Problem von Mark - 16 Jahre

Die Schule erdrückt mich (sogar ohne Mobbing)

Hallo, liebes Kummerkastenteam,
Wahrscheinlich gibt es so ähnliche Probleme hier schon, aber ich habe nichts gefunden. Bitte schickt mir einen Link, wenn das der Fall ist.

Jedenfalls erdrückt mich die Schule. Ich bin 16 und gehe in die 11. Klasse Gymnasium und werde nicht (!) gemobbt- ich komme einfach nicht mit einem System zurecht, das mir zeigen will, für was ich mich gerade interessieren soll. Versteht mich nicht falsch, ich bin durchaus wissbegierig (wie die fast alle anderen Jugendlichen eigentlich auch), aber für mich wird allmählich jeder Tag eine einzige Quälerei. Klar, später wird das auch nicht viel besser, aber man kann sich wenigstens nachmittags und an Wochenenden entspannen.
In der Schule selbt kann ich mich sowieso kaum konzentrieren. Ich versuche es wirklich, aber das monotone Gelaber, der künstlich aufbereitete Schulstoff in Büchern und auf Arbeitsblättern und der schnelle Wechsel von einem Themengebiet (Fach) ins andere, sodass nichts im Kopf hängen bleibt, können meine Aufmerksamkeit partout nicht fesseln und mein Interesse schon gar nicht. Früher war ich mal ein echter Einser- und Zweierschüler, 1-2 mal auch Klassenbester, aber jetzt -ausgerechnet in der Oberstufe, die meinen Lebensweg zeichnen soll!- gehöre ich eher zu denen, die von den Lehrern dauernd aufgerufen werden, weil sie abwesend wirken. Ich glaube, bei vielen stehe ich schon auf der "roten Liste", obwohl das Schuljahr erst ca. einen Monat läuft. Meistens weiß ich die Antworten, aber ich melde mich fast nie, ich weiß auch nicht warum. Ich glaube, ich versuche immer, schon vor dem Melden eine Antwort zu bilden, und bin da halt relativ langsam, und bis dahin hat sich schon jemand gemeldet. Sogar in einem Fach, in dem ich mir einbildete, mich oft zu melden, bekam ich nur 8 Punkte (also eher so 3-), obwohl die Lehrerin ansonsten immer gerecht und nett ist und es daher an mir liegen muss.

Wenn ich dann nach Hause komme (um 16 Uhr), bin ich immer müde und geschafft von der Schule und habe kaum Kraft, das nachzuholen, was ich dort verpasst habe. Es klingt traurig, aber ich liege in letzter Zeit meistens im Bett und verschwende meine Zeit im Internet. Ich habe kaum noch die Energie, etwas konstruktives zu machen (obwohl ich früher mal viele Hobbys und Fähigkeiten entwickelt habe), Hausaufgabenzeit ist immer ab 8 Uhr, vorher kann ich mich kaum dazu aufraffen, es sei denn, es liegt besonders hoher Druck in Form von Tests vor.

An Selbstdisziplin mangelt es mir übrigens nicht, ich kann z.B. sehr verbissen und lange Klavier üben. Aber bei dem meisten, was mit Schule zu tun hat, schaffe ich es wie gesagt nicht mehr.

Morgens überlege ich manchmal, ob ich einfach liegen bleiben und sagen soll: "Ich gehe nicht mehr zur Schule.". Ich würde warten, bis meine Eltern weg sind, dann würde ich aufstehen und mich endlich mal wirklich bilden, nach meinen Interessen, meinem Tempo, mit vielfältigen Mitteln, ohne irgendjemandem etwas sagen zu müssen, was er sowieso schon weiß.
Aber nein, ich muss in die Schule, deren Verweigerung härtest bestraft wird. Ich mache mich jeden Tag auf zu einer seltsamen Art Prostitution, heuchle Interesse und Wohlbefinden, obwohl ich kein bisschen Hoffnung mehr in die Schule habe, und in meine Zukunft langsam auch nicht mehr. Es ist zehn vor zehn, ich muss noch Hausaufgaben machen und habe stattdessen diesen Text geschrieben, weil ich mich sonst keinem anvertrauen kann- meine Freunde sind machtlos, mein Vater ist ausgerechnet Lehrer und labert bei unseren Diskussionen immer von autonomen Lernen und davon, dass ich in der Oberstufe alles selbst machen müsse. Das würde ich gerne, aber ich merke nichts von Autonomie.

In anderen Internetforen werden Jugendliche wie ich sehr oft als stinkfaule Ableger der genussüchtigen Gesellschaft bezeichnet, die nur auf Hartz4 aus sind.

Das stimmt nicht. Aber ich kann so nicht lernen und vegetiere mehr und mehr. Ich kann einfach nicht "Augen zu und durch", dafür gehe ich doch auch theoretisch nicht in die Schule. Wir haben schon eine Blutuntersuchung machen lassen, war alles normal. Ich habe das Gefühl, den nächsten Schultag nicht mehr überleben zu können. Sie erdrüclt mich.

Bitte helft mir und sagt mir, was ich tun soll. Tut mir Leid, dass der Text so lang ist. Aber ich hoffe, er macht euch meine Gefühlslage verständlich

Florian Anwort von Florian

Hallo Mark


Ich verstehe sehr gut was Du meinst. Das Schulsystem ist, so wie es in den meisten Schulen betrieben wird, nicht für Menschen geeigent die kreativ, freidenkend und vor allem eigenständig sind oder sein wollen. Gerade in den höheren Schulklassen geht es nurnoch um das sture auswendig lernen von Informationen, die Entdeckerfreude und das Begeistern für neues Wissen wird dort nur von wenigen Lehrern noch gefördert. Wie sollten die Lehrer das auch anders, wenn der vom Bildungsministerium vollgestopfte Lehrplan keinen Platz dafür lässt. Das ist ein systemisches Problem das wir beide wohl nicht (so schnell) lösen können. Das ist also schonmal keine Handlungsoption.

Wenn das Ändern des Systems nicht möglich ist, gibt es als weitere Möglichkeit selbiges zu verlassen. Wie Du bereits selbst schreibst: Am liebsten würdest Du zu Hause bleiben und herausfinden was Deine Interessen sind, wie Dein Tempo dabei ist, vielfältige Mittel dabei anwenden und alles ohne unnötige Wiederholungen. Das ist natürlich auch keine Option, denn das unerlaubte Fernbleiben wird schließlich bestraft z.T. mit Schulausschluss oder der Nichtzulassung zur Prüfung. Möglich wäre jedoch die Schulform zu wechseln, also von einer üblichen staatlichen Schule auf eine Montessorischule, welche ja dafür bekannt ist freies Arbeiten sowie das individuelle Lernen zu fördern. Allerdings weis ich gerade nicht, ob diese Option für Dich wirklich umsetztbar ist. Schließlich ist nicht in jedem Ort eine solche Schule vorhanden, welche auch das Abitur anbieten würde. Zudem haben hier auch Deine Eltern das letzte Wort.


Gehen wir also gleich weiter zur nächsten Möglichkeit und die kannst Du ganz eigenständig umsetzen. Schlechte Laune und Niedergeschlagenheit, also genau jene Symptome die Du zeigst wenn Du aus der Schule raus und nach Hause gehst, entstehen immer dann wenn Du entgegen Deiner Bedürfnisse oder Wünsche handelst. In Deinem Fall also das Bedürfnis selbstständig zu Lernen im Gegensatz zum vorgesetzten Lernen in der Schule. Vielleicht aber auch der Wunsch mehr Leistungen bringen zu können und so an vergangene Erfolge anknüpfen zu können. Das demotiviert, macht unzufrieden und dadurch schlechte Laune, Niedergeschlagenheit und Müdigkeit obwohl verhältnismäßig wenig gemacht wurde. Das formt sich dann zu einen Teufelskreis der sich auf Deine Hausaufgaben ausübt und auf den nachfolgenden Schultag usw...
Was aber nun, wenn Du diesen Teufelskreis einmal durchbrichst? Nicht mit Durchhalteparolen die Dich dazu zwingen genau das weiterzumachen was Du eben nicht willst. Sondern, mit dem was Du willst: Eigenständig lernen.

Erlebe einmal einen ganz gewöhnlichen Schultag in all seiner demotivierenden Strenge und pädagogischen Unvernunft. Wenn Du dann nach Hause kommst, niedergeschlagen und mit dem Gefühl nichts weiter tun zu können, setzt Du Dich jedoch nicht vor dem Computer und Du legst Dich auch nicht hin. Sondern Du nimmst eines Deiner Schulfächer, was Dir spontan noch am meisten zusagt, nimmst davon das Schulbuch, blätterst ein bisschen darin herum, bis Du eine Stelle findest die Dich anspricht. Alles ganz unabhängig davon ob das Fach heute überhaupt durchgenommen wurde und ob das Thema überhaupt aktuell ist oder nicht schon vor Wochen dran war oder erst kurz vor dem Schuljahresende dran kommen wird. Das Fach und das Thema was Dich interessiert nimmst Du und informierst Dich darüber so wie Du es für richtig haltest. Lies es in dem Schulbuch, lies es in einem anderen Buch (egal ob eins zu Hause herumliegt oder aus der Bibliothek stammt) oder bezieh das Internet zu diesem Thema mit ein. Auch was Du weiter damit anfängst ist egal. Ob Du nur liest, Dir eine Dokumentation darüber ansiehst, ob Du dazu etwas notieren willst, eigene Graphiken zeichnen willst, ein Lied dazu komponieren oder was auch immer.
Wichtig ist nur eines: Du entscheidest frei, was Du für ein Thema hernimmst, wie Du Dich darüber informierst, welche Mittel Du dafür einsetzen willst, wo Du lernen willst und wie lange Du lernen willst. Wenn Du das Thema ändern willst, dann nimmst Du ein anderes Thema. Wenn Dir das Lesen nicht mehr genügt und Du etwas dazu aufschreiben willst, dann schreib das auf. Wenn Du Lust bekommst draußen zu lernen, dann geh raus und mach dort weiter. Wenn Du Lust hast ein Buch im Gehen zu lesen, dann lies es im Gehen. Wenn Du Lust bekommst einen Kopfstand zu machen dabei Musik zu hören und das Buch so von mehreren Metern Entfernung zu lese, dann mach auch meinetwegen das. Entscheidend ist dabei immer nur, dass Du Deine Wahl spontan triffst und immer nach Deinem eigenen Lustempfinden gestaltest.

Ich garantiere Dir so folgendes: Du wirst das Gelernte im Kopf behalten. Du wirst Spaß daran haben. Du wirst wieder mehr Energie und Motivation spüren, auch in der Schule oder im Lernen für die Schule. Du wirst in die Schule gehen und das monotone Gelaber, der häufige Fachwechsel und auch die fehlende Autonomie beim Lernen wird Dich dort nicht mehr stören. Denn Du wirst den Teufelskreis durchbrechen und so auch ausgewogener und zufriedener werden.
Probiere es einmal einen Nachmittag lang aus, die ersten Effekte wirst Du sofort merken können. Alle weiteren folgen, sobald sich das bei Dir eingebürgert hat frei zu lernen, wann wo wie und was du willst.


Ich wünsche Dir alles Gute


Gruß

Florian