Problem von B - 15 Jahre

Er lässt mich im Stich

Hey,
Es ist 00:57 und ich bin am weinen und kann nicht aufhören. Ich hab mich vor paar Tagen an euch gewendet und euch meine Lebensgeschichte erzählt (keine Rückmeldung erhalten). Aber es ist vorher was schreckliches passiert... Ich schrieb mit meinem Freund (Fernbeziehung) über ein normales Thema, aber plötzlich fing er an über meine schlechten Seiten zu reden, die ich ihm letzter Zeit oft gezeigt hätte. Und er meint ich würde ihm nur noch schlechte Laune machen und dass er das nicht mehr will/kann. Er will jetzt, dass wir paar Tage nicht mehr schreiben und über unsere Beziehung nachdenken. Ich hab ihm aber vor 2 Tagen erzählt, dass ich depressiv bin und er meinte zusammen werden wir das überstehen... Und jetzt denkt er darüber nach unsere Beziehung zu beenden.
Es mag vielleicht komisch klingen, dass eine 15 Jährige schon einen Freund hat.. Aber er ist wirklich meine erste große Liebe und ich kann nicht ohne ihn. Er ist das einzige was mich glücklich machen kann.. Das einzige wofür es sich noch zu leben lohnt.. Wenn er mich jetzt aufgibt, dann würde ich in ein tiefes schwarzes Loch fallen und nicht mal ein schei** Psychologe oder sonst was könnte mir helfen. Er kann mich doch nicht einfach verlassen.. Sollte ich vielleicht auf glücklich machen und 'gut gelaunt' sein, damit er mich nicht verlässt?
Übrigens habe ich vor wegen meiner Depression zum Psychologen zu gehen.
Dann kann ich jetzt so lange auf gut gelaunt machen, bis der Pschologe mir hilft.. Ist das eine gute Idee? Ich bin am verzweifeln, bitte helft mir..

PaulG Anwort von PaulG

Liebe B,

leider hat es ein paar Tage gebraucht, bis ich zu einer Antwort kam. Ich habe den Anspruch an mich, den Problemschreibern erst zu antworten, wenn ich mir wirklich sicher bin, dass meine Gedanken zu ihrer Situation "ausgereift" sind: Das bedeutet, ich will dir nicht schreiben, was mir spontan in den Sinn kommt, wenn ich das Gefühl habe, manches daran könnte noch unüberlegt sein oder an deiner Schilderung irgendwie vorbeigehen. Ich hoffe, dass sich seit deiner letzten Zuschrift keine weiteren schmerzhaften Einschnitte mehr ergeben haben, und dass es dir, soweit das gerade möglich ist, gut geht.

Wenn ich ganz ehrlich sein soll: Mich beschäft die Frage, was hat deine Schwester eigentlich für ein Problem? Ist für sie jemals eine Diagnose gestellt worden? Ist sie vielleicht ein ADHS-Kind oder ein autistisches Kind? Ich kann mir gut vorstellen, dass ihr Verhalten für die ganze Familie eine enorme Belastung darstellt. Andererseits sieht es so aus, als würden deine Eltern dem quasi hilflos gegenüber stehen. Ihr Schreien muss für euch anstrengend und schmerzhaft sein, und für dich zumal, die du ja auch deine Eltern leiden und sich streiten siehst. Umso mehr glaube ich, dass das Ganze irgendeinen Hintergrund haben muss. Ist es bei euch je Thema gewesen, dass deine Schwester vielleicht eine Zeit lang in einer Klinik oder einer therapeutischen Einrichtung leben könnte, in der sie beobachtet wird und sich feststellen lässt, was man unternehmen könnte? Ich habe den Eindruck, dass etwas passieren muss. So wie es jetzt ist, könnt ihr nicht gut weiterleben. Früher oder später mag etwas Schlimmes passieren, und das gilt es zu verhindern. Ihr alle leidet unter der Situation, und es ist erkennbar, dass eure Belastungsgrenzen erreicht sind.

Bei allem Verständnis, dass man dafür haben kann, dass deine Eltern mit ihren Nerven am Ende sind: Es ist nicht in Ordnung, dass du und deine Schwester geschlagen werdet. Es geht mir überhaupt nicht darum, deine Eltern zu verurteilen. Aber dass dein Vater und deine Mutter sich nicht mehr anders als durch Gewalt zu helfen wissen, zeigt, dass sie überfordert sind. Es gehört auch zu ihrer Verantwortung als Eltern, das zu erkennen und sich Hilfe zu holen. Überleg dir daher bitte auch, ob du diese Dinge, die du uns erzählt hast, mit einem Menschen deines Vertrauens in deinem Umfeld teilen möchtest, oder im Rahmen einer Beratung - alles das sind Leute, die dir wirklich helfen können, ich kann dagegen bloß dazu raten. Ich habe die Befürchtung, dass bei euch daheim eine Eskalation folgen könnte, wenn nicht bald etwas geschieht. Und niemand kann dafür die Verantwortung übernehmen, am allerwenigsten du. Das zu sehen und danach zu handeln, ist Teil des Weges, der zu einer Lösung führt. Solange ihr euch immer nur dahinschleppt, wird sich nichts bessern, und du wirst ja noch eine Weile zuhause leben. So kann es nicht weitergehen - du siehst das ja selbst.

Deine Gefühle aufzuschreiben, ist ein guter Ansatz, dich von der drückenden Last wenigstens ein bisschen zu erleichtern. Tu das, wann immer du das Bedürfnis danach hast, und du kannst auch uns / mir gern weiterhin schreiben. Ich werde nur vielleicht nicht immer gleich zum Antworten kommen. Doch vergiss bei all dem auch nie, dich selbst zu schützen: Die Aufgabe, in eurer Familie Stabilität herzustellen und Problemen nicht aus dem Weg zu gehen, ist in erster Linie die deiner Eltern. Soweit es dir möglich ist, mit deiner Mutter darüber zu reden, sprich offen darüber, dass du dir eine Lösung wünschst und das Gefühl hast, auch sie und dein Vater könnten bald nicht mehr. Möglicherweise wird dies der Anstoß für sie, sich endlich neue Wege zu trauen, deren Notwendigkeit sie vielleicht schon lange sehen, aber sich noch nicht eingestanden haben. Was aber nicht geschehen sollte, ist, dass du dir die Verantwortung für die Zukunft der ganzen Familie auf deine Schultern lädst, und die Problematik deiner Schwester, die Schwierigkeiten deiner Eltern mit ihr, so lebst, als wären es deine eigenen. Natürlich nehmen sie dich emotional sehr mit, und das ist auch nur natürlich und richtig als Schwester und Tochter. Gleichzeitig kann niemand von dir erwarten, dass du etwas hinweg hebst, für das dir keine Macht und Verantwortung gegeben sind. Du kannst deiner Schwester nicht helfen, solange nicht speziell deine Eltern ihr eigenes Unvermögen einsehen. Und du kannst auch deinen Eltern nicht helfen, solange sie sich mehr zutrauen, als euch allen gut tut. Vielleicht wird es noch eine Weile dauern, bis sie das erkennen, und was du tun kannst (wenn überhaupt) ist, darauf hinzuweisen. Weder ist es an dir, die Erziehung deiner Schwester zu gestalten, noch, die Überlastung deiner Eltern abzufangen. Dein Bruder hat entschieden, den Problemen völlig aus dem Weg zu gehen. Eben das ist auch nicht gut, denn er als schon Erwachsener hätte die Möglichkeit und auch die Pflicht, die Dinge offen anzusprechen. Du, die du selbst noch in einer wichtigen Entwicklungsphase stehst und dir (zu Recht!) mehr innere Freiheit wünschst, kannst diese Last einfach nicht auch noch schultern. Wo du es kannst, versuche dir Freiräume zu schaffen, vielleicht durch Sport oder andere Freizeitaktivitäten; versuche auch, die Schule nicht zu vernachlässigen. Die äußeren Prozesse sollten funktionieren, andernfalls rutschst du nur noch tiefer in das Chaos. Gesteh dir aber auch ein - und das hast du schon echt gut gemacht! - dass du selbst nicht mehr Kraft hast, als du schon beweist. Und es ist toll, dass du versuchst, dich einzuschalten und zu helfen, aber es geht nur mit dem Rest der Familie und nicht gegen ihn.

Was deinen Freund betrifft: Es muss wirklich niederschmetternd für dich gewesen sein, gerade jetzt, wo du ihn so sehr brauchst, von ihm zu hören, dass er sich seiner Gefühle nicht mehr sicher ist. Ich hoffe für euch, dass die Dinge sich noch einmal ordnen. Ich glaube durchaus, dass man auch mit 15 sehr intensiv lieben kann, und ich will deine Gefühle überhaupt nicht kleinreden. Wenn es dir gut getan hat, deinem (noch?)Freund deine Lage zu schildern, und ihm zu berichten, wie es dir geht, dann ist es sicherlich das Richtige gewesen, das zu tun. Bedenke aber auch: Wenn du ihn halten möchtest, wirst du dir nicht unbedingt einen Gefallen tun, all deinen Schmerz und Ärger wegen seines Verhaltens auf ihn zu werfen. Natürlich sollte in einer Beziehung der Partner oder die Partnerin derjenige sein, an den man sich mit seinen Sorgen wendet. Gleichzeitig - und das solltest du nicht vergessen - hätte es dir auch nichts gebracht, wenn er dir verschwiegen hätte, dass er mit deiner Situation schlecht umgehen kann. Was hast du von einem Freund, der alles wie ein Held erträgt, aber vor lauter Verunsicherung irgendwann gar nichts mehr sagt, oder sich urplötzlich ohne Kommentar von dir verabschiedet? Wenn es jetzt zu einer Trennung kommt, liebe B, dann ist dein Schmerz nur normal und gerechtfertigt. Aber ich sage es dir trotzdem lieber schon jetzt, auch wenn du es wahrscheinlich nicht hören möchtest: Wenn dein Freund mit all dem nicht klar kommt, würdest du es besser finden, wenn er so tut, als wäre nichts? Unter Umständen kann es besser sein, die eigene Schwäche einzugestehen. Das hat er getan. Auch wenn es für dich zunächst bedeutet, dass deine wichtigste Stütze vielleicht wegbricht, signalisiert er dir damit auch, dass er es ohnehin nicht mehr sein könnte. Zumindest bald nicht mehr. Ich glaube, es wäre gut - auch wenn es schwerfällt - jetzt eine Weile abzuwarten. Fordere deinen Freund auf, die Beziehungspause, die er sich gewünscht hat, auch selbst konsequent einzuhalten, und dir nach Ablauf einer bestimmten Frist zu sagen, was er grundsätzlich denkt. Wenn er sich trennen möchte, dann ist es nur recht und billig, dass er damit auch Ernst macht, und deinen Schmerz weder durch falsche Hoffnungen, noch durch Inkonsequenz in Bezug auf seine eigene Entscheidung vergrößert. Wenn er es aber nicht tut, dann ist es in deinem Interesse, dass er sich wirklich dazu entschließt - und nicht nur, weil er glaubt, du würdest ihn unbedingt brauchen. Denn er ist nicht der Allereinzige. Wenn es wirklich so ist, dass er das alles nicht mit dir schultern kann, weil er sich dazu nicht in der Lage sieht, solltest auch du das zu verstehen versuchen. Ihr gewinnt beide nichts, wenn ihr euch zu etwas zwingt, wozu ihr beide nicht stark genug seid. Die Beziehung unter allen Umständen erhalten zu wollen, kann zu Problemen führen, wenn ihr bemerkt, dass sie euch nicht das bieten kann, was ihr euch von ihr erhofft.

Noch ist nicht aller Tage Abend! Natürlich kann es sein - und das hoffe ich für dich auch! - dass dein Freund wirklich nur eine Auszeit braucht, und sich letztlich für dich entscheidet. Wenn es so kommt, dann vergewissere dich gleich, ob er glaubt, diese Entscheidung aus vollem Herzen und im Wissen um seine eigenen Kräfte getroffen zu haben. Du hast nur ein Interesse an einem Freund, der wirklich abschätzen kann, ob er so stark ist, deine schwierige Lage zu überblicken und dir darin beizustehen. Du hast umgekehrt kein Interesse an einem Freund, der sich aus Gutmütigkeit darüber belügt, wozu er in der Lage ist, und dafür in Kauf nimmt, dass es dir am Ende nur noch schlechter geht, weil er dich getäuscht hat. Beide Möglichkeiten sind nicht wirklich schön, ich weiß. Jedoch kann dein Freund auch nichts dafür, wenn er feststellt, dass ihn etwas überfordert - dein Ärger ist verständlich, aber dass er es dir gesagt hat, ist auf gewisse Art auch ein Liebesbeweis. Und du kannst und darfst stolz darauf sein, dass du jemandem das wert warst und bist, liebe B.

Ich wünsche dir viel Kraft in der kommenden Zeit, um dich innerlich nicht davon abhängig zu machen, wie es den Menschen um dich herum geht - und die täglichen Konflikte zu ertragen. Ich wünsche dir Mut, dich zu öffnen und darauf zu bestehen, dass du auch noch dein eigenes Leben und deine Jugend hast, die du leben willst. Und ich wünsche dir Glück, Menschen um dich zu haben, die eine so tiefgründige und mitfühlende Person wie dich zu schätzen wissen.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul