Problem von Anonym - 23 Jahre

Über 4 Monate nach Trennung

Hallo, (diese Nachricht bitte an Paul!)

ich melde mich mal wieder. Ich hoffe du kannst dich erinnern ... hatte mich Anfang des Jahres von meinen Ex getrennt und danach schon das ein oder andere mal dir geschrieben. (Zuletzt am 24.02.)

Mittlerweile geht es mir recht gut! Klingt blöd, aber diese Corona Zeit hat mich ziemlich abgelenkt und mich kaum mehr an ihn denken lassen. Außerdem tat es ein bisschen gut zu wissen, dass jetzt sowieso alles geschlossen ist und kein Urlaub möglich ist und ich somit als Single nicht wirklich viel verpasse. Trotzdem träume ich manchmal noch von ihm (aber nicht mehr so intensiv und wir reden nur) und manchmal fallen mir ganz plötzlich Orte oder einfach irgendwelche Spazierwege (also eigentlich nichts besonderes) ein, wo ich mit ihm war. Das finde ich ganz merkwürdig, weil ich an die nie mehr gedacht habe bis zu dem Augenblick. Ist das normal?
Glück mit anderen Männern habe ich leider bis jetzt noch nicht gehabt. Hatte mal das ein oder andere Date, aber die waren eher Reinfälle. Kurz denke ich dann an meinen Ex Freund zurück, aber dann fallen mir doch schnell die ganzen Dinge ein, warum auch er nicht der "Richtige" war. Nichtsdestotrotz frage ich mich schon hin und wieder, ob ich noch diesen einen finden werde und wann ...
Letztes Mal hatte ich ja geschrieben, dass ich mir wünschen würde nicht im Streit auseinander gegangen zu sein und eventuell dass nochmal klären möchte, aber ich habe darüber nachgedacht und kam zu dem Entschluss dass es sinnlos ist. Ich habe nämlich gemerkt, dass wenn ich einen neuen Freund hätte, mir es ziemlich egal wäre, ob er mich noch hasst oder nicht. Vor ein paar Wochen habe ich seine e-Mail Adresse noch gefunden und auch diese habe ich direkt gelöscht. Ich glaube auch nicht mehr daran, dass er sich melden wird, um sich jemals nach mir zu erkundigen, was mich schon ein bisschen traurig macht. Manchmal glaube ich sogar, dass er weggezogen ist oder längst nicht mehr seine Arbeit hat. Ich weiss nicht, wieso ich sowas denke, vielleicht ist es irgendein Schutz.
Ich blicke schon noch manchmal wehmütig auf die Zeit mit ihm zurück, aber ich denke das ist auch normal.
Ich freue mich wieder über eine Antwort von dir!
Liebe Grüße

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

leider sind bis zu meiner Antwort zwei Wochen vergangen. Der Grund liegt darin, dass es in den letzten Wochen technische Schwierigkeiten gab, durch die die Bearbeitung der Zuschriften kaum möglich war. Ich hoffe, dass sich das nicht wiederholen wird.

Ich lese deinen Text so, dass du versuchst, zu verstehen, welche Bedeutung dein Ex heute für dich hat. Das ist ein Fortschritt gegenüber den letzten Malen. Da ging es noch eher darum, dass du Schwierigkeiten hattest, hinzunehmen, dass diese Beziehung alles Andere als erfüllend für dich war. In dieser Phase hätte vielleicht noch die Gefahr bestanden, dass du zu ihm zurückgewollt hättest - und sei es nur, weil du dir mit der Einsamkeit schwer getan hättest. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Heute bist du eindeutig über ihn hinweg und eher überrascht, wenn er sich noch einmal in deine Gedanken drängt. Das passiert zwar offenbar häufiger, als dir lieb ist - andererseits musst du ihn nicht mehr mit Gewalt aus deinem Kopf heraushalten.

Letztlich ist es schwer zu sagen, was hier "normal" ist. Ich glaube, man muss sich immer vor Augen halten, dass dein Ex der Mann war, der einen wichtigen Lebensabschnitt bei dir begleitet hat. Es wäre unrealistisch, zu erwarten, dass du ihn jemals vollständig vergessen kannst. Und wie ich schon öfter gesagt habe, wäre das auch gar nicht wünschenswert. Denn gerade dann, wenn du diese Zeit bereuen und als Fehler ansehen würdest - statt einfach als einen Teil deiner Entwicklung, der abgeschlossen ist - würdest du stets verzweifelt versuchen, alles anders zu machen, und er würde sich dir dadurch nur noch fester und deutlicher einprägen. Das wäre nicht zu wünschen.

Gleichzeitig kann es natürlich nicht ausbleiben, dass du von Zeit zu Zeit vielleicht auch mal intensiver über ihn nachdenkst. Vielleicht packt dich dann sogar ein Drang, herauszufinden, was in seinem Leben los ist. Am Ende kannst immer nur du entscheiden, ob es Sinn machen würde, dem nachzugehen. Du hast nicht ohne Grund entschieden, dass euer beider Wege sich trennen sollen - aber dass du keinen Kontakt zu ihm möchtest, muss nicht heißen, dass du nicht gelegentlich an ihn denken kannst und darfst. Genauso wenig, wie, dass du an ihn denkst, heißt, dass du dich ihm wieder annähern solltest. Dein Geist ordnet das, was dir in deinem Leben passiert ist, und manchmal tauchen Bilder und Erinnerungsfetzen auf, wo man sie nicht erwarten würde. Ich kann dir nicht sagen, in welchem Ausmaß so etwas "normal" ist - aber dass es allen Menschen grundsätzlich passiert, würde ich ohne zu zögern als Tatsache betrachten. Auch wenn ich es natürlich nicht weiß.

Vor einiger Zeit hatte ich zum Beispiel einen Traum, in dem ich meine erste Liebe in der Straßenbahn traf. Ich kann dir nicht sagen, aus welchem Grund und in welchem Zusammenhang - und es ist ja auch völlig egal. Entscheidend ist: Ich denke an den meisten Tagen gar nicht an sie, wir waren nie zusammen, hatten eigentlich auch nur begrenzt miteinander zu tun, und überhaupt ist das Ganze jetzt schon elf Jahre her... Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, DASS sie in meinem Traum war. Und ich war nach dem Aufwachen regelrecht schockiert, wie eindrücklich und klar ihr Gesicht gewesen war. Dass mein Unterbewusstsein sich offenbar an winzige Details erinnern kann, an die ich im wachen Zustand nicht einmal denken würde - geschweige denn, dass ich in der Lage wäre, sie mir vorzustellen. Aber ich weiß, dass sie da sind, irgendwo tief in mir.

Was ich dir damit sagen will, ist: Dieser Mann hat seinen Platz in deiner Biographie, und du kriegst ihn da nicht raus. Das Einzige, was dir bleibt, ist, dir dessen bewusst zu sein und hinzunehmen, dass du ab und an an ihn denkst - und dass sich deine Bewertung und Sichtweise auf diese Zeit auch verändern. Das ist nicht etwa schlecht, sondern sogar von großer Bedeutung: Nur wenn du in der Lage bist, dich selbst immer wieder aus anderen Blickwinkeln zu betrachten, immer wieder neue Überlegungen zu treffen, was warum wie geschehen ist und was es bedeutet hat - nur dann bist du ein wirklich reflektierter Mensch, und nur dann kannst du anderen das Größtmögliche an Einfühlsamkeit und Toleranz bieten. Wichtig ist dabei nur, dass zwei Dinge nicht geschehen: Erstens, es soll kein Leidensdruck für dich dabei sein. Wenn deine Gedanken einen Geschmack von Ärger oder Frust haben, weil du dir Dinge im Nachhinein doch anders wünschst, gilt es, dein Denken auf die Gegenwart zu lenken und dich zu erinnern, dass du nur im Hier und Jetzt eine Kontrolle über dein Handeln hast. Und zweitens, dass mögliche Fehler, die du dir im Nachhinein unterstellst, nicht dazu führen, dass du gegenüber Menschen, die jetzt dein Leben begleiten und in dein Leben treten, voreingenommen oder ängstlich bist. Beides ist unter den momentanen Bedingungen nicht ganz leicht: Die Möglichkeiten zur Zerstreuung sind begrenzt, und der Ausnahmezustand hat eine Atmosphäre von Unsicherheit und bisweilen Misstrauen in den Alltag gestreut, die vorher nicht da war. Gleichzeitig bietet die aktuelle Zeit auch Chancen, das eigene Leben und die eigene Persönlichkeit auf sich selbst zurückzuführen und sich zu fragen, ob man eigentlich glücklich ist, wo man steht. Und ich habe den Eindruck, dass das bei dir eigentlich der Fall ist. Dass du dich nicht komplett fühlst, ist verständlich, aber hier helfen letztlich nur Geduld und Beharrlichkeit.

Möglicherweise hat es ja sogar viel Gutes, dass deine bisherigen Dates nicht allzu erfolgreich waren. Denn es könnte auch heikel sein, wenn du dich zu schnell auf jemand Neuen einlassen würdest, um die Lücke zu füllen, die dein Ex in deinem Leben - auf die eine oder andere Weise - hinterlassen hat. Denn auch wenn du ihn nicht vermisst, so war doch dein Leben und Verhalten zu einem Großteil davon bestimmt, dass du mit ihm zusammenwarst, und es braucht Zeit, zu neuen Rhythmen zu finden. Diese Entwicklung machst du durch. Deine Unsicherheit und dein Befremden zeigen dir, dass etwas im Gange ist. Es wäre viel schlimmer (womit ich deine Situation nicht verharmlosen möchte!), wenn du das Gefühl hättest, dass sich nichts bewegt, oder dich in Trauer und Schmerz vergraben würdest.

Ich erinnere mich noch, wie es war, als wir das erste Mal geschrieben haben. Deine Emotionen gegenüber deinem Ex waren vielfältig, aber im Prinzip war Ärger - vielleicht sogar Wut - das zentrale Gefühl: Er hatte den Bogen überspannt, und du wolltest Schluss machen, brauchtest aber noch einen Schubs von außen. Deine Unsicherheit, die sich danach eingeschlichen hat, hatte - wie ich persönlich glaube - nichts mit Zweifeln an deiner Entscheidung zu tun, denn hinter der hast du immer gestanden. Es hatte nach meinem Empfinden viel damit zu tun, dass du mit deiner neu gewonnenen Freiheit und Selbstbestimmtheit umgehen lernen musstest. Im Augenblick sind uns allen enge Grenzen auferlegt, und so ist es nur verständlich, wenn deine Gedanken wandern, weil deine Kräfte sich nicht an der Welt abreagieren und für diese Gedanken keinen Platz lassen können. Sie müssen also nach innen wirken - und weil die Zukunft uns allen zurzeit mehr oder weniger Sorgen bereitet, driften sie in die Vergangenheit ab. Das erscheint mir in deinem Fall auch schlüssig: Die Vergangenheit war zwar oft schmerzvoll und ärgerlich, aber an diesen Schmerz und Ärger hattest du dich bis zu einem gewissen Grad gewöhnt - und natürlich ist der Gedanke an den "vertrauten" Schmerz, der schon erlebt wurde, angenehmer zu ertragen als der an den zukünftigen, den man noch nicht kennt. Doch dass das geschieht, ist nicht prinzipiell schlimm: Zeigt es doch gerade, dass die Vergangenheit für dich positiv abgeschlossen ist. Trotz leisem Schmerz, der vielleicht doch noch mal anklopft. Sei froh, dass du für diesen Mann wenigstens etwas empfunden hast! Es wäre viel schlimmer, wenn du Dinge getan hättest, von denen du absolut nicht wüsstest, warum. Du konntest ihn nicht bessern, aber immerhin hast du es versucht. Und dabei eigentlich vor allem dich selbst erkannt und was dir im Leben wichtig ist. Darauf kannst du aufbauen.

Vielleicht hilft es dir, wenn ich schildere, wie es mir mit meiner Exfreundin erging: Wir waren über fünf Jahre zusammen, haben Romantik und Streit, persönliche Krisen und Glücksmomente zusammen erlebt. Auch wenn es "nur" eine Fernbeziehung war, hat meine Ex doch einem wesentlichen Teil meines Lebens ihren Stempel aufgedrückt. Es war nie einfach, und wir haben uns nicht ohne Grund getrennt. Andererseits würde ich mir in die Tasche lügen, wenn ich mir einreden würde, ich sei blind vor Liebe gewesen: Ich wusste immer, dass uns viel voneinander trennte, und nicht nur die Entfernung. Aber aus irgendeinem Grund habe ich wohl an dieser Beziehung festgehalten - und vielleicht war dieser Grund auch "nur" der, dass es ein Stück weit bequem war, mit einem Menschen zusammen zu sein, mit dem ich mir gar keine gemeinsame Zukunft aufbauen kann, weil sie dafür nicht bereit ist. Oder zumindest nicht für die Art von Zukunft, um die es mir geht. Jetzt bin ich es - und als ich es war, hat die Beziehung sich gelöst. Zu dem Zeitpunkt, als wir uns trennten, hatte ich aber eigentlich schon ausgetrauert: Ich hatte mich lange innerlich damit auseinandergesetzt, dass wir beide erschöpft waren und dass es nichts mehr zu versuchen gab, dass wir unser Leben leben mussten, statt aneinander festzuhalten. Tatsächlich ging die Trennung von mir aus, aber ich habe feststellen müssen, dass es ihr gar nicht unähnlich ging: Auch sie hatte gemerkt, dass sie die Art von Beziehung, die ich führen will - oder sagen wir: etwas, das den Namen Beziehung verdient - nunmal gerade einfach nicht leisten kann. Das war für uns beide in Ordnung. In deinem Fall hatte dein Ex weit weniger Verständnis, und dennoch glaube ich, dass dir schon lange vor dem endgültigen Bruch klar war, dass er kommt. Du hast dich nicht mehr dagegen gewehrt, hattest es im Grunde schon akzeptiert - er hingegen nicht. Er hing noch fest in der Illusion, dass dies etwas wirklich Richtiges sein könnte, obwohl er genau wusste, dass er eine Beziehung auf Augenhöhe und Ehrlichkeit nicht kann. Aber es war ihm wichtig, so zu tun als ob, um sich genau das nicht eingestehen zu müssen. Du musstest dir erst eingestehen, dass du etwas lebst, was nicht deinen Hoffnungen und Zielen entspricht - und als du dafür bereit warst, hast du dich getrennt. Dass du nun bisweilen hoffst, er möge sich vielleicht wieder melden, hat damit zu tun, dass du darüber hinweg bist. Er ist es vielleicht - wahrscheinlich - nicht. Du hast es nicht mehr nötig, ihm Vorwürfe zu machen, denn die Trennung hat dich ja im Grunde befreit. Ihm dagegen ist seine Welt genommen worden. Hoffen wir, dass er sich eine neue schafft, in der niemanden daran hindert, zu sein wie sie ist.

Was nun die Zukunft in der Liebe betrifft: Vielleicht ist es ja nicht so, dass du bisher keinen Partner finden konntest, weil du über deinen Ex noch nicht hinweg wärst. Sondern vielleicht musst du erst diesen Menschen treffen, um wirklich zu fühlen, dass du es bist. Und dann wird auch der letzte Schatten aus deinem Leben verschwinden - wobei "Schatten" womöglich ein unglückliches Wort ist. Denn auch liebgewonnene Erinnerungen können ein süßer und zugleich schmerzhafter Begleiter sein - selbst wenn du nicht danach strebst, noch einmal in dieser Zeit zu leben. Der Bruch mit deinem Ex war sehr radikal, und so war es dir nicht möglich, in einem Tempo Abschied zu nehmen, das dir entspricht. Das wollte er ja auch nicht. Du erinnerst dich: Er hatte sich eine Art von Übergangszeit erbeten, was du - und völlig zu Recht - als Ausnutzung empfunden hast. Jedoch sehen wir daran, dass auch er im Grunde wusste, wie wenig euer Verhältnis noch den Namen "Beziehung" verdiente - seine Angst war vor allem, ins kalte Wasser geworfen zu werden. Dass du das getan hast, weil es nicht anders ging und nicht anders richtig gewesen wäre, wirft er dir vor. Doch letztlich weiß er, dass er sich etwas vorgemacht hat.

Ich wünsche dir viel Hoffnung und Zuversicht in dieser schwierigen Zeit. Mögest du beschwingt und optimistisch in den Sommer starten, und mögest du dir viele schöne Erinnerungen schaffen können, und vielleicht sogar deinem Traumprinzen begegnen!

Der Kummerkasten beziehungsweise ich sind natürlich gerne wieder für dich da, wenn du möchtest.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul