Problem von anonym - 18 Jahre

Was wenn es gar nichts ist?

Hallo liebes Kummerkasten-Team,

ehrlich gesagt bin ich mir gar nicht sicher, ob ich überhaupt ein Problem habe, aber ich werde trotzdem einfach mal anfangen, ich habe ja schließlich nichts zu verlieren. Ich warne aber vor einem sehr lang gewordenen Text.

Vor einiger Zeit habe ich einer sehr wichtigen Person in meinem Leben erzählt, dass es mir öfter mal sehr schlecht geht. (Darum soll es am Ende auch gehen) Ich hatte das bis zu diesem Zeitpunkt noch keinem erzählt, obwohl ich schon lange darunter leide. Ich werde dies auch hier zunächst einmal schildern:

Das Ganze hat sehr früh angefangen, noch bevor ich in die Pubertät kam (oder grade dabei war) habe ich angefangen mich zu ritzen. Man könnte das ja noch als ein "Ausprobieren" abtun, nur leider konnte ich damit nicht aufhören. Es war zunächst nur am Arm und auch nur sehr oberflächlich, weil ich damals irgendwann aus einem anderen Grund für kurze Zeit in Krankenhaus musste, hatte ich natürlich total Panik, dass jemand etwas bemerken könnte, dem war glücklicherweise nicht so. Dennoch blieb natürlich immer die Angst, jemand könnte es bemerken und das wollte ich verhindern! Ich versuchte es "verschwinden" zu lassen, scheinbar erfolgreich.

Wenn ich es Rückblickend betrachte und es so schreibe, kommt mir die Sache ziemlich dämlich vor und eher ein Ruf nach Aufmerksamkeit, aber ich fahre trotzdem mal fort:

Es blieb nicht nur bei dem Ritzen, ich biss mir selber in die Arme bis ich blaue Flecken bekam oder schlug den Kopf gegen die Wand. So konnte ich mich selbst verletzen, aber die deutlichen Spuren blieben aus, denn blaue Flecke hatte jeder mal, da achtet niemand drauf. Oft verletzte ich mich selber aus einem Gefühl der Wut heraus, mal hatte ich zuvor gestritten, mal war ich einfach so wütend auf mich und die Welt und traurig, oft weinte ich dabei und wusste gar nicht was ich tun sollte, aber es war nicht nur das, was mich veranlasste es zu tun, auch Schuldgefühle: "Wieso musste ich so dumm sein und streiten? Konnte ich es nicht besser machen?" Bis hin zu: "Ohne mich sind alle besser dran."
Ich kann mich auch an einen Tag erinnern, an dem ich unglaublich unruhig war, ich konnte mich auf nichts konzentrieren und mit nichts beschäftigen, ich langweilte mich und nervte jeden in meiner Umgebung, ich war innerlich einfach so unglaublich Unruhig, nur daran zu denken ist schon unangenehm. Irgendwann saß ich einfach da und schlug mir unbewusst das Schienbein mit einer Flasche blau.

Mein Verhalten mich selbst zu Verletzten änderte sich immer wieder: Ich hörte auf mich zu beißen, schlug aber weiterhin ab und zu den Kopf gegen etwas Hartes, hatte ich nichts zum schneiden zur Hand. Das wiederum verlegte ich von den Armen auf die Beine.

Natürlich wusste ich auch, dass das nicht normal war, aber Versuche aufzuhören, endeten damit, dass ich Dinge von mir zerstörte in bestimmten Situationen in denen nichts Anderes mehr half und der Druck weg musste. Nichts wichtiges und es kam auch nur zweimal vor, aber diese fühlen sich doch nennenswert an. Also fing ich wieder an zu ritzen um dem Einhalt zu gebieten.

Richtig damit aufhören konnte ich also nicht länger als für ein halbes Jahr in dem eben genanntes passierte oder in den wenigen Monaten in denen es mir relativ gut ging, ich also den Drang nicht verspürte und dachte es wäre vorbei.

Dann wurde ich mit der Zeit auch älter und konnte mehr selbst bestimmen, vor allem was das Essen betraff. Ich hatte schon im Kindesalter angefangen zuzunehmen.

Ich versuchte natürlich abzunehmen, denn ich dachte mein Unglück stamme nur da heraus, dass ich hässlich und dick, halt einfach extrem unzufrieden mit mir selber war. Ich dachte mein Aussehen wäre die Ursache aller Probleme, ich hörte also auf zu essen, nicht lange, aber war über einen gewissen Zeitraum am Kalorien zählen und nahm ab, in dieser Zeit geschah es auch, dass ich mich ein, zwei mal übergab. Doch ich hielt das ganze nicht ewig durch, ich nahm wieder zu, mehr als ich abgenommen hatte und verletzte mich immer noch selber, aber worauf ich hinaus will ist:

Ich hörte auf mich zu ritzen, aber dafür übergab ich mich. Fast täglich. Bis heute.
Ich habe abgenommen, ich war immer leicht Übergewichtig, aber in meinen höchsten Zeiten nur Fünf Kilo vom Normalgewicht, laut BMI zumindest. Heute bin ich danach im Normalbereich, finde mich immer noch zu dick. Ich bin auch nicht bereit das ganze aufzugeben, oder mit einer Person von Angesicht zu Angesicht darüber zu reden, denn diese Sache gehört mir. Die Sache ist die: Mit meinem Gewicht kann ich vorerst leben, ich weiß ich kann das in den Griff kriegen wenn ich will (ich meine das Gewicht, nicht das Übergeben), es ist also nicht das Problem, aber:

Ich bin noch immer traurig, manchmal leer. Auch als kleines Kind weinte ich schon Nachts manchmal heimlich, weil ich mich so fühlte als würde ich nicht in die Welt passen, anders kann ich es nicht beschreiben. Als ich älter wurde saß ich Stundenlang manchmal da und starrte Löcher in die Luft. Damals vermerkte ich schon in Tagebüchern: "Alles meine Schuld. Ich will sterben." Konnte mich im Unterricht nicht konzentrieren. Fing bei jeder Kleinigkeit an zu weinen. Konnte manchmal nicht aufstehen. Weine grundlos. Brach Kontakte ab. Blieb Wochenlang nur im Haus. Ich bewege mich langsam und lustlos. Einfach weil ich nicht mehr konnte, nicht anders konnte, es nicht schaffte, wie gesagt ich wollte das es aufhörte, ich wollte dem ein Ende setzen, ich war so unglücklich und wusste nicht genau warum.

Die Person der ich mich anvertraut habe, weiß nichts von dem Übergeben. Wir sind oft zusammen, das sorgt dafür das es weniger wird, ich habe Angst es zu erzählen. Ich weine viel, eigentlich so wie früher, habe also immer wieder schlechte Zeiten. Ich weiß das ich geliebt werde, ich habe jemanden habe, trotzdem bleiben die Verzweiflung, die Angst vor der Zukunft, der Selbsthass, die Wertlosigkeit und die Gedanken an einen Selbstmord, die schon von Anfang an dabei waren, mal mehr, mal weniger.

Schlussendlich will ich zu meinem Problem kommen:
Diese Person hat mir angeboten gemeinsam einen Psychologen auf zu suchen, alleine kann ich das nicht. Aber ich habe Angst, Angst das ich nach Hause geschickt werde und man mir sagt, dass alles in Ordnung ist, denn so fühlt sich das Ganze nicht an.
Nach dem ich alles erzählt hatte, kam die Vermutung, dass ich Depressionen haben könnte, deshalb soll ich nun zum Psychologen, ich weiß man kann keine Diagnose ohne Arzt stellen, aber ich habe mich daraufhin trotzdem erkundigt. Depressionen treten in Phasen auf, die von Wochen bis zu mehreren Monaten anhalten. Ich denke somit nicht, dass das in Frage kommt, denn ich habe das Gefühl, dass es bei mir nie Wochen waren in denen es mir richtig schlecht ging, sondern das es irgendwann besser wurde. Außerdem, ist es zwar so, dass ich mich nicht freue die meiste Zeit über, aber es kommen auch Momente wo man mir ein lächeln abringen kann an meinen Schlechten Tagen.
Meine Angst ist somit einfach: Ich werde nicht über das Übergeben sprechen, dazu sehe ich noch keinen Grund. Über das Selbst verletzende Verhalten schon, nur was würde das bitte bringen? Es ist vorbei, also auch nicht so wichtig. Und mein Hauptmanko: Diese Gefühle manchmal, ist das einfach ganz normale Trauer? So wie sie jeder einmal hat? Denn das ist es doch, also warum sollte ich hingehen um dann zu erfahren das alles in Ordnung ist? Andererseits kann ich so nicht weitermachen, ich habe Angst das ich dann alles kaputt mache...

Ich hoffe, ich habe nicht zuviel Unnötiges geschrieben, dass alles verständlich und zusammenhängend ist.
Ganz liebe Grüße und wenn ich eine Antwort bekommen: Vielen Dank für die Zeit und Mühe

Dana Anwort von Dana

Meine liebe Unbekannte!

Dein Titel sagt eigentlich schon alles über dich aus. Was, wenn es gar nichts ist?
Denn genauso fühlst du dich selbst auch. Als gar nichts.

Du hast einen sehr langen Leidensweg schon hinter dir, hast dir schon vieles angetan, kommst nicht aus deiner Haut. Dies ist nicht gar nichts! Dies ist viel. Und auch ich würde dir dringend empfehlen, dir einen guten Therapieplatz bei einem Therapeuten/einer Therapeutin zu suchen. Du bist nicht verrückt und du bist nicht fehlgeleitet. Deine Seele hat nur über all die Jahre (aus verschiedenen Gründen) erheblichen Schaden genommen. Und wie du zum Arzt gehen würdest, wenn du ein gebrochenes Bein hast, so solltest du zum "Arzt" gehen, wenn du eine stark verwundete Seele hast.

Ich habe dein Problem sehr genau gelesen und mir hat es das Herz zusammen gezogen. Ich war voller Trauer, dass es einen Menschen gibt, der sich selbst für so nichtig und unwichtig hält, der auf sich selbst herab sieht und seinem Körper viel Leid antut. ABER ich habe auch einen Menschen gesehen, der dies ändern will! Und das hingegen finde ich großartig. Das bedeutet nämlich, dass in diesem Menschen drin, der so klein gehalten wird, der immer schuld an allem ist, der jeden Fehler bei sich selbst sucht und sich dermaßen schädigt, ein kleiner Funken Selbsterhaltung erwacht ist. Du möchtest aus diesem Kreislauf raus. Und wenn du da jetzt jemanden an deiner Seite hast, der dich darin bestärkt und dir auch das Gefühl gibt, wichtig zu sein, dann nutze diese Chance wirklich aus!

Ein Therapeut/eine Therapeutin ist eine wirklich gute Idee. Es wird vor allem erstmal darum gehen müssen, dass du beginnst, dich selbst mehr zu mögen. Denn nur das, was man mag, schützt man auch und macht es nicht fertig. Es wird um Vertrauen gehen und darum, die Kontrolle auch mal abzugeben. Es wird darum gehen, was wirklich "DEINS" ist...das Erbrechen und die blauen Schienbeine sind das nicht. Es wird um das gehen, was in dir schlummert, was entdeckt und gefördert werden will. Und es wird natürlich auch darum gehen, wie du mit deinen momentan gewählten Ventilen zum Druckabbau umgehen kannst und dafür neue Ventile finden wirst.

Ich bin keine Psychotherapeutin und darf keine Diagnosen stellen. Ich kann nur so viel dazu sagen, dass da nicht "nichts" ist. Du bist momentan wie eine kleine Stadt mit einigen Baustellen. Und dort muss man die Arbeiter ansetzen, so dass die Löcher sich schließen. Das wirst du alleine nicht schaffen, so klug und selbstreflektiert du sein magst. Das ist auch nicht peinlich oder schlimm, das nicht zu schaffen. Solche Dinge fordern eine geübte Hand und ein geübtes Ohr. Ich möchte dich also stark ermutigen, den Schritt zum Therapeuten zu machen.
Wichtig dabei ist, dass DU bestimmst, zu welchem Therapeuten du gehst. Ob es ein Mann oder eine Frau sein soll zB. Du hast auch das Recht und die Möglichkeit, mehrere "auszuprobieren". Mach bei mehreren Praxen einen Ersttermin aus und geh einfach mal hin. Nimm die neue Person in deinem Leben mit, wenn sie schon versprochen hat, dich zu begleiten und du das gerne annehmen willst. Schau dich einfach mal bei Google um, Name deiner Stadt + "Psychotherapie", da wirst du bestimmt fündig.

Es ist wichtig, dass du zu der Fachkraft, die du wählst, Vertrauen aufbauen kannst. Das merkt man meist sehr schnell so im Innern. Und diese Kraft wird dir helfen, dich selbst wieder zu finden. Du hast dich irgendwann mal verloren...warum auch immer. Und nun hast du den ersten Schritt gemacht, einen Weg zu dir selbst zu suchen, das finde ich beachtlich und wunderbar.

Ich wünsche dir einen guten Weg, einen sicheren Halt dabei und vor allem den Mut, das auch wirklich durchzuziehen. Wenn du magst, schreibe uns ruhig nach einer Weile nochmal und erzähle, wie es bei dir weiter gegangen ist. Es würde mich interessieren!

Liebe Grüße,

Dana