsch, mich zu fragen, ob ich das wirklich tun will. Es mag sein, du liebst sie so stark, dass du jedes Risiko einzugehen bereit bist. Dann soll es so sein, und dann wünsche ich euch von Herzen alles Gute. Jedoch hoffe ich, dass du auch mich verstehst, wenn ich dir schreibe: Es ist einen Gedanken wert, sich zu fragen, ob die Welt dafür wirklich schon reif ist. Auch ich fühle mich nicht gut dabei, doch ich möchte nicht aus Idealismus und Gutgläubigkeit euch beiden zu etwas raten, das vielleicht euer Verderben wird. Ich kenne, wie bereits gesagt, eure Angehörigen nicht, und ich will auf keinen Fall etwas Falsches behaupten. Doch ich fühle mich verpflichtet, die Dinge, die über solche Fälle wie den euren eben schon zu mir gedrungen sind, nicht einfach abzutun. Das verstehst du doch, oder? Euer persönliches Auskommen miteinander steht auf dem einen Blatt. Auf einem anderen steht das, was einträte, wenn ihr eure Liebe öffentlich macht. Bisher war das alles nur gedanklich fassbar - wenn es real wird, werdet ihr trotzdem stark geprüft werden.

Wie ich hier merke, kann ich im Grunde nicht mehr tun, als das nachzuzeichnen, was dir sehr wahrscheinlich schon selbst durch den Kopf ging. Ich fühle mich nicht berechtigt, dir zu sagen "Mach das!" oder "Tu jenes!" Dafür ist das Problem zu komplex, die Sache zu ernst. Ob du nun deinen Gefühlen folgst, oder der "Vernunft" - beides wird viel von dir verlangen. Ich bin mir sicher, dass du dir der Risiken bewusst bist, und dass du nichts unüberlegt tun wirst. Was du aber tun sollst - das muss ich offen lassen. Wenn du einen Rat von mir möchtest, dann ist es dieser: Hol dir noch weitere Meinungen außer meiner, von Menschen, denen du vertraust, und die es für sich behalten können. Dann handle - und handle so, wie DU glaubst, dass es richtig ist. Wenn du deinem Gefühl folgen willst, dann soll es so sein - und für diesen Fall wünsche ich euch beiden alles Glück. Aber ich wünsche euch in jedem Fall auch Verständnis füreinander, Festigkeit eurer Liebe, und: Dass ihr immer darauf beharren könnt, das Richtige getan zu haben.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul