Problem von Robin - 16 Jahre

Ich fühle (fast) keine Gefühle mehr

Hallo liebes Kummerkasten Team, ich habe ein sehr spezielles Problem.

Das Problem:
Seit einigen Jahren spüre ich meine Gefühle nicht mehr. Ich weiß zwar dass ich etwas fühle und auch was ich fühlen sollte, aber ich fühle nichts. Ich reagiere auch öfters Impulsiv, aber ich spüre einfach nichts. Ich liebe nicht mal meine Familie. Für mich ist so gut wie alles ersetzlich. Also einige Gegenstände wären es wenn wir uns neue einfach leisten könnten. Das klingt ein bisschen als wäre ich Psychopath, aber das bin ich definitiv nicht, ich bin ziemlich selbstlos und ordne mich oft unter. Und ich bin ein sehr mitfühlender und empathischer Mensch.
Die Ursachen sind zum Beispiel Mobbing, das ich seit ich denken kann ertragen musste, was aber vor 3 Jahren aufgehört hat, ich wurde also 10 Jahre lang gemobbt. Dazu hat meine Schwester bis vor einem halben Jahr Machtspiele mit mir gespielt was ich mir blöderweise habe gefallen lassen. Das ging auch etwa 10 Jahre lang so. Dazu haben meine Eltern mich oft enttäuscht. Meine Mutter war bis vor 3-4 Jahren noch so gut wie nie da, weil sie unter Epilepsieähnlichen Stresssymtomen litt. Sie war in einem Krankenhaus etwa eine Stunde Fahrtzeit von uns entfernt. Sie hat auch chronische Schmerzen und Schlafstörungen. Mit etwas Glück haben wir sie 1-2 Mal im Monat gesehen. Mein Vater war demnach alleinerziehend und er hatte große Probleme 2 kleine Kinder zu bewältigen. Er hat versucht uns mit wütendwerden unter Kontrolle zu bekommen. Ob er uns auch mal geschlagen hat, weiß ich nicht mehr, da war ich noch zu klein. Aber wenn wir an Lichtschaltern rumgespielt haben hat er uns auf den Handrücken geschlagen und uns wenn wir unterwegs waren und die Kinderquängelphase angefangen hat,hat er uns sehr schmerzhaft an die Hand genommen, so das unser Handgelenk zwischen sieben kleinen- und Ringfinger eingeklemmt war. Was mich aber am heftigsten verletzt hat ist das er dauernd Sachen versprochen aber sie nicht eingehalten hat. Das hat mein Vertrauen extrem gestört.
Ich habe in letzter Zeit ein paar Fortschritte gemacht. Ich spüre selten Mal ganz leicht etwas, aber viel schwächer als früher. Ich habe nur ein mal etwas intensiveres gespürt, und zwar war ein Mädchen aus meiner Klasse heute krank und ich habe etwas gespürt was ich als Vermissen einsortiert habe.
Als ich noch klein war habe ich alles noch normal wahrgenommen, doch irgendwann habe ich mich in einer Fantasiewelt versteckt und ich glaube das gleiche mache ich auch gerade. Ich glaubte das ich mich vor allem Schützen müsste und so habe ich mich sogar vor meinen eigenen Gefühlen abgeschirmt.
Außerdem habe ich Bindungsängste, wenn ich merke das ich jemanden zu nahe komme, also sich eine tiefe Freundschaft bilden könnte, Kapsel ich mich ab. Ich Sehne mich aber nach einer Bindung, dieses Mädchen was ich eben erwähnte, ich weiß nicht ob ich mich verliebt habe, aber ich würde sie gerne mal näher kennenlernen. Aber wie stelle ich das an? Ich glaube das mir eine Bindung zu einem besonderen Menschen auch helfen würde den Panzer um mein Herz zu zerbrechen. Ich weiß von früher wie sich Freude, Trauer, Wut und Angst anfühlen. Deshalb erkenne ich auch wenn ich sie fühlen sollte. Aber ich will unbedingt wissen wie sich Liebe anfühlt, ich habe oft davon gelesen, sie in Filmen gesehen und anderweitig davon gehört. Und obwohl ich etwas bei dem Mädchen fühle, ist es nicht so wie es beschrieben wurde. Aber da für mich schon das sehr besonders ist, sollte ich vielleicht darauf umgehen und es mit ihr versuchen. Ich weiß zwar nicht ob sie will, aber selbst wenn nicht, wenn ich dann Trauer spüren würde, wäre es auch ein Gewinn. Könnt ihr mir in irgendwie helfen wie ich meine Gefühle wieder normal wahrnehme. Oder wie ich das mit dem Mädchen angehen sollte. Ich will nicht das ich das mit meiner Unerfahrenheit kaputtmache, bevor es überhaupt begonnen hat. Meine Erfahrung auf dem Gebiet ist gleich null. Es fällt mir ja sogar schwer einfach Freundschaften zu schließen. Mein Problem hat auch keine extreme Dringlichkeit, was nicht heißt das es mir nicht wichtig ist, aber ob es jetzt in einer Woche oder einem Monat beantwortet wir, mach keinen großen Unterschied. Andere brauchen glaube ich dringender und schneller Hilfe.
Danke das sie sich mit meinem Problem auseinander setzen, auf wiederlesen.

Anwort von Yen

Lieber Robin,
beim Durchlesen deines Textest ist mir aufgefallen, wie gut du dich selber und deine Situation reflektieren kannst.
Du kannst die Gründe für dein jetziges Verhalten einordnen und die Stränge zurück in die Vergangenheit ziehen. Dafür hast du meinen Respekt, denn nur die wenigsten schaffen es von alleine, vor allem wenn sie eine harte Vergangenheit hatten.

Was ich dir als Erstes bestätigen kann ist, dass du definitiv kein Psychopath bist. Denn ein Psychopath würde ist nicht derjenige, der manipuliert und verletzt wird, sondern derjenige, der am Hebel sitzt.
Leider kenne ich deine ganze Situation nicht, aber Impulsivität kann man schon als Gefühl einordnen. Wann wird es ausgelöst? Welche Umstände führen dazu? Möglicherweise lief diesem "negativen" Gefühl ein "positives" Gefühl wie zum Beispiel Freude voraus, aber wurde durch Enttäuschung mit Impulsivität und Ärger ausgetauscht.
Was waren die Gründe, weshalb das Mobbing von deiner Schwester und (ich nehme an) von deinen Mitschülern aufgehört hat? Ist es zeitgleich mit der Gefühlslosigkeit gekommen, danach oder doch davor? Hast du dich noch in anderen Punkten geändert und nimmt dich deine Umgebung deshalb anders wahr? Möglicherweise möchtest du dich mit der Gefühlslosigkeit dich davor schützen, dass du wieder verletzt wirst. Du hast wahrscheinlich Angst davor, dass das Mobbing wieder losgehen könnte, wenn du dich öffnest.
Und hast du Freunde gefunden mit denen du gemeinsame Dinge unternehmen kannst und denen du von deinem Alltag und deinen Problemen erzählen kannst? Mit jemanden darüber zu reden, kann sehr befreiend wirken und dir in diesem Sinne sogar ein kleines bisschen weiter helfen. Wenn du das Gefühl hast, dass du ihnen das nicht erzählen kannst oder dich dann "ausgeliefert" fühlen würdest, dann kannst du dir auch einen Psychotherapeuten oder eine (psychologische) Beratung aufsuchen.

Ich würde dir raten, dass du das "Wiedererleben" der Gefühle lieber mit einem Psychotherapeuten organisiert durchgehen solltest. Dies kann dir auch gewährleisten, dass du nicht unkontrolliert in ungewollte Situationen reinschlitterst. Einen konkreten Rat, wie du deine Gefühle wieder "normal" wahrnehmen kannst, kann ich dir leider nicht geben.
Was du für dich selber tun kannst: Du kannst deine alltäglichen Eindrücke und Erlebnisse festhalten und deine "Gefühlsregungen" dokumentieren, so kannst du auch selber sehen, ob du dich verbesserst oder verschlechterst. Versuche dich nicht selber abzuschirmen, um den "Panzer um deinen Herzen" aufrecht zu erhalten, denn wie du schon sagtest, selbst wenn du Trauer empfinden würdest, wäre es ein Gewinn. Nur, wenn du auch eine tiefe Bindung zu jemanden zulässt: Also für ihn/sie da bist und unterstützt, sowie dich selber der Person auch anvertraust, wirst du eine tiefgründiges Band aufbauen können.
Reflektiere die Freundschaften und versuche für dich selber auszumachen, wie du dich zu Freunden oder zu anderen Mitmenschen verhältst und ob du eventuell auch falsche Signale (nonverbale Körperhaltungen, Gestik, Mimik oder unbeabsichtigt verletzende Worte oder ähnliches) aussendest und versuche dieses zu verändern.
Versuche außerdem deine Impulsivität zu kontrollieren, merke dir in welchen Situationen dieses genau auftaucht und versuche diese Situationen anders zu bewerten und aufzunehmen. Wichtig hierbei ist, dass du diese Situation nicht "klein reden" sollst, von wegen "Das ist doch nichts, ich mache mir wieder nur was vor, warum mache ich das nur, warum passiert mir das immer wieder", sondern du solltest versuchen dir bezüglich dessen eine andere Sichtweise anzunehmen wie z.B. "Er hat gerade xy gesagt, wahrscheinlich hat er heute wohl einen schlechten Tag."

Ist das Gefühl des Vermissen des Mädchen ähnlich wie das Gefühl, was du als Kind hattest, wenn deine Mutter monatelang weg war?
Du sagst selber, dass du deine Familie liebst. Wie nimmst du diese "Liebe" wahr? Liebst du diese Personen, aufgrund ihrer Taten, Persönlichkeit, einfach weil sie sie sind oder nur, weil du es "muss", da sie ja deine Familie sind? Und weist diese Liebe Parallelen zu den (leichten) Gefühlen für das Mädchen auf? Liebe zu der Familie und Liebe zu einer Person (außerhalb) ähnelt sich charakteristisch in vielen Punkten, aber natürlich gibt es Unterschiede in der Art der emotionalen Bindung.
Wie ist die jetzige Situation zu deiner Mutter, zu deinem Vater und zu deiner Schwester?
Deine Schwester scheint dich wohl jetzt nicht mehr mies zu behandeln, doch wie sieht es aus mit deinem Vater und nimmt dich auch deine Mutter wahr? Wenn deine Familiensituation jetzt immer noch "wackelig" ist, könnte das eventuell auch deine Bindungsängste und die Gefühlstaubheit aufrecht erhalten.

Was mir außerdem noch auffällt: Versuche deine wirklich ernste Situation nicht klein zu reden, wie etwa am Ende deines Textes. Sei es dir wert - du verdienst es Hilfe zu bekommen und glücklich zu sein!
Hab viel Geduld mit dir selber, die Welt verändert sich nicht von heute auf morgen. Du schaffst das schon!

Ich hoffe, dass ich dir etwas weiterhelfen konnte und wünsche dir alles Gute und viel Erfolg!
Yen