Problem von Anonym - 14 Jahre

Ist mein Vater Alkoholiker?

Mir ist aufgefallen das mein Vati jeden Abend ca 1-3 Gläser wein trinkt. Er verhält sich nicht anders und wirkt auch nicht betrunken, aber es macht mir trotzdem sorgen. Wenn ich in darauf anspreche streitet er es ab und sagt sowas wie "das geht dich eigentlich gar nichts an" und seitdem scheint er zu versuchen das glas vor mir zu verstecken (und auch die angefangene flasche). Er trinkt aber schon seit jahren jeden Abend Wein und hatte zwischendurch (krankheitsbedingt) auch mal ca 4 Monate Pause gemacht . Ich mach mir aber trotzdem sorgen, weil ich gelesen hab das Verstecken und abstreiten erste Symptome einer sucht sind. Ist mein Vati süchtig und wenn ja was soll ich tun wenn ich nicht mit ihm darüber reden kann?

Bernd Anwort von Bernd

Hallo, besorgte junge Dame.

Dass Du Dir Sorgen um Deinen Vater machst, finde ich gut! Und danke Dir dafür, dass Du Dich mit Deinen Sorgen an uns gewendet hast!

Doch nun gleich zu Deiner Frage.

Bereits seit einiger Zeit sind Forscher und Ärzte der Meinung, dass 10 bis 25 gr reiner Alkohol pro Tag einen günstigen Effekt auf das Herz-Kreislaufsystem ausüben können.
Das entspricht etwa 1/8 bis 1/4 ltr Wein.
Hier kannst Du das nachlesen:
http://www.aerzteblatt.de/archiv/23208/Wie-viel-Alkohol-macht-krank-Traegt-Alkohol-zur-Gesundheit-bei

Wenn das Glas, das Dein Vater täglich trinkt also nicht gleich eine bayrische Maß (1 ltr) ist, ist also kaum davon auszugehen, dass er zur Trunksucht neigt.
Nun will ich das Thema aber auch auf keinen Fall herunterspielen! Weil Du ja auch schreibst, dass es bis zu 3 Gläser sein können: damit hat er den Bereich, den man als "medizinisch unbedenklich" bezeichnen könnte, schon um einiges überschritten.
Und mit Deiner zweiten Beobachtung (dass es ein Zeichen der Suchtkrankheit ist, wenn man Alkohol heimlich trinkt, die Vorräte versteckt und heimlich besorgt) hast Du tatsächlich Punkte angesprochen, die bedenklich sein können.

Allerdings könnte ich mir da bei Deinem Vater auch eine andere Motivation vorstellen:
manche Erwachsene haben Probleme damit, selber Zielscheibe einer Diskussion mit ihren Kindern zu sein.
Wir Eltern sind doch darauf spezialisiert, euch anzugeben, was gut und was nicht gut ist. Und nun soll ich mich vor meinen Kindern verteidigen? Jedes Glas Wein begründen? Von den Kindern nachzählen lassen?

Nicht dass Du mich falsch verstehst: ich finde diese Reaktion Deines Vaters nicht unbedingt klug und auch nicht gut (in den Untergrund zu gehen). Allerdings weiß ich nicht, wie ihr ansonsten miteinander umgeht und auskommt.
Wenn Dein Vater auch sonst der Typ ist, der gerne seine Ruhe hat und Diskussionen gerne aus dem Weg geht?
Wenn Du (gerade in dem Alter) vielleicht auch schon begonnen hast, alles infrage zu stellen und vielleicht mehr zu kritisieren, als Dein Vater an Kritik im Augenblick verträgt?

Ich schlage Dir vor, es einmal auch von der Seite aus zu betrachten: wir nennen uns zwar eine offene und tolerante Gesellschaft. Aber wenn wir einmal von einem Vorurteil erfasst werden, lassen wir sehr schlecht wieder davon ab.
Und dadurch provozieren wir manchmal auch erst Heimlichtuerei und sogar auch Lügen.
Ist Dir selber vielleicht auch schon mal passiert?
Wenn ein Thema angesprochen worden ist, bei dem Du genau weißt, dass Dein Gegenüber eine ganz klare vorgefasste Meinung hat. Du hast eine andere Meinung, hast aber keinen Bock auf eine Diskussion mit dem Gegenüber: dann neigen wir dazu, der Diskussion notfalls durch eine Lüge zu entgehen.
Beispiel?
Du triffst Deinen EX zufällig und ihr kommt in ein längeres Gespräch. Nach dem Gespräch denkst Du darüber nach, ob Du da nicht gerade noch Gefühle für ihn bei Dir entdeckt hast.

Wenn Dein jetziger Freund Dich eifersüchtig zur Rede stellt, wirst Du trotz all Deiner Unsicherheit felsenfest behaupten, dass da nichts war und nichts ist! Oder?
Was könnte Dein Freund denn auch mit der Wahrheit gerade anfangen? Es würde seine Eifersucht noch steigern, obwohl es ja im Augenblick für Dich noch gar keinen Grund dazu gibt. Nicht eher, als bis Du Dich dann entschieden hast.

Ungefähr so kann ich es mir bei Deinem Vater auch vorstellen: Von "Alkoholismus" als tiefgreifende Krankheit ist er sicherlich noch entfernt. Und wenn bei seinem recht moderaten Konsum schon jemand so schnell ein "Urteil" fällt, ist das vielleicht nicht die Diskussion, die Dein Vater mit Dir führen will.

Hast Du das Thema eigentlich auch schon mal mit Deiner Mutter besprochen? Was meint die denn dazu?

Mein Tip:

Bevor Du Deinen Vater das nächste mal auf das Thema ansprichst, lies Dir vielleicht einmal durch, was in dem link steht, den ich Dir genannt hatte. Damit Du selbst einmal für Dich besser einschätzen kannst, wo Dein Vater tatsächlich mit seinem Konsum steht.

Das schwierigste bei jedem Gespräch über ein sensibles Thema ist immer gleich der Anfang:

Allein das Wort "Alkoholiker" ist ein Reizwort, bei dem nicht nur Dein Vater sicherlich gleich dicht macht!

Ist vielleicht vergleichbar, als wenn Dein Vater Dir eigentlich nur sagen will, dass Du Dein Zimmer einmal in der Woche aufräumen, putzen und Staubsaugen solltest. (Darüber kann man ja mit Dir reden, oder?)

Aber wenn er gleich zu Beginn zu Dir sagt: "Schlampe!"

Dann kann er danach wohl sagen, was er will: Du hast dann zurecht schon längst auf Durchzug gestellt und auf Abwehr!
Und so ähnlich ist es vielleicht auch, wenn Du ihn sofort fragst oder ihm gar unterstellst, dass er Alkoholiker sei.

Da ist es vielleicht besser, Dein Gespräch zu beginnen, indem Du zuerst einmal ein wenig "zurück ruderst".
Also wenn Du ihm z.B. sagst, dass Du mittlerweile ja selbst gelesen hast, dass ein Glas Wein am Abend für einen gesunden und erwachsenen Menschen sogar gesund sein kann.
Also sprich ihn so an, dass er sich nicht gleich an die Wand gedrängt fühlt und danach nur auf Abwehr aus ist.

Ich weiß: das ist nicht leicht, das richtige Fingerspitzengefühl dabei zu entwickeln.
Aber eines weiß Dein Vater sicherlich auch jetzt schon: dass Du ihn mit Deiner Vermutung nicht verletzen oder verurteilen willst!
Sondern dass Du Dir wirkliche Sorge um ihn machst!

Und das wird er Dir sicherlich auch jetzt schon hoch anrechnen und stolz auf Dich sein!

Alles Liebe,

Bernd