Problem von Anonym - 17 Jahre

Ich weiß nicht mehr weiter...

Hallo liebes Kummerkastenteam!
Ich habe schon mal eine Mail (ende Juli) geschickt, die ihr leider nicht beantwortet habt. Naja, auf ein neues. Ich habe tierische Probleme. Ich war über drei Monate (von März bis Juni) in einer psychosomatischen Klinik wegen einer somatoformen autonomen Funktionsstörung (starke Übelkeit und Bauchschmerzen psychischen Ursprungs),Trennungsängsten (alle meine Großeltern sind plötzlich gestorben und jetzt habe ich übermäßige Angst, das meiner Familie was zustößt!) und schweren Depressionen. Durch die körperlichen Beschwerden musste meine Schule sehr drunter leiden, denn ich habe sehr lange gefehlt. Deshalb muss ich die Klasse 10 jetzt wiederholen. Als ich in der Klinik war haben sich die körperlichen Beschwerden gebessert, sodass ich wieder zur Schule konnte, doch jetzt fängt das ganze Theater wieder von vorne an und ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Meine Eltern kriegen die Krise, wenn ich nochmal in eine Klinik gehe. Auch die Depressionen belasten mich sehr. Ich denke, das ich alles nicht mehr schaffe und habe ständig Selbstmordgedanken. Zuhause gibt es keinen, der mich auffangen kann. Meine Eltern sind nur mit sich selber beschäftigt und nur am streiten. Ich fühle mich so hilflos. Ich möchte nicht mehr leben. Ich hatte schon einen Selbstmordversuch hinter mir und spiele im Moment wieder mit dem Gedanken, mir das Leben zu nehmen. Alles wird mir zu viel. Die Schule, die Zukunft, Zuhause, die durchgehende Traurigkeit und Niedergeschlagenheit, die körperlichen Beschwerden...alles macht mir zu schaffen. BITTE HELFT MIR! ICH WÄRE EUCH SEHR DANKBAR!

Anwort von MarkusM

Ein herzliches Hallo für dich!


Ich versuche mal, dir mit meinen Tipps so gut es geht, ein Wegweiser zu sein. Deinen Weg musst du, so hart es klingt, selber gehen, darin liegt auch eine Prüfung, die das Leben an uns stellt. Es fordert uns auf, dass wir selber uns die Mühe machen, einen Weg zu finden, der für uns lebenswert ist ? und nur für uns selber, es geht nicht darum, was andere von uns denken oder sich für uns wünschen.

??fängt das ganze Theater wieder von vorne an??
Ich finde es nicht gut, wie du über dich selber sprichst und wie du dadurch wohl auch mit dir selber umgehst. Mit Theater, da meinst du sicher ?unsinniges Zeugs? , ?Probleme, mit denen du eigentlich gar nichts zu tun haben willst?, vielleicht hat auch irgendjemand mal zu dir gesagt, ?Hör auf mit diesem Theater und sei endlich normal?. Das ist der wohl schlimmste Satz, den jemand sagen kann, denn er respektiert damit nicht deine innersten Gefühle, das was du insgesamt bist, sondern er lehnt die eine Hälfte deines Wesens ab.

Was deine Eltern und deine Umgebung beherzigen sollten: Depressionen und Probleme psychischen Ursprungs sind anerkannte Krankheiten, genauso wie zum Beispiel die Diagnose Lungenentzündung. In beiden Fällen geht es darum, dass dich deine Umgebung so liebt wie du bist, und auch, wenn du jetzt gerade nicht komplett gesund bist und zu kämpfen hast, dass dich deine Familie auf jeden Fall unterstützt. Sie können dir zwar nicht die Arbeit abnehmen, die Lösung eines psychischen Problems erfordert auch viel Eigenarbeit, aber sie können dir so gut es geht eine Stütze sein. Hey, nobody is perfect! Der Unterschied zur Diagnose Lungenentzündung ist, dass es etwas greifbareres ist, gegen das man mit Medikamenten sehr gut ankommt und die Heilung damit nahe in Aussicht steht. Doch in beiden Fällen ist man ungesund/angeschlagen und in beiden Fällen wird eine Heilung eintreten, besonders, wenn man Menschen um sich herum hat, die einen unterstützen. Und beide Probleme sind auch behandelbar und das sogar sehr erfolgreich, man muss sich nur darauf selber einlassen können.

Jetzt möchte ich aber zu dir zurückkommen und noch mal den Satz mit dem ?Theater? aufgreifen. Du findest, das ist Theater, was du machst? In wessen Augen machst du denn Theater oder wer denkt oder sagt von dir, das ist Theater, was du machst?
Ein wichtiger Schritt in der Genesung ist, dass du lernst, dir sehr viel Eigenliebe zu schenken, mit dir sensibler umzugehen und dir zu verzeihen, wenn es mal nicht ?wie am Schnürchen klappt?. Frage dich einmal selbst: ?Liebe ich mich selber, so wie ich bin, oder warte ich darauf, perfekt zu sein, um mich lieben zu können??

?Ich möchte nicht mehr leben.? Schon mal darüber nachgedacht, was dieser Satz eigentlich für eine starke Bedeutung hat? Setze ein kleines Wort in diesen Satz an, dann heißt er: ?Ich möchte so nicht mehr leben.? Na, fällt dir darauf noch eine weitere Frage ein? Sie könnte zum Beispiel lauten: ?Ja, wie möchte ich dann leben?? Also, was möchtest du in deinem Leben ändern, damit es dir und wirklich nur dir besser geht? Es geht um dich, kein anderer steckt in deinem Körper. Du erkennst selbst, wenn es belastende Probleme gibt (das Bauchgefühl ist ein sehr zuverlässiger Indikator. Bauchschmerzen können belastende, nicht gelöste Probleme anzeigen.)

Was mir sehr wichtig erscheint: Versuche doch einmal, einen besseren Draht zu deinen Eltern zu bekommen und mehr mit ihnen über deine Situation zu reden. Sage ihnen, dass das alles du bist, mit all deinen Höhen und Tiefen und dass du eben mal so bist wie du bist und dass sie dich nur so annehmen können, wie du bist. Es hilft nichts, dass du dich verstellst, deinen Eltern zuliebe oder anderen Menschen gegenüber. Zeige deine Gefühle, lass sie raus, wenn sie hochkommen und teile dich den anderen mit, wenn dich etwas seelisch belastet. Hab nur Mut, Reden ist genauso wichtig wie seine Gefühle zeigen.

Wenn deine Eltern streiten, dann setze dich nicht diesen Streits aus. Gehe raus, triff dich mit Freunden, mach Sport oder laufe um den Häuserblock, um auf bessere Gedanken zu kommen. Sie sollen dich nicht mit ihren Streits herunterziehen. Dazu haben sie kein Recht. Wenn es beim Essen Streit geben sollte, dann meld dich zu Wort, wenn dir das stinkt und in dir Wut oder Trauer hochkommt. Du kannst ihnen ruhig sagen, dass jetzt endlich mal Schluss sein soll und du ansonsten vom Essenstisch aufstehst und sie allein hier weiter essen können. Stelle dich nicht zwischen die Fronten/deine Eltern, denn sie müssen ihre Probleme selbstständig lösen. Und lasse dich nicht von einem Elternteil auf die eine oder andere Seite ziehen, denn ich denke, dass du beide Elternteile gleich gern hast und das kannst du ihnen auch zeigen.

Wenn du die 10. Klasse wiederholen musst, dann ist das nun mal so. Es gibt viele Schüler, die eine Klasse wiederholen aus ganz verschiedenen Gründen, nur man sieht als Außenstehender meistens nicht die seelischen Zustände der anderen. Und denke nicht jetzt schon an die Zukunft, denn es geht jetzt erst mal darum, dass du mit dir im Hier und Jetzt zufrieden bist und dein Leben selber bestimmen kannst. Das Leben besteht aus vielen Schritten und wenn man einen wieder erfolgreich gemacht, dann kann der nächste kommen. Und Rückschritte sind genauso erlaubt.
Du könntest auch mal versuchen, in deinen Gedanken die Sätze, die mit ?Ich soll, ich muss / Man soll / Man muss? zu streichen, denn es gibt keine Norm, kein Normal, kein Müssen oder Sollen. Das sind Wertungen, Forderungen und Erwartungen anderer Menschen und eigentlich geht es darum, dass du dich in deiner Haut wohl fühlst. Deswegen kann auch keiner objektiv von einer Situation sagen, das ist Gut oder das ist Schlecht, denn es geht allein darum, wie gut du die Dinge siehst.
Lasse dich nicht von Forderungen und Erwartungen anderer überschwemmen. Für einen besseren Draht zu deinen Eltern kannst du auch mal eine konkrete Bitte stellen: ? Wie wäre es, wenn wir an dem Wochenende in die Berge fahren / eine Unternehmung machen / wandern gehen / Rad fahren gehen?? ?Hätte jemand Lust, mich zu massieren, ich bin so verspannt.? Das sind Bedürfnisse, Bedürfnisse nach Nähe, die jeder hat. Vielleicht fühlst du dich dann weniger hilflos, wenn du die Nähe deiner Eltern spürst. Nehmt euch etwas Zeit, um aus der Schnelligkeit des Alltags herauszukommen.


Ich wünsche dir alles Gute!

P.S.: Eine Klinik ist nichts, wofür man sich schämen muss. Ich glaube, man muss vielmehr Mut zu Veränderung aufbringen und den Mut, wirklich an sich selber zu arbeiten. Ich habe mal gehört, dass die Adula Klinik in Oberstdorf ganz gut sein soll. Die haben auch eine eigene Internetseite.