Problem von Marcel - 21 Jahre

Nachdem es bergauf ging, wieder gefallen (2)

Hi Dana, Hi Kuka-Team,

Ich habe mich sehr darüber gefreut das du mir geantwortet hast. Ich habe mich mittlerweile wieder mit meiner Verlobten vertragen. Wir haben darüber geredet und sie bemüht sich, nicht alles für mich zu machen, was ihr natürlich nicht immer gelingt.
Seit 9 Tagen bin ich auf den Rollstuhl angewiesen weil ich nicht die Kraft habe zu laufen oder zu stehen. Ich sehe in der letzten Zeit einfach keine Besserung mehr, als ich euch das letzte mal geschrieben habe, hatte ich noch genug Kraft um zu laufen.
Mein Immunsystem ist so geschwächt das sich in meinem Mund offene Stellen gebildet haben, die mir sehr zu schaffen machen. Ich kann nicht genug essen und Trinken weil es schmerzhaft ist, deswegen muss ich über eine nasale Magensonde Flüssigkeit zugeführt bekommen.
Aber dennoch möchte ich nicht aufgeben weil ich nicht will das meine Familie einen zweiten Verlust einer geliebten Person haben, das würde vorallem meine Mutter nicht verkraften.

Es ist jetzt auch schon etwas über ein Jahr her das meine Schwester an Krebs verstorben ist. In letzter Zeit denke ich sehr oft an sie. Was sie wohl macht? Wie es ihr geht? Lauter Fragen die ich nicht beantwortet bekomme. Ich habe eigentlich gedacht ich wäre darüber hinweg, aber seit ein paar Wochen stehe ich wieder mitten in meiner Trauer.
Warum wurde uns dieser Besondere Mensch einfach genommen? Ich denke jeder der meine Schwester kennenlernen durfte kann mir da zustimmen. Sie hatte soviel Liebe und Kraft in sich, wie ich es noch an keinem anderem Menschen sehen konnte, man konnte meinen das man wenn man ihr in die Augen geschaut hat in ihr Herz zu sehen. Meine kleine Schwester kann Susann nur anhand von erzählungen und Bildern oder Filmen kennenlernen aber nicht persönlich.
Und jetzt ist auch noch bald Weihnachten aber ich kann die Zeit einfach nicht genießen!

Danke das ich hier meine Sorgen, Ängste usw. ablassen darf. Es tut einfach gut!

Liebe Grüße Marcel

Dana Anwort von Dana

Grüße Dich, Marcel!

Es ist immer wieder schön, von Dir zu hören bzw. zu lesen. Hab Dank, dass Du mich / uns immer mal wieder schreibst, wie es Dir so geht.

Jetzt hast Du mich ganz nebenbei auf den Boden zurückgeholt. Mich hat mit dem Neuen Jahr eine heftige Erkältung erwischt und ich war in den letzten Tagen wohl ziemlich am Jammern. Heute dann (fieberfrei und das Ohrensausen ist auch weg) schau ich in den Kuka und ganz oben in der Liste wartet diese Mail von Dir. Kein Jammern mehr wegen eines Schnupfens von meiner Seite. Man kann sich ja wirklich innerlich elend fühlen, wenn man sich selbst so bemitleidet und dann erkennt, dass man gar nichts hat, worüber man sich beschweren sollte.

Ich weiß nicht, ob ihr Dir schon einmal von einem Freund von mir erzählt habe, der nach einem schlimmen Autounfall im Krankenhaus lag? Es ist Jahre her und ich muss sagen, bis dahin hatte ich mit solchen Dingen in meinem Leben wenig Kontakt gehabt (ich war wohl so um die 19/20 Jahre) - wie Du siehst, eine bleibende Erinnerung. Der Anblick des 'Fixum externa' hat mir ziemlich geschockt; die Knochen im Bein waren damit von außen verschraubt; sah übel aus. Und genau das brachte ich damals auch zum Ausdruck, war voller Mitleid, fragte nach den Schmerzen usw. Der Freund hat nur gelacht, mit den Schultern gezuckt und gesagt: "Ich bin doch froh, dass es diese Dinge gibt; sonst wäre das Bein jetzt ab." Wie gesagt, eine bleibende Erinnerung, weil ich seine Denkweise in der Situation sehr stark fand. Andere hätten vielleicht aufgeben wollen, das Schicksal verflucht und den ollen Rehbock, der da vor das Auto gelaufen ist - er war froh, dass man ihm helfen konnte.

An diese 'alte Geschichte' musste ich beim Lesen Deiner Mail denken. Du kannst den Rollstuhl hassen, die Magensonde verfluchen, mit den Dingen hadern - oder aber dankbar sein, dass man Dir auf diese Weise helfen kann. Ob ich es in Deiner Situation könnte, weiß ich nicht - es ist eben die andere Seite der Medaille, die man vielleicht dann und wann auch ansehen sollte.

Es freut mich, dass Du Dich mit Deiner Verlobten wieder vertragen hast - obwohl ich nie daran gezweifelt habe, dass es so kommt. Die Situation ist für keinen von euch leicht und so kann es eben schnell zu der einen oder anderen Überreaktion kommen. Ich denke, ihr könnt einander auch verstehen; und das ist es, was auch zur Versöhnung führt. In jeder guten Beziehung kracht es manchmal.

Viele sehen die Trauer um einen Menschen als eine Art Tunnel, durch den man gehen muss. Ich sehe sie in meinem Leben eher als Begleiter. Ein Begleiter, der mal die schönen Erinnerungen erzählt, schöne Bilder in die Luft zaubert und der sogar stützen kann. Aber dann wieder zückt er Nadeln und Messer und erschwert uns den Weg. Warum er es so macht, habe ich in all den Jahren, in der ich begleitet werde, leider noch nicht ergründet. Der Schmerz hat sich verändert und inzwischen erzählt mir der Begleiter öfter die schönen Dinge, als dass er das Messer hält; und ich habe auch gelernt, seinen Hieben auszuweichen - aber da ist es noch immer. Ich fürchte, so ganz hinter sich kann man den Schmerz nie lassen. Ich jedenfalls, habe es nicht geschafft.

Ein Jahr ist gerechnet auf ein Leben ein kurze Zeit. Der Schmerz um den Tod Deiner Schwester darf zuschlagen; Du darfst ins Grübeln verfallen und Du darfst sie mit jeder Faser vermissen. Niemand kann immer stark sein und niemand kann erwarten, dass Dir dieser besondere Mensch nicht fehlt und dass die Fragen an das Schicksal keine Rolle mehr spielen.

Die Weihnachtszeit kann eine besondere im Jahr sein - aber können wir ein Stück vom 'Geist der Weihnacht' nicht durch das ganze Jahr tragen. Die Familie, der Zusammenhalt, die wahren Wichtigkeiten? Ich weiß nicht, was Weihnachten für Dich ausmacht - ab er frage Dich einmal, ob es wirklich so wichtig ist, die Dinge Ende Dezember genießen zu können? Verzweifel nicht daran, dass da in diesem Jahr ein Schatten lag und Du die Weihnachtszeit nicht für Dich genießen konntest - denn dazu gibt es auch andere Monate und andere Weihnachten.

Ich habe gerade das Gefühl nur 'dumm rum zu reden' und keien wirklich Hilfe zu sein... aber mehr, als das zu schreiben, was mir durch den Kopf geht, kann ich kaum. Ich habe weder die Antworten auf Deine Fragen, noch eine wirkliche Hilfestellung, eine Lösung und doch hoffe ich, dass ich Dir so irgendwie ein Stück Kraft geben konnte. Und sei es nur, weil ich ein Ohr bzw. Auge für Dich habe.

Ich wünsche Dir jede Menge Kraft für das Neue Jahr, viele Lichtblicke und Sternstunden...
Dana