Problem von Alex - 17 Jahre

(Warnung: Ziemlich lang) "Stressig" ist noch viel zu untertrieben...

Hallo liebes KuKa-Team! Lange habe ich überlegt, ob ich euch schreiben soll
und tja... was soll ich sagen. Ich wage jetzt diesen Schritt einfach mal,
da ich selber weiß, dass sich ganz dringend etwas ändern muss.
Schon jetzt warne ich, dass es ziemlich lang werden könnte.
Jedoch erzähl ich es nur so detailiert wie möglich.
Ich erwarte keine so lange Antwort, keine Sorge ^^
Erstmal zu mir selber. Ich habe Depressionen, eine Sozialphobie
und bei mir wurde 2013 das Asperger-Syndrom, eine relativ
milde Form des normalen Autismus, diagnostiziert. Momentan
stecke ich auch noch sehr in der Selbstfindungs-Kriese.
Was das Geschlecht angeht, hatte ich schon immer sehr
große Probleme. Ich bin zwar in einem Mädchenkörper, jedoch fühl ich
mich deutlich wohler, wenn man mich als "Er" bezeichnet oder
in der Mehrzahl von mir redet. Meine Eltern und Freunde
respektieren das leider überhaupt nicht. Meine Mutter, die
eigentlich super tollerant ist, bezeichnete mich sogar als Irre,
als ich das Thema Geschlechtsumwandlung ansprach.
Das alles belastet mich wirklich sehr. Generell ist meine Familie
wirklich alles andere als harmonisch. Meine jüngeren Stiefbrüder (6 und 8)
schreien den ganzen Tag (gefühlt) nur rum und mein "Stiefvater",
den ich garnicht so bezeichnen will, kritisiert mich nur und macht
mich mental fertig. Als Asperger hab ich kleine Macken, zum Beispiel
tendiere ich dazu vor Freude vor und zurük zu schaukeln wenn ich sitze.
Das kann ich leider nicht kontrollieren, das passiert einfach.
Er müsste eigentlich wissen, dass ich Asperger hab, jedoch bezeichnet er
mich jedesmal als Fall für die Irrenanstalt... Er zieht den ganzen Tag über
mich und meine Interessen her. Ich interessiere mich z.b. sehr für deutsche
Geschichte und ich bin auch sehr froh Deutsch zu sein. (Oder generell
europäisch) Dadurch bezeichnet er mich auch alle zwei Tage als Nazi,
dabei hetzt und beschwert ER sich über Flüchtlinge, Schwule und andere.
Da ich selber kein Wert auf das Geschlecht lege, fühl ich mich da auch
sehr angegriffen. Naja das war leider noch nicht alles. Durch das ständige
kritisieren seinerseits, und da es in der Schule auch nicht so super lief. (bin seit
der sechsten Klasse Realschule total abgedriftet und gehe jetzt in eine achte
Haubtschulklasse, nachdem ich viermal die Klasse, wegen Sitzenbleiben, wechseln musste.)
Ist mein Selbstwertgefül extrem niedrig. Es existiert schon garnicht mehr.
Ich habe dann auch angefangen, so 2012, die Schule zu schwänzen. Das ist
inszwischen so schlimm, dass ich wirklich jeden Tag zu Hause bin (glücklicherweise
gabs da noch keine ernsteren Probleme), da meine Angst einfach zu groß ist.
Die Menschen draußen haben mich so enttäuscht, dass ich am liebsten gar niemanden
sehen möchte. Freunde hab ich inzswischen so gut wie niemanden mehr, allerdings
stört mich das jetzt nicht so. Jedoch merke ich immer wieder, wie einsam und alleine
ich bin... Ich weiß nicht, ob es an meinem Asperger oder an der Tatsache liegt,
dass ich sogut wie mit niemanden rede am Tag, aber ich rede schon seit
geraumer Zeit sogar selber mit mir. Da ich mit niemanden sonst reden oder
Spaß haben kann. Versteht das nicht falsch, ich höre im Kopf keine Stimmen.
Ich unterhalte mich nur ziemlich gerne über meine Lieblingssachen, ohne
eine Antwort zu erwarten. Ich weiß selber, dass das extrem komisch klingt,
aber es gibt sonst wirklich niemanden, mit dem ich über Geschichte,
Musik, Videospiele, Serien oder so plaudern könnte... Im Internet habe ich
es schon mehrmals versucht, jedoch brach dann irgendwann der Kontakt ab.
Ich habe dann nach einer Weile nicht mehr zurück geschrieben, da soziale
Interaktionen sehr anstrengend für mich sind, und ich mich dann nicht mehr
getraut habe zu antworten. Da ich wirklich sehr gerne zeichne, habe ich mich
vor einer Weile jedoch auf einer englischsprachigen Seite angemeldet und
dort tatsächlich Kontakte gefunden. Sogar mehrere Leute, die alle aus den
unterschiedlichsten Ländern kommen und alle super nett sind.
Zugegebenerweise... hab ich sogar das Gefühl mich in einen von ihnen
verliebt zu haben. Ich kenn ihn jetzt seit fast einem Jahr, erst ist fast
genauso alt wie ich und ist "auch" Transgender. Er schreibt mir immer
sehr nette Sachen, er war einer meiner ersten Freunde dort und
versteht mich einfach gut, weil wir eine ähnliche Persönlichkeit haben.
Ich hab ihn noch nie gesehen oder gehört, jedoch muntern mich seine
Kommentare immer am meisten auf, wenn ich traurig bin. Am liebsten
würde ich ihn davon erzählen und ganz viele Bilder für ihn zeichnen.
(Soweit ich es weiß, sieht er mich nämlich als Vorbild, weil ich schon
länger dort angemeldet bin und mehr Übung habe.) Das einzige
Problem ist... er ist "vergeben". Er ist bereits mit einem anderen User
"zusammen", was ich bis heute nicht verstehe. Er kennt ihn genauso
lange wie mich, jedoch habe ich absolut keine Ahnung wie das
passiert ist. Nach ca. einem Monat haben sie das angekündigt.
Ganz spontan, ohne das ich was mitbekommen habe. Generell wurde ich
in meinem Leben immer zum dritten unnötigen Rad. Ich will eigentlich
nicht eifersüchtig sein, aber es ist so frustrierend. Ich meine, Ich verstehe,
wieso Menschen mich nicht mögen. Ich bin jetzt 17, im Geiste jedoch bin
ich gefühlt schon 35. Ich mag keine Partys, kein Alkohol, ich weiß nicht, wie man
in diesem "coolen" Internetslang redet und mein Humor ist teilwese
zu zynisch, sarkastisch und schwarz. Ich bin echt nicht gerade der symphatischte
Mensch auf diesem Planeten. Und das frustriert mich wirklich dolle. Das klingt
so klischeehaft, aber ich fühle mich wirklich wie ein Alien. Ich fühle mich hier
so überflüssig und falsch... und das belastet mich jeden Tag. Ich fühle mich so,
als würde ich die ganze Zeit schwitzen. Ich mache mir die ganze Zeit Gedanken,
über die Dinge, die ich falsch gemacht oder falsch gesagt habe. Über Menschen
die mir etwas bedeuten, mich aber wahrscheinlich für peinlich und nervig halten.
Das alles belastet mich wirklich sehr und die Überschrift könnte nicht passender
sein. Ich möchte doch nur jemanden haben, der mich unterstützt, der mir nette
Dinge sagt, meine Fehler akzeptiert und mich als Freund sieht. Ich möchte
doch nur jemanden an meiner Seite haben, der einfach da ist und mich versteht.
Ich fühle mich so furchtbar, mein Magen tut weh und es wir von Tag zu Tag
schlimmer. Ich weiß echt nicht, was ich tun soll. Deshalb wäre ich euch vom
KuKa-Team mehr als Dankbar, falls ich mir irgendwie helfen könnt.
Tut mir leid, es ist doch länger als erwartet. Ich hoffe, dass ist kein allzu
großes Problem. Wie gesagt, ich erwarte keine Roman-lange Antwort.
Entschuldigt bitte Rechtschreib- oder Grammatikfehler. Oder falls ich etwas
komisch ausgedrückt habe. (Ich hab ziemliche Probleme damit, mich richtig
auszudrücken, was auch einer der Gründe für meine unendlichen Sorgen ist.)

Anna Anwort von Anna

Hallo Alex!

Vielen Dank für Deine lange Nachricht und Dein Vertrauen an uns. Du hast am Ende von Deinem Text das Bedenken geäußert, Du könntest Dich nicht gut ausdrücken - meiner Meinung nach kannst Du Dich SEHR gut ausdrücken und während dem Lesen fiel es mir leichter und leichter, mich in Deine Situation einzufühlen.

Bei all dem, was Du erzählst, kann ich gut verstehen, dass es Dir momentan nicht sonderlich gut geht. Du hast beschrieben, dass Du Dich wie ein Fremder fühlst, wie ein Alien und einfach nicht dazu gehörig. Vielleicht hat das damit zu tun, dass Du noch nicht die richtigen Freunde kennengelernt hast, vielleicht auch damit, dass Du Dich in Deiner Familie so unwohl fühlst. Vielleicht hängt es letztlich aber auch damit zusammen, dass Du Dich in Deinem Körper nicht wohlfühlst. Am wohlsten fühlen wir uns, wenn wir mit unserem Körper in Einklang sind, wenn keine Schmerzen da sind, man gesättigt ist, ausgeruht, sexuell befriedigt ist, sich sportlich betätigt hat, kurz: immer dann, wenn man die Energien, die man körperlich hat, bestmöglich gehändelt hat. Nun ist es in Deinem Fall aber so, dass Du die geschlechtliche Identität nicht mit Deinem Körper verbinden kannst und dass Du diese Identität auch im Sozialen nicht leben kannst. Und ich glaube, hier liegt das Hauptproblem dafür, dass Du Dich einfach so fremd fühlst. Du kannst Dich nach Außen hin nicht so zeigen, wie Du Dich fühlst und immer wenn Menschen so verstellt leben müssen, sich anpassen und nicht sie selbst sind, werden sie mit der Zeit depressiv oder panisch. Ich habe Ähnliches auch von Menschen kurz vor ihrem Coming-Out als Homosexueller gehört, als sie noch ein Leben führten, das sich einfach falsch angefühlt hat.
Ich empfehle Dir also, alles dafür in die Wege zu leiten, um Deine körperliche Umwandlung möglichst schnell in Gang bringen zu können. Wende Dich in einem ersten Schritt an Deinen Hausarzt und schildere Deine Situation. Er wird Dir sicherlich sagen können, wie es dann weitergeht.

Wenn Du mehr und mehr mit Dir und Deinem Geschlecht ins Reine kommst, wird es sicherlich auch einfacher für Dich, solziale Kontakte zu knüpfen. Und wie Du siehst - auf dem Kunst-Portal, wo Du angemeldet bist, hast Du ja auch schon Leute kennen gelernt, mit denen Du Dich ganz gut verstehst. Da würde ich sagen - weiter so! Versuche Deinen Horizont zu erweitern und aus dem kleinen Kreis der Leute, die Du kennst (und die Dich wohl auch nicht so akzeptieren, wie Du bist) auszubrechen und Menschen aller Nationen, Sexualitäten und Kulturen kennenzulernen. Dort wirst Du sicher mehr und mehr Menschen kennenlernen, denen Du Dich nahefühlst und die vielleicht auch in ganz ähnlichen Konflikten stecken wie Du.
Dass Dich zur Zeit auch der Kontakt zu Deiner Familie stört, kann ich verstehen bei dem, was Du da so erzählst. Wenn Deine kleinen Geschwister den ganzen Tag schreien - vielleicht sind sie ja ebenfalls ungehört und haben Probleme, deren sich niemand annimmt? Ein guter Kontakt zu den Geschwistern ist etwas wunderbar Schönes und Wertvolles. Vielleicht kannst Du Dich ja mehr mit ihnen beschäftigen? Sicher würden sie sich auch freuen und entlastet fühlen, wenn sie einen starken freundlichen Part in Dir sehen!
Dass Deine Mutter so voreingenommen ist, ist leider keine Seltenheit. Wahrscheinlich wurde sie auch noch nie mit anderen Sexualitäten konfrontiert und kann sich somit überhaupt nichts darunter vorstellen, was Du ihr sagst. Wenn es Dir wichtig ist, dass sie Dich versteht, leg ihr doch mal einen Artikel über Transgender raus, etwas Wissenschaftliches, etwas Fundiertes, nicht nur Erfahrungsberichte, sondern einen objektiven Report zu dem Thema.
Vielleicht würde ich ihr auch einen Brief schreiben, in dem Du von Deinen Gefühlen erzählst, dass es Dich sehr belastet, wenn Du nicht angenommen wirst und dass es Dir wichtig ist, in dem, was Du sagst, ernstgenommen zu werden. In dem Brief solltest Du auch von den Sticheleien Deines Stiefvaters erzählen. Deine Mutter ist mit dafür verantwortlich, dass er sich ihren Kindern gegenüber annehmbar verhält und sie nicht piesackt für Dinge, für die sie nichts können.

So - ich hoffe, ich konnte Dir ein bisschen helfen und Dich ermutigen, Dich auf in ein erfülltes und für Dich passendes Leben zu machen! Lass doch mal von Dir hören, ich hoffe sehr, dass es Dir bald besser geht. :)

Viele liebe Grüße, Anna