Problem von Anonym - 22 Jahre

Wir sind nicht mehr glücklich

Ich bin jetzt ungefähr ein halbes Jahr mit meinem Freund zusammen und ich glaube ich habe noch nie jemanden so sehr geliebt wie ihn obwohl wir sehr verschieden sind und unterschiedliche Ansichten über fundamentale Dinge haben.
Er befindet sich jetzt seit ein paar Monaten in einer eher schlechten Phase (keine Arbeit, alle Bewerbungen werden abgelehnt, Depression) und er ist nicht mehr der fröhliche Mensch, den ich im Sommer kennen und lieben gelernt habe..
Das zieht mich ziemlich runter und ich merke, dass ich immer gereizter bin. Ich bin eigentlich ein sehr geduldiger Mensch und versuche Verständnis aufzubringen, aber bei ihm gelingt mir das nicht und das ist echt frustrierend. Ich möchte ihn doch glücklich machen... Er antwortet oft für mehrere Stunden nicht, was den Frust nur noch mehr steigert. Das habe ich ihm auch schon gesagt aber geändert hat sich nichts.
Es ist auch schwierig mit ihm ernste Gespräche zu führen, weil er entweder alles ins Lächerliche zieht und mir nicht zuhört oder das Gespräch im Streit endet. Ich muss ihm gefühlt alles aus der Nase ziehen, er erzählt mir kaum von den wichtigen Dingen in seinem Leben, weswegen ich mich von ihm ausgeschlossen fühle. Er ist nicht glücklich und ich bin nicht glücklich und ich sehne mich zum Sommer zurück wo wir beide glücklich waren.
Er sagt oft dass ich traurig wirke und dass ihn das traurig macht. Und ob ich finde, dass es besser wäre wenn wir getrennte Wege gehen würden.
Ich denke sehr viel nach, interpretiere zu viel und bin misstrauisch. Manchmal kommt der Gedanke auf, dass es besser wäre wenn wir uns trennen. Oder dass er sich so verhält, damit ich mit ihm Schluss mache damit er es nicht tun muss. Aber dann bekomme ich so was wie eine Panikattacke, weil ich mich im Grunde genommen nicht von ihm trennen möchte.
Was soll ich tun? Ich möchte wieder glücklich mit meinem Freund sein. Ich habe das Gefühl dass ich nicht mehr zu den positiven Dingen seines Lebens gehöre und das macht mich fertig.

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Unbekannte,

ich finde es schön, dass du geduldig mit deinem Freund sein möchtest und dir viele Gedanken machst.
Du liest dich überfordert und ratlos. Ich kann es nachvollziehen, denn du hast anscheinend ganz bestimmte Vorstellungen, wie eure Beziehung sein soll:

1. Sie soll immer so "gut" (glücklich) sein wie am Anfang, im Sommer.
2. Du willst ihn glücklich machen.
3. Du erwartest von ihm, dass er sich rasch meldet und dich an seinem Leben, auch seinem Innenleben, teilhaben lässt.

Zu diesen drei Aspekten möchte ich etwas schreiben und dir dadurch aufzeigen, dass es sehr schwierig für euch werden dürfte, eure Beziehung weiter bestehen zu lassen, sofern du weiter an diesen Punkten festhältst.

Zu 1.: Du weißt bestimmt, dass Partnerschaften zumeist mit einer rauschartigen Verliebtheit starten, die durch extremes Glücksempfinden und einem entsprechenden Hochzustand verbunden ist. Das machen schlicht die Hormone, die den Körper fluten. Der Sex, der anfangs meistens noch viel, viel häufiger stattfindet als nach einigen Monaten und Jahren, steigert den Rausch noch mehr, man will einfach immer mit dem Menschen zusammensein und das gemeinsame Glück auskosten. Gerade im Sommer, wenn es warm und alles scheinbar unbeschwert ist, wird das Ganze noch potenziert. Das ist noch keine Liebe. Es kann aber die Basis für Liebe sein, sofern man die Person an sich zu lieben bereit ist - und nicht die äußeren Umstände, das zusammen Erlebte und/oder ausgewählte Wesenszüge. Liebe entwickelt sich über eine längere Zeit, wenn die Endorphine den Körper nicht mehr so beeinflussen. Die Liebe ist sachte und ruhiger, sie trägt die Beziehung auch ohne große Höhen. Liebe ist einfach, ohne Bedingungen, ohne Erwartungen. Liebe braucht keinen Rausch, Liebe kommt ohne den Hormonüberschwung aus. Sie hält und stützt und ist auch in den tiefsten Tiefen, in den schlechtesten Zeit einfach vorhanden und spendet Wärme. Und das ist wunderbar.

Zu 2.: Es ist absolut kontraproduktiv, dass du ihn glücklich machen willst. Es ist zwar ein edles Ansinnen, doch wird das nicht funktionieren. Glücklich kannst du dich selbst machen und er sich selbst. Punkt. Höre auf damit, dir selbst diesen Druck zu machen. Jeder Mensch ist für sich selbst verantwortlich, somit auch für sein eigenes Glück. Ich glaube, wenn du das verinnerlicht hast und dich ihm unter diesem Gesichtspunkt ihm zuwendest, wird er das spüren und sich instinktiv mehr öffnen!

Zudem sei gesagt, dass Glückszustände naturgemäß nicht permanent auftreten - von dem anfänglichen Verliebtheitszustand einmal abgesehen. Es ist also völlig normal, dass man sich im Alltag nicht permanent "glücklich" fühlt, sondern meistens irgendwie. Das ist okay! Umso schöner sind ja die kleinen Augenblicke voller Glück. Erst durch den Kontrast kannst du sie überhaupt wahrnehmen!

Ich glaube, du befindest dich in einem Hamsterrad, hechelst der Illusion vom Glück hinterher und erschöpfst dich dabei nur unnötig. Und dein Freund spürt das. Ihr macht euch quasi selbst unglücklich. Und das kann das Leid, dass dein Freund hat, weiter befeuern. Was er aber in Wahrheit braucht, ist das Gefühl, dass du einfach da bist. Ohne Erwartung. Ohne Druck. Dass du seine Hand hältst und deine Augen seine suchen, weil du eine tiefe Verbindung zu ihm spürst - nicht mehr und nicht weniger.

zu 3.: Hier ist sie wieder, die Erwartung. Sie ist Gift für euch. Freue dich, DASS er sich meldet - und zeige ihm das! Dann dauert es eben mal länger. Du selbst legst ja fest, was "lange" ist. Das ist deine Erwartung, dein Standard. Nicht seiner und auch kein allgemeingültiger. Nimm ihm den Druck, für dich etwas Bestimmtes tun zu müssen. Zeige ihm deine Gefühle, rede offen mit ihm, aber bitte erwarte nichts. Du kannst ihn um etwas bitten und Wünsche kommunizieren. Aber du kannst weder erwarten, dass er sie umsetzt, noch dass er einem speziellen Bild entspricht, das du im Kopf hast.
Stattdessen solltest du bei dir bleiben und viel reflektieren:
- Was steckt eigentlich hinter meinen Erwartungen? Woher kommen sie?
- Wovor habe ich Angst?
- Was treibt mich an?
- Was hat es mit dem Glücklichsein auf sich - was bedeutet es konkret für mich? (hier kannst du sehr lange nachdenken, da kommt bestimmt viel Interessante heraus!)
- Was haben wir Schönes in unserer Partnerschaft, was mich auch jetzt noch erfreut und antreibt?
- Wie kann ich dieses Schöne mit meinem Freund leben, ohne Druck zu machen?
- Welche Gemeinsamkeiten können wir neu entdecken, welche Interessen und Hobbys pflegen?
- Wie kann ich ihm helfen, ohne mich selbst zu überfordern?
- Was kann ich in der Kommunikation anders gestalten?
...

Ich kann dir nicht sagen, ob ihr gut zusammenpasst, das müsst ihr gemeinsam herausfinden. Doch an den oben genannten Dingen kannst du definitiv arbeiten. Mit deiner Geduld, die zu deinen Stärken zählt, kannst du viel zum Positiven verändern! Es bringt nicht nur eurer Beziehung viel, sondern auch dir selbst. Denn durch die Eigenbeobachtung, das kritische Nachdenken über sich selbst gelangst mehr zu dir selbst. Und das ist wirklich etwas, das glücklich macht! :)

Ich wünsche dir alles Gute!