Problem von Anonym - 20 Jahre

Fehler

Ich habe gestern mit einem Mann, der etwa doppelt so alt war wie ich, für geld geschlafen.
Kennengelernt habe ich ihn über eine App. Es war nicht das erste Mal, dass ich so eine Anfrage bekommen habe, aber das erste Mal, dass ich sie auch beantwortet habe.
Es ging um einen Blowjob und darum, dass er meine Brüste anfassen wollte. Mehr nicht.
Schon die Nacht davor konnte ich nicht schlafen. Dann habe ich ihn getroffen. Fast hätte ich die Sache abgeblasen, er war bestimmt schon vierzig und obwohl er nett war, fand ich ihn abstoßend.
Dennoch trafen wir uns später in meiner Wohnung.
Er gab mir das Geld und meint, ich solle mich ausziehen. Danach legten wir uns ins Bett. Als er Sex wollte habe ich nein gesagt. Er meinte, er wolle ihn nur kurz reinstecken und ich habe kein zweites Mal nein sagen und auf einmal war es passiert.
Ich habe nichts dabei gefühlt oder gedacht. Nach einer Stunde war alles vorbei und er ging.
Seit dem kann ich kaum noch schlafen, weil in meinem Kopf zu viele Gedanken kreisen. Eine Mischung aus Schuldgefühlen, Sorge, Scham und vor allem Verurteilungen gegenüber mir selbst.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

ich hoffe, dass du inzwischen wieder ausreichend Schlaf findest, und dass es dir gelingt, deinen Alltag zu bewältigen. Ich habe mir mit dem Verfassen dieser Antwort nicht leicht getan - trotzdem weiß ich natürlich nicht im Mindesten, ob sie für dich eine Hilfe sein wird. Froh wäre ich, wenn das der Fall sein sollte; falls aber nicht, dann zögere nicht, mir das mitzuteilen. Ich gewinne dadurch nicht nur ein klareres Bild deiner Situation, sondern auch davon, wie meine Ratschläge auf die Empfänger wirken.

Du solltest wissen: Manches, was ich dir schreiben werde, könnte für dich eine Erleichterung darstellen - zumindest wäre ich froh, wenn es das würde. Manches Andere jedoch wird dir möglicherweise unangenehm sein, und du darfst mir glauben, dass es auch mir nicht immer leicht fällt, Dinge klar zu benennen, die ich denke. Ich bin jedoch der Meinung, dass Offenheit der Uneindeutigkeit vorzuziehen ist - auch auf die Gefahr hin, jemandem etwas zu sagen, dass er oder sie nicht unbedingt gerne hört. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich auf dich wirken werde. Doch möchte ich betonen, dass es weder mein Wunsch ist noch mir gefallen würde, wenn dich verletzen sollte, was ich hier schreibe.

Zunächst einmal: Es war nicht "dein Fehler", dass dieser Mann sich genommen hat, was er wollte. Dich vergewaltigt hat. Denn darum handelt es sich. Dass du auf seinen Versuch, dich nach deinem "Nein!" doch noch zum Sex zu überreden, nichts mehr gesagt hast, stellt keine Zustimmung dar; es gibt ihm also auch nicht das Recht, darin eine Zustimmung zu sehen. Was du erlebt hast, belastet dich verständlicherweise nicht nur deshalb, weil du mit einem Mann intim warst, vor dem du dich ohnehin geekelt hast, sondern umso mehr, weil jemand dich gegen deinen Willen für seine Befriedigung benutzt hat. Du solltest dringend davon Abstand nehmen, dir vorzuhalten, dass das ein "Fehler" war: Er ist es, der dir Gewalt angetan hat. Diese Tatsache besteht unabhängig davon, liebe Anonyme, dass du dich fragen solltest, ob du dir mit dem Versuch, sexuelle Handlungen gegen Geld zu geben, mehr abverlangt hast, als du ertragen kannst.

Denn, was mir zu denken gibt, ist das: War es Teil seiner Anfrage an dich, dass du dich auf seine Anweisung hin ausziehst und dich mit ihm ins Bett begibst? Ich kann deinem Text nicht entnehmen, ob ihr über Oralverkehr und das Berühren deiner Brust eine konkrete Absprache hattet (im Sinne von: "Der Preis wird genau dafür bezahlt, alles darüber kostet mehr oder gibt es gar nicht."), oder ob es eine Vorüberlegung war (im Sinne von: "Das wollten wir machen, ohne dass es heißt, dass nicht mehr passieren kann." Was es auch gewesen sein mag, rechtfertigt das das Handeln dieses Mannes nicht, keinesfalls. Doch, liebe Anonyme: Es bereitet mir große Sorgen, zu lesen, dass du jemandem, den du noch nie zuvor gesehen hast, soviel Kontrolle über die ganze Situation eingeräumt hast. Wir wissen nicht, wie er das bewertet haben mag - ob er sich womöglich gar keiner Schuld bewusst ist; aber das ist auch völlig egal, denn Nein heißt nein heißt nein, gleichwohl, ob er in dein Verhalten womöglich mehr hineingelesen hat, als da war. Doch wenn du noch einmal einen Mann gegen Geld empfängst, um mit ihm Sex zu haben (oder Petting) - es ist weder ratsam, das in deiner Privatwohnung zu tun, noch generell zu empfehlen, dich auf Prostitution ohne angemeldetes Gewerbe einzulassen. Denn das ist es gewesen, auch wenn der Begriff schmerzt. Und dass das Ganze, formal betrachtet, ungesetzlich stattfand, macht es dir noch schwerer, dir gegen deinen Peiniger Recht zu verschaffen. Wenn du das anstreben möchtest - wobei ich hier weder abraten noch eine Empfehlung abgeben möchte. Das musst du ganz allein entscheiden, kannst aber sicher sein, dass ich ihn gerne dafür bestraft sehne möchte. Wichtig ist, dass dein Leben wieder ins Lot gerät und du das, was geschehen ist, nicht mehr als "deinen Fehler" siehst. Von da an beginnt dein Weg zurück in die Ruhe, auch wenn er schwer ist, und dein Leben gewandelt ist.

Liebe Anonyme: Was treibt dich, deinen Körper gegen Geld von Männern angreifen zu lassen, vor denen du dich ekelst? Ist es Geldnot? Ist es der Wunsch gewesen, etwas Bestimmtes zu erleben? Oder ist es so, dass du nach ähnlichen Anfragen in der Vergangenheit das Gefühl hattest, es könnte dir etwas entgehen, wenn du nicht darauf eingingest? Was es auch gewesen sein mag (und nichts von dem, was ich angedacht habe, muss zutreffen - ich habe nicht die geringste Ahnung), es gibt andere Möglichkeiten, solche, die dich weniger entwürdigen. Wenn es Teil deines Lebensunterhalts ist oder sein sollte, dann hast du nun vorgeführt bekommen, dass das, was es von dir verlangt, mehr ist, als du emotional stemmen kannst. Zögere nicht - weder aus Scham noch aufgrund von Konventionen, die dir sagen, man müsse dies oder jenes einmal getan haben -, dir einzugestehen, dass Sex gegen Geld weder heute noch morgen dein Leben bereichern wird. Jedenfalls nicht so, dass es in einem Verhältnis steht zu dem, was du dadurch erleidest und erlitten hast. Deine Scham begründet sich ja nicht allein darin, dass es ein Verbrechen war, was dir widerfahren ist. Wenn du also anderer Meinung bist als ich und auch in der Zukunft Freier empfangen willst, wirst du nicht umhin kommen, dich stärker gegen die Gefühle aller Arten zu wappnen, die das aufwühlen kann. Wenn du das nicht schaffst, wäre es wohl in deinem Interesse, davon abzusehen. Doch ich kenne dich nicht und will dir nicht in dein Leben hineinreden. Fakt ist: Du hast dich hier in einen Bereich vorgewagt, der nicht deine Welt zu sein scheint; über die Gründe kann ich nur spekulieren, doch glaube, selbst wenn dieser Mann sich nicht an dir vergangen hätte, wäre es belastend genug, um es nicht zu wiederholen. Oder wie siehst du das?

Wahrscheinlich wäre, da bin ich ganz ehrlich, eine professionelle Hilfe für dich jetzt das Beste. Was ich dir aber schon jetzt sagen kann: Das Leben geht weiter. Niemand verlangt von dir, dass du rasch über dieses Erlebnis hinweg kommst, oder es weglächelst. Aber es ist wichtig, dass du daraus einen Schluss ziehst, oder mehrere. Welche das für dich sein werden, weiß ich nicht. Aber das, was ich für am meisten in deinem Sinne halten würde, ist das: Verkauf dich nicht. Und wenn du es je wieder tust, dann tu es aus Lust und nicht aus irgendeinem Zwang. Dann wird dir auch niemand mehr seinen Willen aufzwingen können. Dich trifft keine Schuld an dem, was passiert ist. Aber du hast eine Verantwortung gegenüber einem wichtigen Menschen, nämlich dir selbst. Dazu gehört, deinen Körper nur zu einem Preis herzugeben, den du für angemessen hältst, und deine Sexualität so zu leben, dass du darin findest, was dir zukommt. Jemanden, der mit dir schläft - und sei es auch für Geld, was deine eigene Entscheidung ist -, musst du für würdig befinden, dich zu erregen und zu befriedigen; und wenn das nicht so ist, du aber dennoch bereit bist, auf diese Weise Geld zu verdienen, dann gib das Heft nicht aus der Hand, sondern mach deutlich, dass es deinen Körper nur im Austausch gegen Respekt, Verständnis und Gesprächsbereitschaft gibt. Das kann dich nicht vollständig davor schützen, an Menschen zu geraten, die sich weder um deine Würde noch um deine Gefühle, noch um dein Wohlbefinden scheren - aber es kann dich davor bewahren, dich dafür auch noch schuldig zu fühlen. Es kann dir kein Vorwurf gemacht werden, dass es derzeit so ist. Aber du solltest daraus etwas für dich ableiten, nicht zuletzt, damit an dem Geschehenen wenigstens ein kleiner Gewinn für dich entsteht. Wenn auch der Schaden größer ist. Dass du dafür nichts kannst und dein Peiniger mit seinem Gewissen leben muss, hebt diese Tatsache nicht hinweg, das erlebst du ja gerade.

Ich wünsche dir von Herzen alles Gute, aber vor allem zweierlei: Die Bereitschaft, dich nicht unter Wert zu verkaufen; erstens, menschlich nicht, und zweitens, im Wortsinne nicht. Und ich wäre froh, wenn du sehen könntest, dass dein Wert weit über dem eines Menschen liegt, der sich nimmt, was er will, ohne Rücksicht auf Gefühle Anderer. Denn, noch einmal: Es war nicht "dein Fehler"! Aber es ist deine Verantwortung, die Gefahr künftig nur dann zu suchen, wenn es dich nach ihr verlangt und verzehrt.

Liebe Grüße,

Paul