Problem von Lien - 18 Jahre

Wie soll ich es sagen?

Hi zusammen
Also mal vorab wie es unteranderem zu diesem Problem gekommen ist. Ich besuche eine Berufsfachschule und im Bildungsunterricht erstelle wir Vorträge zu Themen, über die man eigentlich nur ungerne spricht( Mobbing, Essstörung, Depression usw.) Dabei geht es uns darum, die Themen so vorzustellen, das es klar wird, das es erst gemeint ist und man das auch so aufnehmen soll. Vor allem aber soll es dazu dienen aufzuzeigen, das solche Probleme real sind...und da kommt auch schon mein Problem... Meine Klasse besteht zum grössten Teil aus jungen Frauen, von denen es einige wahnsinnig witzig finden sich über Themen wie Depression, Suizid und allen voran Ritzen lustig zu machen. Wir alle absolvieren eine Ausbildung zur Tiermedizinischen Fachangestellten. Da kann es schonmal vorkommen, das Katzen agressiv werden und der TFA die Arme zerkratzen. Darauf werden Sprüche gerissen wie "Oh schau mal die ritzt sich in der Praxis. " "Sicher noch vor den Kunden" etc.

Leider ist in meinem Fall das Ganze sehr belastend... Ich leide an einer Depression (die seit einiger Zeit aber stabil ist und mir geht es im Moment auch ziemlich gut also von dem her ja )und habe auch meine Erfahrungen mit dem Ritzen. Solche Aussagen dan zu hören tut wahnsinnig weh.

Ich weiss nicht was ich tun soll..Soll ich die Gelegenheit nutzen und es gleich mit dem Vortrag verbinden? Soll ich es überhaupt thematisieren und wenn ja wie???

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Lien,

es tut mir sehr leid, dass du selbst von Depression betroffen bist, denn das allein ist ja schon ein harter Brocken. Dann aber noch derart vernichtende und unsensible Sprüche hören zu müssen, muss der blanke Hohn für dich sein :( Ich werde da richtig wütend, weil ich es unfassbar finde, wie ignorant Menschen oft sein können. Doch das macht es jetzt auch nicht besser, wenn ich mich aufrege.

Deine Idee, dein Anliegen der Sensibilisierung mit dem Vortrag zu verbinden, klingt gut. Ich würde das Ganze allerdings etwas einbetten. Am besten sprichst du zuerst unter vier Augen mit der betreuenden Lehrkraft und schilderst, was du wahrgenommen hast und dass du selbst genau weißt, wie es sich mit Depression anfühlen kann. Ich würde da ganz klar die gefallenen Sprüche nennen, denn es sollte im Interesse der Lehrerenden sein, dass sich solch ein Klima der Verachtung und Ignoranz nicht weiter fortsetzt! Am besten wäre es sogar, wenn du nicht erst den Vortrag zum Anlass machen würdest, sondern gleich jetzt das Gespräch suchst, denn du bist genau_jetzt verletzt und verunsichert!
Der Vorteil ist, dass die Lehrerin/der Lehrer dir zur Seite stehen kann, gerade dann, wenn dir nichts mehr einfällt, du sprachlos bist, unerwartete Kommentare kommen etc. Dann hat das auch noch mehr Gewicht, wenn er/sie sich betont gegen dieses Verhalten stellt. Zusammen könnt ihr einen Plan erstellen, wie gegen die negativen Einstellungen vorgegangen werden kann. Also ob die Klasse zunächst ganz allgemein auf das Problem hingewiesen werden soll oder im Rahmen deines Vortrages, etc.

Außerdem kannst du direkt in den Momenten, in denen die Sprüche fallen, entgegensteuern. Du musst dich dafür nicht gezwungenermaßen "outen" (was du auch beim Vortrag nicht machen musst, außer, dir ist das wichtig!). Oft machen die Leute immer weiter, weil sie das Gefühl haben, die schweigende Masse stimmt ihnen scheinbar zu. Wenn du aber das Gerede durchbrichst, indem du einen Kommentar dazwischenschiebst, hast du etwas Entscheidendes verändert: Du gibst ihnen die Chance, über ihr Geplapper einmal NACHZUDENKEN. Denn das wird meistens nicht gemacht. Und es entsteht die Gelegenheit, sich in andere Personen HINEINZUVERSETZEN. Beides, Nachdenken und Empathie, sind ein wesentlicher Schlüssel zum Beenden der Situation!

Hier mal ein paar Ideen, was du sagen könntest:
- "Macht dich das betroffen, wenn die Katze so aggressiv wird?" (--> Hilflosigkeit, die in dummen Sprüchen endet?!)
- "Ich finde es ziemlich geschmacklos, was du sagst. Über das Leid anderer Menschen solltest du keinen Scherz machen."
- "Weißt du eigentlich, was ritzen bedeutet? Was es für die Betroffenen bedeutet?"
- "Jeder Mensch kann depressiv werden - also auch du."
- "Warum macht ihr eigentlich dauernd diese blöden Witze? Hast du das wirklich nötig?"
- "Stellt euch vor, auch hier in der Klasse gibt es bestimmt Leute, die auch einmal psychisch krank waren oder sogar noch sind. Für die sind eure Sprüche sehr kränkend."
- "Ich werde ab sofort immer Frau X Bescheid sagen, dass schon wieder so ein Spruch gefallen ist. Das hat hier in unserer Ausbildung nichts verloren!" (dies am besten in Absprache mit der betreffenden Lehrkraft. Das müsstest du natürlich dann auch durchziehen. Mit Petzen hat das nichts zutun!)
Und wenn du sehr mutig bist, kannst du durchaus auch sowas sagen:
"Ich bin selbst depressiv und habe mich geritzt. Du hast mich mit deinem Spruch gerade sehr getroffen."
Wichtig ist, dass du alles ruhig und deutlich hörbar sagst - schau die Betreffenden an, gib ihnen gerne auch die Gelegenheit, mit dir ins Gespräch zu kommen. Natürlich ist das schwer, aber vielleicht kannst du das schaffen, wenn du dir vorher die Rückendeckung durch die Lehrkraft geholt hast.

Es kann auch sein, dass die Sprüche eine bestimmte Funktion bei euch in der Klasse haben. Zum Beispiel Dampf ablassen, Langeweile kompensieren, sich auf Kosten vermeintlich Schwächerer erheben, usw. Es lohnt sich, das mit den Lehrer:innen zu besprechen. Vielleicht könnt ihr noch etwas für ein besseres Gesamtklima tun. Möglicherweise sprechen die Verhaltensweisen auch für eine gewisse Hilflosigkeit: Entweder aus eigener Betroffenheit oder aus einer unreifen Haltung den schwierigen Seiten des Lebens gegenüber. Es kann gut sein, dass es gerade bei dem Beruf noch Gesprächsbedarf gibt: Wie gehe ich emotional damit um, wenn es den Tieren schlecht geht? Was mache ich, wenn die Situation von Aggression geprägt ist? Wie verhalte ich mich Tier und Mensch gegenüber...? usw.
Eine Art "Gesprächskreis" am Ende einer Unterrichtsstunde kann manchmal Wunder wirken - zumindest, dass alle sich ernst genommen fühlen und sich mal bisschen erleichtern können. Alle hören zu, während alle, die möchten, kurz erzählen, wie es ihnen geht. Dann kann es noch um ein bestimmtes Thema gehen, z.B. "Wie ist es mir heute im Umgang mit XY gegangen?" Das mit der Lehrkraft zu bereden, könnte wirklich effektiv sein! Und sei es nur einmal in der Woche für 10 Minuten.

Den Vortrag selbst kannst du sehr anschaulich gestalten. Gerade bei Personen, die vielleicht große Vorurteile rund um psychische Erkrankungen haben, kannst du hier etwas bewirken: Schildere beispielsweise etappenweise, wie ein Mensch eine Depression entwickelt hat. Was ihm zugestoßen ist, was ihm gefehlt hat, was es verschlimmert hat - und was letztlich zur Besserung beigetragen hat. Dazu kannst auch Bildmaterial einsetzen. Und Zitate von Betroffenen, zu denen auch du zählst. Ob du dich dabei "entblößen" möchtest, ist dir überlassen. Das hilft, sich in den Menschen hineinzuversetzen und zu begreifen: Das kann auch ich sein!

Also: Es lohnt sich in jeder Hinsicht, das Ganze anzupacken. Schau bitte, wie es sich für dich am angenehmsten, stimmigsten anfühlt. Und wer aus der Klasse da ggf. noch einzuweihen ist. Du musst dir das definitiv nicht bieten lassen!
Durch die Depression weißt du bestimmt, wie wichtig es ist, die Gefühle nicht in sich hineinzufressen, sondern angemessen zu verarbeiten. Du kannst die Aufregung, die du während des Tages erlebst, beispielsweise durch körperliche und seelische Nähe, Gespräche, Sport, Tagebuchschreiben, Meditation, Spazierengehen, Kunst etc. abbauen.

Ich drücke dir die Daumen, dass du einen erfolgreichen Vortrag halten wirst - und dein Anliegen bei den Betreffenden dauerhaft ankommt.

Alles Liebe!
Nuala