Problem von Christian B. - 18 Jahre

Depressionen und Einsamkeit

Hallo, liebes Kummerkastenteam,

erstmal ein großes Dankeschön für eure Arbeit. Es ist lobenswert, sich auf diese Weise anderer Probleme anzunehmen.

Was mir noch wichtig ist: Das ist jetzt kein Problem, das zeitlich so dringend ist. Ich möchte also nicht, dass ihr meinetwegen irgendwelche dringenderen Probleme zurückstellt.

Ok, am besten fange ich einfach an:
Ich leide an Depressionen. Zumindest vermute ich das.
Ich muss 2-3 Jahre zurückspringen, damit ihr meine Situation besser erkennen könnt.

Da bin ich gerade 16-17, bin in der letzten Klasse, mache mein Abitur, habe eine Freundin und es geht mir eigentlich sehr gut. Ich fühle mich sehr wohl.
Aber nach meinem Abitur ging es dann bergab.
Zunächst wusste ich nicht, was ich studieren sollte. Meine Eltern, mit denen ich mich immer recht gut verstehe, drängten mich etwas in Richtung BWL, vermutlich aus Sorge, aus mir könnte nichts werden. Kurz vor der Bewerbungsphase wurde mir aber bewusst, dass ich das nicht wirklich studieren will. Und stand da, ohne eine Ahnung, wie es jetzt mit dem Studieren weitergehen sollte. Also habe ich erstmal nichts gemacht.
Gleichzeitig habe ich in den Sommerferien aber auch noch ein 2-monatiges Praktikum bei einem Versandhaus gemacht, BWL also, und es war unglaublich langweilig.
So, das wars also erstmal mit der Zukunft.
Zu allem Überfluss hatte ich mich zwar am Internat mit allen Leuten gut verstanden, aber war mit niemandem so richtig befreundet, wodurch ich sozusagen auf einen Schlag die meisten meiner sozialen Kontakte verlor.
Übrig geblieben sind mir mein Bruder, mit dem ich mich gut verstand, und meine Freundin. Und eigentlich hat das auch erstmal gereicht. Mein Bruder würde dann in einigen Wochen in der Schweiz studieren und bis dahin würde man sich halt die Zeit vertrieben, was trinken etc. Meine Freundin war auch dabei.
Zu der Zeit merkte ich es noch nicht, aber irgendwas war komisch in unserer Beziehung. Meine Freundin wurde distanzierte.
Erst, als mein Bruder weg war, erfuhr ich, dass sie mehrmals miteinander geschlafen hatten. Und ich hatte noch nie eine schlimmere Verzweiflung in mir. Mein Bruder, dem ich absolut vertraut hatte, hintergeht mich. Dasselbe mit meiner Freundin.
Auf einen Schlag verlor ich meine letzten beiden sozialen Kontakte. Zumindest dachte ich das. Meine Freundin und ich haben dann versucht, weiterzumachen, da ich darauf bestanden habe, um nicht noch die letzte Person in meinem Leben zu verlieren. Ich zog also zu ihr, da ich in ihrer Nähe dann anfing, Tourismus zu studieren, auch eher aus der Verzweiflung, weil ich nicht wusste, was ich machen sollte. Und ich merkte schon, wie sich meine Gedanken verdunkelten und ich einfach keine Zukunft und Freude in meinem Leben sah.
Ich wohnte mit ihr in einer Wohnung, es klappte mehr oder minder gut.. ich lernte neue Leute über meine Freundin kennen und irgendwie lief alles so mehr oder weniger. Bis ich dann entschied, dass Tourismus nichts für mich ist. Danach hing ich eigentlich den ganzen Tag nur noch in der Wohnung rum. Ich konnte und kann mich zu nichts aufraffen. Natürlich führte das oft zu Streit, denn eine Außenstehende kann die Krankheit ?Depressionen? nicht verstehen. ?Ich KANN nicht.?.. hab ich oft gesagt, es traf aber nur auf Unverständnis. Irgendwann war es dann so weit, die Spannungen waren zu groß und wir entschieden uns, uns zu trennen, nach 2 Jahren Beziehung. Und wieder verlor ich auf einen Schlag unglaublich viel. Zum einen meine Freundin, die die einzige war, die mir Zuneigung und Liebe vermittelte. Zum anderen die ganzen Freunde, die ich in der Stadt zurückgelassen habe. Und dazu noch ein autonomes Leben in einer eigenen Wohnung.
Ehe ich mich versah, war ich wieder zu Hause bei meinen Eltern. Freundin weg, Freunde weg. Und sitze hier und weiß nicht recht, was ich tun soll.
Mit meinen Eltern verstehe ich mich gut, aber wir haben eine große Distanz zwischen uns. Mit ihnen reden, möchte ich nicht. Denn sie würden es nicht verstehen, es wäre zu viel. Ab und an erzähl ich ihnen von kleinen Teilproblemen, und das macht sie schon ganz traurig.

Es ist nicht so, dass ich darüber nachdenke, mich umzubringen. Zum einen lebt man nur einmal und es wird sicher noch ein paar Kleinigkeiten geben, über die ich mich freuen werde. Zum anderen will ich niemanden mit meinem Tod verletzen (gefühlsmäßig).
Trotzdem sitze ich hier, ohne Freunde oder sonstige soziale Kontakte, und verbringe Tag für Tag damit, nichts zu tun. Die wenigen sinnvollen Dinge, die ich in letzter Zeit getan habe, sind, einen Termin beim Psychologen zu vereinbaren und mir selbst Gitarre spielen beizubringen. Magere Ausbeute für 2 Jahre..
Zudem hasse ich meinen Bruder, der mein Vertrauen so missbraucht hat und sich nie dafür entschuldigt hat. Zu allem Überfluss meinen meine Eltern, das Problem totschweigen zu können und damit aus der Welt schaffen zu können. An Weihnachten ist er wieder hier und ich muss schauen, wo ich hingehe. Es ist so ungerecht, ich bin das Opfer und dennoch leide ich auch danach noch am meisten. Diese Tat tut mir noch immer so weh, genauso die Trennung von meiner Freundin.

Mein einziger Lichtblick ist mein Interesse für das Studienfach Psychologie. Ich werde vermutlich ab März/April dort studieren können, aber wie soll ich es bis dahin durchhalten? Ich klammer mich an jeden möglichen sozialen Kontakt, andererseits lasse ich mir aber auch nie etwas anmerken, wie schlecht es mir geht. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine Person gehabt, mit der ich wirklich gut über alles reden könnte.

Ich bin ein wirklich netter Kerl, aber wie soll ich Freunde finden, die mich etwas ablenken? Ich bin schüchtern und kann nicht einfach so in die Disco/Bar oder wo anders hin. Aber ich will auch nicht noch ein halbes Jahr alleine sein.
Ich versuche verzweifelt, auch über Facebook Kontakt zu alten Mitschülern zu halten, aber mehr, als ein bisschen Schreiben geht halt auch nicht. Ich kenne niemanden gut genug, dass ich sagen könnte ?Wenn du willst, komm mich doch mal besuchen?, obwohl ich es so gerne sagen würde.

Ich sitze jeden Abend in meine Zimmer und denke mir, wie einsam ich eigentlich bin. Ich weiß, Selbstmitleid bringt nichts, aber ich kanns auch nicht abstellen. Alkohol ist für mich keine (temporäre) Lösung, ich trink zwar ab und zu mal Abends, aber was hilfts. Mein effektivster Weg ist bisher, mich mit Medien vollzustopfen. Ich spiele viel Computer, obwohl es mich langweilt, und schau nebenher irgendwelche Filmserien an, hauptsache, mein Gehirn kommt nicht zum Nachdenken.

Ich hoffe, ich konnte für manche, die es Lesen wollten, einen verständlichen Eindruck von meiner Situation geben. Ich erwarte jetzt eigentlich gar keine Vorschläge oder so, denn ich weiß ja, was ich machen muss und auch tun werde.

Die einzige Frage, die ihr mir beantworten könntet: Wie findet ein schüchterner Mensch wie ich neue Menschen zum Kennenlernen?
Ich will einfach nicht mehr Alleine sein, überhaupt keine Freunde haben. Ich will leben und Dinge erleben, wie es die meisten Menschen tun. Und nicht nur zu Hause rumsitzen.

Danke fürs Lesen
Es hat mir doch ein bisschen geholfen, mir das von der Seele zu schreiben
Vermutlich habe ich noch einiges vergessen, aber das reicht ja auch erstmal...

Marie Anwort von Marie

Hallo Christian,

ich freue mich, dass Du Dich an uns gewendethast. Ich kann Deine derzeitige Situation sehr gut verstehen. Du hast wirklich keine schöne Erfahrungen mit Deinem Bruder und Deiner Freundin gemacht. Es ist mit Sicherheit keine schöne Art mit einem Partner umzugehen. Ich verstehe, dass es einen groben Vertrauensbruch zwischen Dir und Deinem Bruder gegeben hat, aber vielleicht ? wenn ihr Euch doch so gut verstanden habt ? ist eine Aussprache hier nötig? Ich könnte mir vorstellen, dass er diese Sache bitterbös bereut. Es kommt vor, dass Menschen, die soetwas tun, einfach nicht wirklich im Klaren sind, was sie eigentlich jemanden damit antun, aber eigentlich nie wirklich gewollt haben jemanden zu verletzen. Gefühle können manchmal den Kopf regieren bzw. vollständig ausschalten. Aber ich glaube nicht, dass er es gemacht hat, um Dir absichtlich wehzutun und wenn Du es geschafft hast Deiner Freundin zu verzeihen, warum nicht versuchen auch Deinem Bruder zu verzeihen? Natürlich ? darf soetwas nicht nochmal passieren!

Als Weiteres möchte ich erstmal hervorheben, dass Du megamäßig stolz auf Dich sein kannst, dass Du nicht dem Wunsch Deiner Eltern das BWL Studium zu absolvieren, gefolgt bist. Finde ich echt super! Ich höre einfach viel zu oft, dass Menschen sich für den Weg ihrer Eltern entscheiden, einfach um den Frieden willen oder weil sie einfach nicht wissen, was sie tun möchten.

Weißt Du, ich denke, Du wirst Deinem Berufswunsch sicherlich näher kommen, wenn Du jetzt die Zeit investiert und all die Möglichkeiten heraus suchst, die Dich interessieren würden. Versuche Dich ein bisschen an Deinen früheren Interessen zu orientieren und besonderen Fähigkeiten (es gibt hierzu auch viele Bücher, in dem man seinem Traumberuf mittels psychologischen Tests ein Stück näher kommen kann). Praktikas würden Dir dann in Deinen ausgewählten Berufen einen ersten Einblick vermitteln.

In Deinem Alter kommt es eher selten vor, dass man schon wirklich weiß in welche Richtung man gehen möchte. Deshalb folgen so viele den Pfad eines anderen, weil sie denken, es sei ein guter Beruf und später finden sie heraus, dass es nicht so ist und fangen nochmal im späten Alter von neuem an.
Ich persönlich denke, dass wenn man besondere Fähigkeiten/Fertigkeiten hat (fängt schon an bei Eigenschaften wie z. B. guter Zuhörer, Technik begeistert, Spaß daran haben anderen Menschen etwas beibringen zu wollen, etc), dass das worin man schon gut ist in einem Beruf einbringen sollte, denn dann wird man zwangsläufig auch Spaß daran finden und erfolgreich sein. Nutze diese Zeit für Dich und lass Dir Zeit ? Du hast ein ganzes Leben vor Dir ? und wähle Deinen Beruf. Ich denke, wenn Du inetwa ein Richtung gefunden hast und zumindest mal in der für Dich passenden Sparte gelandet bist, kannst Du später, falls es nicht 100% das Richtige war immernoch problemlos Dein Wissen durch Weiterbildungen erweitern und zu einen anderem Beruf in diesem Zweig wechseln. Mach Dir auf jeden Fall nicht so ein Druck. So etwas braucht Zeit ? dann kommen auch die Ideen mit der Zeit ? wirst schon sehen 

Ich denke, dass das Deinem Leben schonmal eine große Portion Sonnenschein vermitteln wird.

Ansonsten verstehe ich auch, dass Du Dich sehr alleine fühlst. Ich kenne das, weil ich an einem Punkt im Leben auch alle meine alten Freunde verloren habe und da ich ebenfalls ein schüchterner Mensch bin es nicht so einfach hatte, wieder neue Freundschaften zu schließen. Aber dennoch gibt es immer wieder Menschen ? bei denen es etwas einfacher funktioniert ? vielleicht hälst Du Dich einfach an diese Menschen und wenn man dann genügend Zeit miteinander verbringt, dann wächst auch wieder eine tiefe Verbindung, wie Du es sicherlich aus Deiner Kindheit her kennst. Vielleicht gibt es auch noch ganz bestimmten Hobbies, denen Du gerne nachgehen möchtest ? vielleicht über Vereine oder auch Volkshochschulkurse. Über diesen Weg findet man immer wieder zu Menschen, die die gleichen Interessen teilen und dann ist die erste Hürde in Sachen Gesprächsthema auch schon geschafft. Ich könnte mir vorstellen, dass wenn Du die Kurse mal so durchsiehst, sicherlich ein paar Sachen findest, die Dich interessieren würden. Aber lass Dich nicht durch die Schüchternheit bremsen, sondern ?Augen zu und durch?. Wenn man diese Methode mal ein paar Male angewandt hat, dann klappt es nach eine Weile immer besser und geht viel einfacher neuen Menschen zu begegnen.

Eine Sache möchte ich Dir noch auf den Weg geben ? gerade wir schüchterne Menschen neigen dazu sich anderen anpassen zu wollen. Mach das bitte nicht! Bleib Dir treu und Du wirst sehen mti einer kleinen Portion extra Mut und etwas Geduld finden sich Deine zukünftigen Freunde. 

Ich wünsche Dir alles Liebe und hoffe, dass diese Zeilen Dir etwas helfen konnten. Gerne kannst Du Dich jederzeit wieder an uns wenden. Wir sind immer für Dich da.

Deine Jessica