Problem von Anonym - 20 Jahre

Scientology

Hallo,
Also ich hab eigentlich viele Probleme . Ich vermute auch dass man mir hier nicht helfen kann. Undzwar ich hab an die Verschwörungstheorien von Scientology geglaubt. Daher habe ich Angst vor Therapeuten. Allerdings brauche ich eine terapie. Ich kriege sogar Alpträume von Therapeuten. Obwohl ich weis dass ihre Funktion ist zu helfen. Die Gedanken gehen einfach nicht aus meinem Kopf obwohl ich schon länger raus bin. Ich weis dass es sich widersprichst aber es ist wirklich so.

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Ich finde es stark, dass du dich bei uns gemeldet hast. Es ist ein enormes Unterfangen, sich aktiv aus Scientology & Co. zu befreien. Daher möchte ich dich schon allein hierfür beglückwünschen. Du kannst dir auf deine eigene Schulter klopfen. Denn damit hast du den Grundstein gelegt, endlich selbstbestimmt zu leben und deine Wunden zu heilen, immer ein bisschen mehr.

Du hast nicht konkret geschrieben, wie lange dein Ausstieg her ist. Doch gebe ich zu bedenken, dass du vermutlich über eine längere oder sogar sehr lange Zeit, zumal in jungen Jahren, gezielt manipuliert worden bist. Das mal eben abzulegen, wird nicht schaffbar sein. Schaffbar ist das über einen großen Zeitraum hinweg, mit Geduld und Nachsicht. Bestimmt geht es bei dir auch um Selbstannahme, Selbstliebe und Selbstvertrauen. All das zu erkunden und in sich zu verankern braucht viel Zeit. Viele Menschen, die einen weniger "extremen" Erfahrungshintergrund haben als du, brauchen dafür viel Ausdauer, weil wir von Kindesbeinen an viel lernen, was uns seelisch eher schadet als nützt. Versuche also bitte, gut zu dir zu sein und verurteile dich nicht dafür, dass du aktuell noch nicht bereit für eine Psychotherapie bist!

Sekten sind ein krasses Thema, das noch viel zu wenig öffentlich besprochen wird. Auch hier im Kummerkasten gibt es selten Zuschriften dazu.
Nun ist es jedoch nicht so, dass in Fachkreisen nicht schon viel dafür getan würde, um Aussteiger:innen zu helfen.
Du hast vielleicht insofern Recht, dass ich dir nicht _direkt_ helfen kann. Aber was ich tun kann, ist dich zu ermutigen, dich beraten zu lassen. Die Beratung kann dich unterstützen, deine Ängste vor einer Therapie nach und nach abzulegen.
Natürlich kann eine Beratung keine Therapie ersetzen und auch keine Wunder vollbringen. Doch es ist ein Schritt in die Richtung, die dir ein gesundes Leben ohne Gehirnwäsche und Zwänge ermöglichen kann.

Allen voran via https://seelnothilfe.de/ sehe ich viele Möglichkeiten, dich zu informieren, Kontakte zu knüpfen und eine Beratung wahrzunehmen.
Vielleicht gibt es in deiner Nähe sogar einen Gesprächskreis bzw. eine Selbsthilfegruppe.
Der regelmäßige Austausch mit anderen Betroffenen kann zum Abbau von schädlichen Denk - und Verhaltensmustern führen. Du bist ja nicht allein mit deinen Erfahrungen. Besonders bei Sekten und anderen extremen Gruppierungen kommen immer wieder ähnliche Meldungen und Herausforderungen auf. Hier gibt es einen Verein rund um den Sektenausstieg inklusive Forum:
https://www.sektenausstieg.net/infolink/

Außerdem kannst du sehr viel für dich tun, ohne gleich in einer Psychotherapie zu sein. Dazu verlinke ich dir unten ganz viel Material, mit dem du in Ruhe und in deinem persönlichen Tempo arbeiten könntest.
Fange doch einfach einmal damit an, deinen Ist-Zustand zu benennen. Das kannst du z.B. schriftlich tun per Tagebuch oder Notizen.
Du hast ja davon geschrieben, dass du viele Probleme hast - bringe sie auf den Punkt! Vielleicht bringt es dich schon weiter, sie zu bündeln bzw. Verbindungen zwischen einzelnen Problemen zu erkennen. Viele hängen zusammen, ergeben Folgeprobleme. Je genauer du das analysieren kannst, desto effektiver kannst du dich an die Problemlösung machen.

Grundsätzlich möchte ich dir noch ein paar simple Aussagen mitgeben, die du auf dich wirken lassen kannst. Möglicherweise können sie dir helfen, dich mehr zu entspannen und innerlich lockerzulassen, was eine Therapie-Anbahnung anbelangt.
* Eine Therapie ist eine Chance, nicht mehr und nicht weniger.
* Auch ohne Therapie kannst du eine Besserung in deinem Befinden erfahren.
* Eine Therapie ist letztlich eine Prozessbegleitung. Die Hauptarbeit machst immer du selbst.
* Niemand zwingt dich zu etwas, du kannst jederzeit aussteigen.

Zusammenfassend rate ich dir, dich nicht unter Druck zu setzen, sondern erstmal zu akzeptieren, dass du derzeit noch nicht bereit für eine Therapie bist.
Versuche, dir einen Plan zur Lösung deiner anderen Herausforderungen zu erstellen (selbstverständlich kannst du hierfür verschiedene Personen ins Boot holen - ggf. aus deinem Familien/Freundeskreis, Profis aus psychologischen Beratungsstellen, Anruf bei Hilfetelefonen (siehe http://www.telefonseelsorge.de/ etc.). Schreibe auf, was dich bewegt - gerne auch hier bei uns. Vielleicht können wir dir bei einem bestimmten anderen Anliegen konkret weiterhelfen.
Sprich mit Menschen, denen du vertraust, besuche Selbsthilfegruppen usw. Je mehr du dich aus der Rolle der "Ohnmächtigen" befreist, desto schneller bekommst du neue Zuversicht und gewinnst den festen Boden unter deinen Füßen, der dich in eine Zukunft voller Möglichkeiten trägt.

Vielleicht hast du sogar Elan, dich ehrenamtlich für andere Aussteiger:innen zu engagieren, in Schulklassen Vorträge zu halten o.ä. Du hast einen reichen Erfahrungsschatz, von dem andere Betroffene profitieren könnten. Auch ein Blog, ein Videotagebuch oder andere social media-Formate können dir bei deiner seelischen Verarbeitung nützlich sein und gleichzeitig anderen Menschen etwas bringen. Nur müsstest du gucken, wie "öffentlich" du dich präsentieren wollen würdest (hierfür kann die Beratung bzw. die Vernetzung in den einschlägigen Aussteiger:innen-Kreisen sinnvoll sein!).

Du wirst dich immer ein bisschen mehr emanzipieren können. Dass du dafür viel Zeit brauchst, ist Teil des Akzeptierens.
Du könntest, wenn du dich schon etwas bereiter fühlst, auch schon mal nach einem Therapieplatz Ausschau halten. Meistens dauert es sowieso einige Wochen oder Monate, bis es dann soweit ist. Somit hättest du noch genug Vorbereitungszeit - und könntest notfalls auch wieder abspringen.

Folgende Anlaufstellen und Infoquellen will ich dir noch zeigen:
- Ganz unten findest du eine konkrete Ansprechperson!: https://vfp.de/magazine/freie-psychotherapie/alle-ausgaben/heft-05-2021/sektenopfer-in-der-therapie
- https://www.br.de/nachrichten/kultur/sekten-aussteiger-brauchen-mehr-therapeutische-hilfe,SeXshMR
- https://gegenscientology.blogspot.com/p/ausstieg-aus-scientology.html
- Doku, verfügbar bis zum 28.12.2022: https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr2/steffis-mutmacher/audio-ausstieg-aus-scientology-100.html
- https://antiscientologyblog.com/

Und hier noch die allgemeinen Inputs:
- https://www.die-kleinen-uebungshefte.de/
- https://www.spektrum.de/news/selbstbild-die-mentalen-bremsen-loesen/1965517?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
- https://www.psychotipps.com/freundschaft.html
- https://mein-kummerkasten.de/328157/Ich-weiss-nicht-wie-ich-weitermachen-soll.html
- https://mein-kummerkasten.de/331609/bin-ueberfordert-mit-mir-selbst.html
- https://mein-kummerkasten.de/333298/Habe-nicht-genuegend-selbstwert.html
- https://mein-kummerkasten.de/307184/Wohin-Warum-Sinn.html
- https://mein-kummerkasten.de/321962/Kein-Platz-in-der-Welt.html
- https://mein-kummerkasten.de/331383/Vom-Leben-bestraft.html


Ich verabschiede mich mit den besten Wünschen und grüße dich ganz lieb.
Du wirst deinen Weg gehen!
Nuala