Problem von anonym (w) - 33 Jahre

Kettenreaktion

Liebes Kummerkasten-Team,
ich schreibe euch heute, weil ich einen Rat suche, wo an meinen vielen Problem-Baustellen ich anfangen soll. Das fällt mir sehr schwer, weil ich nicht jammern will, aber ich weiß einfach nicht mehr, wo ich anfangen soll und wo ich die Kraft hernehmen soll, um mein Leben wieder in den Griff zu kriegen. Vielleicht hilft dabei eine objektive Meinung von außen...
Meine Mutter ist seit mittlerweile sechs Jahren schwer krebskrank. Sie musste schon mehrere OPs (die größte über neun Stunden), Chemotherapien und zahlreiche Krankenhausaufenthalte über sich ergehen lassen. Anfang des Jahres machte deshalb ihr Herz schlapp und sie bekam einen doppelten Herzklappenersatz. Seitdem ist sie sehr schwach. Sie ist zur Zeit zu Hause, aber es geht ihr nicht besonders gut. Doch aus Angst, dass sie Weihnachten nun zum dritten mal im Krankenhaus liegen könnte, geht sie nicht zum Arzt. Und das kann ich bei ihrem Martyrium gut verstehen, auch wenn ich wahnisinnige Angst um sie habe...
Ich bin Einzelkind und wir sind eine sehr kleine Familie. Dadurch ist unsere Bindung zueinander sehr eng. Das Verhältnis Mutter-Tochter hat sich mittlerweile fast umgedreht, ich bin fast so was wie ihre Therapeutin. Das ist für mich eine riesige Last, die ich kaum noch ertragen kann. Ich weiß, dass alle medizinischen Maßnahmen, die wir ergreifen, nur lebensverlängernd sind. Meine Mutter ist unheilbar krank. Und es macht mich fix und fertig zu sehen, dass sie Todesangst hat, depressiv ist, dicht macht und sich zurückzieht und niemanden an sich heranlässt. Ab und zu bricht sie dann aus und fragt nach ihren Chancen, wenn jetzt dies oder jenes in ihrem Körper passiert. Aber trotzdem kann ich sie gut verstehen: Niemand kann es einfach so wegstecken, ständig mit dem Tod konfrontiert zu sein. Sie will leben und schreit um Hilfe wie eine Ertrinkende. Einen psychologischen Beistand lehnt sie kategorisch ab. Was kann ich tun? Ich habe bisher immer versucht, ihr ein Stückchen Lebensqualität zu schenken, sie abzulenken, etwas Schönes zu unternehmen. Das klappt nicht immer, aber jeder einzelne, noch so kleine Erfolg zählt so unendlich viel. Aber jede Enttäuschung trifft mich hart. Ich weiß nicht, wo ich noch die Kraft hernehmen soll. Meine Freunde interessiert das Thema nicht wirklich. Ich kann ihnen ja auch nicht sechs Jahre lang die Ohren zuheulen. Wenn ich dann ab und wann doch mal was erzähle, sehe ich in betroffene Gesichter und ratlose Mienen. Mein Freund, mit dem ich auch seit drei Jahren zusammen wohne, macht ein Doppelstudium und hat kaum Zeit. In letzter Zeit versuchen wir zwar, durch gezielte Verabredungen und Unternehmungen ein bisschen mehr Ablenkung zu streuen, aber meist bin ich doch sehr bedrückt. Ich kann mich kaum noch entspannen oder freuen. Dazu kommt die zweite "große Problem-Baustelle", nämlich dass ich seit einem Jahr arbeitslos bin. Ich habe einen sehr exotischen Studiengang studiert, zwar einen sehr guten Abschluss gemacht und danach auch ein paar Praktika, aber ich finde einfach keine Anstellung. Vielleicht würde es mir besser gehen, wenn ich tagsüber einem Beruf nachgehen würde - auch meine Mutter würde sich darüber freuen - aber es klappt einfach nicht. Lange Zeit war das meine "Ablenkung", mein Job, mein Ziel: Gute Bewerbungen zu schreiben um eine Anstellung zu kriegen. Aber es funktioniert nicht. Ich hatte schon einige Vorstellungsgespräche und musste mir Sachen anhören von "Was wollen Sie denn hier?" über "Heiraten Sie, Sie sind ja noch jung." bis "Mit Ihrem exotischen Abschluss werden Sie immer arbeitslos bleiben." - Warum laden mich diese Personaler dann überhaupt ein? Ich weiß, dass ich sehr lange studiert habe, das ist sicherlich ein Manko. Aber ich habe mir mein Studium selbst finanziert und IMMER nebenbei gearbeitet. Ja, die letzten drei Jahre habe ich dann meine Mutter gepflegt, aber das kann man ja keinem Personaler einfach so erzählen. Dann wird man gleich als "problembelastet" eingestuft. Und da schließt sich auch der Kreis. Ich würde es jeder Zeit wieder machen und meiner geliebten Mutter zur Seite stehen. Aber ich kann einfach nicht mehr, sehe nur noch Trauer und Schmerz und Angst. Das ist ganz furchtbar! Das ist wie ein Sog. Zur Zeit weiß ich auch nicht mehr, ob ich meiner Mutter die richtigen Ratschläge gebe. Soll ich sie unterstützen, ihre Angst zu überwinden und zum Arzt zu gehen oder sie einfach in Ruhe lassen. Erst blockiert sie total, dann hat sie wieder Angstattacken und wendet sich an mich. Ich fühle mich in dieser Welt total allein, weiß nicht, ob ich das Richtige mache, bin total verwirrt und überflüssig. Was kann ich tun?

Dana Anwort von Dana

Grüße Dich!

Mir fällt die Antwort nicht leicht... es ist eine schwierige Situation, ich kann Deinen eigenen Druck deutlich erkennen. Aber das, was Dich so bedrückt und verzweifeln lässt, liegt nicht in Deiner Hand. Daher bleibt nur die Frage: Was kannst Du tun, damit es für Dich leichter wird? Kannst Du es beantworten? Was brauchst Du, um wieder Kräfte schöpfen zu können? Woher kannst Du die ziehen? Was tut Dir gut? Schau genau hin und dann hole es Dir. Jeder Mensch zieht seine Kräfte aus anderen Dingen. Die einen brauchen Ruhe und Erholung (oft reichen dann 2 - 4 Stunden in der Sauna), andere brauchen Aktion und gehen zum Sport. Wieder andere schreiben alles auf, was sie bedrückt und können es so innerlich ein Stück loslassen, wenn sie das Buch bzw. die Datei schließen.

Deine Mutter schließt psychologische Hilfe aus. Wie ist es mit Dir? Nicht nur Deine Mutter ist in einer Situation, von der ich denke, dass das ratsam ist. Auch Du selbst. Und auch das ist ein Weg, um Kräfte zu mobilisieren und den eigenen Weg nicht zu verlieren; mehr Sicherheit zu bekommen.

Du fragst, was richtig ist und was falsch. Mit dieser Frage bin ich überfordert. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, Deine Mutter eher in Ruhe zu lassen oder aber sie mehr und mehr dazu zu bewegen, mit Ärzten zu sprechen. Was fühlt sich für Dich richtig an? Die Entscheidung, die für Dich gut ist, hinter der Du stehen kannst, ist die richtige. Eine Therapeutin sagte mir einmal: Das einzige, was Du falsch machen kannst, ist gar nichts zu tun. Ein Satz, über den ich lange nachgedacht habe und den ich für mich wirklich angenommen habe.

Ich weiß sehr gut, wie zermürbend die Arbeitssuche sein kann, wie sehr eine Absage im Briefkasten runterziehen kann. Dennoch solltest Du nicht aufgeben; denn mit dem Aufgeben bekommst Du das, was Du nicht möchtest. Du möchtest eine Arbeit; und die kannst Du nur bekommen, wenn Du weitermachst. Halte Dir das vor Augen, wenn Du innerlich verzagst und es sich anfühlt, als sei die nächste Bewerbung sinnlos.

Ich selbst würde auch in Bewerbungen/Vorstellungsgesprächen offen mit der Situation umgehen und auch erzählen, dass ich seit drei Jahren meine Mutter pflege. Lieber ggf den Stempel "Problemfall" bekommen, als den Eindruck erwecken, seit drei Jahren sozusagen nichts getan zu haben. Das wäre mein Weg - ob es auch Deiner ist, wirst Du selbst entscheiden. Und ich denke auch, dass dieses Pflegen eine Menge über Dich als Menschen und potentiellen Arbeitnehmer aussagt. Jemand, der sich selbst auch für Interessen anderer zurückstellt; jemand, der im Jetzt wieder wirklich für sich durchstarten möchte und dem diese Stelle sehr wichtig ist. Es kommt natürlich immer darauf an, wem man gegenüber sitzt und wie er die Dinge sieht und interpretiert.

Alles Gute!
Dana