Problem von Anonym - 26 Jahre

Hoffnungslose Situation

Hallo,

ich wende mich an euch, da es mir zur Zeit wieder sehr schlecht geht und ich bislang nirgendwo von einer Person mit einem ähnlichen Problem gelesen bzw. gehört habe.

Zu Beginn kurz etwas zu mir: Ich bin 26 Jahre alt, Gymnasialreferandar, Single und homosexuell (und hierhin liegt auch mein ganzer Kummer).

Ich habe das Gefühl, dass ich niemals glücklich werden kann, während um mich herum alle heiraten, Kinder bekommen oder zumindest sich in Beziehungen befinden. Ich empfinde meine Zukunft als so hoffnungslos, nicht nur weil ich schwul bin und Probleme habe, dies zu akzeptieren, sondern weil meine ganze familiäre Situation mir keinen Raum lässt, unbeschwert zu leben. Vor einigen Jahren hat sich mein Bruder geoutet (ja, ich weiß, 2 Schwule in einer Familie?! Nicht sehr wahrscheinlich, aber so ist es nun mal) und hat damit regelrecht meine Familie zerstört. Ich habe das alles mitbekommen, da ich zu diesem Zeitpunkt noch bei meinen Eltern gelebt hatte. Seit diesem Tag haben mein Bruder und mein Vater keinen Kontakt mehr, mein Vater leugnet sogar öffentlich, dass er 2 Söhne hat. Er hat gesagt, dass er sich vor meinem Bruder ekelt und dass er das Kotzen bekommt, wenn er auch nur an ihn denkt. Ich bin immer noch fassungslos, wie jemand so über den eigenen Sohn sprechen kann.. Des weiteren darf der Name meines Bruders nicht mehr fallen, wenn mein Vater in der Nähe ist, sonst dreht er wieder durch. Er schaltet auch demonstrativ den Fernseher auf stumm, sobald irgendetwas kommt, das im Zusammenhang mit Homosexualität steht. Meine Mutter leidet natürlich extrem unter der Situation. Sie ist zwar ebenfalls nicht glücklich mit der Homosexualität meines Bruders (sie träumt von Enkeln), aber den Kontakt würde sie niemals abbrechen. Sie muss heimlich mit meinem Bruder telefonieren bzw. sich treffen. Manchmal spricht sie von Scheidung, weil die Belastung einfach enorm für sie ist. Unter diesen Umständen ist es doch für mich völlig undenkbar, mich ebenfalls zu outen! Ich würde das Leben für meine Eltern - ganz besonders für meine Mutter - ja noch schlimmer machen. Ich bin mir sehr sicher, dass eine Scheidung dann gewiss ist, denn mit 2 Söhnen nur noch heimlich Kontakt haben zu können, wird meine Mutter nicht ertragen können. Vermutlich sollte mein persönliches Glück Vorrang haben, aber dafür kann ich doch nicht das meiner Eltern dafür opfern. Natürlich sehne ich mich wie jeder andere Mensch auch danach, geliebt zu werden und ich wünsche mir selbstverständlich eine erfüllende Beziehung, aber meine Familiensituation lässt dies eben nicht zu. Daher sind meine Gedanken an meine Zukunft leider trostlos. Ich wohne nicht gerne alleine und mir graust es davor, dass sich daran in Zukunft nichts ändern wird, aber das ist wohl der Preis, den ich zu zahlen habe. Ich muss noch hinzufügen, dass niemand weiß, dass ich mich zu Männern hingezogen fühle. Ich vermute zwar, dass es manche gibt, die das glauben, aber direkt danach gefragt hat mich noch niemand. Das kann aber daran liegen, dass ich allgemein eher verschlossen bin, ich öffne mich eigentlich niemandem. Ich habe zwar schon relativ viele Freunde, aber von ihnen kennt mich keiner wirklich. Ich spiele eben meine Rolle, wenn ich unter Menschen bin. Es ist auf Dauer anstrengend, aber es funktioniert. Ich beneide andere Schwule, die ihr Leben im Griff haben und glücklich sind, während ich mehr oder weniger traurig vor mich hin lebe.
Und ja, ich denke gelegentlich auch an Selbstmord, denn zu allem Überfluss bin ich zur Zeit verliebt. Er ist heterosexuelle, also besteht sowieso keine Chance, aber jeder, der schon einmal unglücklich verliebt war, weiß wie schlecht man sich in so einer Situation fühlt. Er ist in meinen Augen der perfekte Mann: Liebevoll, witzig, intelligent, attraktiv, höflich usw; ich frage mich, ist es denn schlimm, einen so wunderbaren Menschen zu lieben?

Ich weiß nicht, was zu tun ist. Ich muss doch meine Familie so gut es geht zusammenhalten! Kann ich das tun und trotzdem dabei glücklich sein?
Ich hoffe, jemand von euch weiß einen Rat für mich..

Vielen Dank! (Und entschuldigt den langen Text)

Monika Anwort von Monika

Lieber Unbekannte,

erstmal Danke für dein Vertrauen in uns. Recht viel mehr als zuhören und dich unterstützen kann ich wohl nicht für dich tun, denn wenn du etwas an deiner Situation ändern willst liegt es ganz allein an dir den ersten Schritt zu wagen.

Und genau das glaube ich fällt dir furchtbar schwer und macht dir auch, verständlicherweise, große Angst.
Es ist nicht leicht zu dem zu stehen wer man ist, vor allem dann nicht wenn man weiß, dass geliebte Menschen es nicht akzeptieren können und verletzt werden.
Aber wenn du dich weiterhin versteckst und anderen etwas vorspielst wirst DU verletzt, du wirst igrendwann gar nicht mehr wissen, wer du eigentlich bist und vielleicht sogar daran zerbrechen.

Deshalb, so lobenswert es auch ist, dass du dich um deine Mutter sorgst, schau auf dich selbst! Ich bin mir sicher, sie hat dich zur Welt gebracht mit der Hoffnung und dem Wunsch, dass du glücklich wirst, dein Leben so leben kannst wie du es willst und dein Potenzial und deine Fähigkeiten entfalten kannst.
Und wenn dein Vater so engstirnig ist und nicht sieht, dass seine Söhne immer noch die gleichen Menschen sind, egal wen sie lieben, dann kannst du daran nichts ändern und auch deine Mutter kann daran nichts ändern. Es ist sein eigener Verlust, sein eigener Schmerz! Und vielleicht wird er es irgendwann akzeptieren können, vielleicht wird er irgendwann sehen, dass er trotz allem stolz auf seine Söhne sein kann - das würde ich euch wirklich wünschen.

Ich glaube der erste Teil deiner Zuschrift betrifft nicht nur Homosexuelle. Ich glaube es gibt viele junge Menschen, die sich nach einer liebevollen Partnerschaft sehnen und die neidisch auf die heiratswütigen Pärchen um sich herum blicken. Bei manchen dauert es eben einfach länger, den oder die Richitge fürs Leben zu finden.
Ein erster Schritt dahin ist allerdings sich selbst so zu akzeptieren wie man ist und seinem Umfeld das auch zu zeigen. Nur so hat man die Chance jemanden zu finden der einen genau so liebt wie man ist!
Das heißt hier hats du noch einen Grund mehr dich nicht mehr länger zu verstecken.

Hats du denn mal mit deinem Bruder gesprochen? Wie geht es ihm seit seinem Outing? War es befreiend? Würde er es wieder tun? Was kann er dir raten? Davon abgesehen hast du bereits jemanden, der auf jeden Fall zu dir steht, der das Gleiche durchgemacht hat und dich versteht. Ich finde das solltest du nutzen! Besprich dich mit ihm und hol dir Rückhalt und Rat!
Du wirst also auf keinen Fall deine gesamte Familie verlieren, dein Bruder bleibt und auch deine Mutter wird zu dir stehen. Und es ist dann ihre Aufgabe Größe zu zeigen und sich gegen deinen Vater durchzusetzen - er ist dann derjenige der alleine dasteht!
Ob Scheidung oder nicht - liegt nicht an euch Söhnen sondern allein an deinen Eltern. Sie sind unterschiedlicher Meinung und es ist ganz allein ihre Verantwortung, wie sie damit umgehen.

Ich kann mir noch einen weiteren Grund vorstellen warum du dich outen solltest. Ich möchte nicht wissen wie schelcht du dich fühlst, wenn dein Vater in so abwertender Weise über deinen Bruder spricht und du genau weißt, dass er eigentlich auch dich meinen könnte. Du musst aber gute Miene machen, dich selbst verleugnen obwohl ich mir denken kann dass es in dir brodelt und du am liebsten losschreien würdest. Genau dieses Versteckspiel und diese ganzen Emotionen, Wut auf deinen Vater und auf dich selbst, Scham, dass du nicht zu dir stehen kannst, Traurigkeit etc. die werden dich irgendwann innerlich auffressen oder zum Platzen bringen. Lass das bitte nicht zu!!!
Mach jetzt Schluss damit - du bist total in Ordnung so wie du bist!
Und ja es ist völlig ok einen wundervollen Menschen für das zu lieben, was er ist, egal ob Frau oder Mann.
Wieviele Frauen haben beste Freundinnen, die sie gut kennen und lieben?

Ich habe auch igrendwie das Gefühl du versuchst tausend Ausreden zu finden warum du dich nicht outen kannst. Und dabei glaueb ich geht es vor allem um DEINE Angst davor. Vielleicht ist es die Angst, vor negativen Reaktionen. Die Angst davor, nicht gemocht zu werden, wenn du dich so zeigst wie du wirklich bist. Jeder will geliebt werden, von seinen Freunden angenommen und akzeptiert werden und natürlich macht einen das unglaublich verletzbar.
Aber ich kann dir versichern es ist das Risiko wert! Denn das Gefühl zu wissen wahre Freunde zu haben, die immer zu einem stehen, die einen kennen und es gut mit einem meinen ist mit (fast) nichts anderem vergleichbar!

Also nochmal mein Appell an dich - trau dich!
Lass dich von nichts und niemandem davon abhalten du selbst zu sein!
Hol dir Unterstützung - von deinem Bruder, von anderen Schwulen, von einem guten Freund, dem du vertraust. Bleib nicht alleine und fang langsam an. Dass du uns geschrieben hast zeigt mir, dass du was ändern willst. Sei mutig und geh den nächsten Schritt.
Ich weiß es wird nicht leicht werden, aber nur so kannst du deine Ziele und Träume erreichen.

Alles erdenklich Gute!!
Liebe Grüße
Monika