Problem von Anonym - 18 Jahre

Selbsthass

Hallo liebe/r Unbekannte/r,

Ich weiß gar nicht wie ich hier anfangen soll denn ich möchte so viel erzählen. Ich habe seit circa Anfang dieses Jahres starke Selbstzweifel und Zukunftsängste bei mir selber festgestellt. Wieso diese grade zu diesem Zeitpunkt aufgekommen sind, kann ich nicht sagen. Ich fühle mich einfach wie ein totaler Versager in meiner gesamten Lebenssituation. Vielleicht ist dieser Gedanke aufgekommen, weil ich im vergangenen Sommer ein Schuljahr wegen schlechten Leistungen wiederholen musste. Ich redete immer wieder selber ein ich sei ein Versager und habe kein Recht auf dieses Leben. Wie gesagt richtig schlimm wurde es dann erst Anfang des Jahres. Ich fühlte mich immer wertloser und versagt so in immer mehr Lebensbereichen. Zum Beispiel eine Führerscheinprüfung durch welche ich durchfiel. Ich hasste mich immer mehr und je mehr ich mich hasste desto schlimmer wurde es. Dann fing ich auch noch immer in Stresssituationen sehr stark an zu zittern und hatte eine sehr starke Übelkeit. Als würde ich gerne alles auskotzen. Ich schirmte mich immer mehr von meinen Freunden und meiner Familie ab und saß lieber alleine in meinem Zimmer. Immer wenn ich unter Menschen war hatte ich das Gefühl ich würde von allen angeschaut werden und sie sehen meine erbärmliche Vergangenheit und lachen über mich. Selbst wenn Leute über irgendeinen Witz lachen denke ich immer sie machen sich über mich lustig. So ist auch eine sehr starke soziale Unbeholfenheit bei mir aufgekommen. Wenn ich nur Leuten berührt werde fühle ich mich unwohl. Selbst bei Partys wo sich Mädchen, welche ich einfach sehr gerne mag, an meine Schulter oder so lehnen kann ich nichts erwidern. Ich fühle mich dann wie versteinert. Als würde ich die komplette Kontrolle über meinen Körper verlieren. Und dann fangen halt auch sehr schnell diese Zitterattacken wieder an. Naja und seit kurzem fühle ich mich einfach nur noch komplett verlassen. Ich kann nachts nicht schlafen und liege im Bett oder sitze nachts um 2 Uhr am Pc und schreibe hier diesen viel zu langen Brief. Ich denke viel zu oft darüber nach wie es wäre wenn ich einfach mich beseitigen würde. Ich habe dann diese schrecklichen Gedanken dass es meinem Umfeld so besser gehen würde. Was eigentlich totaler Schwachsinn ist.

Immerhin konnte ich mit meine Eltern darüber reden und bald habe ich eine Termin bei einem Psychologen.

Ich hoffe du kannst mein Problem verstehen und vielen Dank fürs lesen.

M.

JuliaG Anwort von JuliaG

Hallo lieber Ratsuchende,

ich freue mich, dass du uns schreibst! :)

Zuerst möchte ich mich einmal bei dir bedanken, dass du deine momentane Situation so umfangreich geschildert hast! Das ist nicht nur sehr tapfer von dir, uns (also eigentlich dir fremden Menschen) deine Geschichte zu erzählen, sondern auch sehr hilfreich, um dein derzeitiges Lebensgefühl und die Wahrnehmung auf dich selbst besser nachvollziehen zu können. Gut gemacht!

Lieber Ratsuchende, ich kann gut verstehen, wenn es dich müde gemacht hat, gegen den Hass auf dich selbst anzukämpfen. Man versucht die Enttäuschung über sich selbst und den Schmerz, der daraus folgt, aus zu sitzen, auszuhalten und ggf. anzuhalten. Das kostet natürlich sehr viel Kraft und letztendlich fühlt man sich wie der selbe Versager, für den man sich davor schon gehalten hat. Kommt dir das irgendwie bekannt vor?

"Ich habe dann diese schrecklichen Gedanken dass es meinem Umfeld so besser gehen würde. Was eigentlich totaler Schwachsinn ist." Stimmt, denn ohne dich, würde dieser Welt etwas ganz wichtiges fehlen - nämlich DU! Kein anderes Individuum könnte jemals dein einzigartiges Wesen ersetzen. Deswegen wäre dein Verlust definitiv keine Bereicherung für diese Welt, lieber Ratsuchende. Insbesondere würde für deine Eltern, die dich seit deiner ersten Minute an begleitet haben, eine Welt zusammenbrechen, wenn du nicht mehr hier wärst. Freunde wären ebenfalls traurig, wenn sie nur noch in Erinnerung an frühere Zeiten von dir sprechen könnten. Wir haben uns zwar nicht ausgesucht, wann, wo und ob wir auf die Welt kommen wollen, jedoch können wir darüber entscheiden, was wir aus unserem Leben machen - wie wir es gestalten, wie wir mit Rückschlägen umgehen und wie wir es zu schätzen lernen. Jeder von uns das Recht, LEBEN zu können - glaube mir, auch DU hast dieses Recht. Gib daher dieser schrecklichen Selbstzerstörung keine Chance, dass sie über Leben und Tod entscheiden darf!

Weißt du, es tut mir sehr leid, was du nach beiden Rückschlägen nun durch machen musst - sowohl seelisch, als auch körperlich. Ich kann deine Lage gut nachvollziehen.
Man versucht sowohl die Schule, als auch die Fahrprüfung mit einem Rutsch durch zu ziehen, um ja keine Enttäuschung oder (finanzielle) Belastung für andere zu sein. Ich kenne das Dilemma noch aus meiner Schulzeit. Es gab etliche aus meinem Jahrgang, die ihre Führerscheinprüfung noch ein mal oder mehrfach nachgeholt haben. Einigen von ihnen ging es ähnlich wie dir: Sie fühlten sich wie ein Versager, obwohl sie sich wirklich angestrengt hatten.

Versagensängste bzw. Zukunftsängste haben weitaus mehr Menschen, als wir uns vielleicht ausmalen können. Es sind Ängste, die man zuvor in seinem Teenager-Dasein nicht kannte. Man verlässt als junger Erwachsener seinen sicheren Schmetterlingskokon in die ungewisse Zukunft. Allein diese Ungewissheit, was die Zukunft bringen könnte, schränkt bereits jegliches positives Lebensgefühl und jegliche Freude am Leben ein. Ich kenne dieses Gefühl, lieber Ratsuchende.
Du schreibst, dass du dich mittlerweile unter Menschen so unwohl bzw. unbeholfen fühlst, dir vor / bei Stresssituationen übel wird und dein Körper in ungewohnten Situationen wie gelähmt ist bzw. dass er dann beginnt, mit heftigem Zittern zu reagieren. Ohne jetzt eine Diagnose aufstellen zu wollen (bin ja kein Arzt :P), möchte ich nur anmerken, dass deine Ausführungen für mich nach typischen Angstsymptomen klingen. Das ist definitiv ernst zu nehmen und ganz klar ein Fall für einen Profi, der sich Angst auskennt.

Und deswegen möchte ich dich an dieser Stelle ganz ehrlich loben, lieber Ratsuchende! Du hast alles richtig gemacht. :)
Du hast mit deinen Eltern über deine Sorgen und Symptome gesprochen und einen Termin mit einem Psychologen vereinbart - das ist der erste Schritt in Richtung seelischer und (damit verbunden) körperlicher Genesung!
Ich als Laie kann dir dagegen zwar nur bedingt helfen, in dem ich dir ein paar Tipps anbiete, was du gegen Angst und Selbsthass unternehmen kannst, aber vielleicht geben sie dir zumindest etwas Hoffnung wieder. ;)

Kommen wir erst einmal zum Problem "Angst".
Hast du vielleicht schon mal etwas von "autogenem Training" gehört? Es ist eine Art Entspannungsübung bei Stress- und Angstsituationen, also wenn Körper und Seele in heller Aufregung sind und sich nicht so leicht beruhigen lassen. Der Begriff "autogen" bedeutet so viel wie "selbst hervorgerufen". Durch eine Art Selbst-Hypnose wird ein Zustand von tiefer Entspannung erzeugt. Am effektivsten ist das autogene Training unter Anleitung eines Therapeuten. Vielleicht sprichst du das irgendwann einmal in einer Sitzung bei deinem Psychologen an?

Was außerdem noch dazu beitragen kann, dass du dich wieder in deiner Haut wohl fühlst, kannst du auch ganz leicht bei dir zu Hause machen.
So kannst du eine einfache Atemübung machen. Lege dich auf den Rücken und beobachte einmal deine Atmung - wie sich dein Körper hebt und senkt. Achte nur auf einen ruhigen Rhythmus während des Atmens, sowie darauf, dass du durch den Bauch atmest anstatt durch den Brustkorb. Wenn du die Hände auf den Bauch legst, fällt es dir gerade anfangs leichter, die Bauchatmung deutlich zu spüren.
Was ebenfalls für Entspannung sorgen kann, ist ein angenehm warmes Bad bei dir zu Hause. Nimm dir einmal 30 Minuten nur Zeit für dich selbst. Lass währenddessen eine Playlist mit deinen Lieblingsliedern laufen. Lehne dich zurück und lausche der Musik. Denke an nichts anderes als an diesen Moment. Denke nicht an Vergangenes oder an das, was morgen passieren könnte. Du bist im Hier und Jetzt - im entspannten Zustand sozusagen.

Probiere es vielleicht einfach mal aus. Lass dich nicht entmutigen, wenn die Übungen nicht sofort funktionieren - das müssen sie auch gar nicht. Taste dich Schritt für Schritt heran und lege die Erwartungen, ob die gewünschte Wirkung erzielt wird, nach und nach ab. ;)

Kommen wir jetzt zum Problem "Selbsthass".
Mache dir vielleicht erst einmal bewusst, dass jeder Mensch mal Fehler macht, egal ob Schüler, Lehrer, Eltern, Freunde, usw. Auch wir vom KuKa machen manchmal etwas falsch. "Irren ist menschlich". Erlaube dir, Fehler zu machen und akzeptiere die, die dir passiert sind. Betrachte sie als neue Chance, es besser zu machen! Vermeide dabei, dich unter Druck zu setzen und Perfektion anzustreben. Perfekt ist niemand. Es ist quasi unmöglich, nirgendswo anzustoßen und keine Ecken und Kanten zu haben. Einen Kampf, den man gegen sich selbst führt, verliert man meistens auch.
Ich möchte dir gerne zwei Webseiten empfehlen, auf denen weitere Tipps zusammen gefasst worden sind: http://www.psychotipps.com/Selbstvertrauen.html und http://www.psychotipps.com/selbstvertrauen/ Zum letzten Link findest du zwei Videos, die erklären, wie du dich von deinem "Inneren Kritiker" befreien kannst. Zum Thema "Selbstzweifel" kannst du dich auch in unserer Soforthilfe informieren: http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/34/Selbstzweifel.html


Lieber Ratsuchende, es ist nie zu spät dafür, sich selbst lieben zu lernen! Du wirst das schaffen, daran glaube ich fest.
Ich wünsche dir, dass du dich nicht aufgibst und hoffe, dass dir der Psychologe weiterhelfen kann und deine Eltern weiterhin eine tolle Unterstützung für dich sind. :)
Du kannst mir jederzeit gerne wieder schreiben, wenn du weitere Fragen oder Sorgen hast, oder du mich ganz allgemein am neusten Stand der Dinge teilhaben lassen möchtest. Ich würde mich sehr darüber freuen. ;)

Mit lieben Grüßen

Julia