Problem von Anonym - 39 Jahre

Meine Mutter

Meine Eltern haben mich in eine andere Stadt zu meiner Oma gegeben als ich 6 Monate alt war. Dort bin ich glücklich aufgewachsen. Geschwister habe ich keine. Meine Mutter hat mich immer besucht, und in den Ferien musste (ja ich schreibe "musste") ich immer für ein paar Wochen zu ihr. Ich hatte nämlich Angst vor ihr, weil sie oft mit mir geschrien hat, oder mir - ungerechtfertigt, wenn sie nervös oder agressiv war - eine Ohrfeige oder auch mehr verpasst hat (was ich von meiner Oma nicht gewohnt war). Außerdem hat sie (nach der Scheidung von meinem Vater) oft geweint, und mir jedes Mal die Trennungsgeschichte bis ins Detail erzählt.
Dazu muss ich sagen, dass meine Mutter klinisch depressiv ist und auch in Behandlung.
Als ich älter wurde, hat sie mich täglich angerufen. Ich musste mir stundenlang ihre Probleme anhören.
Nach dem Abitur wollte sie, dass ich in die Stadt, in der sie lebte, studiere. ich wollte aber wegen meinem Freund von meiner Stadt nicht weg. Da hat sie mit Selbstmord gedroht. Nachdem ich darauf nicht eingegangen bin, hat sie ein halbes Jahr nicht mit mir gesprochen. Eine für mich geruhsame Zeit.
Als ich innerlich erwachsen war, hat sich unser Verhältnis aus meiner Sicht gebessert, da ich mehr Selbstbewusstsein bekommen habe, und mich ihr nicht mehr ausgeliefert gefühlt habe. Aus ihrer Sicht war unsere Beziehung (bis auf das halbe Jahr) immer gut. Ich habe nun selbst Kinder und keine Angst mehr vor ihr. Zu ihren Enkeln ist sie eine großzügige Großmutter. Sie hat aber trotzdem immer sehr oft angerufen, vor allem, wenn es IHR nicht gutging.
Vor ein paar Jahren ist sie nun in Pension gegangen, in unsere Stadt gezogen und wohnt im Haus nebenan. Die erste Zeit war alles in Ordnung, aber seit 1,5 Jahren ruft sie wieder täglich mindestens 2x an, manchmal seltener, meistens öfter. Dann will SIE sprechen, und ich soll ihr recht geben. Wenn ich eine eigene Meinung habe, die ihrer nicht entspricht, ist sie beleidigt.
Wenn es ihr schlecht geht, meint sie, ich müsste mich täglich um sie kümmern, da sie ja nebenan wohnt.
Wenn ich dann sage, dass ich das nicht will, nennt sie mich hartherzig. Ich bleibe aber trotzdem distanziert. Denn wenn ich nachgebe, würde sie mich total vereinnahmen. Ich müsste dann ständig für sie da sein, egal, ob ich selber Familie habe oder nicht.
So erscheine ich nach außen relativ gefestigt und ruhig. Innerlich belastet mich diese Situation mit meiner Mutter aber mittlerweile sehr. Manchmal würde ich am liebsten davonlaufen. Wir haben aber selber ein Haus gebaut, und wollen hier nicht wegziehen.
Was kann ich tun, um auch innerlich die Distanz zu bekommen, die ich äußerlich an den Tag lege?

Anwort von Verena

Hallo!

Du schreibst, dass du Distanz zu deiner Mutter halten möchtest. Bei allem Verständnis für alles, was sie dir angetan hat würde ich sie in ihrer jetzigen Situation aber nicht vollständig allein lassen.
Deine Angst vor einer Vereinnahmung durch deine Mutter kann ich zwar nachvollziehen, da ihre Stimmungsschwankungen mit Sicherheit schwer zu verarbeiten sind, allerdings scheint ihr Problem wirklich krankheitsbedingt zu sein. Es ist schwierig in solch einer Lage den richtigen Umgang mit ihr zu erlernen. Befindet sie sich zur Zeit in Therapie? Wenn ja, würde ich mich an deiner Stelle mal mit ihrem Therapeuten unterhalten, um herauszufinden wie du dich ihr gegenüber verhalten solltest. Innerliche Distanz zu erlangen fällt dir schwer, ich würde also nichts erzwingen. Am Ende plagt dich womöglich noch schlechtes Gewissen. Auch wenn die Entscheidung letztendlich dir überlassen bleibt, deine Mutter benötigt die Hilfe von Angehörigen mehr denn je, besonders wenn du die einzige Verwandte für sie darstellst. Besuche eine Beratung für Angehörige und setz dich mit dem Problem auseinander. Dort wird man dir beibringen, wie du eine natürliche Beziehung zu ihr aufbaust, ohne dass sie dich vollständig beansprucht.
Wenn dich der Umgang mit ihr psychisch irgendwann zu sehr belastet, solltest du je nach eigenem Gefühl für einige Zeit Abstand zu ihr halten können.
Schließlich darf die Krankheit deiner Mutter niemals so weit gehen, dass du dein eigenes Leben ihretwegen aufgibst.
Ich wünsche dir viel Kraft und Geduld!

LG,

Verena