Anwort von Nuala

Hallo du,

ich kann verstehen, dass es dir sehr peinlich ist, wie sich dein Lehrer benimmt. Aber: Nicht dir sollte es peinlich sein, sondern ihm! Das ist das Erste, was ich dazu zu sagen habe. Dann zu deiner Frage, ob er dich liebt: Nein, sein Verhalten ist kein Indiz für Liebe, ganz im Gegenteil.
Ich werde nun beide Punkte näher erklären, damit du verstehst, warum du dich erstens nicht schlecht fühlen musst und es zweitens um Macht und Gewalt geht.

Nochmal zum Thema Peinlichkeit: Natürlich sind deine Empfindungen völlig nachvollziehbar, weil er dich einfach in eine absolut unangenehme und inakzeptable Lage bringt. Doch wenn ich schreibe, dass du objektiv gesehen keinen Grund dafür hast, dass es dir peinlich ist, meine ich das so: Du verlierst nicht deine Würde, weil du dir nichts zu Schulden kommen lässt! Auf deinen Sportlehrer allerdings trifft genau das zu - er nutzt seine Position schamlos aus und übt auf nicht sofort sichtbare Weise Gewalt aus. Er zeigt dir, dass er es sich erlaubt, dir ungeniert auf deinen Po zu starren und dich anzufassen. Das ist so, als würde ich mich auf einen öffentlichen Platz hinstellen und in die Welt rausschreien: "Seht alle her, ich gehe jetzt auf irgend welche Leute zu, fasse diese ungefragt an und störe mich nicht dran, dass diese das nicht möchten oder sogar geschädigt werden! Ich mache es einfach, haha!"
Es ist schon schlimm genug, dass es viele Übergriffe im Heimlichen gibt, die keine Leute mitkriegen. In deinem Fall ist es besonders dreist, weil deine Mitschüler:innen alles mitbekommen. Das ist eine Form von sozialer Erniedrigung und somit Gewalt. Er nimmt in Kauf, dass alle sehen: Er hat die Macht, dich so zu behandeln, während du dich nicht wehren kannst. Du bist sozusagen am Boden (dein Beispiel mit den Liegestützen) und er demonstriert allen Anwesenden, dass er dies völlig auskostet. Das ist also nicht nur dir gegenüber gewalttätig und extrem respektlos, sondern auch allen Anderen gegenüber. Denn diese bekommen signalisiert: Mein Lehrer hat gerade die absolute Kontrolle und maßt sich an, den Körper seiner Schülerin zu mustern, als wäre sie ein Ding. Er macht dich zum Objekt. Und das ist sehr gefährlich. Für dich persönlich ist die Situation sehr gefährlich, aber auch für deine Kamerad:innen. Denn: Er sagt ihnen quasi durch sein Verhalten, dass es in Ordnung ist, dass er (als Mann) ein Mädchen derart zu behandeln. Er ist damit ein sehr schlechtes Vorbild für männliche Schüler. Und für die Schülerinnen kann es sehr angsteinflößend sein, auch wenn sie das nicht sofort bemerken. Doch angenommen, sie sind dann selbst betroffen, werden von ihm ungewollt angefasst und mit übergriffigen Sprüchen bedacht, kann sich der Kreis schnell schließen.

Und zum Punkt "auf jemanden stehen" und "Liebe". Also sicherlich kennst du den Unterschied zwischen Verliebtsein und Liebe: Verlieben kann man sich oft und in viele Menschen. Doch echte Liebe wächst dann erst durch Vertrauen, Zeit und viele intime Momente. Liebe ist etwas Sachtes, Sicheres, Tragendes. Liebe ist nicht einfach da, außer man begreift sie als die Liebe, die man einfach dem Leben und allen Menschen entgegenbringen kann. Liebe in Beziehungen geht aber noch tiefer und weiter. Sie ist meistens kein loderndes Feuer, sondern eher die stetig brennende Flamme mit viel Glut. Auf sie ist Verlass.
Verliebtsein ist genauso positiv wie Liebe, aber viel flüchtiger und leichter. Und noch flüchtiger ist "auf jemanden stehen". Denn da geht es wirklich eher um eher oberflächliche Sachen wie das Aussehen, Geruch und bestimmte andere Dinge. Was nicht heißt, dass das etwas Schlechtes ist. Es macht ja auch Spaß, so zu empfinden. Und daraus kann Verknalltheit entstehen, was wiederum im besten Fall zu einer Beziehung und später vielleicht sogar Liebe wird
Um den Bogen zu spannen: Dein Sportlehrer ist weder in dich verliebt noch steht er auf dich. Er steht lediglich darauf, dich zu erniedrigen.

Dann möchte ich dich noch ausdrücklich ermuntern, auf dein Bauchgefühl zu hören und SOFORT aus Situationen zu gehen, in denen du dich in irgend einer Form schlecht fühlst: Erniedigt, bloßgestellt, lächerlich gemacht, zum Sexobjekt gemacht, manipuliert... all das darf nicht sein! Dein Lehrer hat einen Lehr - und Erziehungsauftrag. Er hat deine persönlichen Grenzen zu wahren. Dazu gehört, dass er einen gewissen räumlichen Abstand zu dir einhält (jeder Mensch hat einen persönlichen Schutzraum von einigen Zentimetern um sich herum) dich nicht anstarrt, keine unsachlichen und sexualisierten Sprüche ablässt, dich nicht berührt (unter wirklich fadenscheinigen Ausreden!) usw. Also wenn sowas wieder vorkommt - und sei es auch im Ansatz- hast du IMMER das Recht, dich zurückzuziehen. Das kannst du auch so sagen: "Herr X, ich will diese Übung nicht vor Ihnen und der Klasse machen, wenn Sie direkt hinter mir stehen und mich anstarren. Das ist mir extrem unangenehm!"

Ich bin ehrlich gesagt sehr alarmiert, wenn ich deine Zeilen lese. Nicht zuletzt, weil ich selbst in meiner Schulzeit erlebt habe, dass ein Sportlehrer schamlos Schülerinnen beim Umziehen beobachtet und vielfach Grenzen überschritten hat.
Leider habe ich vor ein paar Monaten auch ein Problem im Kummerkasten gehabt, da wurde eine Schülerin von ihrem Lehrer vergewaltigt. Daher bin ich mittlerweile sehr schnell dabei, vor solchen Personen auf das Schärfste zu warnen! Ich will damit nicht sagen, dass dein Sportlehrer auch vor Vergewaltigungen nicht zurückschrecken würde. Das ist ein sehr schweres Verbrechen. Doch leider, leider ist es auch ein häufiges Verbrechen, von dem Mädchen und Frauen zum Großteil betroffen sind. Deswegen will ich die frühen Warnzeichen an dieser Stelle herausstellen:
- Er starrt deine Körperteile an, als gäbe es nur diese
- Er demonstriert seine Überlegenheit vor Anderen
- Er fasst dich ungefragt an
- Er sagt grenzüberschreitende Sachen zu dir
Das ist leider alles ziemlich bedenklich! Und leider ist das oftmals der Beginn von weitaus drastischeren Übergriffen bis hin zu direkter körperlicher und sexualisierter Gewalt. Und um das klar von sexueller Lust abzugrenzen: Ein Mensch, der dich derart behandelt, ist nicht an deinem Wohl interessiert. Er ist auch nicht in dich verliebt oder sonstwas. Sondern eine Person, die eher in Richtung tickende Zeitbombe geht. Gerade dieses krasse Anstarren macht mir Sorge. Es deutet darauf hin,dass er völlig abdriftet und sich nicht mehr unter Kontrolle hat.

Ich rate dir aus diesen Gründen, extrem vorsichtig zu sein.
Bleibe niemals mit ihm allein in einem Raum!
Suche dir die Unterstützung der Anderen: Sage ihnen, wie schlecht es dir geht durch seine Behandlung. Eine gute Strategie wäre zum Beispiel, wenn sie ihn in so einem Moment direkt auflaufen lassen würden: "Herr X, warum starren sie denn Ihrer Schülerin dauernd auf den Po?" Ganz ehrlich: Wenn er dann nicht sofort aufhört und sich in Grund und Boden schämt, ist er wirklich verdammt gefährlich und sollte nie mehr irgendwo als Lehrer arbeiten dürfen! Denn ein Mensch mit Gewissen und etwas Restverstand würde kapieren, wie daneben sein Verhalten gerade ist und dass er sich gefälligst zusammenreißen muss.
Da aber solche Personen, die zu Machtmissbrauch und Grenzverletzungen neigen, sich allein von Kommentaren nicht abschrecken lassen, musst du ihm auch ganz deutlich zeigen, dass du eine andere Behandlung forderst. "Herr X, mir ist jetzt schon mehrmals aufgefallen, dass Sie mich anstarren und unpassende Bemerkungen über meinen Körper machen. Bitte unterlassen Sie das in Zukunft. Andernfalls muss ich mich an die Schulleitung wenden." Am besten vor deiner Klasse, damit du viele Zeug:innen hast. Auch gut: Alles protokollieren mit Datum, Ort, wer war dabei, was ist vorgefallen. Seine Sprüche wortwörtlich aufschreiben. Bitte deine Freund:innen, dir dabei zu helfen, sie können das Protokoll auch unterschreiben, wenn sie dabei waren.

Ich weiß, dir ist es peinlich. Doch denke bitte daran: DU hast NICHTS falsch gemacht!! Er ist der Schuldige! Er nutzt ja noch aus, dass es dir peinlich ist, weil er auf dein Schweigen zählt. So kann er immer weitermachen - und das willst du ja genau nicht! Außerdem kann es sein, dass du nicht die einzige Betroffene bist!
Wenn möglich - vertraue dich anderen Lehrer:innen, deinen Eltern, der Schulleitung oder Sozialpädagog:innen an. Denn ich sehe eine Gefahr für dein Wohl - und das Wohl der Schüler:innen deiner Schule. Nur so kann sich das Blatt für dich wenden.

Ich wünsche dir alles Gute!
Nuala