Problem von anonym - 19 Jahre

Ich habe den Drang mir zu schaden

Hallo liebes Kummerkasten Team,
ich weiß nicht wo ich mich hin wenden soll und fühle mich ziemlich hilflos. Mein Leben hat sich seit dem letzten Jahr komplett auf den Kopf gestellt. Ich gehe zur Uni, arbeite, ... sodass sich mein komplettes Umfeld geändert hat. Ich bin am Anfang nicht damit klar gekommen und habe eine Essstörung entwickelt und war zeitweise stark depressiv (keine ärztliche Diagnose, aber ich habe mich informiert und die meisten die Kriterien trafen/treffen auf mich zu). Das ist jetzt knapp 10 Monate her. Ich fühle mich immer noch sehr leer und weiß nicht weiter. Ich habe komplett die Motivation zu allem verloren und lasse alles schweifen. Und ich habe seit längerem den starken Drang mir selbst zu schaden oder dafür verantwortlich zu sein mich schlecht zu fühlen. Ich esse übermäßig bis mir schlecht wird und ich das Gefühl habe brechen zu müssen. Ich habe angefangen zu rauchen und zu trinken. Mache kaum mehr Sport, weil ich weiß, dass ich mich dann unwohl fühlen werde.
Ich weiß, dass das nicht helfen wird und nichts zur Besserung beiträgt, aber ich komme nicht gegen den Drang an. Mit meiner Familie und meinen Freunden kann ich darüber nicht reden, da das Verhältnis nicht sehr gut ist und sie mich nicht verstehen und sich nicht damit auseinandersetzen wollen.

Danke im Vorraus..

Dana Anwort von Dana

EDIT: du hast ein externes Leser-Feedback erhalten!

Link: http://mein-kummerkasten.de/282532/Feedback-zu-Ich-habe-den-Drang-mir-zu-schaden.html

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Liebe Unbekannte!

Du hast gut getan, mal all deine Gedanken einfach rauszulassen. Das ist ein sehr guter erster Schritt, auf dem aufgebaut werden kann. Gut so - und weiter so!

Du schreibst ja selbst, was bei dir passiert ist. Du bist im Prinzip ein wenig "entwurzelt" worden. Deine Standbeine von früher existieren nicht mehr, alles ist neu, alles ist anders, man fühlt sich nicht mehr so recht daheim, man schwimmt haltlos...dazu kommt die Familie, die dir anscheinend auch keinen Halt geben kann. In dir drin wirken Unsicherheit, Unwohlsein und durchaus auch eine Portion Aggression und Angst. Zudem noch das Gefühl, wirklich alleine zu sein.

Das Problem: du richtest das alles GEGEN dich. Indem du falsch isst und dann (fast) erbrichst, indem du alles mögliche versuchst, dein Unwohlsein noch zu verstärken, als habest du das alles verdient. Hast du aber nicht.
Problem 2: du musst es wirklich wollen, da raus zu kommen. Wenn du es nicht wirklich willst, wird das auch nichts. Bei solchen Problemen muss man bewusst dagegen arbeiten, sonst kommt nichts Gescheites bei raus.

Wenn du also wirklich möchtest, lies weiter und beherzige bittebitte auch meine Ratschläge. Wenn du dir nicht sicher bist oder nicht willst, lies NICHT weiter, speichere dir den Link ab und lies es dann, wenn du meinst: "Jawoll...jetzt kann ich es!". Denn zum Umsetzen meiner Ratschläge brauchst du einen starken Willen und den unbedingten Wunsch, aus deiner Abwärtsspirale rauszukommen.

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Hier geht's nun los:

Zuerstmal halte ich es für unbedingt nötig, dass du deine Selbstdiagnose vergisst und bei einem Psychologen vorstellig wirst, der das mal überprüft, bestätigt oder ausschließt. Selbstdiagnosen gehen SO oft schief, weil man als Laie gar nicht den Überblick hat. Ich bin mir sicher, wenn ich im Net durch verschiedene Krankheiten surfen würde, ich hätte mit Sicherheit die Hälfte davon, einfach weil die Symptomatik so bekannt vorkommt, dass man denkt: jawoll...das ist meine! Es kann auch gut sein, dass du wirklich depressive Phasen hast, aber gerade dann ist eine fachliche Hilfe unumgänglich, das kann man nicht alleine lösen. Suche dir über Google ein paar Psychologen raus (weiblich oder männlich, ganz wie es dir passt) und geh einfach hin. Es kostet dich nichts, außer vielleicht 10 Euro Praxisgebühr, wenn du dir keine Überweisung vom Hausarzt holen möchtest. Sprich mit ihnen und schau, wer dir am besten liegt. Das Interessante: Fremden, die eine Fachausbildung haben, kann man sich oft besser anvertrauen als der Familie. Man denkt das erst gar nicht, aber es funktioniert durchaus. Allerdings: die Chemie muss stimmen. Teste aus, probiere herum, das ist dein gutes Recht. Wenn einer nichts für dich ist, kannst du nach ein paar Minuten auch schon wieder gehen, keiner wird dich halten. Du kannst auch als erstes zu einem Psychiater gehen. Der ist vielleicht sogar noch fixer beim Diagnostizieren, weil er eben auch den ärztlichen Hintergrund hat, der Psychologen fehlt. Tu da was für dich und trau dich! Wenn du Hilfe im Rücken hast, fühlt sich das einfach nur gut an. Es erleichtert ungemein.

Dazu kommt noch, dass du versuchst, so krass wie möglich einen Schnitt unter deine bisherigen, dir schadenden Tätigkeiten zu setzen. Es wird nicht immer klappen, sieh das dann nicht als Rückschritt, sondern als Moment deines Weges, der halt da ist. Aber versuche, dich selbst immer weniger dafür zu strafen, was gerade um dich herum passiert. Deine Seele, dein Körper und du, ihr könnt da am allerwenigsten dafür. Suche dir andere Ventile! Schreibe Gedichte, so schwarz wie du willst oder so schön wie du willst. Schau dich mal im Boxtraining um, das kann so richtig "heilen", geh wieder in einen Sport, der wirkt nämlich den depressiven Phasen gut entgegen, weil andere, positive Botenstoffe freigesetzt werden. Es kann sein, dass du immer wieder den Drang verspürst, dir zu schaden. Egal! Kann passieren! Versuche immer mehr, dich dagegen durchzusetzen. Schrei laut "NEIN!!!", wenn sowas kommt oder geh sofort woanders hin, wechsel das Zimmer, geh raus, tu was, um dich abzulenken.

Im Prinzip stopfst du dich zu. Du machst dich selbst mundtot. Durch das viele Essen, das Rauchen, das Trinken, stopfst du dich richtiggehend zu, nichts kann mehr frei sein. Befreie dich wieder! Versuche, am besten wirklich zusammen mit dem Psychologen oder Psychiater, Lösungen zu finden, die dir Freiheit verschaffen. Durchatmen! Tu dir gute Sachen an, ganz bewusst! Du bist es wert! Ob das ein Bad daheim ist, mit vielen Duftölen drin oder den Mut aufzubringen, eine Kommilitonin, die du magst, mal danach zu fragen, ob ihr einfach abends mal was macht, weil du dich noch fremd fühlst...egal was! Isoliere dich nicht!

Ich weiß, das ist viel Zeug. Wenn du das gelesen hast, ist dir sicher auch heiß und kalt geworden und dein Kopf hat oft "Och nein!!" gesagt. Aber nur so geht es. Man muss es WOLLEN. Man muss mit dem Herzen dabei sein. Es ist ein schwieriger Weg, der auch nicht übermorgen ausgestanden ist. ABER: am Ende des Weges ist wirklich Entspannung, gutes Gefühl und Freude angesagt. Und das sind durchaus Ziele, für die es sich lohnt zu kämpfen! Ich würde mich sehr freuen, wenn du es angehst.

Vielleicht magst du uns in ein paar Wochen ja nochmals schreiben und sagen, wie es für dich läuft. Ich würde mich freuen!

Liebe Grüße,

Dana