Problem von Sofia - 22 Jahre

Grenzen setzten ggü. meiner Mutter - schlechtes Gewissen

Hallo,

insgesamt habe ich zu meinen Eltern ein gutes Verhältnis, welches ich nicht missen möchte. Beide stehen mir sehr nah und ich will sie in meinem Leben haben. Allerdings wird besonders meine Mutter in ein paar Punkten in den letzten Jahren immer schwieriger. Sie hat ihre eigene Weltsicht, die sie scheinbar nicht verlassen kann, scheint nicht nachvollziehen zu können, dass andere Lebensmodelle nicht schlechter sein müssen als ihr eigenes (z.B. wenn Menschen wie ich keine Kinder wollen, kann sie das nicht wirklich gutheißen). Zudem wurde ich eigentlich sehr selbstständig erzogen, also mir wurde früh beigebracht, Dinge selber zu machen, was ich auch gut finde. Nur jetzt, wo ich 22 bin, redet sie mir dauernd rein. Und das nicht konstruktiv, sondern durch anmeckern und gemeine, spitze Bemerkungen. Zum Beispiel haben mein Freund und ich (wir wollen zusammen ziehen) ein - ihrer Meinung nach tolles - Wohnungsangebot abgelehnt. Deswegen hat sie mich nun zur Rechenschaft gezogen, meinte sie sei schockiert, wir hätten zu hohe Ansprüche, dass das doch nicht sein könne etc. Ich habe ihr wiederholt gesagt, sie solle sich da bitte raushalten, ich sei erwachsen und es sei nicht ihre Sache. Dass unsere Beziehung so nicht funktioniert. Sie meinte dann immer schnippisch "Ja gut, dann ist es eben eure Sache" - nur um danach noch was drauf zu setzen wie "Aber schockiert bin ich schon davon!". Sie will immer, dass ich nach ihren Vorstellungen lebe, alles andere findet sie doof und kritisiert es. Mich verletzt das, ich fühle mich nicht als erwachsener Mensch respektiert und für mich muss unsere Beziehung sich verändern. Darum habe ich mehrfach ein konstruktives Gespräch vorgeschlagen, was sie aber ablehnt, für sie scheint das nicht notwendig. Sie ist aktuell einfach sauer auf mich und hält mich für die Doofe, seit ein paar Tagen ist (seit dem Streit) kein Kontakt. Für mich fehlen aktuell aber einfach die Voraussetzungen für eine gesunde Beziehung auf Augenhöhe, ich schaff das so nicht mehr.

Nun kommt hinzu (Problem Nr. 2), dass ich mit meiner Oma und meinem Opa (den Eltern meiner Mutter) über das Problem geredet habe. Und reflexartig habe ich schon ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Mutter doch sehr liebe und nicht schlecht von ihr reden will. Meine Oma meinte dann auch, dass sie es sehe wie ich und hat noch dazu ein paar weitere Kritikpunkte an meiner Mutter gebracht, die dieses Schuldgefühl (nach dem Motto "Oh Gott, wir reden schlecht von ihr oder haben eine schlechte Meinung von ihr") verstärken. Ich liebe meine Mutter, und kann Kritik oder Schlecht-über-sie-reden damit irgendwie nicht vereinbaren. Ist das normal?! Und muss ich ihr sagen, was ich nicht toll finde an ihrem Verhalten, weil es sonst unehrlich wäre?? (Hinweis: Ich hatte in den letzten Jahren immer wieder Probleme mit Zwangsgedanken und weiß nicht, ob ich ihr das wirklich mal sagen sollte oder ob das nur der Zwang ist. Ich hab einfach Angst, sie zu "verraten" und will sie einfach nicht enttäuschen oder verletzen.)

Was soll ich noch tun?
Über Rat würde ich mich freuen.

Sofia

Anna Anwort von Anna

Hallo erstmal,

und vielen Dank für Dein Vertrauen und auch Deine Geduld. Das Problem, das Du schilderst, habe ich in ähnlicher Form schon öfters mitbekommen und ich denke, dass das zum erwachsen Werden dazu gehört. Was aber nicht bedeutet, dass es nicht unheimlich belastend sein kann, wenn man nicht weiß, wie man damit umgehen soll, wenn man Angst davor hat, die eigene Mutter zu verletzen, in dem man sie einfach nur kritisiert und wenn man auch irgendwie nicht mehr weiß, was eigentlich richtig und was falsch ist.

Ich glaube Dir, dass Du Deine Mutter sehr liebst und auch, wenn es schwer zu verinnerlichen ist, Du musst wirklich kein schlechtes Gewissen haben, nur weil Du genervt und verletzt von ihrem Verhalten bist. Wie Du damit umgehst, finde ich übrigens sehr reif und reflektiert und Du machst meiner Meinung nach alles, was Du überhaupt in Deiner Situation machen kannst. Du bietest ihr offene Unterhaltungen an, versuchst konstruktive Lösungen mit ihr zu finden, Du sagst klar und deutlich, dass Du ihre Einmischung nicht möchtest und überschreitest, im Gegensatz zu Deiner Mutter, nicht ihre Grenzen. So reif und erwachsen das Verhalten ist, fehlt dabei doch irgendwie auch, dass Du vielleicht einfach mal wütend wirst. Dass Du ihr, im Rausch der Gefühle, auch mal in härteren Worten die Meinung sagst oder selbst einfach mal wütend dicht machst. Natürlich ist das ruhige konstruktive Verhalten sehr erwachsen und überlegt, aber ich glaube, dass es nicht ganz mit Deinen Gefühlen übereinstimmt. Mir kommt es vor, als hättest Du innerlich schon eine große Wut auf Deine Mutter und würdest ihr, wenn das schlechte Gewissen nicht wäre, am liebsten mal sagen, dass jetzt Schluss ist und dass Du ein eigener und erwachsener Mensch bist.
Ich glaube, und bitte nimm es mir nicht übel, wenn es doch nicht stimmt, dass Du Dich das aber vielleicht (noch) nicht traust. Dafür spricht Dein starkes schlechtes Gewissen, dass Dir immer wieder einflüstert, Du seist im Unrecht, Du seist undankbar, dass das was Du willst, nicht fair Deiner Mutter gegenüber wäre. Aber auch das gehört zu diesem Konflikt dazu. Das zeigt, dass Du auf dem besten Wege zum Erwachsensein bist, aber das Kind in Dir trotzdem noch viel Einfluss hat. Ich glaube, sonst würde es Dir nicht so viel ausmachen, dass Deine Mutter "Dich nicht gehen lassen will" und das ist es ja, was aus ihrem Verhalten spricht. Irgendwie wartest Du immer noch darauf, dass Deine Mutter Dir das Erwachsensein zugesteht. Und damit schreibst Du ihr immer noch eine große (zu große) Macht als Mutter zu. Sie muss ja gar nicht damit einverstanden sein, dass Du jetzt eigene Entscheidungen treffen kannst. Es reicht, wenn Du damit einverstanden bist und Dein Erwachsensein leben kannst.
Ich könnte mir außerdem vorstellen, dass Deine Mutter sicher ein wenig verwöhnt von Deinem vorbildlichen Verhalten als Tochter ist und dass es ihr so noch schwerer fällt, Dich gehen zu lassen. Wenn sie spürt, dass bei Dir da auch eine gewisse Wut dahinter steckt und Du ihr diese auch mal zeigst, wird es für sie vielleicht leichter sein, zu akzeptieren, dass Du nicht mehr ihr kleines Mädchen bist.
Für mich zeigt das Verhalten Deiner Mutter eine starke Angst. Sie hat Angst davor, bald nicht mehr mitreden zu dürfen, Dich alleine in die Welt hinaus lassen zu müssen, Dich zu verlieren. Vielleicht ist sie sich darüber nicht bewusst und kann das auch nicht so offen kommunizieren, also zeigt sie es, in dem sie an Dir rumkritelt und Dich versucht zu bevormunden. Im Grunde meint sie es nur gut mit Dir. Aber ich glaube, dass Du im Moment daran denken solltest, Dein Leben selbst aufzubauen und selbst zu entscheiden und nicht wiederum versuchen solltest, Deine Mutter zu verstehen und es ihr recht zu machen. Wenn Du selbst richtig flügge geworden bist, dann ist vielleicht die Zeit, zu versuchen zu verstehen, warum Deine Mutter sich jetzt so verhält.

Bis dahin finde ich, machst Du das alles schon ganz toll. Dass es sich nicht immer leicht anfühlt, das gehört dazu und das wird Dir niemand nehmen können. Es wäre aber vielleicht trotzdem nicht verkehrt, wenn Du Dich mal ein wenig in Richtung Zwangsgedanken etc. informierst. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei so netten Menschen wie Dir, die Schwierigkeiten damit haben, emotional ihre Meinung auszudrücken und damit riskieren jemanden vor den Kopf zu stoßen, häufiger mit Zwangsgedanken zu tun haben.
Ich wünsche Dir alles alles Gute für die Zukunft und bin mir sicher, dass Du die Krise gemeistert bekommst. Du kannst uns auch gerne wieder schreiben, wenn Du möchtest. :)

Viele liebe Grüße,
Anna