Problem von anonym - 43 Jahre

Enterbung und mehr

Feedback an Dana:

http://mein-kummerkasten.de/270227/was-darf-ein-Vater.html

Liebe Dana! Ich danke Dir für Deine Antwort, die ich immer mal wieder hervorkrame, wenn ich den Boden unter den Füßen zu verlieren drohe. Sie gibt mir immer wieder einen Anker, wenn die Selbstzweifel mich überwältigen.

Längst wollte ich ein Feedback schreiben. Allerdings haben mich die der Verbannung durch meine Familie folgenden Ereignisse umgehauen.

Du hast mich in Deiner Antwort ja sehr in meinen Gefühlen und in meiner Wahrnehmung bestätigt, die die Übergriffe in der Kindheit und Jugend betreffen.

Ich muss dazu sagen, dass ich dieses Thema nicht erst mit 41 zum ersten Mal konfrontierte und aussprach. Bereits mit 24 hatte ich meine erste (und nicht einzige!!) Therapie gemacht. Nur, Übergriffe oder Nötigungen zu verarbeiten, die Dinge einzuordnen, Ängste zu bewältigen und sein Leben aus dem Griff der Folgen (...) zu bekommen, ist eine Sache. Daran habe ich viel und hart gearbeitet, ich hatte ja nicht die Wahl, es einfach dabei zu belassen, da ich ohne Aufarbeitung dessen, was mir von zu Hause in Fleisch und Knochen sitzt, nicht "lebenstauglich" geworden wäre, so dass ich den Maßstab meiner Eltern nicht mehr Männern im Allgemeinen, einem Partner oder mir überstülpe, denn das ist das absolute Desaster.

Wie aber mit den Eltern und der Familie umgehen, ist eine völlig andere Problematik, die in Therapien offengelassen wird. Noch nie hatte ich darauf eine Antwort gefunden. Mit meiner Familie hatte ich schon mal zwölf Jahre keinen Kontakt, aus den bekannten Gründen. Erst spät, mit 35, hatte ich diesen vorsichtig wieder aufgenommen zu Mutter und Schwester, aber ein verlässlicher und stützender Kontakt ist daraus nie geworden.

Auch nahm der subtile Druck, mich mit meinem Vater auszusöhnen (ich hatte und habe keinen Kontakt), von Seiten meiner Familie immer mehr zu. Es ist ja so, wie Du das auch erkannt hast, dass ich "die Dumme" in der Familie bin, die, die "zur Einsicht" kommen sollte, die, die immer neben dem Mainstream meiner Familie lag... völlig allein innerhalb der Familie da stand. Die, die sich "nur mal einen Ruck geben sollte" usw. Und meine Familie der Überzeugung, dass da überall nichts dabei ist...

In der Situation vor zwei Jahren ist dieses ganze (marode) Familiensystem eskaliert. Einmal die Verbannung durch meine Mutter und meine Schwester, weswegen ich vor zwei Jahren ja hier erstmalig schrieb. Meine Schwester, die mir nach dem letzten Wochenende, das ich mit meiner Mutter verbrachte, die Schuld dafür gab, dass "die Mami um Jahrzehnte gealtert sei", seit ich bei ihr gewesen bin.

Das hat mich damals schon total umgehauen.

Ich hatte im November damals geschrieben. Im Sommer damals war die "Verbannung". Da meine Mutter mich bereits drei(!!!) Mal in ihrem Leben so von sich stieß (im "kleinen" ist das viel viel öfter geschehen), Rausschmiss mit 19 (Schlüssel weggenommen bekommen), später, als ich sie besuchen wollte, bin ich schon von meiner Mutter und meiner Schwester zum Haus raus gebrüllt worden, und dann dieses dritte Mal vor zwei Jahren...

Alle guten Dinge sind drei, und ich hab mir gesagt, dreimal!!! Jetzt muss sie selber die Konsequenzen tragen, das bügel ich nicht wieder für sie aus, dass ich trotz dem und immer wieder ankomme wie ein geprügelter Hund....

Im November hatte ich hier geschrieben....

Im Januar vor nun anderthalb Jahren bekam ich von der zuletzt behandelnden Hausärztin meiner Mutter den Anruf, dass meine Mutter an dem Morgen verstorben war. Ich war unter Schock. Meine Familie oder im speziellen meine jüngere Schwester setzte die Trauerfeier bereits zwei Tage später so an, dass ich erst über eine Freundin von mir über das Gemeindeblättle erfuhr, dass sie am selben Nachmittag der Bekanntmachung stattfand... für mich aufgrund der Anreise nicht mehr zu bewerkstelligen... zumal ich mich nach den Anschuldigungen meiner Schwester – ich sei schuld daran, dass meine Mutter innerhalb Stunden um Jahrzehnte gealtert sei, nachdem sie mich das letzte Mal sah - nicht mehr meiner Familie unter die Augen traute, zumal mich mein Neffe und meine Nichte bereits vor zwei Jahren nicht mehr begrüßt hatten an einem Geburtstag meiner Mutter und mit erhobener Nase an mir vorbeigegangen sind.

Ich weiss nicht ob man den Schock nachvollziehen kann, derart vom Tod meiner Mutter zu erfahren, aus der Trauerfeier ausgegrenzt zu sein, und das alles nach dieser Verbannung exakt ein halbes Jahr zuvor...

Ich fühlte mich schon seit der Verbannung mehr tot als lebendig, unter einer Käseglocke und in einem miserablen körperlichen und psychischen Zustand. Ich wollte nicht mehr, und hatte kurz darauf einen ums Haar tödlichen Unfall.

Die Trauerfeier sowie die Beerdigung habe ich bei mir zuhause, instrumental, mit Gesang und Gebet und Kerzen, begleitet, und das hat auf einer gewissen Ebene Frieden gegeben. Nicht aber hier unten auf der Erde.

Ich hatte versucht, Informationen zu bekommen, und wurde von der Ärztin als auch von der Bestatterin rüde abgewiesen. Es gab eine einzige Stelle, die ich hier nicht nenne (nicht Familie), von dem ich erfuhr, was in dem letzten halben Jahr passiert war.

Nach dem meine Mutter und meine Schwester mich verbannt hatten, wurde zwei Wochen später ein sehr sehr aggressiver Krebs bei meiner Mutter festgestellt, so dass man nur noch auf der Suche nach einem Hospiz war. Einbezogen wurde ich darin nicht. Obwohl meine Mutter mir bei meinem letzten Besuch noch sagte, sie müsse demnächst mal zu Untersuchungen ins Krankenhaus und sie wollte, dass wenn sie in Urlaub sei, dass ich in ihrer Wohnung wohne (darauf, dass ich bei ihr übernachten "darf" und Schlüssel bekomme hatte ich seit mehr als 20 Jahren gewartet!!!)... verfügte sie keine vier Wochen später, in einem mit wackeliger Handschriftlich verfassten Testament, dass man mir bis nach ihrem Tod nichts von ihrer Verfassung erzählen solle... und enterbte mich gleichzeitig, in dem sie meine jüngere Schwester als Alleinerbin einsetzte. Sie hat quasi in letzter Minute das ganze Testament umgeändert entgegen ihren mündlichen Willenserklärungen davor...

Ich schreibe sehr durcheinander und kann die ganzen Ereignisse nur fragmentarisch wiedergeben und hoffe, dass es trotzdem für Dich, Dana, in etwa nachvollziehbar bleibt.

Mich haben diese Ereignisse vor zwei Jahren bis anderthalb Jahren komplett umgehauen. Mich hat das auch sehr sehr körperlich angegriffen und mir... wie die Existenzberechtigung geraubt. So was wie ich... kann man ja nicht anders als so zu behandeln, ich habe es nicht anders verdient, ich bin ein durch und durch schlechter Mensch und und und.... Mein Körper wollte auch nicht mehr. Ich wache noch heute nachts auf mit Herzrasen in der Kraft eines Presslufthammers und breche bald zusammen... immer und immer wieder... Das passiert jetzt noch, aktuell, wenn auch eine leichte Milderung eintritt...

Ich habe mir Hilfe geholt, Dana, und habe auch eine vorübergehende Medikamentation, um mich zu beruhigen... damit ich arbeitsfähig bin. Und ich habe meinen Pflichtteil eingefordert über einen Anwalt, das erste Mal, dass ich in dieser Familie ein solchen Schritt unternommen habe....

Dennoch, passiert ist das alles, weil ich meiner Mutter (auf Ihre Frage!!!) hin sagte, dass ich mir Sorgen mache um die Kinder meiner Schwester, wenn sie und mein Vater die Kinder hüten. Sie hatte dann genau nachgefragt, und ich habe ihr ruhig versucht zu erklären, was genau ich mit den Übergriffen meine. Das ist meine "Schuld", dass ich das gesagt habe. Solche Vorwürfe darf man wohl innerhalb einer Familie nicht erheben, oder aussprechen, selbst wenn sie berechtigt sind... jedoch, ich habe keinen anderen Umgang gefunden... Ich wollte einfach, dass es aufhört, dass es endlich aufhört mit der Po-Kuckerei, Anfasserei und "ist ja nur ein Spaß"-Grabscherei, weil "die Mutter bzw. Oma darf das"....

Dana, ich hab keinen Umgang damit gefunden. Mir ist es nicht um mich gegangen, als ich das ausgesprochen habe, sondern wollte, dass es nicht von Generation weiter und weiter getragen wird.

Was dann passierte, war diese schlimme familiäre Tragödie, mein eigener Zusammenbruch, aus dem ich mich erst dieses Jahr wieder zusammensammle, und meine nicht-enden-wollenden Selbstzweifel, dass ich das alles ja nur auf meine sehr spezifische Art und Weise sehe und die Probleme dadurch erst selbst schaffe.... genau wie früher, als ich meinen Vater in die Hand biss, die er mir einfach in den Mund steckte, damit ich mal zärtlich daran nägle... immer und immer war ich die Blöde, die die schuld war, mein Fehler war und ist, dass ich schon immer was dabeigefunden habe, was dabeifinde, und mir noch die Schuld daran gebe, weil ich was dabeifinde. Denn wenn ich wie die anderen in meiner Familie "nichts dabei finden würde", dann gäbe es diese ganze Geschichte mit Mißbrauch oder Übergriffen nicht... meine (kindliche, alte, noch immer wirkende) Logik...

Ich habe punktuell sehr wohl Unterstützung für meine Position gefunden, auch hier von Dir liebe Dana, aber damit zu leben, das machte vor allem eines mit mir: dass ich nicht mehr weiss was richtig und was falsch ist. Seit das passiert ist, fühle ich mich falsch, durch und durch, wie schon immer in dieser Familie seit meiner Kindheit, und kriege das nicht weg, dieses "sowas wie mich darf es garnicht geben"....

Dana, Du darfst gerne wieder kürzen, mir ist wichtig, dass Du einigermaßen Dir ein Bild von der Situation machen kannst, das muss nicht das ganze Internet mit nachvollziehen.

Danke Dir für Deine sehr sensible Präsenz hier im Kummerkasten, die ich immer wieder Deinen Antworten auch an andere entnehme. Viele Grüße!

Dana Anwort von Dana

Liebe "Unbekannte".

Ich setze das "unbekannt" in Gänsefüßchen, weil du mir ja nicht unbekannt bist. Ich weiß von dir. Ich kenne deine Situation ja schon, lediglich deinen Namen möchtest du außen vor lassen. Das respektiere ich.

Meine liebe Unbekannte, es ist gut, dass du erneut schreibst. So habe ich die Möglichkeit, dir noch ein paar Worte mit zu geben, die du dann vielleicht auch immer wieder mal lesen kannst. Ich werde inhaltlich nichts kürzen, allerdings auch nicht wirklich viel aufgreifen, weil die Situation um dich und in dir sich ja nicht großartig geändert hat.

Du bist unangenehm, liebe Unbekannte. Nicht mir. Ich finde dich wunderbar. Deiner Familie. Du bist unangenehm, ein Dorn im Auge und unter dem Sattel, du bist der große Denunzierer und man würde dich am liebsten in der Wüste vergraben. Geh weg, lästiges Insekt...wo ist die Fliegenklatsche...buah, womit man sich befassen müsste, würde man diese unwürdige Verwandte an sich heran lassen...

Ich schreibe die Gedanken deiner Familie mal so hart auf, damit du siehst, wie daneben sie sind!

Die einen haben etwas getan, was strafbar ist, sie haben dich missbraucht. Die anderen sind zu dumm, um es zu bemerken, zu naiv oder haben wirklich zufällig keinen Grund, weil sie die Erfahrungen nicht gemacht haben. Es ist einfach wesentlich leichter, das alles abzutun und den Faden zur großen Tochter/Schwester zu durchtrennen, als sich in irgendeiner Form damit zu beschäftigen. Iiiiiih, das passt nicht in unser heiles Weltbild! Wie, ich müsste mir über meine eigene Verantwortung Gedanken machen??? Achwas, da ist es doch einfacher, alles dem Sündenbock in die Schuhe zu schieben und friedlich weiter zu leben - soweit das geht. Deckel drauf, fertig.

Siehst du diese banalen, wirklich banalen Gründe? Und da überlegst du noch, ob es "sowas wie dich geben darf"? Da überlegst du noch, wer hier die falschen Gedanken hat?

Deine Familie rutscht von einem Fehler in den nächsten. Leider hängen alle mit dieser Negierung deiner Erlebnisse zusammen. Es ist nicht deine Schuld, dass du damals von deinen Eltern so genötigt wurdest. Es ist nicht dein Fehler, dass es diese Missbräuche gab, weshalb du deine Sorgen ob der beiden Kinder angesprochen hast! Es ist nicht dein Versagen, weshalb es diese Verbannung gab, weshalb du nicht zur Beisetzung deiner Mutter geladen wurdest, bzw erstmal nichts von ihrem Tod wusstest! All diese Dinge, die dir schrecklich zugesetzt haben, sind Unvermögen und Fehler von Menschen deiner Familie. Nicht deine! Das ist so wichtig, dass du dir das immer wieder sagst und sagen lässt.

Hier liegt einfach eine naiv-ausschließende Sichtweise vor, gegen die du auch niemals etwas ausrichten wirst. Egal, wie oft du dich in diese Sache hineinvertiefen, egal, wie oft du versuchen wirst, wieder Kontakt zu bekommen, es wird immer Dinge geben, die zwischen euch stehen. Weil deine Familie nicht sehen will.

Das Schlimme ist, dass du dich dazu verleiten lässt, in Selbstzweifeln zu versinken. Alleine, dass du überhaupt EINMAL den Gedanken hattest, dass du dir die Probleme selbst erschaffst! Alleine, dass sie es geschafft haben, dir zu implizieren, dass du "mit deiner spezifischen Art" an allem selbst Schuld trägst...das ist so übel, dass es mir hier fast schlecht wird. Dass du deinem Vater in die Hand gebissen hast, war eigentlich so mit das Beste, was du tun konntest. Das hättest du jedesmal machen müssen. Beißen, kratzen, schlagen. Total egal, wie die Familie dich dann sieht. DU bist wichtig!

Ich kenne ein Geschwisterpaar, die auch beide missbraucht wurden. Die Große, ähnlich ruhig und sensibel wie du, hat das nicht verkraftet. Ritzen, Selbstmordversuche, Essstörung, Flucht in epileptische Anfälle (ja, das alles kann die Psyche!)...danach viele Aufenthalte in Kliniken. Heute weiß ich nicht, wie es ihr geht, weil wir leider keinen Kontakt mehr haben, damals hatte sie sich abgeschottet... Die Schwester hingegen, die übelste Kratzbürste der Welt. Die hat ihren Vater einfach stehen lassen, ist über Nacht immer wieder abgehauen, hat sich mit aller Gewalt gewehrt, hat die Verletzungen an die Öffentlichkeit getragen und hat gekämpft, so früh wie möglich von daheim weg zu kommen. Sie sah, wer hier die Schuld hatte. Sie hat keine Narbe am Arm, hatte niemals das Messer oder Tabletten in der Hand... sie hat die Schuld ihres Vaters nach außen geschrieen....und nun keinen Kontakt mehr mit der Familie. ZU RECHT.

Es ist der größte Fehler - wirklich! - die Schuld in irgendeiner Form bei dir selbst zu suchen. Du wirst sonst niemals von diesem Teufelskreis der Gedanken los kommen.

DU BIST NICHT SCHULD DRAN! AN NICHTS! Es gibt nicht "nichts" daran zu finden! Es gibt eine Menge daran zu finden! Nur, weil es vier gegen eine heißt, muss das nicht heißen, dass die Mehrheit automatisch Recht hat!

Du bist eine sehr sensible Frau, mit hohen Antennen, klug und redegewandt präsentierst du dich mir. Du kämpfst für dich. Das ist ganz wunderbar. Ich schätze dich. Es ist ungemein wichtig, dass du dich von dieser Schuldfrage löst!

Es gibt nun zwei Punkte, die ich ansprechen möchte, die sicher beide nicht sehr leicht für dich werden, aber meiner Meinung nach sinnvoll sein könnten.

1. völliger Abstand zu deiner Familie - kein Kontakt mehr. Dazu erneute Therapie (vielleicht mal bei Pro Familia fragen? Die haben auch öfter mal andere Möglichkeiten als ein normaler Therapeut). Es ist wichtig, dass du weiterhin daran arbeitest, Stärkung und Entspannung zu erfahren. Notfalls wechsele den Therapeuten, bis du jemanden hast, der wirklich mit dir daran arbeitet. Es darf keine Punkte mehr geben, an denen du alleine gelassen wirst. Notfalls fordere diese Punkte ein! Wenn der Therapeut nicht in der Lage ist, dir zu helfen, muss er dafür sorgen, dass du bei jemand anderem unterkommst, der sich auf diese Bereiche spezialisiert hat. Lass da nicht locker!

Deine Familie ist der Grund für dein Befinden. Wenn du einen Mann hättest, der so mit dir umgeht oder einen Lebensgefährten, ich bin mir sicher, das wäre ein Trennungsgrund. Eine Familie definiert sich durch Liebe, Geborgenheit und Zusammenhalt. Davon findest du NICHTS bei deiner Familie. Somit würde ich dir raten, dir eine "andere Familie" zu suchen. Menschen, mit denen du kannst, denen du mehr Vertrauen entgegen bringen kannst, die Interesse an dir als Mensch haben. Bilde dir eine neue Familie. Suche dir den Zusammenhalt, versteck dich nicht!

2. Vergebung.

Und dieser Punkt ist das Allerschwerste, was ein traumatisierter Mensch überhaupt tun kann. Wenn man es aber schafft, nimmt es der Seele so viel Druck, dass man sich wundert, wie erleichtert man ist. Ich habe keine Ahnung, ob man mit einem Therapeuten daran arbeiten kann...oder ob du mal bei einer Kirche deiner Wahl vorbei schaust und mal um Gespräche bittest. Freie christliche Gemeinden zB, da gibt es oft tolle Leute, die gut zuhören und Rat geben können. Sicherlich klingt dieser zweite Punkt mit dem ersten eher konträr (wie...vergeben UND trennen?), aber ich denke, wenn du in Kontakt mit deiner Familie bleibst, die sicherlich ihre Ignoranz nicht aufgeben wird, wird deine Genesung viel schwerer bis unmöglich sein. Wenn man eine Brandwunde an der Hand hat und diese Hand immer wieder auf die heiße Herdplatte legt, wird sich die Wunde nicht wirklich schließen können.

Vergebung ist harte Arbeit, aber das absolute Endziel überhaupt. Ja, deine Eltern haben fehlgehandelt, absolut. Lass sie damit nicht dein ganzes Leben bestimmen. Sie sind arme, völlig fehlgeleitete Menschen gewesen, die nicht gesehen haben/nicht haben sehen wollen, was mit ihrem Kind passiert. Sei es Dummheit gewesen, seien es krankhafte Züge gewesen... Damit entschuldige ich nichts. Das weißt du. Aber wenn du es schaffen würdest, Vergebung über deine Eltern auszusprechen, auch nach dem Tode deiner Mutter noch...

Lass mich dir noch etwas erzählen.

Ein Freund von mir hat sechs Geschwister. Er ist um die 50 Jahre alt. Vier Brüder und zwei Schwestern hat er. Die beiden Schwestern wurden missbraucht, er und drei andere Brüder wurden verprügelt. Und zwar so, dass sie manchmal kaum ihre Verletzungen überdecken konnten. Die Kinder haben alle ganz unterschiedlich reagiert.

Der Älteste ist für immer und ewig ein Mensch geblieben, der bei dem kleinsten Anzeichen, er würde nicht ernst genommen, total ausrastet. Er wird ebenfalls schnell gewalttätig und begegnet anderen Menschen aggressiv. Der Zweitälteste ist mein Freund, dazu gleich. Der Drittälteste ist der Junge, der nie etwas abbekommen hat. Er versteht die Welt heute noch nicht, versteht die Vorwürfe nicht, kann nichts davon begreifen, tut es ab, verbarrikadiert es in seinem Innern hinter einer riesen Mauer...das kann ja nicht sein, dass es so für seine Geschwister gelaufen ist, das hätte er doch mitbekommen müssen. Hat er sicher auch, aber es ist komplett verdrängt. Der Viertälteste ist Opfer seiner Depressionen. Komplett. Er hat eine tolle Familie gehabt, hat seine Frau verlassen, hat immens hohe Schulden gemacht, hat nicht gesehen, in welche Situation er sich bringt...manisch depressiv, was er aber nicht einsieht. Die erste Schwester hatte jahrelang keinen Kontakt zum Vater, ist sensibel, sehr bestätigungshungrig und bemüht sich aber jetzt immer wieder um Kontakt. Ihr tut es immens weh, dass er sie ignoriert, weil sie mit Vorwürfen damals mal den Mund aufgemacht hat. Sie ist deiner Position in gewisser Weise ähnlich. Allerdings hat sie sich wirklich eine neue Familie gesucht - und die Geschwister haben, anders als bei dir, mehr Zusammenhalt. Der jüngste Bruder hat seine "Erlösung" in seiner Frau gefunden. Sie sind beide Sozialarbeiter und so hat er seine Vergangenheit bewältigt. Die jüngste Schwester war die Radikalste. Sie hat sich komplett vom Vater gelöst, ist mit 15 von daheim weg, hat sich eine Namensänderung erstritten, da sie keinen Tag länger den Namen ihres Vaters tragen wollte und lebt so jetzt recht gut. Sie hat ebenfalls erkannt, wer hier der Schuldige war. Allerdings hat sie ihm nichts vergeben. Kein Wort, keine Tat. Der Vater ist ein rotes Tuch und man merkt, wie es in ihr brodelt. Bei einer Beerdigung letztens haben sich die beiden gesehen...und kein Wort gewechselt. Sie hat immer aufgepasst, dass sie sich am anderen Ende des Saales befand.

Mein Freund nun hat vor vielen Jahren vergeben. Unglaublich, diese Leistung, wenn man bedenkt, was er alles erleiden musste. Doch dadurch hat er wieder seinen inneren Frieden gefunden. Ihn schreckt jetzt eben nichts mehr aus dem Schlaf, sein Puls ist nicht plötzlich bei 180, was früher auch gerne der Fall war. Panikanfälle, Wutanfälle, Weinflashs...all das gab es. Und ewig das Gefühl, nichts wert zu sein.

Er hat seinem Vater vergeben. Und hat dadurch sein Leben wieder bekommen.

Ich schreibe deshalb so viel und so ausführlich, weil ich fest glaube, dass du eine Chance hast. Ich glaube, dass Vergebung, zusätzlich zur Trennung von der Familie, eine gute Sache ist. Hake mit allem ab. Und dann schau auf dich. Du stehst mitten im Leben und es werden noch Jahre kommen, die gut sein könnten. Jahre, in denen Schönes auf dich wartet. Warten kann.

Ich wünsche dir so sehr, dass du weiter für dich kämpfst und damit Erfolg hast. Du hast es auf jeden Fall verdient.
Und wenn du mal wieder zweifelst:

DU BIST NICHT SCHULD! AN NICHTS!

Alles Liebe für deinen weiteren Weg! Und wenn du noch Fragen hast oder mal wieder was aussprechen möchtest: Gerne!

Liebe Grüße,

Dana