Problem von Tobias - 29 Jahre

haltlos

Ja ich weiß, es lag an mir. Ich habe sie nicht "gehört". Ich war nicht einmal selbst glücklich. Es wurde immer offensichtlicher. Warum habe ich es soweit kommen lassen? Ich dachte, das wäre eben so. So verlaufen alle Beziehungen. Irgendwann kommt jeder an diesen Punkt. Damit muss man sich abfinden. Das haben schon ganz andere geschafft. Das Leben ist keine ständige Party. Irgendwann lebt man nur noch zusammen. Man versteht sich gut. Wie in einer WG. Hin und wieder schläft man miteinander, trifft Freunde, erzählt davon, dass es nichts neues gibt. Alles plätschert vor sich hin.

Und nun? Sie ist gegangen. Natürlich ist sie das. Und sie hat mich mitgenommen. Das was hier sitzt und schreibt ist völlig leer. Es ist nur ein Körper, der gefüttert und gewaschen werden will. Was passiert hier nur? Was tue ich hier? Wer redet hier überhaupt? Ich kenne mich selbst nicht mehr. Ich bin hier nur zu Besuch. Morgen kehre ich heim und alles wird wie früher sein. Und wenn nicht? Wo finde ich mich nur. Ich habe schon so lange gewartet, dass in mich zurückkehre. Wie lange muss ich noch warten? Es wird niemand kommen. Ich weiß das. Ich weiß.

Ich kann nicht mehr. Ich könnte auf der Stelle auf den Boden sinken und dort für immer einfach liegen bleiben. Warum sollte ich auch je wieder aufstehen. Was erwartet mich denn schon? Überall umgibt mich Schwermut. In jedem Raum, an jedem Ort. Dann kann ich auch gleich liegenbleiben. Die Zeit scheint zu stehen. Die Stunden kommen nicht voran. Und erst Recht nicht die Tage. Eine Woche ist wie ein halbes Jahr. Alles ist erst einen Monat her. Einen Monat. Wie lächerlich wenig das eigentlich ist. Was ist hier bloß los? Ich verstehe das alles nicht.

Gibt es emotionalen Urlaub? Ich würde sofort 3 Wochen buchen. Ist es wirklich nötig, jemanden so hart zu bestrafen? Ich habe niemanden umgebracht. Trotzdem werde ich nun schon seit Wochen gefoltert. Wann ist das vorbei? Wann darf ich wieder leben?

Ich habe alles verstanden. Kein Mensch hat in der letzten Zeit soviel gelernt, wie ich. Über sie, über mich, über uns. Alles ergibt einen Sinn. Es ist im Prinzip ganz einfach - und auch wieder nicht. Eine Geschichte unter vielen. Nichts besonderes. Liebeskummer-Alltag in Deutschland.

Habe ich überhaupt das Recht, mich schlecht zu fühlen? Ich lebe im Überfluss. Mein Job floriert. Meine Freunde kümmern sich rührend um mich. Ich habe kein Kind verloren. Gott weiß, wie hart DAS sein mag. Ich wage kaum, daran zu denken. Was ist mir schon passiert? Eine Trennung. Mehr nicht. Meine Güte. Es gibt tausende Frauen in dieser Stadt. Was will ich nur?

Ich sollte diese Musik abschalten. Gwen Stefani nimmt mich irgendwohin mit, wo ich vielleicht nicht hin sollte. Aber ich lasse sie. Das liebe ich an guter Musik: wenn sie es schafft, eine Emotion zu vermitteln. Mich mitzunehmen. Gwen macht das im Moment sehr gut. Das Lied läuft immer wieder. Wie eine stundenlage Oper.

Nun schreibe ich schon seit 50 Minuten. Wie viele Worte habe ich geschafft? Wie viele Worte macht das pro Sekunde? Sicher nicht einmal eins.

Meine Freunde sagen, ich hätte mich verändert. Ich sei viel lebendiger und leidenschaftlicher. War ich das vorher etwa nicht? Ich habe mich immer für lebensfroh gehalten. Ich solle das genießen. Das wäre eine besondere Zeit. So so. Hat auch schon mal jemand gesagt, dass eine "solche Zeit" unendlich viel Kraft kostet? Dass ich über keinen einzigen makaberen Witz mehr lachen kann? Dass ich mir Sorgen mache, wenn ich sehe, wie eine alte Frau auf eine schwergängige Drehtür zusteuert? Dass ich meine besten Freunde für Arschlöcher halte wenn ich sehe, wie sie manchmal mit ihren Freundinnen reden?

Ich halte nichts mehr aus. Alles packt mich sofort. Ich kann mich in einer Sekunde in eine wildfremde Frau verlieben und in der nächste Sekunde in eine andere. Das macht mich völlig fertig. Ich habe das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, Frauen zu verstehen. Ich kann mich stundenlang mit ihnen unterhalten. Neulich war ich sogar einen ganzen Tag shoppen und habe mich mit neuen Klamotten aus diversen Marken-Läden eingedeckt. Ich habe mir Blumen auf meinen Schreibtisch gestellt und eine vernachlässigte Palme im Haus adoptiert. Ich bin freiwillig in ein Kunst-Museum gegangen und koche hin und wieder irgendwelches experimentelles Zeug.

Gott, ich habe so viel gelernt. Aber es gibt keine 2. Chance für mich. Vielleicht will ich die auch gar nicht. Oder doch? Ich traue meinen Gefühlen schon lange nicht mehr. Sie machen was sie wollen. Reden mir alles mögliche ein. Wiegen mich in Sicherheit. Und dann - PENG - ist plötzlich einfach alles ganz anders, als hätte es die vorherigen Gefühle nie gegeben.

Im Grunde kann ich mir nur selbst helfen. Was wollt ihr mir schon raten?

- "Durchlebe die Gefühle. Schiebe sie nicht beiseite."
- "Nur Gott weiß, wo ich schon überall durch bin. Ich habe nichts ausgelassen. Ich bin vor nichts ausgewichen. Ich habe alles durch. Das komplette Programm. Ich hatte nie eine Ahnung davon, wie tief ein Mensch abstürzen kann. Jetzt habe ich eine Ahnung. Und sie jagt mir Angst ein."
- "Unternehme was mit Deinen Freunden."
- "Ich schütte mich im Moment regelrecht mit Erlebnissen zu. Zu kaum einer anderen Zeit in meinem Leben war ich so selten in meiner eigenen, recht schönen Wohnung. Ich bin fit wie nie, kenne so gut wie alle Veranstaltungskalender und bin quasi ständig auf Hausbesuch bei irgendwelchen Freunden - selbst wenn sie 500km weit weg wohnen. Ist mir völlig egal."
- "Hab Geduld."
- "Habe ich nicht. Woher auch? Hatte ich noch nie. Mir geht es JETZT schlecht. Was nutzt es mir dann, wenn es mir nächstes Jahr gut geht? Was nutzt es einem Durstigen, wenn er in einer Woche in einem See aus reinstem Quellwasser schwimmen könnte?"

Im Grunde hat mir dieser Text schon etwas geholfen. Und auch Gwen, die will ich nicht vergessen. Ich werde das schaffen. Das weiß ich. Ich will es schaffen. Ich will etwas daraus lernen. Ich will die selben Fehler nie wieder machen. Es ist nur so, dass ich manchmal einfach nicht mehr kann - bei allem Willen. Das ist die schwerste Zeit meines bisherigen Lebens.

Danke für's Lesen.

Anwort von Kerstin

Hallo Tobias
ich muss dir sagen... dein Text ist genial!
Entschuldige aber du hast über ein Thema geschrieben dass ja eigentlich schrecklich für dich ist und hast es trotzdem geschafft soviel Kraft und Willen und Herzensblut da rein zu legen, dass man nicht das Gefühl hat, da hat einer Selbstmitleid, sondern : der hat sich echt was gedacht dabei!
Ich würde dir dringend raten, dich an einem PC zu hocken und zu schreiben!
Schreib ein Buch über dich --- und falls du mal (was ich stark annehme) ein guter Autor wirst, dann schick mir ein Exemplar!! Danke alles Liebe für dich!