Problem von Anonym - 20 Jahre

Alkohol

Mein Papa trinkt fast jeden Tag recht viel Alkohol, damit habe ich mich ja fast schon abgefunden- anders kenne ich es nicht. Aber was mich immer richtig wütend macht ist, wenn er dann Auto fährt. Was kann ich denn machen um ihm zu helfen ? Die Beziehung meiner Eltern ist mittlerweile ein stures aneinander vorbeileben und geredet wird auch nicht. Die intakte Familie kenne ich nur von Freunden.

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Oh, das klingt alles sehr festgefahren und "tot". Auffällig ist, dass du jetzt den Wunsch hast, aktiv zu werden. Das ist ein guter Anfang! Nur denke ich, dass du vor allem bei dir selbst ansetzen solltest, anstatt direkt in deiner Familie etwas verändern zu wollen.
Auf dich zu achten, birgt zwei Vorteile: Erstens kannst du dich dadurch mehr schützen, zweitens kann dein neues Verhalten langfristig auch bei deinem Vater bzw. deiner Familie Veränderungen hervorrufen, auch wenn sie (anfangs) eher klein sind.

Die Gefahr einer Co-Abhängigkeit kennst du vermutlich schon? Damit ist gemeint, dass das Suchtverhalten einer Person durch das Verhalten der Angehörigen gestützt und somit dauerhaft aufrechterhalten wird. Ohne deine Familie bzw. die Umstände näher zu kennen, kann ich nur mutmaßen, dass bei euch insofern co-abhängiges Verhalten vorliegen könnte, indem nicht über die Alkoholsucht und die Auswirkungen (z.B. angetrunken oder betrunken Auto zu fahren) gesprochen wird und auch keine Grenzen bzw. Konsequenzen gezogen werden.

Du kannst also bei dir anfangen und genau das, was dich aktuell so stört, angehen: Dein alkoholisierter Vater am Steuer. Du kannst ihn damit konfrontieren, indem du ihn auf die große Gefahr für ihn und andere Verkehrsteilnehmer:innen hinweist. Verbirg deine Wut nicht, sondern lass sie raus, sie ist absolut berechtigt!
Bei einer ausgewachsenen Sucht wird das sein Verhalten aber nicht ändern. Daher ziehe zusätzlich die Konsequenz, dass du nicht mit ihm Auto fährst, wenn er getrunken hat oder du ihn einfach nicht ans Steuer lässt. Das hat zumindest den Vorteil, dass du nicht gefährdet wirst und du eine gewisse Kontrolle über die Situation hast. Dabei sollte aber klar sein, dass dein Vater gerade nicht in der Lage ist, Auto zu fahren, also andere Personen von dir hören: "Ich fahre alle nach Hause, Papa ist betrunken", anstatt ihn zu schützen und eine Ausrede zu erfinden (aber Trunkenheit bemerken andere Leute ja sowieso schnell).

Es auf den Punkt zu bringen, was aus deiner Sicht in der Familie schief läuft, ist eine weitere Variante. Denn alle wissen es, reden nur nicht drüber. Zeige deinen Angehörigen, dass du bereit für die Veränderungen bist und dir Gedanken über Lösungsmöglichkeiten machst! Das kann erfolgen, indem du u.a. die Vorteile erwähnst, über die Gedanken und Gefühle in Beziehungen zu sprechen. Oder dass es doch viel schöner ist, Dinge nüchtern zu erleben. Vielleicht würden sich daraus allmählich ehrliche Unterhaltungen ergeben. Es wäre ein Anfang. Dann könntest du vorsichtig auf therapeutische Aspekte wie Paartherapie und Entzugsklinik hinweisen.

Außerdem solltest du deine Mutter unter vier Augen ansprechen. Neben dem Thema Sucht und Co-Abhängigkeit solltest du sie ermutigen, sich aus der Ehe zu lösen, sofern sie nicht mehr bereit ist, für eine positive Veränderung einzustehen. Das kann teilweise starke Effekte hervorrufen, dass der Ehepartner wachgerüttelt wird. Wenn deine Mutter allerdings keine Liebe mehr für ihren Mann empfindet, sollte sie sich endgültig trennen, damit beide die Chance auf einen Neuanfang erhalten und zumindest sie nicht mehr still vor sich hinleidet.

Wenn Momente mit deinen Eltern aufkommen, in denen du dich unwohl wegen des alkoholbedingten Verhaltens deines Vaters bzw. wegen der fehlenden Kommunikation fühlst, kannst du das thematisieren. Brich das Schweigen an Stellen, die jahrelang unhinterfragt übergangen wurden. Sag zum Beispiel: "Ich habe keine Lust, mit euch im Wohnzimmer zu sitzen und dabei zuzusehen, wie Papa eine Flasche nach der anderen leert. Wenn du/ihr mit mir einen Spaziergang bei dem schönen Wetter machen wollt, würde ich mich dagegen freuen." Wenn sie dann nicht drauf einsteigen, ist es ihr Problem, du hast es wenigstens versucht und deine Bedürfnisse klar gemacht.
Es geht also insgesamt viel um eine aktive Problembenennung und - besprechung, ohne dabei den abhängigen bzw. betroffenen Menschen künstliche Krücken zu bauen.

Dazu gehört auch, deinem Vater die Folgen seines Alkoholkonsums nicht zu ersparen. Wie beim Thema Autofahren gilt allgemein, dass er selbst für negative Erscheinungen wie Probleme am Arbeitsplatz, körperliche Symptome und Stress mit Freunden gerade stehen muss. Trage ihm nichts hinterher, nenne die Dinge beim Namen und verschweige nicht, dass dein Vater in Schwierigkeiten ist. Dann verliert er eben seinen Job oder wird von Bekannten gemieden! Das kann helfen, ihm einen Spiegel vorzuhalten.

Merkst du, dass dir viel zu viel Kraft durch deine Familie abgezogen wird, solltest du dich distanzieren. Ausziehen, falls du noch zuhause wohnst und die Treffen mit deinen Eltern auf ein geringeres Maß reduzieren, um dich nicht permanent runterziehen zu lassen. Denn: Sie sind erwachsen und selbst für ihren Lebenserfolg und ihr Glück verantwortlich! Das kannst du ihnen nicht abnehmen!

Leider musst du dich auf den Fall einstellen, dass sich die Lage nicht grundlegend verbessern könnte, außer beide rütteln sich (gegenseitig) wach.
Versuche, dich in diesem traurigen Fall als losgelöst von deiner Familie zu sehen, deinen eigenen Weg zu Zufriedenheit und Ausgeglichenheit zu gehen und dir ggf. eine weitere Familie im Freundeskreis aufzubauen.
Es wird trotz Schwierigkeiten und verfahrenen Situationen immer eine bestimmte Verbundenheit und Liebe in deiner Ursprungsfamilie geben - das sich bewusst zu machen und sich im Herzen zu bewahren, ist wirklich wichtig!

Im günstigen Fall lässt sich dein Vater durch Suchtberatung, Klinik/Therapie helfen und deine Mutter lernt mit ihm zusammen eine gute Kommunikation.
Die Realität sieht nicht immer so aus, doch gibt es auch immer wieder überraschende Wendungen. Du solltest die Hoffnung auf Besserung also nicht aufgeben, doch dabei realistisch bleiben und dich auch über kleinere Erfolge freuen, z.B. dass dein Vater auf dich hört und wenigstens nicht mehr mit Alkohol im Blut Auto fährt. Das kannst du entsprechend wertschätzen und ihn loben, um auch weitere Änderungen für ihn attraktiver zu machen. Sporne ihn ruhig an! Sag ihm, was du ihm alles zutraust. Er schafft noch mehr, wenn er will - für sich, für euch.

Ich habe hier zwei Buchtipps für dich, beide Bücher sind von Helmut Kolitzus:
- "Die Liebe und der Suff... Schicksalsgemeinschaft Suchtfamilie"
- "Ich befreie mich von deiner Sucht - Hilfen für Angehörige von Suchtkranken"

Ich wünsche dir alles Liebe!
Nuala