Problem von Anonym - 16 Jahre

Cousin ADS-Patient

Liebes Kummerkastenteam.

Ich - und meine ganze Familie - sind sehr besorgt um meinen kleinen Cousin (9 Jahre), der an ADS leidet. Das Problem, so glaube ich, ist nicht mein Cousin im Zusammenhang mit der Krankheit selbst, sondern der Umgang mit ihm und der Krankheit.
Meine Tante wird nach Wutanfällen meines Cousins regelmäßig von der Schule und dem hort kontaktiert, ihn abzuholen. Das an sich wäre ja nicht das Problem, wenn meine Tante nicht immer hinfahren würde (oder jemanden schicken), um den Kleinen wirklich abzuholen. Solche Situationen werden von Schule/Hort und meinen Cousin selbst regelmäßig ausgenutzt. Da ich nicht annähernd in der Nähe meines Cousins wohne, bekomme ich seine "Ausraster" nur am Rande mit und nur übver das, was meine Verwandten mir erzählen. Als meine Eltern vor kurzem meine Tante besucht haben (wenn meine Eltern geschäftlich in der Gegend zu tun haben, übernachten sie bei meiner Tante), war mein Cousin früher als sonst zu Hause. Als meine Eltern ihn dann gefragt haben, ob er nicht Schule hätte, antwortete er nur, die Übung im Unterricht habe ihm nicht gefallen. (Daraufhin hat er den Raum verlassen und die Schule hat das als "Ausraster" angesehen; daraufhin musste mein Onkel ihn abholen.)
Bei einem Krankhenhausbesuch (die Dosis der Medikamente wurde wieder erhöht), wurde der Kleine auch von einer Schwester eine Nacht lang ans Bett gebunden. Was darauf folgte war eine Strafanzeige wegen Nötigung, Freiheitsbveraubung von unserer Seiter her, allerdings mit weniger Erfolg.

Die Eltern anderer Kinder wollen zum Teil nicht, dass deren Kinder mit meinem Cousin spielen. Das wird allerdings auch zu persönlich von meiner Tante aufgegriffen. Sie redet sich immer ein, dass niemand ihr Kind will, obwohl mein Cousin keine Probleme hätte Freunde/soziale Kontakte zu finden. Nur durch dieses Sich-Einreden, dass es nicht so ist, wird es tatsächlich so. Oder schein zumindest so zu werden. Die Krankheit wird vielzusehr ins Licht gerückt, anstatt der tatsächlichen Probleme.
Zum Beispiel heiße ich es ja nicht für gut, dass sie ihm jetzt Playstation und Gameboy geschenkt haben. Ich glaube mittlerweile, die einzige Zeit am Tag, die er draußen an der frischen Luft verbringt, ist die Hofpause in der Schule. Sonst sitzt er den ganzen Tag in der Stube, spielt Gameboy, Playstation oder schaut sich verblödende Sendungen im Fernsehen an. Ich habe ein wenig Angst, dass allmählich Realitätsverlust auftreten kann oder er sich in die "Welt der Elektronik" abschirmt.
Wenn er bei uns zu Besuch war, hat er sich auch damit abgefunden, dass wir kein Fernsehen haben. Und er ist bei uns auch noch nie ausgerastet. Bei mir generell noch nie, weil wir beide uns ganz gut verstehen.

Ich glaube auch, dass das Umfeld für ihn völlig falsch ist, denn zeit seines Lebens ist mein Cousin es gewöhnt, im Mittelpunkt zu stehen. Das heißt, er nimmt immer eine BESONDERE Rolle ein, und für ihn müssen demnach auch immer BESONDERE Ereignisse und Vorbereitungen dieser Ereignisse getroffen werden. Sein Umfeld behandelt ihn völlig unnatürlich und das führt meiner Meinung nach auch zu dem von mir befürchteten Realitätsverlust.
Wir hatten meiner Tante auch schon angeboten, ihn zu uns zu nehmen - wo das Umfeld etwas natürlicher ist und in einer Gegend, wo die Menschen auch viel offener auf Fremde reagieren als dort, wo er wohnt. (Ich habe selbst jahrelang in der Gegend gewohnt, wo er wohnt, und als ich mit meinen Eltern umgezogen bin, habe ich mich sehr zum Positiven verändert und konnte durch die Mentalität der Menschen hier schnell Kontakte und Freunde finden). Ich denke, ein Wechsel würde auch ihm gut tun, zumal er hier ja schon Bekanntschaften und einen Freund gefunden hat.
Allerdings verstehe ich auch, dass meine Tante das abgelehnt hat, immerhin ist es ihr Kind und es würde auch ganz schön was fehlen ohne ihn.

Ich würde meinem Cousin wirklich gerne helfen und ihm zu Seite stehen und auch irgendwie meiner Tante helfen, nur wie soll ich das machen, wenn ich 500km von ihr entfernt wohne?

Anwort von Michaela

Hallo,

es ist immer fraglich, ob man ein Kind aus der Familie nehmen soll, zumal diese Trennung eine weiter Belastung darstellt. Außerdem wäre dann das Problem ADS oder ADHS nur auf Eis gelegt, da dein Cousin sich bei euch ja "normal" benimmt, wie du schreibst. Sobald er wieder zu seiner Familie zurück kommt, werden sich wahrscheinlich die gleichen Probleme und Verhaltensweisen einstellen. Unter
http://www.mehr-vom-tag.de/bgdisplay.jhtml?itemname=g_adhs_behandlung
kannst du dich im allgemeinen über ADHS informieren und überlegen, was für deinen Cousin sinnvoll wäre. Sicher ist es nicht ratsam, ihn immer aus der Schule zu holen, wenn er gerade einen "Anfall" hat. Und du hast auch Recht, wenn du schreibst, dass er durch die Aufmerksamkeit auch keine Entlastung erfährt, sondern damit auch nur seine Krankheit bzw. seine Störung hervorgehoben wird. Jedoch liegt das im Ermessen seiner Eltern, und es bedarf sehr viel Fingerspitzengefühls, ihnen Tipps zu geben, ohne dass sie sich in dieser angespannten Situation auf den Schlips getreten fühlen. Vielleicht findest du ja einen Weg, um sie darauf hinzuweisen?

Da die Debatte über ADHS schon länger läuft, haben sich mit der Zeit zwei Lager gebildet, von denen eine Seite für sofortige Medikamentengabe ausgesprochen hat - ohne dass die behandelnden Ärzte teilweise wissen, worum es wirklich geht - und die andere Seite für eine "softe" Behandlung sind: nur Psychotherapie und als Unterstützung Homöopathie. Beides ist allein zu wenig. Zudem hat sich herausgestellt, dass es auch auf den behandelnden Arzt ankommt, und dass man nicht mit Sicherheit bei der ersten Untersuchung sagen kann, dass es wirklich ADHS ist, weil viele Störungen ähnlich aussehen können. Deshalb ist es immer gut, sich ein zweites Gutachten einzuholen, um etwaige Spätfolgen zu vermeiden, die bei Ritalingabe (so heißt der Wirkstoff des Medikamentes) nicht ausgeschlossen sind.

Was kannst du tun? Such dir einen erwachsenen Verbündeten, der das Thema so wie du ernst nimmt und dich unterstützen kann! Auch wenn ihr deinen Cousin nicht zu euch holen könnt, wovon ich ausgehe, kann ein Gespräch seine Eltern entlasten, weil sie damit erfahren, dass sie nicht alleine sind und auch familiäre Unterstützung haben können, wenn sie wollen. Alles Weitere besprichst du am besten mit der FAmilie deines Cousins. Ich bin sicher, dass du das mit genügend Feingefühl und einer weiteren Person zur Stärkung deiner Position hinbekommst.

Viele Grüße!

Michaela