Problem von Caro - 17 Jahre

Zu viel Selbstkritik -und Zweifel

Hallo liebes Kummerkastenteam,

ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll; es wird voraussichtlich lang. Ich bin ich zu kritsch mit mir selbst, eine Grüblerin, überehrgeizig mit Hang zum Perfektionismus, habe sehr hohe Erwartungen an mich selbst und bin meiner Meinung nach nie gut genug.
Ich habe gute Freunde, erfüllende Hobbies, eine tolle Familie, gehe aufs Gymnasium und habe passable Noten. Doch ich stelle immer alles in Frage und grüble über längst vergangene Situationen. Es ist ein Teufelskreis: In einer gewissen Situation, in der ich Druck von mir selbst (wie ich dann allerdings denke: von anderen) ausgesetzt bin, werde ich meinen Erwartungen nicht gerecht oder bin trotz guten Ergebnissen unzufrieden. Wenn ich das dann für mich behalten könnte, wäre es ja in Ordnung, aber in dem Moment ärgere ich mich so über meine Leistung oder den Ehrgeiz selbst, dass ich es jemand anderem mitteilen muss. Ich kann dann einfach nicht still sein. Hinterher, wenn der Ärger etwas abgeklungen ist, wird mir dann immer klar, dass ich total überreagiert habe. Das macht das Ganze jedoch nicht besser: ich beginne dann, mich über meine Überreaktion zu ärgern. Da alles immer so endet, geht dueser Ärger irgendwann in richtige Wut über, die sich auf mich allein bezieht. Außerdem schäme ich mich dann vor denen, die meine Überreaktion mitbekommen haben.
Das Problem ist also nicht allein die Selbstkritik, sondern auch die Wut auf diese und damit auf mich, was wiederum zu Selbstzweifeln führt.
Meine zahlreichen Hobbies, die ich alle gern ausübe, sollten ja als Erholung vom Schulstress gedacht sein. Doch selbst hier stecke ich mir (unkonkrete, hohe) Ziele und messe meine Leistung. Andere sagen, wie toll es doch wäre, dass ich so viel so gut können würde; meiner Meinung nach kann ich viel halb und nichts ganz.
Doch ich vergleiche mich generell viel mit anderen, suche Gleichgesinnte.
Aktuelle Situation: Ich bin verliebt, doch weiß nicht, ob dies erwidert wird; manchmal flirtet er total mit mir, dann scheint er mich nicht mal zu kennen. Meine extrem selbstbewusste beste Freundin, die mich schon immer in ihrem Schatten stehen gelassen hat, versteht sich auch super, um nicht zu sagen besser, mit ihm. Sie merkt das leider gar nicht.
Kein Neuland für mich: Die Typen stehen immer auf sie. Ich denke: Klar, sie ist größer, dünner, selbstbewusster...
Und dann grüble ich wieder über alles. Ob ich überhaupt etwas gut kann, ein besonderes Talent habe...Dann sinke ich immer tiefer in meine Minderwertigkeitskomplexe und Selbstzweifel.

Außerdem war ich schon immer sensibel und sehr empfindlich, was Kritik seitens anderer angeht. An mir selbst kann ich wunderbar herumkritisieren, aber sobald ein engerer Freund einen wunden Punkt anspricht oder eine feste, unveränderliche Charaktereigenschaft kritisiert, stelle ich die gesamte Beziehung oder sogar mich als Person in Frage.
Das Verrückte ist, dass mir klar ist, dass mein ganzes Verhalten schwachsinnig und von mir vollkommen überbewertet ist. Wenn ich Komplimente bekomme, tue ich sie ab und bin total verlegen, obwohl ich unterbewusst weiß, dass sie stimmen. Ich weiß auch, dass ich Stärken habe. Nur, wenn ich das hier selbst lesr, frage ich mich, ob nicht die Schwächen überwiegen.
Ich will nicht, dass ich an diesem Grübeln und den Selbstzweifeln kaputt gehe. Mein Vater, den ich liebe und schätze, ist genau so, und ich wollte nie so werden. Ich bin einfach momentan ein bisschen verzweifelt.
Ich möchte vor mir und vor anderen ein positives Bild meiner selbst wahren. Ist es krankhaft, wie viele Gedanken ich mir mache? Habe ich schon Depressionen?
Auf jeden Fall tut es gut, sich einmal alles von der Seele zu reden, ich habe noch nie so darüber gesprochen, weil es niemand meiner Freunde oder Familie nachvollziehen kann.
Danke fürs Lesen. Ich bin voller Hoffnung auf einen aufbauenden Ratschlag.

Liebe Grüße und danke von Caro :)

Dana Anwort von Dana

Liebe Caro!

Um zuerst deine Frage zu beantworten: ich denke nicht, dass du depressiv bist. Eine Depression wirkt sich anders aus als die von dir geschilderten Begebenheiten. Das, was dir fehlt, ist eine gesunde Einschätzung deines Selbstwertes. Du setzt ihn zu niedrig an und steckst im Gegenzug deine Ziele viel zu hoch. Das KANN man ja gar nicht schaffen.

Das Gute: du weißt es sogar eigentlich selbst. Du beschreibst es sehr offen und ehrlich, belügst dich nicht selbst, während du alles hier aufgeschrieben hast. Aber im Leben...da belügst du dich.

Wahrscheinlich denkst du jetzt: "Hä? Wieso? Ich bin doch absolut realistisch mit mir selbst!" Nein, bist du nicht. Es gibt die Menschen, die sich insofern selbst belügen, als dass sie sich besser machen als sie sind. Sie stellen sich über andere, wirken oder sind arrogant und versuchen, ihre Schwächen zu verstecken. Sie machen sich zu jemandem, der sie gar nicht sind. Und dann gibt es die, die es gerade anders herum tun. Sie stellen ihre Stärken ganz nach unten, tiefstapeln und sehen alles negativ - doch eigentlich mit einer inneren Hoffnung auf Bestätigung "Hey, du bist nicht so schlimm!". Auch das ist Selbstbetrug, denn man macht sich schlechter als man ist.

Du bist dir selbst nie gut genug, das schreibst du. Der Hang nach Perfektion und die Wut, wenn diese nicht erreicht wird, der Gedanke "ich bin nicht gut genug...", das Abwehren von Positivem wie Komplimenten, das alles zeigt, dass du deinen Wert gar nicht genau kennst. Du bist der Meinung, es zähle nur, wenn man echt durch die Decke schießt mit allem, was man tut. Aber damit ist und vor allem bleibt man sehr unglücklich, das merkst du ja selbst.

Ziele müssen schaffbar sein. Wenn ich mir zB jetzt vornehmen würde, die 100m unbedingt in Weltrekordzeit rennen zu müssen - ich würde bis an mein Lebensende trainieren und am Ende an meinem Ziel zerbrechen. Und nichts anderes tust du. Perfektion geht einher mit einem unglaublich hohen Druck. Es DARF NICHT der geringste Fehler passieren. Denn sofort wäre es ja nicht mehr perfekt. Möchtest du so ein Leben leben? Vor allem...woran hat man dann noch Freude?

Freude ist so ein tolles Gefühl. Es wertet das Leben auf und lässt einen lächeln. Du verbietest dir das aber im Prinzip. Denn entweder ist es nicht so gut, dass du dich freuen könntest, oder es ist zwar gut, aber da sind ja noch sooo viele andere Dinge, die schlecht sind! Zack... Freude futsch.

Sich mit anderen zu vergleichen, ist übrigens auch ein sehr schädlicher Aspekt. Es gibt IMMER jemanden, der besser als du ist, schneller als du, fitter als du, schlauer als du, schöner als du. Immer.

NA UND?

Du bist du, Caro! Du bist ebenfalls schlau, du bist beliebt, du hast eine tolle Familie, du wirst einen guten Abschluss machen, du bist vielseitig, du wirst ja sogar bewundert. Und was machst du? Du versäumst das kleine Glück, während du auf das große vergebens wartest. Denn Perfektion KANN man nicht erreichen.

Es gibt Menschen, die klüger als du handeln, Caro. Und denen gilt es nachzueifern. Das sind nämlich Menschen, die wissen, wo sie im Leben stehen, die glücklich sein können und das auch zulassen. Menschen, die sich Ziele setzen, die erfüllt werden können, die den Spaß am Leben noch zulassen, auch wenn Ehrgeiz dahinter stecken kann, der in gesundem Maße auch nicht falsch ist. Du hingegen trägst das "ich bin irgendwie zu schlecht!!!"-Schild dick vor dir her. Kein Wunder, dass deine Freundin immer die ist, die vorgezogen wird. Jemand, der immer "negative Schwingungen" mit sich herum trägt, ist anstrengend auf Dauer. Oder würdest du einer guten Freundin, die dauernd tiefstapelt und dauernd unzufrieden mit sich selbst ist, obwohl sie gut ist, ewig dasselbe sagen können? "Nein...du bist doch toll...nein...guck doch, es ist alles in Ordnung..." Das ermüdet auf Dauer total.

Es kann sein, dass es erblich bedingt in dich hinein programmiert wurde. Doch du solltest aktiv dagegen ankämpfen. Wenn du zB eine Note bekommst, die etwas besser hätte sein können, dann sag: "Ich bin so wie ich bin, GUT!" Oder wenn du im Sport oder in einem Hobby etwas nicht so gut wie andere hinbekommst, dann lach drüber und sag: "Hey, ich halte mich fit, das ist die Hauptsache". Ich weiß, leicht gesagt.

Aber wenn du wirklich WILLST, dass sich was ändert, musst du aktiv werden. Du musst dir selbst untersagen, so negativ zu denken, du musst schauen, wo das Schöne im Leben ist, du musst den Genuss wieder lernen.

Wenn du meinst, das nicht alleine zu können, würde auch eine kleine Verhaltenstherapie helfen. Über Google kannst du dir einen Psychotherapeuten raussuchen und einfach anrufen. Meist reichen schon ein paar Gespräche und du weißt, wie du das filtern kannst, was dann in dir hochsteigt. Hilfe anzunehmen, ist nicht peinlich und nichts Schlimmes. Dein Problem ist gut in den Griff zu kriegen, wenn du deinen Selbstwert wieder realistisch sehen kannst und nicht das Gipfelkreuz dauernd im Visier hast.

Ich wünsche dir den Mut, loslassen zu können, dich zu entspannen, die Ziele auf die Hälfte der Strecke zu holen und dich zu freuen, wenn dir etwas gelingt. Es ist wichtig, dass man seine Schwächen einschätzen kann, sonst hebt man ab. Aber es ist auch wichtig, seine Stärken zu kennen und daraus eine gesunde Balance zu machen.

Alles Liebe für dich, Caro!

Dana